Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 21.03.1996, Az.: 8 U 248/95
Pflichtwidriges Verhalten eines Auftraggebers bei Erteilung eines Zuschlags an einen ein unvollständiges Angebot abgebenden Bieter; Begründung von mittelbaren Schadensersatzansprüche aus Verschulden bei Vertragsschluss (cic) durch schuldhaften Verstoß gegen die Vergabevorschriften wegen einer Verletzung schutzwürdigen Vertrauens des benachteiligten Bieters ; Zwingender Ausschluss des betreffenden Gebots durch jedwede Art unvollständiger Preisangaben ; Angebote mit fehlenden Preisangaben als Nebenangebote
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 21.03.1996
- Aktenzeichen
- 8 U 248/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1996, 21373
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1996:0321.8U248.95.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- NULL
Rechtsgrundlagen
- § 25 Nr. 3 Abs. 3 VOB/A
- § 25 Nr. 2 VOB/A
- § 6 Nr. 1 VOB/A
- § 21 Nr. 1 Abs. 1 Buchst. b VOB/A
- § 25 Nr. 1 Abs. 1 Buchst. b VOB/A
Fundstellen
- BB 1997, 547 (Volltext mit amtl. LS)
- BauR 1997, 701 (amtl. Leitsatz)
- IBR 1997, 399 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
- MDR 1998, 11 (Kurzinformation)
- NJW-RR 1997, 661-662 (Volltext mit amtl. LS)
- ZfBR 1997, 152-153 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Ein Auftraggeber verhält sich nicht pflichtwidrig, wenn er einem Bieter den Zuschlag erteilt, der ein unvollständiges Angebot abgegeben hat, der aber auch bei vollständigem Angebot den Zuschlag erhalten hätte.
Gründe
Der Klägerin steht ein Anspruch des ihr infolge Vergabeentscheidung zu Gunsten der Fa. O. entstandenen Schadens nicht zu. Die Beklagte hat sich nicht dadurch pflichtwidrig verhalten, dass sie das unvoll- ständige Angebot der Fa. Otten berücksichtigt und ihr den Zuschlag erteilt hat. Die VOB/A hat als innerdienstliche Verwaltungsvorschrift keine unmittelbaren Rechtswirkungen nach außen. Mittelbar kann aber ein schuldhafter Verstoß gegen die Vergabevorschriften wegen einer Verletzung schutzwürdigen Vertrauens des benachteiligten Bieters Schadensersatzansprüche aus Verschulden bei Vertragsschluss begründen (BGH BauR 1992, 358). Ansprüche auf Ersatz sowohl des positiven als auch des negativen Interesses kann allerdings nur derjenige erfolgreich geltend machen, der bei ordnungsgemäßer Durchführung des Ausschreibungsverfahrens den Zuschlag erhalten hätte (BGH BauR 1981,368; 1984, 631; zu VOL/A: BGH ZfBR 1993, 77).
Allerdings ist von einem Zuschlagserfolg der Klägerin nach vorherigem Ausschluss des Angebots der Fa. O. auszugehen. Zwar hat die insoweit darlegungs- und beweispflichtigte Klägerin (vgl.BGH BauR 1981, 368, 369; 1984, 631) zur Begründung einer ihr günstigen Zuschlagsentscheidung lediglich darauf verwiesen, dass sie das nach dem der Fa. O. niedrigste Angebot abgegeben hat. Nach den bei der Wertung der Angebote zu beachtenden Regeln kommt es indessen nicht allein entscheidend auf den niedrigsten Angebotspreis an. Vielmehr hat der öffentliche Auftraggeber nach § 25 Nr.3 Abs.3 VOB/A eine Vielzahl verschiedenster Gesichtspunkte zu berücksichtigen und schließlich eine Wertung zu treffen, bei der ihm auch noch ein angemessener Beurteilungsspielraum zuzubilligen ist (BGH BauR 1985, 75). Gleichwohl reicht die Darlegung der Klägerin nach dem gegenwärtigen Aktenstand aus. Ihre Behauptung, sie hätte den Zuschlag erhalten, weil sie das niedrigste taugliche Angebot abgegeben hatte, entspricht der dem Grundsatz sparsamer Haushaltsführung logisch folgenden Tendenz, wonach regelmäßig (in fast 95 % deröffentlichen Ausschreibungen) der preisgünstigste Bieter den Zuschlag erhält (Feber, Schadensersatzansprüche bei der Auftragsvergabe nach VOB/A, S. 17; Langer ZfBR 1980, 267, 271; Daub/Piel/Soergel, VOB/A, ErlZ A 25, 147). Eine andere Kriterien als (vorrangig) entscheidungsrelevant offenbarende Vergabebegründung (§ 30 VOB/A; Ziff. 6 VHB) ist nicht vorgetragen. Unter diesen Umständen obläge es der Beklagten unbeschadet der Beweislastfrage - wenigstens zu erklären, ob und welche anderen Entscheidungskriterien maßgeblich waren und einen Zuschlag an die Klägerin verhindert hätten. Entscheidungserheblich kommt es danach darauf an, ob die Beklagte durch die Berücksichtigung des wegen fehlender Preisangabe zu Pos. 1.1.7 unvollständigen Gebots der Fa. O. schuldhaft gegen bindende Vergabevorschriften verstoßen und dadurch dass grundsätzlich schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin in eine Beachtung der Vergaberegelungen verletzt hat. Das ist hier nicht der Fall. Die Beklagte hat sich nicht pflichtwidrig verhalten. Die Zulassung des Gebots der Fa. O. zum Wertungsverfahren nach § 25 Nr.2 und 3 VOB/A und die daraus resultierende Zuschlagserteilung ist mit den maßgeblichen Regelungen der VOB/A vereinbar. Der Fall einer unvollständigen Preisangabe ist in der VOB/A nicht ausdrücklich geregelt. Allerdings ist aus § 6 Nr.1 und im Umkehrschluss aus § 21 Nr.1 Abs.1 b VOB/A zu folgern, dass der Bieter Preise und die geforderten Erklärungen angeben muss (Ingenstau/Korbion, VOB, 12. Aufl., A § 21 Rn. 2 f.; Heiermann/ Riedl/Rusam, VOB, 7. Aufl., A § 21 Rn. 2 u. § 25 Rn. 125). Welche Folgen ein Unterlassen der Preisangabe hat, ist jedoch unklar. Denn nach § 25 Nr.1 Abs. 1 Buchst. b VOB/A sind zwar "Angebote ausgeschlossen, die dem § 21 Nr. 1 Abs. 1 und 2 nicht entsprechen". Da § 21 Nr.1 Abs.1 VOB/A keine eindeutigen Aussagen über die Preisangaben macht und zudem nicht als zwingende Regelung, sondern als Soll-Vorschrift formuliert ist, kann nicht ohne weiteres jedwede Art unvollständiger Preisangaben zu einem zwingenden Ausschluss des betreffenden Gebots führen. Diese Schlussfolgerung wird grundsätzlich auch in der Kommentarliteratur gezogen. Heiermann/Reidl/Rusam (a.a.O. § 25 Rn.101, 125) schlagen vor, Angebote mit fehlenden Preisangeben als Nebenangebote zu bewerten, soweit sie im Vergleich zur Gesamtleistung unter geordnete Positionen betreffen. Ingenstau/ Korbion (a.a.O A § 25 Rn.12 - 14) vertreten die Ansicht, das durch § 21 Nr. 1 Abs. 1 VOB/A indizierte Zulassungsermessen könne erst einsetzen, "wenn das Angebot überhaupt Preisangaben enthält". Deshalb müsse das Fehlen einzelner Preisangaben im Angebot"zwangsläufig" dessen Ausschluss zur Folge haben, es sei denn, die Auswirkungen fehlender Preisangaben sind "vor allem im Hinblick auf den nötigen kalkulatorischen Nachvollzug so gering und so nebensächlich, dass sie bei einer ganz ins einzelne gehenden Wertung ohne jede Bedeutung sind". Für den Regelungsbereich der mit vergleichbaren Inhalten versehenen §§ 21 und 25 VOL/A formuliert § 25 Nr.1 Abs.1 a VOL/A dass "Angebote, für deren Wertung wesentliche Preisangaben fehlen" zwingend auszuschließen seien. Das wird dahin interpretiert, dass das Fehlen von Preisangaben nur dann unheilbar zum Ausschluss des Gebots führt, wenn "das Ergänzen der fehlenden Preisangaben die Wettbewerbsstellung des betreffenden Bieters ändert oder nicht"; denn: "gerät weder der Wettbewerb noch die Eindeutigkeit bzw. Verbindlichkeit des Angebotes in Gefahr, so besteht kein Anlass, solche Angebote auszuschließen" (Daub/Eberstein - Kulartz,VOL/A, 3. Aufl., § 25 Rn. 14). Nach Ansicht des Senats ist nach Sinn und Zweck der §§ 21 und 25 VOB/B die letztgenannte Ansicht auch für die Konkretisierung des für die VOB/A nicht ausdrücklich normierten Gebots der Preisangaben heranzuziehen:
Die formalen Anforderungen an die inhaltliche Gestaltung des Angebots verfolgen keinen Selbstzweck. Der Sinn der Regelungen sowohl in der VOB/A als auch in der VOL/A liegt gleichermaßen darin, der ausschreibenden Stelle verlässliche und nicht nachträglich manipulierbare Daten für die Angebotswertung zur Verfügung zu stellen, um diese in die Lage zu versetzen, die Zuschlagsentscheidung unter dem Gesichtspunkt sparsamer Haushaltsführung mit dem Erfolg zu treffen, dass die Bauleistung ordnungsgemäß und pünktlich zu einer der Sache nachvertretbaren Vergütung erbracht wird. Danach ist es gerechtfertigt, jedenfalls die Grenze einer obligatorischen Ausschlussentscheidung nach dem Maßstab der zu § 25 Nr.1 Abs.1 a VOL/A aufgestellten Wesentlichkeits-Definition (Daub/ Eberstein - Kukartz a.a.O.) zu bestimmen. Dass auf diese Weise die Möglichkeit nachträglicher Preisbildungen geschaffen wird, ist jedenfalls so lange unschädlich, wie die durch die VOB/A vorrangig geschützten Belange der öffentlichen Auftraggeber und damit der Allgemeinheit nicht negativ berührt werden. Dazu gehört, dass die fehlende Preisangabe die Zuschlagsentscheidung nach § 25 Nr. 2 und 3 VOB/A nicht maßgeblich beeinflusst hat, Manipulationen ausgeschlossen sind und der öffentliche Auftrageber sich bewusst nach realistischer wirtschaftlicher Bewertung des nicht mit einer Preisangabe versehenen Angebotsteils für eine Zulassung entschlossen hat. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Beklagte hat keinen Zweifel daran gelassen, dass sie die zusätzlichen Kosten für die Pos. 1.1.7 schon in Anbetracht des dann immer noch weitaus günstigsten Angebots der Fa. O. bei der Vergabeentscheidung gerade auch unter dem leitenden Gesichtspunkt sparsamer Haushaltsführung berücksichtigt hat. Das ist in Anbetracht der Tatsache, dass das Angebot der Fa. O. selbst unter Hinzurechnung des klägerischen Angebots zu dieser Position (9.000,- DM) immer noch um über 72.000,- DM günstiger als das Angebot der Klägerin war, durchaus nachvollziehbar. Manipulationen speziell der durch das Verbot der Zulassung nachträglicher Angebote erfassten Art (§ 25 Nr.1Abs.1 Buchst. a VOB/A - vgl. dazu Ingenstau/Korbion a.a.O. A § 25 Rn.6ff.) sind bei einer wie vor eingeschränkten Zulassung unvollständiger Preisangaben nicht zu besorgen. Umstände, die im Streitfall eine andere Bewertung gebieten würden, sind nicht ersichtlich. Die Beklagte war schließlich auch nicht unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Selbstbindung der Verwaltung an einer Zulassung des Gebots der Fa. O. gehindert. Dass sich eine Verwaltungsübung der der Klägerin günstigsten Handhabung des § 25 Nr.1 Abs.1 b VOB/A allgemein bzw. im Zuständigkeitsbereich der Beklagten gebildet und in einer schutzwürdiges Vertrauen schaffenden Weise gefestigt hätte, hat weder die Klägerin ausdrücklich vorgetragen noch ist dies sonst ersichtlich.