Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 15.03.1996, Az.: 12 WF 23/96
Ausweichmöglichkeit des Unterhaltsberechtigten auf deutsches Recht im Fall des Nichtbestehens eines Unterhaltsanspruchs aus materiellen Gründen nach dem Aufenthaltsrecht und dem gemeinsamen Heimatrecht
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 15.03.1996
- Aktenzeichen
- 12 WF 23/96
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1996, 21377
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1996:0315.12WF23.96.0A
Rechtsgrundlagen
- Art. 18 Abs. 1 S.1, 2 EGBGB
- Art. 18 Abs. 2 EGBGB
- § 12 ZPO
- § 13 ZPO
Fundstellen
- IPRax 1997, 46 (amtl. Leitsatz)
- IPRspr 1996, 79
- JuS 1997, 174 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW-RR 1996, 1220-1221 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Steht dem Unterhaltsberechtigten nach seinem Aufenthalts- und dem gemeinsamen Heimatrecht aus materiellen Gründen kein Unterhalt zu, kann er nicht auf deutsches Recht ausweichen.
Gründe
Die am 5.11.1983 geborene Antragstellerin ist die Tochter des Antragsgegners aus dessen geschiedener Ehe mit ihrer Mutter. Sie lebt bei ihrer Mutter in Hengelo/ Niederlande und geht noch zur Schule. Sie und ihre Eltern besitzen die niederländische Staatsangehörigkeit. Der Antragsgegner ist Frührentner; er erhält von der niederländischen GAK Hengelo eine Arbeitsunfähigkeitsrente in Höhe von 1.580 hfl.(ca. 1.400 DM). Er zahlt für die Antragstellerin keinen Unterhalt. Das Landgericht Almelo hat mit Entscheidung vom 27.Juli 1994 den Antrag der Mutter der Antragstellerin auf Festsetzung eines von dem Antragsgegner zu leistenden Beitrages zu den Kosten der Versorgung und Erziehung der Antragstellerin abgewiesen und das damit begründet, dass das Einkommen des Antragsgegners den Sozialhilfesatz für ihn selbst und seine jetzige Ehefrau (1.870 hfl.) erheblich unterschreite und die Mutter der Klägerin keinen Beweis dafür angeboten habe, dass die jetzige Ehefrau des Antragsgegners eigenes Einkommen habe.
Die Antragstellerin beabsichtigt, gegen den Antragsgegner bei dem Amtsgericht-Familiengericht- N. Klage auf Zahlung von monatlichem Unterhalt in Höhe von 418 DM zu erheben und erbittet dafür Prozesskostenhilfe. Sie meint, dass gemäß Art. 18 Abs.2 EGBGB deutsches Recht anwendbar sei, weil sie nach niederländischem Recht keinen Anspruch auf Unterhalt gegen den Antragsgegner habe, und dieser nach deutschem Recht zur Unterhaltszahlung verpflichtet sei.
Das Amtsgericht-Familiengericht- N. hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Erfolgsaussicht habe und mutwillig erscheine. Zum einen stehe der beabsichtigten Klage der Einwand der Rechtskraft entgegen. Darüberhinaus sei nach Art. 18 Abs.1 Satz 1, 2 EGBGB niederländisches Recht anzuwenden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.
Die gemäß §§ 127 Abs.2, 567 ZPO zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
Das erstinstanzliche Gericht hat der Antragstellerin die nachgesuchte Prozesskostenhilfe zu Recht versagt. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine abweichende Entscheidung.
Das angerufene Gericht ist zwar als das Gericht des Wohnsitzes des Antragsgegners gemäß §§ 12, 13 ZPO zuständig, und zwar auch international (Zöller/Geimer, 19.Aufl., IZPR Rn.37) . Die beabsichtigte Klage bietet jedoch keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil die Voraussetzungen des Art. 18 Abs.2 EGBGB für die Anwendung des deutschen Rechts nicht gegeben sind und der Antragstellerin darüberhinaus auch nach deutschem Recht kein Unterhaltsanspruch gegen den Antragsgegner zustünde.
Es kann offen bleiben, ob der Klage der Einwand der Rechtskraft entgegensteht; das erscheint schon im Hinblick darauf, dass die Antragstellerin in dem Verfahren vor dem niederländischen Gericht nicht Partei war, zweifelhaft.- Nach Art. 18 Abs.1 und Abs.2 EGBGB ist hier nicht deutsches Recht anzuwenden, da die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen. Die Bedeutung der negativen Voraussetzung, dass der Unterhaltsberechtigte nach den Sachvorschriften des an seinem jeweiligen gewöhnlichen Aufenthalt geltenden Rechts und den Sachvorschriften des gemeinsamen Heimatrechts der Parteien - hier also des niederländischen Rechts "keinen Unterhalt erhalten kann", ergibt sich aus dem Gesetzestext nicht eindeutig. Nach der Kommentierung von Siehr (im Münchener Kommentar, 2. Aufl., Art. 18 EGBGB Anh.I Rn. 117 f., 117, 127) bedeutet das, "dass das Aufenthaltsstatut dem Unterhaltsverpflichteten im konkreten Fall unter den jeweils gegebenen Umständen keine Unterhaltspflicht auferlegt". Es geht aber nicht an, dass gemäß Art. 18 Abs.2 EGBGB deutsches Recht bereits dann anzuwenden ist, wenn der Unterhaltsberechtigte nach dem Recht seines gewöhnlichen Aufenthalts und nach dem gemeinsamen Heimatrecht von Unterhaltsberechtigtem und Unterhaltspflichtigen nur deswegen keinen Unterhalt erhalten kann, weil im konkreten Fall ein Anspruch nach der grundsätzlich gegebenen Anspruchsgrundlage verneint wird, der Unterhaltspflichtige z.B. -wie hier- nach den dort geltenden Kriterien als nicht leistungsfähig angesehen wird; denn das würde darauf hinauslaufen, dass der Berechtigte das im konkreten Ergebnis günstigere Recht wählen dürfte. Nach Auffassung des Senats stellt Art. 18 Abs.2 EGBGB jedoch keine Meistbegünstigungsklausel in dem Sinne dar, dass deutsches Sachrecht schon dann anzuwenden wäre, wenn im konkreten Fall nach diesem weitergehend Unterhalt verlangt werden kann als nach dem vorrangig berufenen fremden Recht. Es kann nach dem Verständnis des Senats auch keinen Unterschied bedingen, ob das ausländische Recht im konkreten Fall lediglich einen dem Umfange nach geringeren Anspruch einräumt oder ob wegen Fehlens tatsächlicher Voraussetzungen ein grundsätzlich möglicher Anspruch versagt wird. Deutsches Recht ist vielmehr gemäß Art. 18 Abs.2 EGBGB nur dann anzuwenden, wenn das ausländische Recht dem Unterhaltsberechtigten einen Unterhaltsanspruch überhaupt versagt, weil es an einer gesetzlichen Anspruchsgrundlage fehlt, wenn also feststeht, dass der Anspruchsteller aus der familienrechtlichen Beziehung, in der er zum Anspruchsgegner steht, überhaupt keine Unterhaltsleistung erlangen kann (so auch v. Bar, IPrax 1988, 220 f., S.222; vgl. ferner KG, IPrax 1988, 234; MüKo, a.a.O. Rn.126; ).
Der Antragstellerin stünde darüberhinaus - abgesehen davon, dass sie ihren Unterhaltsbedarf schon nicht hinreichend dargetan hat auch nach deutschem Recht kein Unterhaltsanspruch gegen den Antragsgegner zu. Denn dessen anrechnungsfähiges Einkommen übersteigt nicht den notwendigen Selbstbehalt gegenüber minderjährigen Kindern, den so genannten "kleinen Selbstbehalt", der seit dem 1.1.1996 mit 1.250 DM bemessen wird. Der Antragsgegner zahlt - wie er für sein Prozesskostenhilfegesuch glaubhaft gemacht hat einen monatlichen Beitrag in Höhe von 183,60 DM für die Krankenversicherung seiner jetzigen Ehefrau, der auch im Hinblick auf den Unterhaltsanspruch der minderjährigen Antragstellerin vorweg abzugsfähig ist. Einen dem etwa entgegenstehenden unterhaltsrechtlichen Vorrang des minderjährigen Kindes aus der ersten Ehe gegenüber der zweiten Ehefrau kennt auch das deutsche Recht dann nicht, wenn neben dem Unterhaltsanspruch des Kindes nur der des zweiten Ehegatten und anderer minderjähriger Kinder besteht (§ 1609 Abs.1, 2 Satz 1 BGB; vgl. Palandt/Diederichsen, 55. Aufl., § 1609 BGB Anm.Rn.3).