Landessozialgericht Niedersachsen
Urt. v. 13.12.2001, Az.: L 8 AL 230/01

Arbeitsrechtlicher Schutz durch Gleichstellung mit Schwerbehinderten; Widerspruchsbefugnis eines Arbeitgebers gegen einen Gleichstellungsbescheid; Kündigung bei einem Schwerbehinderten; Kausalität zwischen Behinderung und Gefährdung des Arbeitsplatzes

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen
Datum
13.12.2001
Aktenzeichen
L 8 AL 230/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 15884
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2001:1213.L8AL230.01.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Osnabrück - 10.04.2001 - AZ: S 12 AL 574/97

Prozessführer

XXX

Prozessgegner

Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg,

den Präsidenten des Landesarbeitsamtes Niedersachsen-Bremen, Altenbekener Damm 82, 30173 Hannover,

Sonstige Beteiligte

Bundesrepublik Deutschland,

das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung, Ferdinand-Sauerbuch-Straße 1, 56073 Koblenz.

Redaktioneller Leitsatz

Eine Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten nach § 2 SchwbG scheidet nicht deshalb aus, weil ein Arbeitsverhältnis tarifvertraglich nicht mehr ordentlich kündbar ist (§ 58 MTV-Arbeiter).

hat der 8. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle

auf die mündliche Verhandlung vom 13. Dezember 2001

durch

die Richter D. - Vorsitzender -, E. und F. sowie

die ehrenamtlichen Richter G. und H.

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 10. April 2001 wird mit folgender Maßgabe zurückgewiesen:

Die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen werden je zur Hälfte von der Beklagten und von der Beigeladenen erstattet.

Darüber hinaus sind keine weiteren Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist die Gleichstellung des Klägers mit den Schwerbehinderten streitig.

2

Der 1949 geborene Kläger ist seit 1971 bei der Beigeladenen in der Wehrtechnischen Dienststelle der Bundeswehr in J. als Kraftfahrzeugmechaniker beschäftigt. Im April 1991 wurde auf Grund eines medizinischen Gutachtens festgestellt, dass er nur noch eingeschränkt einsetzbar sei, nämlich nur für leichte Arbeiten ohne häufiges Heben und Tragen sowie ohne häufiges Bücken und überwiegend einseitige Körperhaltung. Das Versorgungsamt (VA) K. stellte mit Bescheid vom 7. Dezember 1994 auf Grund folgender Behinderungen:

  1. 1.

    chronisch entzündliche Erkrankung des Nervensystems, Sehstörungen,

  2. 2.

    Bewegungsstörung und Fehlhaltung der Wirbelsäule,

  3. 3.

    Bewegungsstörung der Kniegelenke,

3

einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 sowie das Merkzeichen "äußerliche erkennbare dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit" fest. Beim Kläger lagen weiterhin folgende Leiden vor: Darmteilverlust, operiertes Hämorrhoidalleiden, Magenleiden sowie Hörminderung als Folge eines Hörsturzes. Im Jahre 1993 war er an 108 Tagen, im Jahre 1994 an 82 Tagen, im Jahre 1995 an 52 Tagen und im Jahre 1996 an 33 Tagen arbeitsunfähig erkrankt.

4

Am 18. Oktober 1996 stellte der Kläger einen Antrag auf Gleichstellung mit den Schwerbehinderten, weil sein Arbeitsplatz durch die Reduzierung und Neustrukturierung der Bundeswehr gefährdet sei und er befürchten müsse, auf einen seiner Behinderung nicht angemessenen Arbeitsplatz (Reparatur von Panzern) umgesetzt zu werden. Das Arbeitsamt L. entsprach mit Bescheid vom 23. Dezember 1996 diesem Antrag und stellte den Kläger mit Wirkung ab 18. Oktober 1996 den Schwerbehinderten gleich, weil nach den getroffenen Feststellungen er in seiner Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Nichtbehinderten benachteiligt und auf den Schutz des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) angewiesen sei.

5

Gegen den Gleichstellungsbescheid legte die Beigeladene durch die Wehrtechnische Dienststelle für Waffen und Munition J. (M.) mit einem am 28. Januar 1997 eingegangenen Schriftsatz vom 24. Januar 1997 Widerspruch ein. Aus einem Absendevermerk in den Akten der Beigeladenen war zu entnehmen, das Widerspruchsschreiben sei am 27. Januar 1997, 11.53 Uhr, durch Fernkopie an eine Fax-Nummer der Beklagten übermittelt worden, die der Heuerstelle des Arbeitsamtes L. entsprochen hat. Dort wurde das Fax nicht gefunden. Ein Fax-Journal bzw ein Sendeprotokoll konnte nicht vorgelegt werden.

6

Die Beigeladene führte zur Begründung ihres Widerspruchs an, der Arbeitsplatz des Klägers sei struktursicher und nicht in die Planungen des Personalabbaus bei der Bundeswehr einbezogen worden. Der Kläger müsse nicht befürchten, infolge seiner Behinderung ohne die Gleichstellung keinen geeigneten Arbeitsplatz zu erhalten. Für den Fall, dass der Kläger wegen Eintreten der Leistungsminderung oder aus dienstlichen Gründen auf einen anderen Dienstposten umgesetzt werden müsse, was nicht endgültig auszuschließen sei, böten die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes einen ausreichenden Schutz.

7

Die Beklagte gab mit Widerspruchsbescheid vom 4. November 1997 dem Widerspruch der Beigeladenen statt und hob den Gleichstellungsbescheid des Arbeitsamtes L. vom 23. Dezember 1996 auf. Der Kläger sei tarifvertraglich unkündbar. Nach Mitteilung des Arbeitgebers sei sein Arbeitsplatz nicht gefährdet und eine Umsetzung in die Panzerwerkstatt nicht vorgesehen. Die abstrakte Gefahr, den Arbeitsplatz auf Grund des Personalabbaus innerhalb der Bundeswehr zu verlieren, treffe jeden zivilen Bediensteten gleichermaßen und habe ihre Ursache nicht in den anerkannten Behinderungen.

8

Der Kläger hat gegen den mit einfachem Brief abgesandten Widerspruchsbescheid vom 4. November 1997 am 5. Dezember 1997 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Osnabrück erhoben. Er hat geltend gemacht, nach den tariflichen Regelungen bestehe weiterhin die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung sowie das Risiko einer Änderungskündigung. Im Übrigen sei der Widerspruch verfristet und nicht durch die zuständige Dienststelle eingelegt worden.

9

Das SG hat mit Urteil vom 10. April 2001 den Widerspruchsbescheid vom 4. November 1997 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Kläger mit Wirkung vom 28. November 1996 (gemeint ist wohl: 18. Oktober 1996) mit den Schwerbehinderten gleichzustellen sowie seine außergerichtlichen Kosten zu übernehmen. Das SG hat ausgeführt, die Dienststelle der Beigeladenen in J. (M.) sei zur Einlegung des Widerspruchs befugt gewesen. Die Beigeladene habe die rechtzeitige Fax-Absendung am 27. Januar 1997 glaubhaft gemacht, sodass ihr bezüglich der Versäumung der Widerspruchsfrist gemäß § 27 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) iVm § 67 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei. Die Beklagte sei aber nicht berechtigt gewesen, dem Widerspruch der Beigeladenen stattzugeben, weil das Arbeitsamt L. zu Recht den Kläger den Schwerbehinderten gleichgestellt habe. Der Kläger sei in nur vermindertem Maße leistungsfähig. Insbesondere die chronische entzündliche Erkrankung des Nervensystems, die Wirbelsäulen- und Kniegelenksbeschwerden wirkten sich negativ auf sein Leistungsvermögen aus. Der Arbeitsplatzbeschreibung sei zu entnehmen, dass zum Teil Arbeiten in gebückter Haltung und unter Nässe, Kälte und Zuglufteinwirkung, verbunden mit einem Heben und Tragen von Lasten bis zu mehr als 20 kg, anfallen können. Diese Erschwernisse belasteten zusätzlich die Leistungsfähigkeit des Klägers. Es sei glaubhaft, dass er des öfteren auf die Hilfestellung von Arbeitskollegen angewiesen sei. Berücksichtige man ferner die erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten, stehe für das SG fest, dass der Kläger in seiner Konkurrenzsituation zu anderen vergleichbaren nichtbehinderten Arbeitnehmern benachteiligt sei. Die Gleichstellung sei erforderlich, unabhängig davon, ob sich mögliche Maßnahmen zur Personalreduzierung innerhalb der Bundeswehr auch nachteilig auf den konkreten Arbeitsplatz des Klägers auswirken könnten. Ein atypischer Sachverhalt, der die Beklagte im Wege der Ermessensausübung zu einer anderen Entscheidung als der Gleichstellung hätte berechtigen können, liege nicht vor. Zwar sei der Kläger ordentlich nicht mehr kündbar (§ 58 MTV-Arbeiter). Der Arbeitgeber habe jedoch gemäß § 60 Abs 2 MTV-Arbeiter auch im Falle des Klägers bei dringenden dienstlichen oder betrieblichen Erfordernissen die Möglichkeit, eine Änderungskündigung auszusprechen. Die Beigeladene habe angegeben, dass bei der Dienststelle in J. zwischenzeitlich 520 Arbeitsplätze, davon allein sechs oder sieben in der Werkstatt, in der der Kläger tätig sei, abgebaut und zusätzlich zwei Mitarbeiter aus der Kfz-Werkstatt in die Panzerwerkstatt versetzt worden seien. Da die Beigeladene in ihrem Widerspruchsschreiben eingeräumt habe, dass eine künftige Umsetzung des Klägers auf einen anderen Dienstposten nicht endgültig ausgeschlossen werden könne, sei die Möglichkeit einer Änderungskündigung nach § 60 Abs 2 MTV-Arbeiter nicht so fernliegend und stehe der Annahme eines atypischen Sachverhaltes entgegen.

10

Die Beklagte hat gegen das am 27. April 2001 zugestellte Urteil am 16. Mai 2001 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, der Kläger sei nach Angaben der Beigeladenen nicht konkret von einer Änderungskündigung oder Umsetzung auf einen nicht gleichwertigen oder nicht behinderungsgerechten Arbeitsplatz betroffen. Eine abstrakte Gefährdung, wie diese der Kläger geltend mache, reiche für die Gleichstellung nicht aus. Eine behinderungsbedingte Wettbewerbsbeeinträchtigung im Vergleich zu Nichtbehinderten sei im Falle des Klägers nicht feststellbar. Die Beigeladene sei bereits auf Grund ihrer besonderen Fürsorgepflicht und wegen der Unkündbarkeit des Klägers verpflichtet, einen geeigneten Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen.

11

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 10. April 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

12

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

13

Der Kläger ist der Auffassung, dass nach Sinn und Zweck des Gleichstellungsprinzips des SchwbG kein arbeitsplatzbezogener Schwerbehindertenbegriff gelte. Unabhängig davon bestehe auch eine konkrete Gefährdung seines Arbeitsplatzes, wie der geplante und durchgeführte Personalabbau im Bereich der Bundeswehr zeige.

14

Die Beigeladene unterstützt das Berufungsbegehren der Beklagten mit Hinweis darauf, dass jeder Behinderte mit einem GdB von 30 bis 50 gleichgestellt werden müsste, wenn eine abstrakte Gefährdung des dauerhaften Einsatzes im gleichen Aufgabenbereich für eine Gleichstellung genügen sollte. Dies sei vom Gesetzgeber aber nicht gewollt. Einen ausdrücklichen Antrag hat die Beigeladene nicht gestellt.

15

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Der Senat hat ferner die bei der Beigeladenen geführte Personalakte des Klägers beigezogen.

Entscheidungsgründe

16

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das SG den Widerspruchsbescheid vom 4. November 1997 aufgehoben. Der Kläger ist seit Antragstellung (18. Oktober 1996) gemäß § 2 Abs 1 Satz 2 SchwbG den Schwerbehinderten gleichzustellen, wie das Arbeitsamt L. in dem ursprünglichen Bescheid vom 23. Dezember 1996 zutreffend festgestellt hat.

17

I.

Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung nicht entgegen.

18

Streitgegenstand ist eine reine Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG), weil der Kläger sich nur gegen den Widerspruchsbescheid vom 4. November 1997 wendet. Wird der Widerspruchsbescheid aufgehoben, so erwächst der Erstbescheid vom 23. Dezember 1996 mit der Regelung über die Gleichstellung des Klägers mit den Schwerbehinderten ab 18. Oktober 1996 in die Bestandskraft. Eines zusätzlichen Verpflichtungs- bzw Feststellungsantrages bedarf es nicht. Es ist aber unschädlich, wenn das SG im Tenor seines Urteils mit der Verurteilung der Beklagten konkludent klargestellt hat, dass der Widerspruch der Beigeladenen endgültig erledigt ist.

19

Der Senat geht davon aus, dass der Arbeitgeber grundsätzlich befugt ist, Widerspruch gegen einen Gleichstellungsbescheid gemäß § 2 SchwbG zugunsten seines eigenen Arbeitnehmers einzulegen (so auch Landessozialgericht - LSG - Baden-Württemberg vom 25. Januar 2000 in E-LSG/AL-202; aA LSG Rheinland-Pfalz vom 19. September 2000, in Breithaupt 2001, 155). Der Arbeitgeber hat als Dritter nicht nur ein wirtschaftliches, sondern ein rechtliches Interesse an der Klärung, ob der Arbeitnehmer einem Schwerbehinderten gleichzusetzen ist. Der Gleichstellungsbescheid stellt einen Verwaltungsakt mit Doppelwirkung dar, der die Beigeladene als Arbeitgeber belastet. Es ist zwar richtig, dass das Kündigungsrecht des Arbeitgebers durch die Gleichstellung mit dem Schwerbehinderten nicht ausgeschlossen, sondern nur dem Zustimmungserfordernis der Hauptfürsorgestelle unterworfen wird (§ 15 SchwbG). Diese wird auch regelmäßig erteilt, wenn die Kündigung nicht durch die Behinderung des Arbeitnehmers bedingt ist (KR-Etzel, 5. Auflage, §§ 15-20 SchwbG Rdnr 82 ff; BVerwG AP Nr 28, 29 zu § 14 SchwBeschG). Gleichwohl wird der Arbeitgeber allein durch das ihm vorgeschriebene Zustimmungsverfahren in seiner Disposition und somit in seiner rechtlichen Stellung beeinträchtigt. Mit der Gleichstellung entstehen ferner beim Arbeitgeber zusätzliche Pflichten (§§ 13 und 14 SchwbG), die in dieser Form gegenüber Schwerbehinderten ohne förmliche Anerkennung bzw Gleichsetzung nicht bestehen. Darüber hinaus bekommt der den Schwerbehinderten gleichgestellte Arbeitnehmer das aktive und passive Wahlrecht zur Schwerbehindertenvertretung (§ 24 ff SchwbG), was zusätzliche Bindungen des Arbeitgebers erzeugt.

20

Zwar kann nach Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) der Arbeitgeber die behördliche Feststellung über die Schwerbehinderteneigenschaft nach § 3 SchwbG nicht anfechten (BSG SozR 3870 § 3 Nr 23). In dieser Entscheidung hat das BSG jedoch betont, dass zwischen der versorgungsamtlichen Feststellung des Schwerbehindertenstatus und der konstitutiven Entscheidung des Arbeitsamtes über die Gleichstellung in Bezug auf ein bestimmtes Arbeitsverhältnis gewichtige Unterschiede bestehen. Abgesehen von Anhörungsrechten des Arbeitgebers, die nur im Gleichstellungsverfahren vorgesehen sind, wird die Schwerbehinderteneigenschaft nach § 3 SchwbG ohne Interessenabwägung und mit Wirkung gegenüber jedermann festgestellt. In dem Verfahren auf Gleichstellung nach § 2 SchwbG muss die Arbeitsverwaltung dagegen einen Interessenausgleich zwischen den Belangen des leistungsgeminderten Arbeitnehmers und seinem Arbeitgeber herbeiführen. Dies rechtfertigt das Widerspruchs- bzw Klagerecht des Arbeitgebers.

21

Der Senat kann offen lassen, ob die Beigeladene vorliegend frist- und formgerecht Widerspruch eingelegt hat. Denn der Widerspruchsbescheid ist aus anderen Gründen auf jeden Fall unbegründet und deshalb aufzuheben.

22

II.

Gemäß § 2 Abs 1 SchwbG sollen Personen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen im Übrigen die Voraussetzungen des § 1 vorliegen, auf Grund einer Feststellung nach § 4 auf ihren Antrag vom Arbeitsamt den Schwerbehinderten gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz iS des § 7 Abs 1 nicht erlangen oder nicht behalten können. Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers erfüllt. Das VA hat bei ihm einen GdB von 40 festgestellt. Hinzu kommen alle weiteren Behinderungen, die beim Kläger zum Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung vorgelegen haben, auch wenn diese im versorgungsamtlichen Bescheid nicht ausdrücklich angeführt werden bzw keinen GdB bedingen (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr 24). Die weitere Voraussetzung des § 1 SchwbG (Wohnsitz in Deutschland) liegt vor. Der Kläger ist infolge seiner Behinderungen auf die Gleichstellung mit den Schwerbehinderten angewiesen, um einen geeigneten Arbeitsplatz bei der Beigeladenen behalten zu können.

23

Eine Gleichstellung scheidet nicht deshalb aus, weil das Arbeitsverhältnis des Klägers tarifvertraglich nicht mehr ordentlich kündbar ist (§ 58 MTV-Arbeiter). Es sind in diesen Fällen auch nicht zusätzlich gewichtige Gründe zu verlangen, wie die Beklagte unter Hinweis auf entsprechende Meinungen in der Kommentarliteratur im Widerspruchsbescheid hervorgehoben hat. Zum einen wird die Rechtmäßigkeit eines tarifvertraglichen Ausschlusses der ordentlichen Kündigung arbeitsrechtlich in Zweifel gezogen (Adam, Abschied vom "Unkündbaren"?, NZA 1999, 846). Auf der anderen Seite hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in den letzten Jahren zunehmend geringere Anforderungen an die außerordentliche Kündigungsmöglichkeit eines ordentlich nicht mehr kündbaren Arbeitnehmers gestellt (vgl BAG AP Nr 143 zu § 626 BGB), und gerade in der Minderung der Leistungsfähigkeit einen außerordentlichen wichtigen Grund gesehen (BAG AP Nr 3 und 7 zu § 626 BGB Krankheit). Im Übrigen hat der Senat in einer von der Beklagten angeführten Entscheidung (Urteil vom 23. Mai 1996 - L 8 Ar 28/95) sogar bei Beamten auf Lebenszeit die Möglichkeit einer Gleichstellung mit den Schwerbehinderten bejaht, obwohl dieser Personenkreis einen wesentlichen stärkeren Bestandsschutz genießt als der Kläger.

24

Entscheidend ist nämlich, dass die Gleichstellung mit den Schwerbehinderten nicht nur die Möglichkeit einer Beendigungskündigung erschweren soll. Der Gleichgestelltenstatus soll den leistungsgeminderten Arbeitnehmer auch bei sonstigen Änderungen der Arbeitsbedingungen schützen. In diesem Zusammenhang hat der Kläger frühzeitig darauf hingewiesen, dass unter gewissen Umständen trotz des Kündigungsschutzes eine Änderungskündigung gemäß § 60 Abs 2 MTV-Arbeiter zulässig ist.

25

Ein weiterer Vorgang aus der beigezogenen Personalakte des Klägers belegt die Notwendigkeit, den vom Gesetzgeber durch die Gleichstellung bezweckten Schutz zwecks Erhalt des bisherigen behinderungsgerechten Arbeitsplatzes unabhängig von der Möglichkeit einer Beendigungskündigung herzustellen. Der Kläger war im Rahmen einer Nebenabrede zusätzlich zu seinen handwerksmäßigen Arbeiten als Lehrgeselle tätig. Wegen der Reduzierung der Fachhandwerkerausbildung hat die Beklagte die anfallende Lehrgesellentätigkeit auf eine geringere Zahl von Lehrgesellen verteilt und im Jahre 1994 beim Kläger die Bestellung zum Lehrgesellen aufgehoben. Da es sich bei der Ausbildertätigkeit um körperlich weniger anspruchsvolle Arbeit handelt, wäre diese Änderung der Arbeitsbedingungen bei einer früheren Gleichstellung so nicht möglich gewesen, zumindest solange nicht, bis Lehrgesellentätigkeiten von Arbeitnehmern ohne Schwerbehindertenstatus verrichtet werden. Das bedeutet gleichzeitig für die Zukunft, dass die Beigeladene vor einer möglichen Umsetzung des Klägers verpflichtet sein könnte, die Lehrgesellentätigkeiten neu zu verteilen.

26

III.

Aus dem bisher Gesagten ergibt sich zwangsläufig, dass die Gleichstellung nach § 2 SchwbG nicht voraussetzt, dass eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses unmittelbar bevorstehen muss. Ansonsten müsste der Arbeitgeber nur diese Möglichkeit verneinen, um das gesamte Gleichstellungsverfahren sinnlos werden zu lassen (so auch schon BVerwGE 42, 189, 192) [BVerwG 17.05.1973 - V C 60/72]. Maßgeblich ist auf die gesundheitliche Schädigung des Behinderten abzustellen, weil die Gleichstellung gesetzlich mit der Behinderung verknüpft ist (so auch Urteil des Senats vom 21. November 1995 - L 8 Ar 216/95 ?, in E-LSG/AR 112). Gerade in der Behinderung selbst, also auch in ihrer Art und Schwere, muss die Schwierigkeit der Erhaltung eines dauerhaften Arbeitsplatzes liegen; weniger im Vordergrund steht dagegen das Maß der derzeitigen Sicherung des Arbeitsplatzes und die Gefährdung, ihn zu verlieren. Diese Sicherung ist zwar nicht ohne jedes Gewicht; ihr kommt jedoch nicht die alleinige Bedeutung für die zu treffende Entscheidung zu. Deshalb muss vom Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung vorausschauend in Betracht gezogen werden, ob der Antragsteller seinen Arbeitsplatz bei seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung ohne eine Gleichstellung auf Dauer behalten wird. Das erfordert eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere auch des Alters, der Vorbildung, der jederzeitigen Ersetz- und Austauschbarkeit, vielseitigen Verwendbarkeit und innerbetrieblichen Versetzbarkeit, der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betriebes und der Arbeitsmarktlage.

27

Zwischen der Behinderung und der Gefährdung des Arbeitsplatzes, die nicht mit Kündigungswahrscheinlichkeit gleichzusetzen ist, muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Die Gleichstellung muss also aus gesundheitlichen Gründen notwendig sein, damit der Behinderte beruflich integriert bleiben kann. Das bedeutet aber nicht, dass die Behinderung allein ursächlich für die gegenüber einem Nichtbehinderten eingeschränkte Wettbewerbsfähigkeit sein muss. Das Tatbestandsmerkmal "infolge der Behinderung" in § 2 Abs 1 SchwbG ist nach der im Sozialrecht herrschenden Kausalitätslehre der rechtlich wesentlichen Bedingung so auszulegen, dass es genügt, wenn die Behinderung und somit die dadurch verursachte berufliche Wettbewerbseinschränkung zB neben einer anstehenden arbeitgeberseitigen Personalanpassung die rechtlich wesentliche Mitursache ist (Schimanski, in GK-SchwbG-Kommentar, 2. Auflage, § 3 Rdnr 56b).

28

Das SG hat unter Anwendung obiger Grundsätze ausführlich begründet, dass die Behinderungen des Klägers die wesentliche Mitursache für seine eingeschränkte Wettbewerbsfähigkeit darstellen und er zur Erhaltung des bisherigen Arbeitsplatzes auf die Gleichstellung mit den Schwerbehinderten angewiesen ist. Auf die zutreffenden Entscheidungsgründe wird zwecks Vermeidung von Wiederholungen verwiesen (§ 153 Abs 2 SGG).

29

Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Berufungsvorbringen der Beigeladenen, dass ein Arbeitsplatzabbau nur auf freiwilliger Basis erfolgt sei und sie seit Antragstellung hinsichtlich des Arbeitsplatzes des Klägers keine Personalmaßnahme beabsichtigt bzw durchgeführt habe. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung einer Gleichstellung nach § 2 SchwbG ist in erster Linie der Zeitpunkt der Antragstellung (BSG SozR 3-3870 § 2 Nr 1). Die Beigeladene hatte im Widerspruchsschreiben vom 24. Januar 1997 vorgetragen, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger wegen einer Leistungsminderung oder aus zwingenden Gründen unter Anwendung des Tarifvertragsinstrumentariums (§ 60 Abs 2 MTV-Arbeiter) auf einen anderen Dienstposten umgesetzt werden muss.

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Unter Berücksichtigung der eingeschränkten Leistungsfähigkeit des Klägers sowie der von der Beigeladenen beabsichtigten Personalanpassung in der Kfz-Werkstatt kann von einer nur abstrakten Gefährdungslage keine Rede sein. Der Kläger war nach dem arbeitsmedizinischen Gutachten nur noch für leichte Arbeiten vollschichtig einsetzbar, wobei ihm Tätigkeiten mit häufigem Heben, Tragen, Bücken und überwiegend einseitiger Körperhaltung nicht zumutbar sind. Bei der von der Beigeladenen beabsichtigten Personalanpassung, Umstrukturierung bis hin zur Zusammenlegung von Dienstposten wird der Kläger gegenüber nichtbehinderten Arbeitnehmern allein wegen der Gesundheitseinschränkungen benachteiligt. Hinzu kam die Absicht der Beigeladenen, bis zum Jahre 2000 fast die Hälfte der Arbeitsplätze in der Kfz-Werkstatt einzusparen. Nach dem nicht bestrittenen Vortrag des Klägers wurde ein Arbeitskollege aus gesundheitlichen Gründen zum Prüftrupp umgesetzt. Zwei weitere Arbeitskollegen sind in die Panzerwerkstatt versetzt worden, was der Kläger nach seinen Angaben in der Begründung des Gleichstellungsantrages für sich befürchtet hatte.

31

Bei dieser Sachlage hat das Arbeitsamt L. im Gleichstellungsbescheid vom 18. Oktober 1997 zutreffend festgestellt, dass die Wettbewerbsfähigkeit des Klägers hinsichtlich der ausgeübten Tätigkeit infolge von Behinderungsauswirkungen eingeschränkt ist. Der hiervon abweichende Widerspruchsbescheid vom 4. November 1997 war rechtswidrig und deshalb aufzuheben.

32

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf Anwendung des § 193 SGG.

33

Es entspricht der Billigkeit, dass derjenige die Kosten trägt, der im Prozess unterliegt (BSG SozR § 193 Nr 2). Das sind hier die Beklagte und die Beigeladene, wobei die Beigeladene ein viel stärkeres Interesse am Ausgang des Verfahrens hat. Eine Kostenbeteiligung der Beigeladenen ist ferner die zwingende Folge aus der Befugnis und aus dem rechtlichen Interesse des Arbeitgebers, gegen einen Gleichstellungsbescheid des Arbeitsamtes Widerspruch einzulegen. Verantwortlich für den rechtswidrigen Widerspruchsbescheid ist aber ausschließlich die Beklagte, sodass sie von einer Kostentragung nicht vollständig befreit werden kann. Der Senat hält eine Kostenquotelung von 50 % für gerechtfertigt.

34

Die weiteren Auslagen der Beklagten und der Beigeladenen sind gemäß § 193 Abs 4 SGG nicht erstattungsfähig.