Landessozialgericht Niedersachsen
Beschl. v. 10.12.2001, Az.: L 3 P 22/01
Zum Anspruch auf Leistungsgewährung nach Maßgabe der Pflegestufe II wegen Hilfebedarfs im Bereich der Grundpflege im Tagesdurchschnitt von mindestens 120 Minuten
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen
- Datum
- 10.12.2001
- Aktenzeichen
- L 3 P 22/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 15873
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2001:1210.L3P22.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hildesheim - 23.05.2001- AZ: S 15 P 31/99
Rechtsgrundlagen
- § 15 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI
- § 15 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI
Prozessführer
A.
Prozessgegner
Barmer Ersatzkasse, Pflegekasse, C.
hat der 3. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle
am 10. Dezember 2001
durch
die Richterin am Landessozialgericht D.
den Richter am Landessozialgericht E. und
den Richter am Landessozialgericht F.
beschlossen:
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die am 28. September 1941 geborene Klägerin bezieht Pflegegeld nach Maßgabe der Pflegestufe I. Im vorliegenden Verfahren begehrt sie eine Höherstufung in die Pflegestufe II,
Die Klägerin weist bei einer Körpergröße von 168 cm ein Gewicht 157 kg auf. Sie leidet darüber hinaus insbesondere an komplexen schmerzhaften Bewegungseinschränkungen bei degenerativer Wirbelsäulenerkrankung mit begleitenden Bandscheibenvorfällen und Verengung des Spinalkanals im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS), an einem Zustand nach Versteifungsoperation in Form einer Verblockung im Halswirbelbereich, an degenerativen Veränderungen der Hüft- und Kniegelenke, an einer relativen Blasenschwäche, an einem Ulcus cruris-Geschwür und an einer submammilären Mykose.
Das Höherstufungsbegehren vom 07. Oktober 1998 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 08. Februar 1999 ab, nachdem die Ärztin G. und die Pflegefachkraft H. (beide vom Medizinischen Dienst der -Krankenversicherung Niedersachsen -MDKN-) in einem Gutachten vom 02. Dezember 1998 zu der Einschätzung gelangt waren, dass die Klägerin im Bereich der Grundpflege einen täglichen Hilfebedarf von 65 Minuten aufwies. Den hiergegen von der Klägerin eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 10. Mai 1999 zurück.
Zur Begründung ihrer am 14. Juni 1999 erhobenen Klage hat die Klägerin eine nur unzureichende Berücksichtigung ihres umfänglichen Hilfebedarfes geltend gemacht. Das Sozialgericht (SG) hat einen Befundbericht des Hausarztes l. vom 18. November 1999 und ein Gutachten des Arztes für Innere Medizin, Kardiologie und Sozialmedizin J. vom 24. März 2000 eingeholt. J. gelangte zu der Einschätzung, dass der Hilfebedarf der Klägerin im Bereich der Grundpflege im Tagesdurchschnitt 85 Minuten betrug.
Mit Urteil vom 23. Mai 2001, der Klägerin zugestellt am 27. Juni 2001, hat das SG Hannover die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die begehrte Höherstufung in die Pflegestufe II, da sie im Bereich der Grundpflege nicht den gesetzlichen Grenzwert von mindestens 2 Stunden im Tagesdurchschnitt erreiche. Die Kammer habe vielmehr unter Berücksichtigung der vorliegenden medizinischen Erkenntnisse im Tagesdurchschnitt lediglich einen Hilfebedarf von 104 Minuten feststellen können. Auch soweit sie in einzelnen Punkten Abweichungen von den von dem gerichtlichen Gutachter J. befürworteten Zeitansätzen für angezeigt erachtet habe, hätten diese nicht ein solches Ausmaß erreicht, dass sich die Voraussetzungen für eine Höherstufung in die Pflegestufe II feststellen ließen.
Zur Begründung ihrer am 27. Juli 2001 eingelegten Berufung macht die Klägerin geltend, dass sie am 21. Januar 2001 gestürzt sei. Durch diesen Unfall habe sich ihr Hilfebedarf weiter erhöht. Sie könne nur noch sich wenige Schritte an Krücken fortbewegen. Da sie an verstärkten Einlagerungen von Wasser in den Beinen leide, müsse sie vermehrt Entwässerungstabletten zu sich nehmen, wodurch sich andererseits die Notwendigkeit weiterer Toilettengänge ergebe. Ingesamt erreiche sie im Bereich der Grundpflege einen täglichen Hilfebedarf von 200 Minuten. Auf Grund ihrer starken Schmerzen müsse sie Morphiumpräparate einnehmen.
Die Klägerin beantragt,
- 1.
Das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 23. Mai 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 08. Februar 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 1999 aufzuheben und
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, ihr ab Oktober 1998 Leistungen nach Maßgabe der Pflegestufe II (unter Einschluss der bereits nach Maßgabe der Pflegestufe l erbrachten Leistungen) zu erbringen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hebt hervor, dass sie eine erneute Untersuchung der Klägerin durch den MDKN veranlasst habe. Der von diesem beauftragte Facharzt für Allgemeinmedizin K. sei in seinem Gutachten vom 02. August 2001 zu der Einschätzung gelangt, dass die Klägerin einen täglichen Hilfebedarf von 89 Minuten im Tagesdurchschnitt aufweise.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens der Pflegefachkraft L. vom 15. Oktober 2001. Die Sachverständige ist zu der Auffassung gelangt, dass die Klägerin im Tagesdurchschnitt im Bereich der Grundpflege einen Hilfebedarf von 98 Minuten hat.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Über die vorliegende Berufung entscheidet der Senat nach vorheriger Anhörung der Beteiligten durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich erachtet.
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Höherstufung in die Pflegestufe II. Sie hat im streitigen Zeitraum von Oktober 1998 bis zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung nicht die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach Maßgabe der Pflegestufe II erfüllt.
Nach § 15 Abs. 1 Ziffer 2 und Abs. 3 Ziffer 2 SGB XI setzt eine Einordnung in die Pflegestufe II voraus, dass der Pflegebedürftige bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, wobei der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder einer andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 3 Stunden betragen muss, wovon auf die Grundpflege, dh auf die in § 14 Abs. 4 Ziffern 1-3 SGB XI aufgeführten Verrichtungen der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität, mindestens 2 Stunden entfallen müssen.
Im vorliegenden Fall vermag der Senat auch unter Berücksichtigung aller vorliegenden Gutachten und Stellungnahmen nicht festzustellen, dass der Hilfebedarf der Klägerin im Bereich der Grundpflege im Tagesdurchschnitt mindestens 120 Minuten ausmacht. Vielmehr liegt dieser weiterhin, und zwar auch unter Berücksichtigung der Folgen des Unfalles vom 21. Januar 2001, bei rund 100 Minuten und damit deutlich unterhalb des gesetzlichen Grenzwertes von 120 Minuten.
Die Sachverständige L. an in ihrem erst vor wenigen Wochen erstellten Gutachten vom 15. Oktober 2001 den Hilfebedarf der Klägerin im Bereich der Grundpflege noch einmal sorgfältig untersucht. Sie hat ihn in ihrem Gutachten überzeugend und anschaulich mit 98 Minuten im Tagesdurchschnitt ermittelt.
Bei diesem Zeitansatz hat sie bereits zu Gunsten der Klägerin 6 Minuten für den erforderlichen Unterstützungsbedarf bei einem abendlichen Waschen und Abtrocknen insbesondere der Haut unter den Bauchfalten berücksichtigt, weil dies nach Auffassung der Sachverständigen unter Berücksichtigung der erheblichen Adipositas aus pflegerischer Sicht geboten ist, wenngleich diese Hilfe bislang nicht geleistet wird. Des Senat hat keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser gutachterlichen Feststellungen zu zweifeln, zumal es sich bei der Sachverständigen L. um eine forensisch besonders erfahrene Gutachterin handelt. Auch das vorliegende Gutachten macht deutlich, dass sie den Hilfebedarf mit besonderer Sorgfalt prüft. Dies wird beispielsweise nicht zuletzt daran erkennbar, dass sie den erforderlichen Hilfebedarf der Klägerin beim täglichen Duschbad im Rahmen ihres Hausbesuches selbst beobachtet und gemessen hat.
Soweit die Klägerin selbst demgegenüber ihren Hilfebedarf nunmehr auf 200 Minuten im Tagesdurchschnitt bemisst, vermag ihr der Senat nicht zu folgen. Die Klägerin hat diese Zeitansätze, soweit sie von den von der Gutachterin L. ermittelten abweichen, nicht überzeugend zu begründen vermocht. So lässt sich den Berechnungen der Klägerin nicht einmal entnehmen, mit welcher Häufigkeit irr? Tages- bzw. Wochendurchschnitt sie beispielsweise ein Dusch- oder Wannenbad für erforderlich erachtet. Soweit die Klägerin einen täglichen Hilfebedarf beim Treppensteigen mit einem Umfang von 10 Minuten angegeben hat, ist nicht ersichtlich, dass sie zur Aufrechterhaltung einer selbstständigen häuslichen Lebensführung überhaupt auf eine tägliche Benutzung von Treppen angewiesen ist. Soweit im Übrigen die Klägerin bei fast allen Verrichtungen etwas höhere Zeitansätze als die Sachverständige befürwortet, gibt dies dem Senat keinen Anlass, die Ansätze der Sachverständigen Krebst in Zweifel zu ziehen. Diese hat sich im Rahmen ihres knapp 2 1/4-stündigen Hausbesuches einen unmittelbaren Eindruck von den gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin, ihrem verbliebenen Leistungsvermögen und dem erforderlichen Unterstützungsbedarf verschafft. Soweit der Hilfebedarf der Klägerin von ihrer jeweiligen Tagesform abhängt, hat die Sachverständige diesem Umstand sachgerechter Weise durch die Bildung von Mittelwerten Rechnung getragen.
Bezeichnenderweise ist der Facharzt K. in seinem im August dieses Jahres für den MDKN erstellten Gutachten ebenfalls zu einem Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von unter 100 Minuten im Tagesdurchschnitt gelangt.
Soweit die Klägerin einen Heimtrainer zu benutzen pflegt, handelt es sich um eine Maßnahme der so genannten Behandlungspflege, sodass ein dadurch ausgelöster Hilfebedarf nicht im Rahmen der Grundpflege berücksichtigt werden kann. Entsprechendes gilt für eine benötigte Hilfe beim Einreihen mit antirheumatischen Salben. Auch bezüglich dieser Maßnahmen fehlt es an einem unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit den Verrichtungen der Grundpflege, wie es nach der Rechtsprechung des BSG (vgl Urteil vom 19. Dezember 1998 - B 3 P 3/97 R - SozR 3-3300 § 14 SGB XI Nr 2) für eine Berücksichtigung im Rahmen der Grundpflege erforderlich wäre. Insbesondere besteht keine medizinische Notwendigkeit, entsprechende Einreibungen morgens vor dem Ankleiden und abends nach dem Auskleiden vorzunehmen, mag eine entsprechende Terminierung auch aus pflegerischer Sicht zweckmäßig sein.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.