Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 20.03.1996, Az.: 2 U 273/95

Vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls; Berufsunfähigkeit durch Selbstverletzung mit Flintenschuss; Absicht des Klägers auf Erzielung von erheblichen Renteneinkünfte wegen Berufsunfähigkeit; Erhebliches Motiv des Klägers für eine absichtliche Selbstverletzung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
20.03.1996
Aktenzeichen
2 U 273/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 21394
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1996:0320.2U273.95.0A

Amtlicher Leitsatz

Vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls Berufsunfähigkeit durch Selbstverletzung mit Flintenschuss.

Gründe

1

Gemäß § 3 Ziff. 1 c) der vereinbarten BB-BUZ ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen die Berufsunfähigkeit, die durch eine absichtliche Selbstverletzung verursacht ist. Eine solche absichtliche Selbstverletzung des Klägers steht zur Überzeugung des Senats fest.

2

Für den behaupteten Unfallhergang gibt es keine Zeugen. Es sind keine sonstigen Beweismittel oder Indizien vorgetragen oder ersichtlich, die denknotwendig zwingend für die Unfalldarstellung des Klägers ... (oder) ... zwingend gegen den vom Kläger behaupteten Unfallhergang sprechen. Die Überzeugung des Senats von der absichtlichen Selbstverletzung gründet auf einer gewichtenden Abwägung der für und gegen den Kläger sprechenden Umstände und Beweisergebnisse. Sie ergeben ein derartiges Übergewicht zu Lasten des Klägers, dass ernsthafte Zweifel nicht verbleiben.

3

Gegen die Richtigkeit seiner Unfallschilderung spricht, dass der Kläger nicht erklärt, warum er gestürzt ist, warum sich die Schüsse gelöst haben, wie seine linke Hand vor die Mündungen der Flinte gelangt ist und wieso nur Mittelfinger und Daumen und nicht der Zeigefinger verletzt worden sind.

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Der Kläger hat zuerst in seiner detaillierten Darstellung des Geschehens 03.10.1987, also kurz nach dem Vorfall, für die er nach seinen Angaben zwei Stunden benötigt hat, schriftlich niedergelegt, dass ihn sein Hund zu Boden gerissen habe. Davon ist er bei seiner Anhörung am 05.10.1990 wieder abgerückt, indem er erklärt hat, er wisse nicht, ob er ausgerutscht sei oder der Hund ihn umgerissen habe, er meine, dass der Hund gezogen habe.

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Die jetzige Einlassung des Klägers ist auf Grund der Situation nicht glaubhaft. Denn nach seiner Darstellung pirschte er sich auf glitschigem Ackerboden, der mit Rapsstoppeln bewachsen war, und bis zu den Knöcheln im aufgeweichten Schlickboden einsinkend in gebückter Haltung an die Enten heran, als er nach etwa 10 Schritten hinfiel. Auch wenn er sich auf das zu jagende Wild konzentrierte, ist anzunehmen, dass er sich gleichzeitig gerade wegen der widrigen Bodenverhältnisse, mit dem Hund an der Leine und in gebückter Körperhaltung, auch auf das mühselige Gehen selbst konzentrieren musste. Es ist deshalb nur schwer vorstellbar, dass er nicht gemerkt haben will, ob er auf dem tiefen Boden ausgerutscht ist oder sein Hund ihn zu Fall gebracht hat.

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Der Senat hat bedacht, dass der Kläger infolge Zeitablaufs bei der mündlichen Verhandlung vielleicht tatsächlich nicht mehr sicher wusste, ob er nun ausgerutscht oder von seinem Hund zu Fall gebracht worden war, und in Erwägung gezogen, ob nicht die Schilderung vom 03.10.1987 richtig war. Gegen den dort geschilderten Handlungsablauf streiten indessen erhebliche Argumente. Zwar haben die Sachverständigen L, I und B ausgeführt, dass unzureichend wie gut ausgebildete Hunde plötzlich ihren Gehorsam vergessen und flüchtendem Wild nachsetzen können; in die Wertung einzubeziehen sind aber auch die Ausführungen der Sachverständigen W und Z dahin, dass ein Jäger in der Regel gerade diese Unberechenbarkeit seines tierischen Jagdgefährten kennt. Dem Kläger müssen daher in der behaupteten, bei einer Entenjagd auch nicht einmaligen Jagdsituation derartige Eigenheiten seines schon länger geführten Hundes bekannt gewesen sein, sodass er von einem plötzlichen Lospreschen des Hundes schwerlich so überrascht gewesen sein kann, dass dieser ihn umzureißen vermochte. Daran bestehen auch deshalb Zweifel, weil er angegeben hat, dass der Hund durch die Leine gestoppt und er durch diesen Stopp zu Fall gebracht worden sei. Nach den Feststellungen des Sachverständigen W war die Leine von der rechten Schulter des Klägers bis zur Metallschlaufe der Halsung etwa 1,40 m lang. Zweifelhaft erscheint, ob der Hund bei dieser geringen "Anlaufstrecke"überhaupt hinreichend Zugkraft aufbauen konnte, um den Kläger zu Fall zu bringen, auch wenn vielleicht wegen der Körperhaltung und der Bodenverhältnisse nicht sehr viel Energie nötig war. Dem Kläger wäre aber immer eine gewisse Reaktionszeit nach dem für ihn sichtbaren Lospreschen des Tieres verblieben, in der er reflexartig auf die zu erwartende Zugwirkung der Hundeleine hätte reagieren und einen Sturz vermeiden können.

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Es kommt hinzu, dass der Kläger niemals dargestellt hat und auch jetzt nicht erklärt, wo sich seine linke Hand vor dem Sturz befand. Auf Grund der Körperhaltung und der gesamten, die körperlichen und geistigen Kräfte stark fordernden Situation - rechte Hand an der sonst klappernden Patronentasche, Waffe über die linke Schulter gehängt, Hund angeleint, bis zu den Knöcheln im Schlick ist nicht anzunehmen, dass der linke Arm gleichsam nutzlos herabhing. Naheliegend ist, dass die linke Hand in einer derartigen Situation entweder die an der Schulter herabhängende Waffe fixiert oder den Hund festgehalten hat. Für den zweiten Fall ist nicht anzunehmen, dass der Hund den Kläger zu Fall bringen konnte, für den ersten Fall ist nach den Ausführungen des Sachverständigen W nicht erklärbar, wie dann die Hand vor die Mündungen der Waffe gelangen konnte, und angezweifelt werden muss dann auch, dass die Flinte dem Kläger überhaupt von der Schulter rutschen und zu Boden fallen konnte. Da bei einem Sturz eine freie Hand auch oft reflexartig zu Boden geht, erscheint fraglich, warum sich der Kläger nicht mit der linken Hand abstützen konnte. Hätte er den Sturz mit der linken Hand abgefangen, ist nicht erklärbar, wie die Hand dann vor die Mündungen der Flinte geraten konnte.

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Der Kläger vermag nicht zu erklären, warum sich die Schüsse gelöst haben. Das könnte theoretisch auf ein nicht weiter aufklärbares Knalltrauma (Gutachten X v. 26.11.1992 Bl. 3) zurückzuführen sein.

9

Dagegen spricht aber die sonstige Detailliertheit der Unfallschilderung des Klägers, sodass weiter Zweifel an seiner Darstellung bestehen. Zudem sprechen wesentliche andere Beweisergebnisse und Indizien gegen eine ungewollte Schussabgabe. Entgegen der Unfalldarstellung des Klägers rutschte der Gewehrriemen bei den mehrfachen Demonstrationsversuchen vor dem Sachverständigen W nicht von der Schulter und fiel zugleich die Flinte auf den Erdboden; vielmehr glitt nur vereinzelt der Riemen von der linken Schulter und zwar lediglich in die linke Ellenbeuge. Dass der Kläger in einer Jagdsituation, in der er jeden Moment auf abstreifende Enten reagieren musste, die Waffe überhaupt noch über die Schulter trug statt im Anschlag in der linken Hand, ist nicht plausibel; der Sachverständige W hat das ausgeführt. Erst recht nicht nachvollziehbar ist, worauf der Sachverständige ebenfalls hingewiesen hat, dass der Kläger die an der Schulter hängende Waffe in dieser Lage nicht wenigstens mit der linken Hand festgehalten hat. Im Vergleich zu der vom Kläger behaupteten Sachlage, in der er die Waffe nur an der linken Schulter hängen hatte, würde ein Festhalten der an der Schulter hängenden Waffe mit der freien linken Hand seine Reaktionszeit auf plötzlich hochgehende Enten unter Umständen entscheidend verkürzt haben. Zudem ist beim Gehen in gebückter Haltung im knöcheltiefen Schlickboden auf Grund der Bewegungsabläufe nicht anzunehmen, dass der Kläger die Waffe mühelos unter dem linken Arm eingeklemmt fixieren konnte; das Festhalten der Flinte mit der freien linken Hand, wenn sie nicht den Hund hielt, drängte sich bei der Vorgehensweise des Klägers auf.

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Dies gilt um so mehr, weil die Waffe schussbereit, d.h. gespannt und entsichert war, da sich ansonsten die Schüsse nicht gelöst haben können. Auch darauf hat der Sachverständige W hingewiesen. Es ist nicht glaubhaft, dass der Kläger, nachdem er, in der Hocke sitzend, die Flinte schussbereit vor der Brust gehalten hatte, sich die gespannte und entsicherte Waffe um die linke Schulter gehängt hat, um sich weiter anzupirschen, und zwar ohne die Waffe mit der nach seiner Unfallschilderung doch freien linken Hand zu fixieren, obwohl sie so relativ leicht angesichts der gebückten mühseligen Gehweise bei einem Ausrutschen auf den glatten, nassen und tiefen Boden hätte fallen können und obwohl auch sonst der Kläger mit der freien Hand oder seiner Ausrüstung und seiner Bekleidung die Abzüge der lediglich mit dem Arm fixierten Waffe hätte auslösen können.

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Hat der Kläger hingegen doch mit der linken Hand die Waffe festgehalten, ist seine Schussverletzung nach den Ausführungen des Sachverständigen W bei dem geschilderten Sturz auszuschließen.

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Auch gegen ein unbeabsichtigtes Lösen der Schüsse sprechen mehrere Umstände. Nach dem Gutachten der D wie nach dem Gutachten des Sachverständigen Y löste die Waffe nicht aus, wenn sie bei den Fallversuchen aus unterschiedlichen Höhen (bis 1 m) auf die Schaftkappe oder in zahlreichen Variationen seitlich fallengelassen oder umgekippt wurde, und zwar nach den Versuchen der D auf einen Hartgummiklotz. Lediglich wenn zuvor versucht worden war, bei gesicherter Waffe die Abzüge zu betätigen, hat der Sachverständige Y in zwei Fällen jeweils bei einem Fall aus 50 cm Höhe festgestellt, dass es zur Zündung der Patronenhülse in einem Lauf kam. Ein vorheriges Durchziehen der gespannten, noch gesicherten Waffe wird aber vom Kläger nicht behauptet; es ist auch kein Grund ersichtlich, warum er die Abzüge seiner gesicherten Waffe hätte durchziehen sollen. Danach ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Waffe schon durch den behaupteten Sturz, zudem auch noch auf einen die Fallwirkung abfedernden, knöcheltief aufgeweichten Ackerboden, ausgelöst hat und das auch noch doppelt.

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Dass eine Flinte durch eine Rapsstoppel ausgelöst werden kann, erscheint grundsätzlich möglich, aber nur dann, wie der Sachverständige I ausgeführt hat, wenn sie im richtigen Winkel so auf den Abzug trifft, dass sie dessen Widerstand überwindet. Gegen diese Ursache für das Auslösen der Waffe spricht hier, dass bei den Sturzdemonstrationen vor dem Sachverständigen W die Flinte auf Grund des Gewichts einzelner Waffenteile, z.B. des Schlosses, und zudem stabilisiert durch den unter der Flinte angebrachten und von der Schulter abgleitenden Gewehrriemen mit dem Abzugsbügel nach oben auf den Boden fiel, sodass die Abzüge schwerlich von Rapsstoppeln getroffen worden sein können. Der Sachverständige hat das ausgeführt. Da beide Flintenläufe ausgelöst haben, müssten auch beide Abzüge von je einer Rapsstoppel im richtigen Winkel getroffen worden sein. Das hält der Senat ebenfalls für sehr unwahrscheinlich.

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Es ist auch nicht anzunehmen, dass die Waffe nach dem ersten Schuss gedoppelt, d.h. selbsttätig auf Grund des Rückstoßes den zweiten Schuss ausgelöst hat. Sowohl bei den Untersuchungen der D als auch des Sachverständigen Y doppelte die Flinte des Klägers nicht.

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Gegen den Hund als Auslöser der Schüsse sprechen außer den bereits oben dargestellten Zweifeln, dass der Hund überhaupt plötzlich losgestürmt ist, der Umstand, dass die sich dann spannende, 1,40 m lange Halteleine das Tier zunächst dort fixiert haben muss, wo die Leine befestigt war, nämlich an Kopf oder Hals, während der übrige sich noch bewegende Körper in einer Schleuderbewegung der Hinterläufe sich in die ursprüngliche Laufrichtung fortbewegt haben muss, also eher noch weiter von dem mit der Waffe zu Boden stürzenden Kläger weg. Der Sachverständige W hat dies erläutert. Ein Überschlagen des Tiers hat er entgegen der in der Berufungserwiderung geäußerten Ansicht nicht angenommen. Nichts spricht dafür, dass wie der Kläger auch nur vermutet - der Hund durch den Ruck am Hals, wo ihn die Leine festhielt, als Folge seines Sturzes zurückgerissen worden und in die Abzüge getreten ist. Wenn der lospreschende Hund den Kläger mit der Leine umgerissen hat, muss die Leine nach einem Ruck für das Tier zunächst nachgegeben haben bis zu einem zweiten Ruck, als der Kläger liegen blieb. Es ist nicht erklärbar, wie das Tier dabei noch zurückgerissen worden und in die Abzüge der Waffe getreten sein könnte, zumal es dann auch in beide Abzüge getreten sein müsste, und zwar gleichzeitig, weil der Kläger einen Doppelschuss gehört haben will. Da auch noch zu berücksichtigen ist, dass nach den Feststellungen des Sachverständigen W die Waffe bei den Sturzversuchen mit dem gegen ein Hineintreten in die Abzüge schützenden Abzugsbügel nach oben fiel, ist - wie das auch der Sachverständige Z angenommen hat - insgesamt gesehen davon auszugehen, dass der Hund die Schüsse nicht ausgelöst hat.

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Der Kläger hat nirgendwo erklärt, wie seine linke Hand vor die Mündungen der Flinte gelangt sein soll. Der Sachverständige Z hat ausgeführt, bei den Demonstrationen des Sturzes durch den Kläger habe die Waffe weit vor der linken Hand gelegen, der Kläger habe nachzugreifen versucht. Der Sachverständige W hat dargelegt, der Kläger habe bei der Augenscheinseinnahme durch das Landgericht bei seinen mehrfachen Sturzversuchen nicht demonstriert, wie seine Hand vor die Waffe gelangt sein kann. Der Senat verkennt nicht, die Berufungserwiderung weist auf diesen Punkt zu Recht hin, dass sich ein identischer Sturz kaum demonstrieren lässt, sei es auf Grund der veränderten Bodenverhältnisse, der Verletzung und der sonstigen Beschwerden des Klägers bei den Rekonstruktionsversuchen oder sei es auch deshalb, weil der Kläger vielleicht unbewusst ganz anders reagierte, weil er bewusst fiel, anders als bei einem plötzlichen, nicht vorhersehbaren Sturz. Gegen den Kläger spricht aber gleichwohl, dass er nicht einmal den Versuch unternommen hat, die Funktion seiner linken Hand unmittelbar vor und nach dem Sturz zu erklären. Dass er nach dem Sturz nach seiner Waffe gegriffen habe, wie er es nach dem Gutachten Z bei den Rekonstruktionsversuchen getan hat, ist seiner an sich sonst sehr detaillierten Darstellung des Geschehens vom 03.10.1987 nicht zu entnehmen und deshalb auch nicht anzunehmen. Er hat auch nicht die Ausführungen des Sachverständigen B aufgegriffen, der ein instinktives Nachgreifen bei stürzenden Jägern beobachtet haben will, die ihre Waffe vor dem Eindringen von Fremdkörpern in die Läufe hätten schützen wollen.

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Auf Grund der seit Jahren bekannten nachteiligen Gutachten schon des Sachverständigen Z, in erster Linie aber des Sachverständigen W, der gerade auch wegen der nicht erklärten Funktion der linken Hand vor und nach dem Sturz seiner Darstellung nicht geglaubt hat, wäre das Verhalten des Klägers nicht zu verstehen, wenn seine Unfalldarstellung richtig wäre. Sein Verhalten ist auch deshalb auffällig, weil er bei anderen von den gerichtlichen Sachverständigen vorgenommenen Bewertungen versucht hat, diese mit nicht unerheblichem ideellen und vermutlich auch materiellen Aufwand mit Privatgutachten zu bekämpfen, beispielsweise die Vorbehalte des Sachverständigen Z gegen das Verletzungsmuster der Finger auf Grund der nahe beieinander liegenden Läufe durch die Privatgutachten T und X, die die Drehbewegung einer Waffe bei der Schussabgabe erläutert haben.

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Der Kläger hat auch nicht erklärt, wieso es gerade zu diesem Verletzungsmuster gekommen ist, bei dem zwar Mittelfinger und Daumen, nicht aber der dazwischenlegende Zeigefinger verletzt worden sind. Dem Sachverständigen Z ist darin zu folgen, dass diese Verletzung nicht erklärbar ist, wenn die linke Hand bereits auf dem Erdboden auflag, als die Schüsse fielen. Wie er dargelegt hat, treffen im Sturz die Finger im Reflex voll ausgebreitet und nebeneinander liegend auf dem Erdboden auf. Die Läufe der Waffe liegen aber wesentlich näher beieinander als die Verletzungen von Zeigefinger und Daumen, sodass der Zeigefinger hätte getroffen werden müssen. Selbst wenn die Flinte nach dem ersten Schuss auf Grund des Rückstoßes eine Drehbewegung vollzogen hat, wie die Sachverständigen T und X angenommen haben, ist nicht erklärbar, wie dann die Schmauchpartikel an die Greifseite des linken Zeigefingers gelangt sind und wie dort die Hitzeschäden entstanden sein können. Denn auch der linke Zeigefinger hätte bei natürlicher Haltung der Hand, die auf Grund eines Sturzes reflexartig zu Boden geht, auf dem Erdboden aufliegen müssen, die Geschosse hätten dann über den Zeigefinger hinweggehen müssen und nicht, wie die vorgenannten Spuren ausweisen, an der Beugeseite des Zeigefingers entlang.

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Der Kläger kann daher nicht bei auf dem Erdboden aufliegender Hand getroffen worden sein; darauf weist auch die Erklärung für das Verletzungsmuster hin, die der Sachverständige W in der Fotoserie zu seinem Gutachten aufgezeigt hat. Danach sind die Verletzungen möglich, wenn die Waffe teilweise mit den Läufen in der Hand liegend - Mündung zwischen Ringfinger und Mittelfinger - abgefeuert wird und gleichzeitig Daumen und Mittelfinger aneinandergedrückt und der Zeigefinger hochgehalten werden. Hierbei werden dann Mittelfinger und Daumen vom unteren Lauf getroffen, während der obere Lauf unter dem Zeigefinger hinwegfeuert und dort Verbrennungen und Schmauchspuren verursacht. Der Senat hält diese Haltung der Waffe und diese Stellung der Finger bei dem vom Kläger behaupteten Unfall für ausgeschlossen; denn der Kläger trägt selbst nicht vor, er habe die Läufe während der Schussabgabe in der Hand gehalten oder auch nur berührt. Aus der Demonstration des Sachverständigen W folgt zugleich, dass sich das Verletzungsmuster nicht ergeben haben kann, wenn die Hand auf dem Boden auflag und nur der Zeigefinger abgespreizt war oder sich die Hand mit irgendwie abgespreizten Fingern, nicht auf dem Boden aufliegend, vor den Mündungen der Flinte befunden hat. Bei Abgabe eines Doppelschusses hätten sich dann andere Verletzungsmuster ergeben. Selbst wenn eine Schussabgabe in der vom Sachverständigen W demonstrierten Fingerstellung nicht wie dort aufgezeigt aus der Hand, sondern vor der gesamten Hand erfolgt wäre, hätten sich an den Beugeseiten am linken Ringfinger und am kleinen Finger - wie am Zeigefinger - Schmauchpartikel und Verbrennungen feststellen lassen müssen. Dr. med. M , der den Kläger im Kreiskrankenhaus A operiert hat, hat in seinem Schreiben an den Sachverständigen Z nicht über entsprechende Spuren am Ringfinger und kleinen Finger der linken Hand berichtet.

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Die Angaben des Klägers dahin, seine Hand sei vorher von ihm selbst oder von seiner Ehefrau oder vom Kreiskrankenhaus B gereinigt worden, sind ungenau. In seiner detaillierten Stellungnahme vom 03.10.1987 heißt es lediglich, er habe sich zuhause den Verband abgenommen, das Ausmaß seiner Verletzungen gesehen, seine Ehefrau habe ihn zur Krankenhausambulanz B gefahren, dort habe der diensthabende Arzt die Hand untersucht. In der mündlichen Verhandlung am 25.10.1995 hat er ausgeführt, er oder seine Ehefrau hätten seine Hand bei der Erstversorgung mit warmen Wasser gewaschen. In seiner Berufungserwiderung heißt es, das Kreiskrankenhaus B habe die Wunde gesäubert und geröntgt. Da Dr. med. M gleichwohl noch Schmauchspuren am linken Zeigefinger festgestellt hat, ist wenig wahrscheinlich, dass gleiche Spuren vom linken Ring- und kleinen Finger beseitigt worden sind. Verbrennungen am Ring- und kleinen Finger wie am Zeigefinger hätte der Arzt auch trotz einer Reinigung feststellen müssen, da sie durch eine Reinigung der Hand naturgemäß nicht entfernt werden können.

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Indiziencharakter für die Absicht, unberechtigt Versicherungsleistungen in Anspruch nehmen zu wollen, können auch die wirtschaftlichen Verhältnisse und das "Versicherungsverhalten" des Versicherten haben (OLG München VerR 1986,379; OLG Bamberg, VerR 1981,74; OLG Karlsruhe r + s 1994, 476). Sie haben es auch im vorliegenden Fall.

22

So war der Kläger bei Jahresumsatzerlösen von rd. 200.000 DM/Jahr mit Bankkreditschulden von rd. 600.000 DM im Jahr 1985, rd. 500.000 DM im Jahr 1986 und rd. 535.000 DM im Jahr 1987 und Sachkreditschulden aus Abzahlungskäufen von rd. 100.000 DM außerordentlich hoch belastet. Die Verringerung der Bankkreditschulden von 1985 auf 1986 beruht entgegen der Darstellung in der Berufungserwiderung offensichtlich nicht nur auf einer guten Ertragslage des Betriebs, sondern in Höhe von 30.000 DM auch auf einem Darlehenserlass des Vaters des Klägers. Ungewöhnlich hoch bei der Art des Betriebs und der o.g. Höhe der Umsätze erscheinen auch die in der Regel hoch verzinslichen Kreditbelastungen über Girokonten, nämlich 1985 in Höhe von ca. 35.000 DM, 1986 in Höhe von ca. 66.000 DM und 1987 in Höhe von ca. 71.000 DM. Die Jahresgewinne im Jahr 1985 in Höhe von rd. 25.000 DM, im Jahr 1986 in Höhe von rd. 17.000 DM und im Jahr 1987 in Höhe von rd. 13.000 DM sind vor dem Hintergrund der Kreditbelastungen, der Umsätze und der Betriebsgröße als äußerst gering zu werten, das Einkommen des Klägers bei täglich 12-14 Stunden ArbeitseinSatz 1ag unterhalb des Verdienstes eines ungelernten Arbeiters. Aus einem Unfall der behaupteten Art konnte der Kläger hingegen eine Rente in Höhe von 6.446,38 DM/Monat (bei Umrechnung auf Monate) erwarten, ferner eine einmalige Invaliditätsentschädigung in Höhe von 20 % von 900.000 DM = 180.000 DM. Bei seinen schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen hatte er für eine absichtliche Selbstverletzung ein erhebliches Motiv.

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Vor dem Hintergrund seiner Belastungen und der Ertragslage seines Betriebs erscheint außerdem der vom Kläger betriebene Aufwand für seine Versicherungen übersetzt. Wenn auch Vorsorge gegen die Risiken eines Unfalls oder einer Berufsunfähigkeit geboten war, ist beim Kläger zu berücksichtigen, dass jede Prämienbelastung sich außerordentlich belastend auf sein ohnehin knapp bemessenes Einkommen auswirkte. Wie sich aus den Vertragsdaten ergibt, unterhielt der Kläger bis April 1987 gleichzeitig die Versicherungen bei der N, bei der Beklagten zu 1), bei der Beklagten zu 2), bei der F und bei der W. Sein Berufsunfähigkeitsrisiko war bei der Beklagten zu 1) mit einer Jahresrente von rd. 77.000 DM, sein Invaliditätsrisiko durch Unfall bei den anderen genannten Versicherern mit insgesamt 2,467 Mio. DM bei Vollinvalidität abgesichert. Auf Grund der Beendigung der Versicherungsverträge mit der F und der W sank die Absicherung des Invaliditätsrisikos auf 900.000 DM vor dem Unfall. Es mag zutreffend sein, dass der bis April 1987 von Kläger herbeigeführte Versicherungsumfang darauf zurückzuführen war, dass er beabsichtigte, die bei der Beklagten zu 1) abgeschlossene Versicherung zu kündigen. Diese Kündigung nahm er jedoch am 4.11.1986 wieder zurück. Er führte dann zwar - nach seinen Angaben folgerichtig - die Beendigung des Versicherungsschutzes mit der F und der W herbei; trotz der nun noch bei den Beklagten und der N und der E bestehenden Versicherungen ließ er sich dann aber doch noch am 24.6.1987 auf seine Anfrage Angebote für den Abschluss einer Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung unterbreiten, die er bei der Beklagten zu 1) schon unterhielt. Eine Erklärung hierfür ist weder vorgetragen oder ersichtlich, mit einer erneuten Umstrukturierung seiner Versicherungen lässt sich das Verhalten nicht erklären. Bei den schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen des Klägers ist sein Streben nach einer hohen Absicherung des Unfall- und Berufsunfähigkeitsrisikos ein Indiz für eine langfristig geplante beabsichtigte Selbstverletzung. Dem steht nicht entscheidend entgegen, dass - wie das Landgericht gemeint hat - sich der Kläger lohnenswert einen weiterhin bestehenden Versicherungsschutz bei der W gegen Mehrprämie hätte erkaufen können.

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Aus dem Schreiben dieses Versicherers vom 08.04.1987 ergab sich deutlich - "Wir können uns nicht vorstellen, dass Sie zu dieser ernormen Prämienerhöhung bereit sind, den Vertrag fortzuführen" -, dass dieser Versicherer in erster Linie an einer Vertragsbeendigung interessiert war. Aus der Sicht des Klägers waren im Leistungsfall in geringem zeitlichen Abstand zu diesem Vorgang mit diesem Versicherer Schwierigkeiten zu befürchten, die es ratsam erscheinen lassen konnten, das Angebot auf Vertragsaufhebung anzunehmen. Dass der Kläger sich mit der vorhandenen Risikoabdeckung eines Unfalls nicht begnügte, zeigen seine o.g. Bemühungen bei der H, obwohl er anderseits bereits im August 1986 im Fall der bei der N unterhaltenen Unfallversicherung auf Krankenhaustagegeld mit Genesungsgeld und Übergangsentschädigung verzichtet hatte, um Prämien zu sparen.

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In die Gesamtschau aller für und gegen den Kläger sprechenden Indizien einzubeziehen sind schließlich weitere Umstände. Es ist nicht zu verkennen, dass der Kläger die Vorstellung gehabt haben kann, als Masseur allein mit einer Verletzung von Mittelfinger und Daumen eine Invaliditätsentschädigung, vor allem aber erhebliche Renteneinkünfte wegen Berufsunfähigkeit erzielen zu können. Soweit dem die Berufungserwiderung entgegenhält, der Kläger habe doch durch eine Verletzung von Zeigefinger und Daumen eine "wesentlich höhere Berufsunfähigkeitsminderung" erreichen können, überzeugt dieser Einwand nicht. Lediglich die Gliedertaxe der nur auf eine einmalige Entschädigung gerichteten Unfallversicherung ist bei einer Verletzung von Daumen und Zeigefinger höher, für die finanziell wesentlich ergiebigere Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung reicht u.U. die zugefügte Verletzung.

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In diesem Zusammenhang spricht gegen einen Unfall auch, dass nur die linke und nicht die für einen Rechtshänder wie den Kläger sehr viel wichtigere rechte Hand verletzt worden ist. Von der linken Hand ist auch nur der für deren Funktion relativ unwichtige Mittelfinger erheblich, der wichtigere Daumen aber nicht so erheblich und der sehr wichtige Zeigefinger überhaupt nicht verletzt worden.

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Soweit das Landgericht ausgeführt hat, der Kläger sei für den Fall einer absichtlichen Selbstverletzung mittels der Schrotflinte ein hohes Gesundheitsrisiko eingegangen, was für ihn spreche, hat dieses Argument kein erhebliches Gewicht. Wie der Sachverständige W anhand der Lichtbilder über das Zustandekommen eines Verletzungsmusters nach Art des Klägers aufgezeigt hat, ist bei einer derartigen Handhabung einer Schrotflinte das Gesundheitsrisiko bei Nahschüssen durchaus kalkulierbar; das Risiko ist zudem zu den damit zu erzielenden wirtschaftlichen Vorteilen ins Verhältnis zusetzen.