Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 31.03.2004, Az.: 9 U 217/03
Anspruch des Miteigentümers eines Grundstücks auf Auszahlung der aus Vermietung und Verpachtung kassierten Einnahmen ; Rechtmäßigkeit der Verurteilung als Drittschuldner; Abgrenzung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zu einer Bruchteilsgemeinschaft; Ordnungsgemäße Pfändung eines Anspruchs
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 31.03.2004
- Aktenzeichen
- 9 U 217/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 35370
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2004:0331.9U217.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Lüneburg - 15.09.2003 - AZ: 1 O 236/02
Rechtsgrundlagen
- § 721 Abs. 2 BGB
- § 829 Abs. 3 ZPO
- § 1280 BGB
- § 171 Abs. 1 ZPO a.F.
- § 713 BGB
- § 667 BGB
Fundstellen
- DStR 2004, 1187-1188 (amtl. Leitsatz)
- DStZ 2004, 543 (Kurzinformation)
- InVo 2004, 507-509 (Volltext mit red. LS)
- NZG 2004, 613-614 (Volltext mit amtl. LS)
- OLGReport Gerichtsort 2004, 502-504
- Rpfleger 2004, 507-508 (Volltext mit amtl. LS)
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Trotz der für die GbR kraft Gesetzes geltenden Gesamtvertretung reicht eine Zustellung eines Pfändungsbeschlusses an einen Gesamtvertreter als Passivvertreter aus.
- 2.
Dies ergibt sich aus § 171 Abs. 3 ZPO a.F. und zudem aus dem materiellen Recht, das die alleinige Vertretungsberechtigung jedes Gesamtvertreters bei der Passivvertretung anerkennt, wie sich aus einer Rechtsanalogie zu §§ 28 Abs. 2, 1629 Abs. 1 S. 2 BGB, § 125 Abs. 2 S. 3 HGB, § 78 Abs. 2 S. 2 AktG, § 35 Abs. 2 S. 3 GmbHG entnehmen lässt.
- 3.
Auf den Mietzins ist § 718 Abs. 2 1. Fall BGB nur dann anzuwenden, wenn ein Handeln im Namen der Gesellschaft vorliegt.
In dem Rechtsstreit
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. S. und
die Richter am Oberlandesgericht Prof. Dr. A. und S.
auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 17. März 2004
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 15. September 2003 wird zurückgewiesen.
- 2.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsrechtszuges.
- 3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
- 4.
Beschwer: unter 20.000 Euro.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt von der Beklagten, seiner Mutter, die anteilige Auszahlung des von der Beklagten aus der Vermietung des Grundstücks J. Straße in L. eingezogenen Mietzinses, soweit dieser Mietzins dem Miteigentümer und Bruder des Klägers R. L. zustand. Der Kläger hat den Anspruch R. L.'s. gepfändet. In dem Beschluss wird die Forderung wie folgt bezeichnet:
"Pfändung von Einnahme aus Vermietung und Verpachtung des Grundstücks J. Straße ... L., hinsichtlich aller dem Schuldner zustehenden Einnahmen als Miteigentümer des Grundstücks zu 1,5/100 ab dem 01.01.1999."
Das Grundstück hatten der Kläger, die Beklagte und R. L. im Jahre 1995 erworben. Der Anteil des Klägers an dem Grundstück betrug 15/100, der Anteil von R. L. ebenfalls 15/100 und der Anteil der Beklagten 70/100. Im Oktober 1998 veräußerte der Kläger seinen Anteil an den Bruder B. L.. Die Parteien streiten u.a. um die zeitliche Reichweite einer am 31. Dezember 1995 getroffenen Vereinbarung, mit der die damaligen Grundstückseigentümer der Beklagten hinsichtlich der Fruchtziehung aus dem Grundstück ein alleiniges Bezugsrecht einräumten. Die Beklagte vermietete das Grundstück im eigenen Namen, zog den Mietzins ein und behielt ihn für sich.
Die Berufung der Beklagten richtet sich gegen die antragsgemäße Verurteilung als Drittschuldnerin und erstrebt die Aufrechterhaltung eines klagabweisenden Versäumnisurteils. Die Beklagte meint, die Pfändung sei ins Leere gegangen, weil R. L. nicht Vermieter des Grundstücks gewesen sei. Er habe nur einen Anspruch auf Abrechnung und Herausgabe gegenüber der Teilhabergemeinschaft gehabt; von dem Betrag, den die Beklagte eingezogen habe, seien noch anteilige Kosten und Lasten des Grundstücks abzuziehen gewesen. Überdies habe das Landgericht die Verteilung der Beweislast verkannt. Eine Vereinbarung zwischen den Grundstückseigentümern vom 31. Dezember 1995 sei unstreitig erfolgt. Daher sei ein etwaiger Anspruch des Miteigentümers R. L. durch die Dauer der Bezugsrechtsvereinbarung zu Gunsten der Beklagten bedingt gewesen. Somit habe der Kläger das kurze Bezugsrecht mit einer Dauer bis Ende 1998 zu beweisen gehabt.
Unrichtig sei die Beweiswürdigung des Landgerichts. Wenn es der Aussage des Zeugen H. L. über die von ihm selbst beobachtete Fälschungshandlung der Beklagten nicht habe folgen wollen, sei im Umkehrschluss daraus zu entnehmen, dass die behauptete Fälschung nicht vorgenommen worden sei. Dies entspreche auch der Beweiswürdigung durch die Staatsanwaltschaft Lüneburg, die das Ermittlungsverfahren gegen die Beklagte eingestellt habe.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und trägt vor, dass nicht ein Mietzinsanteil, sondern der Anspruch aus § 743 Abs. 1 BGB gepfändet worden sei. Dabei handele es sich um einen Individualanspruch und nicht um einen Anspruch auf Zahlung an die Gemeinschaft. Die Beklagte sei dafür darlegungspflichtig, dass sie von den Mieteinnahmen Aufwendungen und Lasten habe tragen müssen, an denen die Miteigentümer nach § 748 BGB zu beteiligen gewesen seien. Entsprechender Vortrag sei nicht erfolgt. Das Landgericht habe die Beweislast richtig verteilt. Die Beschränkung des Anspruchs durch eine nachträglich getroffene Sondervereinbarung sei eine rechtsvernichtende Einwendung, für die die Beklagte die volle Beweislast trage. Nach einem rechtlichem Hinweis des Senats hat der Kläger den Entwurf von Bilanzen für die Jahre 1999 und 2000 vorgelegt und stützt seinen Zahlungsanspruch nunmehr hilfsweise auch auf § 721 Abs. 2 BGB.
Gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts seien keine zulässigen Berufungsgründe vorgetragen worden. Das Landgericht habe Zweifel an sämtlichen Beweismitteln des Prozesses geäußert. In dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren habe die Staatsanwaltschaft im Anschluss an den Beschluss des OLG Celle im Klageerzwingungsverfahren die Ermittlungen am 11. September 2003 eingestellt, weil sich der Anzeigeerstatter im Nachhinein entschlossen habe, eine weitere Eskalation zu vermeiden.
II.
Die Berufung ist nicht begründet, weil dem Vollstreckungsschuldner für die Jahre 1999 und 2000 ein Gewinnanspruch nach § 721 Abs. 2 BGB zustand, der entgegen der Auffassung der Beklagten übertragbar war und auf den der Kläger mit seinem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wirksam zugegriffen hat.
1.
Der Vollstreckungsschuldner, die Beklagte und der Rechtsnachfolger des Klägers sind in einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts verbunden, nicht aber in einer Bruchteilsgemeinschaft. Darauf deutet bereits die Bezeichnung der Miteigentümer als "Gesellschafter" im Beschluss vom 31. Dezember 1995 hin. Sie ist für sich genommen zwar nicht verbindlich, wird aber durch weitere Umstände erhärtet. Die Teilhaber sind unternehmerisch tätig und trotz der Zwistigkeiten zwischen den beiden familiären Lagern untereinander in dieser Weise zumindest verbunden gewesen; die gewerbliche Vermietung des Grundstücks diente diesem Zweck. Der Kläger hat für die Jahre 1999 und 2000 Entwürfe von Bilanzen vorgelegt, die das Zusammenwirken der namentlich aufgeführten Grundstückseigentümer als "GbR Vermietung" bezeichnen. Nach den Erklärungen der Beklagten im Verhandlungstermin vor dem Senat handelt es sich um Bilanzentwürfe, die die Beklagte bei ihrem Steuerberater in Auftrag gegeben hatte; unschädlich ist, dass die Bilanzen bisher nicht beim Finanzamt eingereicht worden sind. Die Gesamtumstände deuten auf einen rechtsgeschäftlichen Willen der Eigentümer hin, das Grundstück nicht nur werterhaltend in einer Bruchteilsgemeinschaft zu verwalten, sondern einen darüber hinausgehenden Gesellschaftszweck zu verfolgen, der auch im bloßen Halten eines Grundstücks bestehen kann.
Der erst auf rechtlichen Hinweis des Senats erfolgte zweitinstanzliche Sachvortrag zu den Bilanzentwürfen kann nach § 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO verwertet werden, weil bereits das Landgericht auf die sich aus den Akten ergebenden Zweifel am Bestehen einer Bruchteilsgemeinschaft aufklärend hätte hinweisen müssen (§ 139 ZPO).
2.
Die Gesellschaft ist trotz Beendigung des Mietverhältnisses nicht in ein Abwicklungsstadium getreten. Dem Vollstreckungsschuldner steht aber ein Anspruch auf periodische Gewinnverteilung nach § 721 Abs. 2 BGB für die Jahre 1999 und 2000 zu, der von dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erfasst ist; mitumfasst ist der Anspruch auf Leistung des Mietzinses an die GbR aus §§ 713, 667 BGB.
a)
Der Anspruch ist ordnungsgemäß gepfändet worden. Die Pfändung richtete sich auf alle dem Vollstreckungsschuldner zustehenden Einnahmen als Miteigentümer des Grundstücks aus Vermietung und Verpachtung ab dem 1. Oktober 1999. Unschädlich ist, dass der Grundstücksanteil fälschlich mit 1,5/100 statt 15/100 angegeben worden ist. Der Bestimmtheit der Pfändung stehen weder die falsche Bruchteilsangabe noch die fehlende Angabe des gesellschaftsrechtlichen Entstehungsgrundes der Forderung entgegen. Weder für die Eigentümer noch für Dritte konnte auf Grund der tatsächlichen Angaben zweifelhaft sein, welche Forderung gemeint war, mochte es auch einer nachträglichen rechtlichen Qualifizierung der Miteigentümerstellung und der daraus abgeleiteten Rechtsnatur der Forderung bedürfen.
b)
Das Wirksamkeitserfordernis des § 829 Abs. 3 ZPO ist erfüllt. Die Zustellung des Pfändungsbeschlusses an den Drittschuldner entspricht der unabdingbaren Schuldneranzeige nach § 1280 BGB bei der Verpfändung einer Forderung, mit der für Publizität der Vermögenszuständigkeit gesorgt wird (zu § 1280 BGB: BGHZ 137, 267, 268 [BGH 11.12.1997 - IX ZR 341/95]; zur Funktion des § 829 Abs. 3 ZPO näher Ahrens ZZP 103 [1990], 34, 46 ff.). Die Parteien haben zum Adressatenkreis der Zustellung des Pfändungsbeschlusses nichts vorgetragen, doch steht fest, dass jedenfalls der Beklagten der Beschluss zugestellt wurde. Trotz der für die GbR kraft Gesetzes geltenden Gesamtvertretung (§§ 714, 709 Abs. 1 BGB) reichte eine alleinige Zustellung an die Beklagte als Passivvertreterin aus. Dies ergibt sich aus § 171 Abs. 3 ZPO a.F. (nunmehr § 170 Abs. 3 ZPO), der an § 171 Abs. 1 ZPO a.F. anschließt und der auf eine BGB-Gesellschaft anwendbar ist, wenn man die vom BGH rechtsfortbildend vertretene Auffassung zur Rechtssubjektivität und damit auch zur Parteifähigkeit der BGB-Gesellschaft (BGHZ 146, 341, 344 ff. [BGH 29.01.2001 - II ZR 331/00]; MünchKommBGB/Ulmer, 4. Aufl. 2004, § 718 Rdnr. 41 ff.) zu Grunde legt. Dasselbe Ergebnis folgt aus dem materiellen Recht, das die alleinige Vertretungsberechtigung jedes Gesamtvertreters bei der Passivvertretung anerkennt, wie sich aus einer Rechtsanalogie zu §§ 28 Abs. 2, 1629 Abs. 1 S. 2 BGB, § 125 Abs. 2 S. 3 HGB, § 78 Abs. 2 S. 2 AktG, § 35 Abs. 2 S. 3 GmbHG entnehmen lässt.
c)
Dem Vollstreckungsschuldner steht ein unmittelbarer Anspruch gegen die Beklagte zu. Sie hat die Vermietung im eigenen Namen vorgenommen und den Mietzins offenbar auf ein im eigenen Namen geführtes Konto eingezogen. Auf den Mietzins ist § 718 Abs. 2 1. Fall BGB zwar nicht anzuwenden, weil dafür ein Handeln im Namen der Gesellschaft erforderlich gewesen wäre (MünchKommBGB/Ulmer § 718 Rdnr. 18). Die Beklagte war aber nach §§ 713, 667 BGB verpflichtet, das Erlangte an die Gesamthand zu übertragen. Wie sich aus den Bilanzentwürfen ergibt, ist dies auch die Sicht der Beklagten, selbst wenn sie unzutreffend meint, ihr stehe daran für die Jahre 1999 und 2000 ein alleiniges Gewinnbezugsrecht zu. Einer gesonderten Pfändung des Gesellschafteranspruchs auf Leistung an die GbR bedurfte es analog §§ 401 Abs. 1, 412 BGB nicht. Unter den Gegebenheiten des Streitfalles ist mangels materieller Schutzbedürfnisse Dritter auch keine vorherige Leistung in das Gesellschaftsvermögen erforderlich; dabei würde es sich nur um einen rechtstechnischen Umweg der Zahlung handeln.
d)
Das Fehlen von Beschlüssen zur Bilanzfeststellung ist unschädlich. Die Bilanzansätze selbst sind von der Beklagten nicht angegriffen worden. Die Bilanzentwürfe sind von dem eigenen Steuerberater der Beklagten gefertigt worden und datieren auf den 1. März 2001, sodass die Beklagte ausreichend Gelegenheit gehabt hätte, etwaige von der Auffassung ihres Steuerberaters abweichende Ansätze zu korrigieren. In ihrem im Verhandlungstermin nach Ablauf der Schriftsatzfrist überreichten undatierten Schriftsatz hat sie lediglich den von Beginn des Verfahrens an vertretenen Standpunkt wiederholt, ihr stehe für die fraglichen Kalenderjahre ein alleiniges Bezugsrecht zu. Diesen Standpunkt hatte bereits das Landgericht zutreffend zurückgewiesen. Der Mitgesellschafter B. L., der wie der Kläger im gegnerischen Familienlager steht, hat den Bilanzansätzen indirekt zugestimmt, indem er den auf ihn entfallenden Gewinnanteil eingeklagt hat, wenn er auch durch Urteil des LG Lüneburg vom 19. Januar 2000 (GA I 154) aus Gründen abgewiesen worden ist, die für die vorstehend erörterte Frage bedeutungslos sind.
3.
Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist nicht zu beanstanden. Die Beklagte trägt keine Angriffe vor, die die Beweiswürdigung zu erschüttern vermögen. Ihr Hinweis auf den Beschluss der Staatsanwaltschaft Lüneburg ist insoweit unergiebig, da aus einer Unglaubwürdigkeit des Zeugen H. L. nicht die Richtigkeit der Darstellung der Beklagten folgt. Die von der StA angeordnete weitere Zeugenvernehmung, mit der dem Beschluss des Strafsenats im Klageerzwingungsverfahren Rechnung getragen werden sollte, ist unterblieben.
Das Landgericht hat die Beweislastverteilung richtig beurteilt. Die Beklagte hält dem Anspruch aus § 721 Abs. 2 BGB eine abweichende Vereinbarung entgegen, deren Voraussetzungen sie zu beweisen hat. Der Kläger macht entgegen ihrer Auffassung keinen aufschiebend bedingten Anspruch geltend.
4.
Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 97 ZPO und §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Beschwer: unter 20.000 Euro.
Prof. Dr. A.
RiOLG S. ist wegen Urlaubs verhindert zu unterschreiben.