Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 22.03.2004, Az.: 16 W 37/04
Verzicht des Betroffenen auf die Bekanntmachung der freiheitsentziehenden Entscheidung an eine Vertrauensperson ; Frist für die Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen die Sicherungshaft; Verfahrensbevollmächtigter des Inhaftierten als Vertrauensperson und Beschwerdeberechtigter; Auswirkungen der fehlerhaften Nichtbenachrichtigung der konsularischen Vertretung des Betroffenen
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 22.03.2004
- Aktenzeichen
- 16 W 37/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 13622
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2004:0322.16W37.04.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hildesheim - 03.02.2004 - AZ: 5 T 23/04
Rechtsgrundlagen
- § 7 Abs. 2 FEVG
- Art. 104 Abs. 4 GG
- § 6 Abs. 2c FEVG
Amtlicher Leitsatz
Die Anordnung der Sicherungshaft ist nicht deshalb rechtswidrig, weil der Richter es unterlässt, entgegen dem Wunsch des betroffenen Ausländers eine mutmaßliche Vertrauensperson zu ermitteln und zu benachrichtigen. (Anschluss an BayObLGZ 1975, 142, 150)
In dem Rechtsstreit
hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
am 22. März 2004
beschlossen:
Tenor:
Die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim vom 3. Februar 2004 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das vorliegende Verfahren wird ebenfalls zurückgewiesen.
Die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim vom 3. Februar 2004 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das vorliegende Verfahren wird ebenfalls zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 3.000 EUR
Gründe
I.
Der Betroffene soll nach Ablehnung seines Asylantrags (Besch. v. 28. März 2001; Bl. 19 ff. d.A.) in die russische Föderation abgeschoben werden. Nachdem er seit dem 1. Oktober 2002 untergetaucht und deshalb zur Festnahme ausgeschrieben war, wurde er am 4. September 2003 festgenommen. Mit Beschluss vom Folgetag ordnete das AG Gifhorn auf Antrag der Ausländerbehörde (LK G...) Sicherungshaft bis zu 3 Monaten an. Eine Benachrichtigung an eine Vertrauensperson unterblieb, nachdem der Betroffene bei seiner dem Erlass des Haftbeschlusses vorangegangenen Anhörung auf Nachfrage der Richterin eine Vertrauensperson nicht benannt, sondern erklärt hatte, er sei an der Benachrichtigung nicht interessiert (Bl. 31, 59 d.A.). Eine unverzügliche Benachrichtigung der Heimatvertretung des Betroffenen unterblieb. Diese erfuhr von der Inhaftierung erst am 1. Oktober 2003 auf Grund des Antrags der Bezirksregierung ... auf Erstellung eines Passersatzpapiers zur Abschiebung des Betroffenen.
Durch Schriftsatz vom 11. Dezember 2003 zeigten die Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen ihre Vertretung an (Bl. 53) und stellten am 29./30. Dezember 2003 weiterhin einen Feststellungsantrag, dass die Inhaftierung des Betroffenen mangels Benachrichtigung einer Vertrauensperson sowie seiner konsularischen Vertretung vom 5. September bis 2. Oktober 2003 rechtswidrig gewesen sei.
Die Beschwerdekammer des Landgerichts hat diesen Antrag als sofortige Beschwerde gegen den Sicherungshaftbeschluss des AG Gifhorn aufgefasst und mangels Einhaltung der Frist für die Einlegung der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 3. Februar 2004 als unzulässig verworfen (Bl. 65 ff. d.A.).
Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten vom 11./15. Februar 2004. Er weist darauf hin, soweit eine andere Vertrauensperson nicht ersichtlich sei, sei jedenfalls er als solche anzusehen. Eine Bekanntgabe des Haftbeschlusses an ihn sei indes niemals erfolgt. Er meint, die Vertrauensperson, der nach § 7 Abs. 2 FEVG ein eigenes Beschwerderecht zusteht, habe deshalb auch heute noch das Recht, gegen die Haftanordnung vom 5. September 2003 Beschwerde einzulegen.
In diesem Zusammenhang vertritt der Verfahrensbevollmächtigte weiter die Auffassung, der Benachrichtigungsverzicht des Betroffenen sei nicht wirksam. Der unter dem 29. Dezember 2003 gestellte Feststellungsantrag, der als sofortige Beschwerde auszulegen gewesen sei, sei insofern rechtzeitig gestellt worden.
Schließlich weist der Verfahrensbevollmächtigte darauf hin, es sei bislang noch nicht höchstrichterlich entschieden worden, welche Auswirkungen die fehlerhafte Nichtbenachrichtigung der konsularischen Vertretung des Betroffenen habe. In Sachen Mexiko gegen USA sei gerade ein Verfahren vor dem IGH anhängig, bei dem es um diese Frage gehe. Auch beim Bundesverfassungsgericht seien einige Verfahren zu dieser Frage anhängig.
II.
Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt. Sie hat indes in der Sache keinen Erfolg.
Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde als unzulässig verworfen. Diese Entscheidung der Beschwerdekammer, die von einer Nichteinhaltung der Rechtsmittelfrist von 2 Wochen (§ 22 Abs. 1 FGG) ausgeht, lässt Rechtsfehler nicht erkennen.
1.
Die Frist von 2 Wochen für die Einlegung der sofortigen Beschwerde beginnt mit dem Zeitpunkt, in welchem die Verfügung dem Beschwerdeführer bekannt gemacht worden ist. Im vorliegenden Fall war dies der 5. September 2003 (Bl. 31 d.A.). Damit war das Rechtsmittel vom 29./30. Dezember 2003 ersichtlich verfristet, wovon auch der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen ausgeht, soweit die sofortige Beschwerde als eine solche des Betroffenen selbst begriffen wird.
Zulässig könnte daher nur eine eigene sofortige Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten nach § 7 Abs. 2 FEVG sein. Indes hat der Verfahrensbevollmächtigte hier keine Beschwerdebefugnis, weil er nicht als Vertrauensperson im Sinne von Art. 104 Abs. 4 GG; § 6 Abs. 2 c, § 7 Abs. 2 FEVG anzusehen ist, soweit es um den notwendigen zeitlichen Rückbezug auf die Haftanordnung vom 5. September 2003 geht. Denn der Betroffene hat auf Nachfrage der Richterin eine Vertrauensperson nicht benannt, sondern geäußert, er sei an der Benachrichtigung einer solchen nicht interessiert. Wegen des daraus ersichtlichen Verzichts des Betroffenen auf die Benachrichtigung einer Vertrauensperson ist keine Zustellung des Sicherungshaftbeschlusses an eine solche Person erfolgt. Diese Verfahrensweise des Amtsgerichts hält einer rechtlichen Nachprüfung stand.
Zwar wird, worauf der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen hinweist, in weiten Teilen der Literatur von der Unverzichtbarkeit der Einhaltung der Benachrichtigungspflicht ausgegangen. In diesem Sinne hat auch das OLG Hamm betreffend das damalige Nordrhein - westfälische Unterbringungsgesetz entschieden (OLG Hamm, Justizministerialblatt NRW 1963, 44 f.; Ablichtung Bl. 74 f. d.A.). Für § 6 Abs. 2 c FEVG, um dessen Anwendung es hier geht, ist jedoch davon auszugehen, dass die Bekanntmachung der freiheitsentziehenden Entscheidung an eine Person zu erfolgen hat, die das Vertrauen des Betroffenen tatsächlich genießt. Damit liegt es allein an dem Betroffenen und seiner subjektiven Einstellung, ob er einer anderen Person, ggf. welcher, sein Vertrauen schenken möchte. Demgegenüber hat der Gesetzgeber von der Möglichkeit abgesehen, die Einschaltung eines vom subjektiven Willen des Betroffenen unabhängigen Organs, wie etwa eines Verfahrenspflegers, vorzuschreiben. Demgemäß muss die Bekanntmachung an eine Vertrauensperson unterbleiben, wenn eine Person, die sein Vertrauen genießt, nach seinen eigenen Angaben nicht vorhanden ist. Wollte man dies anders sehen, müsste in einem solchen Fall die Benachrichtigung gegen den Willen des Betroffenen an eine Person erfolgen, die sein Vertrauen gerade nicht genießt, was nicht angängig ist. Im Ergebnis kann daher von der Unverzichtbarkeit der Benachrichtigungspflicht nicht ausgegangen werden. Insoweit folgt der Senat der entsprechenden Auffassung des Bayerischen Obersten Landesgerichts zu § 6 Abs. 2 c FEVG (BayObLGZ 1975, 142, 150).
2.
Lediglich hilfsweise ist auszuführen, dass die sofortige Beschwerde des Betroffenen vom 29./30. Dezember 2003, wäre sie entgegen der vom Senat vertretenen Auffassung zulässig, auch in der Sache nicht zu der begehrten Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft in der Zeit vom 5. September 2003 hätte führen können. Denn angesichts des wirksamen Verzichts des Betroffenen konnte und musste die Benachrichtigung einer mutmaßlichen Vertrauensperson nicht erfolgen. Des Weiteren führt die Nichtinformation der konsularischen Vertretung des Betroffenen gemäß des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen vom 24. April 1963 nicht zur Rechtswidrigkeit der Sicherungshaft. Insoweit wird auf die ständige Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Celle zu dieser Frage verwiesen (vgl. Beschl. v. 17. Dezember 2003 - 17 W 104/03 - und Beschl. v. 26. Januar 2004 - 16 W 10/04 ).
3.
Mangels Erfolgsaussichten des Rechtsmittels war die nachgesuchte Prozesskostenhilfe zu versagen.
III.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 103 Abs. 2 Satz 1 AuslG, 14, 15 FEVG, 13 a FGG.
Streitwertbeschluss:
Beschwerdewert: 3.000 EUR