Landessozialgericht Niedersachsen
Beschl. v. 10.12.2001, Az.: L 6 U 128/00

Ablehnung eines Antrags auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten für die Durchführung eines Berufungsverfahrens wegen mangelnder Erfolgsaussicht in der Hauptsache

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen
Datum
10.12.2001
Aktenzeichen
L 6 U 128/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 15874
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2001:1210.L6U128.00.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - AZ: S 22 U 17/97

Prozessführer

1. A...,

2. B...,

3. C...,

4. D...,

Prozessgegner

Bau-Berufsgenossenschaft Hannover, Bezirksverwaltung Berlin, Hildegardstraße 29/30, 10715 Berlin,

hat der 6. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle

am 10. Dezember 2001

durch

den Vizepräsidenten des Landessozialgerichts Dr. Wilde,

den Richter am Landessozialgericht Schulte und

die Richterin am Landessozialgericht Janz

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Kläger, ihnen auch für das Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht Niedersachsen Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt G., H., beizuordnen, wird abgelehnt.

Gründe

1

Zwar können die Kläger nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen, die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet jedoch keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73 a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - iVm § 114 Zivilprozessordnung - ZPO).

2

I.

Die Kläger sind die Hinterbliebenen des 1968 geborenen und bei einem Verkehrsunfall am 22. September 1995 zwischen I. und J. tödlich verunglückten K. (Verstorbener). Der Verstorbene war bosnischer Staatsangehöriger und lebte seit 1994 in der Bundesrepublik. Die Duldung seines Aufenthalts wurde mit Auflagen verlängert, zuletzt bis zum 30. September 1995. Seinen Wohnsitz hatte er in der Gemeinde L. zu nehmen (vgl den vom Landkreis M. ausgestellten Ausweisersatz vom 18. Mai 1994). Dem Verstorbenen wurden mehrere Arbeitserlaubnisse als Eisenflechter erteilt. Aufgrund der bis zum 30. September 1995 erteilten Arbeitserlaubnis des Arbeitsamts N. war er bis August 1995 als Eisenflechter bei O. in P. beschäftigt. Des Weiteren wurde ihm im Juli 1995 vom Arbeitsamt H. eine Arbeitserlaubnis als Eisenflechter für Baustellen der Q. GmbH in R. erteilt. Zu der Aufnahme dieses Arbeitsverhältnisses kam es jedoch nicht mehr.

3

Im Januar 1996 teilten die Prozessbevollmächtigten der Kläger der Beklagten mit, der Verstorbene sei auf dem Weg zur Arbeit verunglückt. Er sei als Bauarbeiter für einen Herrn S. tätig gewesen. Dieser sei Subunternehmer für ein Bauhauptunternehmen T. gewesen. Die Beklagte zog die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Potsdam bei und holte die Auskunft der O. vom 21. Mai 1996 ein. Des Weiteren teilte ihr U., die Halterin des Fahrzeuges, mit dem der Verstorbene verunglückte, mit, in ihrem Unternehmen habe sich kein Unfall ereignet. Das Gewerbe habe geruht. Ihr Schwager V. habe den PKW aus einem ihr nicht bekannten Grund ausgeliehen. V., der mit dem weiteren Insassen W. den Unfall überlebte, ließ über seine Rechtsanwälte ausrichten, am Unfalltag habe ein Cousin gebeten, ihn nach X. zu fahren, um dort einen Bekannten zu treffen. Da sein Cousin kein Auto gehabt habe, habe er seiner Bitte entsprochen. Des Weiteren sei W. mitgefahren. In X. habe er mit seinem Cousin verabredet, ihn am Bahnhof wieder abzuholen. Als er später dort eintraf, seien auch der Verstorbene und ein Bekannter von ihm da gewesen und hätten gebeten, mit nach Y. genommen zu werden. Dieses habe er gestattet. Die Beklagte lehnte Entschädigungsleistungen ab, weil ein Wegeunfall nicht bewiesen sei (Bescheide vom 27. August 1996, Widerspruchsbescheide vom 30. Dezember 1996).

4

Das Sozialgericht (SG) Hannover hat die Klage nach umfangreicher Beweisaufnahme abgewiesen: Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei ein Arbeitsverhältnis zum Unfallzeitpunkt nicht bewiesen. U., ihr Ehemann Z. und ihr Schwager V. hätten gegenüber dem Gericht bekundet, dass ein Beschäftigungsverhältnis des Verstorbenen nicht bestanden habe. Ein Arbeitsverhältnis könne auch nicht aufgrund der Aussagen der Brüder des Verstorbenen, eines Nachbarn und W. als bewiesen angesehen werden. Lediglich der zuletzt vernommene Zeuge habe aus eigener Wahrnehmung berichtet, den Verstorbenen auf einer Baustelle in der Nähe von J. getroffen zu haben. Er habe ausgesagt, dass dieser dort gemeinsam mit V. und weiteren Staatsangehörigen des früheren Jugoslawien für das Bauunternehmen des Z. gearbeitet habe. Diese Aussage stehe jedoch im Gegensatz zur Aussage des V., am Unfalltag nicht in der Nähe von J. gearbeitet, sondern lediglich seinen Cousin von Y. nach X. gefahren zu haben. Auch der Zeuge Z. habe bestritten, zum Unfallzeitpunkt ein Bauunternehmen betrieben zu haben. Die Aussagen der Brüder des Verstorbenen sowie eines Nachbarn von ihnen stünden im Widerspruch zu den Aussagen von V. und Z.. Während diese eine Beschäftigung des Verstorbenen in einem Bauunternehmen ihrer Familie ausdrücklich verneinten, sollen sie nach den Bekundungen der Brüder des Verstorbenen und des Nachbarn im Krankenhaus J. berichtet haben, dass sich die Verunglückten auf dem Rückweg von einer von Z. betriebenen Baustelle befunden hätten. Genaue Angaben über den Ort der Baustelle und die Fahrtstrecke hätten sie jedoch nicht machen können. Da nach dem persönlichen Eindruck, den das Gericht von den Zeugen gewonnen habe, keinem eine höhere Glaubwürdigkeit als dem anderen zukomme, sei ein Arbeitsverhältnis und ein Wegeunfall nicht bewiesen.

5

Dagegen wenden sich die Kläger mit der Berufung. Zur Begründung auch ihres Antrages auf Prozesskostenhilfe (PKH) haben sie weitere Zeugen benannt, die bestätigen könnten, dass der Verstorbene in der Gegend um Y. auf Baustellen des Unternehmens Z. beschäftigt gewesen sei. Denn diese hätten mit dem Verstorbenen auf den Baustellen gearbeitet und in einem Bauwagen gewohnt.

6

II.

Der Antrag der Kläger, ihnen auch für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe (PKH) zu bewilligen und Rechtsanwalt G. beizuordnen, ist nicht begründet. Denn ihre Berufung hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Eine hinreichende Erfolgsaussicht iSd § 114 ZPO ist dann zu bejahen, wenn ein Erfolg nach der bisherigen Sach- und Rechtslage wahrscheinlich ist (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 30. Mai 1986 - L 3 U 60/86 = Breithaupt 1987, 607; Baumbach/Albers/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 60. Aufl. 2002, § 114 Rn 80 - jeweils mit weiteren Nachweisen zu Literatur und Rechtsprechung). Zwar ist eine Erfolgsaussicht grundsätzlich zu bejahen, wenn über eine Behauptung des Antragstellers Beweis zu erheben ist. Dieses gilt jedoch nur im Allgemeinen. Im Prozesskostenhilfeverfahren ist in eng begrenztem Rahmen eine Beweisantizipation zulässig, d.h., dass nicht in jedem Fall aus einer beabsichtigten Beweisaufnahme eine hinreichende Erfolgsaussicht abgeleitet werden kann (BVerfG NVwZ 1987, 786; BVerfG NJW 1997, 2745 [BVerfG 07.05.1997 - 1 BvR 296/94]; LSG Rheinland-Pfalz, aaO, 609). Ist über die Behauptung des Antragstellers schon vor dem SG umfangreich Beweis erhoben worden und hat die Beweisaufnahme das Vorbringen des Antragstellers nicht bewiesen, kann grundsätzlich allein durch die Benennung weiterer Zeugen die Erfolgsaussicht des Rechtsmittels nicht herbeigeführt werden. Anderenfalls könnte die Bewilligung von PKH mit jedem formell korrekten und prozessual nicht zu übergehenden Beweisantritt (s hierzu Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl 1998, § 103 Rn 8) erzwungen werden (vgl Baumbach ua, aaO, Rn 88). Nach diesen Grundsätzen ist eine Erfolgsaussicht im vorliegenden Rechtsstreit zu verneinen.

7

Die bisherigen und zur Vorbereitung der Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von PKH durchgeführten Ermittlungen des Senats haben ergeben, dass der Verstorbene bis zum 31. August 1995 bei O. arbeitete und im folgenden Monat eine Beschäftigung bei der Q. GmbH aufnehmen wollte. Für beide Tätigkeiten war ihm eine Arbeitserlaubnis erteilt worden. Unter Berücksichtigung des Ergebnisses der erstinstanzlichen Beweisaufnahme ist es schon nicht wahrscheinlich, dass die von den Klägern beantragte weitere Beweisaufnahme ergeben wird, dass der Verstorbene - entgegen seinem durch die beigezogenen Ausländerakten und die eingeholten Auskünfte der Arbeitsämter dokumentierten Verhalten - unter Verstoß gegen ausländer- und sozialversicherungsrechtliche Vorschriften wenige Tage im Monat September 1995 so genannte "Schwarzarbeit" verrichtet hat. Dass der Verstorbene die Zeit zwischen der Beschäftigung bei O. und Q. für Schwarzarbeit nutzte, kann der Senat zwar nicht ausschließen. Diese wird aber auch nicht durch die Angabe des Bruders des Verstorbenen zu den Beweggründen der Aufgabe der Beschäftigung bei O. plausibel, der Verstorbene habe wegen eines Wohnsitzwechsels und besserer Verdienstmöglichkeiten bei Z. gearbeitet (Schriftsatz vom 22. Mai 2001). Des Weiteren ist gerade vor dem Hintergrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme vor dem SG nicht wahrscheinlich, dass es darüber hinaus gelingt, einen Wegeunfall nachzuweisen. Während die Brüder des Verstorbenen vor dem SG bekundeten, im Krankenhaus erfahren zu haben, dass sich der Unfall auf der Rückfahrt von einer Baustelle in X. ereignet habe, gab W. an, den Verstorbenen auf einer Baustelle in der Umgebung von J. getroffen zu haben.

8

Vor dem Hintergrund des Ergebnisses der vor dem SG durchgeführten Beweisaufnahme und der bisherigen Ermittlungen des Senats ist es unwahrscheinlich, dass es den Klägern gelingt, den Nachweis eines Beschäftigungsverhältnisses und eines Wegeunfalls im Vollbeweis zu führen. Deshalb kann ihrem Antrag nicht entsprochen werden.

Dr. Wilde, Vizepräsident des Landessozialgerichts
Schulte, Richter
Janz, Richterin