Landgericht Verden
Beschl. v. 13.12.2005, Az.: 1 T 146/05
Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt zur Durchführung einer Heilbehandlung; Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen; Einsichtsfähigkeit und Steuerungsfähigkeit des Betroffenen ausschlaggebend für eine wirksame Einwilligung in Heilbehandlungen; Untrennbare Verknüpfung von Heilbehandlung und Unterbringung
Bibliographie
- Gericht
- LG Verden
- Datum
- 13.12.2005
- Aktenzeichen
- 1 T 146/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 33539
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGVERDN:2005:1213.1T146.05.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Verden - 04.11.2005 - AZ: 4 XVII 273/05
- nachfolgend
- OLG Celle - 21.12.2005 - AZ: 17 W 132/05
- BGH - 01.02.2006 - AZ: XII ZB 236/05
Rechtsgrundlagen
- § 1906 Abs. 1 BGB
- § 70 Abs. 1b FGG
- § 70 h Abs. 1 FGG
- § 28 Abs.2 FGG
- § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB
In der Unterbringungssache
hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Verden
durch
den Vizepräsidenten des Landgerichts Marsch,
den Richter am Landgericht Dänekas und
die Richterin am Landgericht Ramsauer
am 13. Dezember2005
beschlossen:
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Verden vom 04. November 2005 wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Gründe
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht Verden die Unterbringung des Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung bis längstens 15. Dezember 2005 vormundschaftsgerichtlich genehmigt.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde des Betroffenen. Das Landgericht Verden hat die Beschwerde mit Beschluss vom 23. November 2005 zurückgewiesen. Auf die weitere sofortige Beschwerde des Betroffenen vom 07. Dezember 2005 hat das Oberlandesgericht Celle den Beschluss des Landgerichts aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Entscheidungüber die sofortige Beschwerde an das Landgericht Verden zurückverwiesen. Die zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet, weil es weiterhin zum Wohle des Betroffenen erforderlich ist, dass er vorläufig in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht bleibt ( §§ 1906 Abs. 1 BGB, 70 h Abs. 1, 70 Abs. 1 b FGG).
Die Unterbringung ist zur Durchführung einer Heilbehandlung notwendig. Diese kann ohne Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden. Die Notwendigkeit der Unterbringung vermag der Betreute nicht zu erkennen (§ 1906 Abs.1 Nr.2 BGB).
Dies ergibt sich aus dem ärztlichen Zeugnis des Dr. Gensichen vom Diakoniekrankenhaus Rotenburg vom 17. November 2005 und aus der Anhörung des Betroffenen vom 13. Dezember 2005.
Nach den Ausführungen des Arztes handele es sich bei dem bei dem Betroffenen vorliegenden Krankheitsbild am ehesten um eine paranoide Psychose. Die Idee, die Wirtschafts-, Arbeits- und Gesellschaftsstrukturen Deutschlands radikal verändern zu wollen und das hierzu vom Betroffenen entwickelte Konzept seien von Krankheitswert. Differenzialdiagnostisch müsse von einer wahnhaften Störung oder dem Vorliegen einerüberwiegenden Idee mit erheblichem Krankheitswert ausgegangen werden. Zur Therapie des akuten Krankheitsbildes und zur Abwendung einer weiteren Chronifizierung der Erkrankung bestehe weiterhin ein medikamentöser Behandlungsbedarf. Da der Betroffene nur unter Nötigung zur Einnahme seiner Medikamente bereit sei, sei eine Heilbehandlung ohne Unterbringung nicht möglich.
Die Kammer schließt sich dieser ärztlichen Beurteilung nach Anhörung des Betroffenen an. Der Betroffene hat den Eindruck eines psychisch kranken Menschen gemacht, dem jede Krankheitseinsicht fehlt und der offenkundig die Notwendigkeit einer Behandlung nicht zu erkennen vermag. Er ist gefangen in einem wirren Gedankenkonstrukt.
Der Unterbringung des Betroffenen steht auch nicht entgegen, dass dieser jegliche Medikation ablehnt. Gegebenenfalls wäre eine Zwangsmedikation durchzuführen.
Die Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten (verneinend: z.B. OLGR Celle 2005, 728; bejahend: z.B. OLG Düsseldorf, 1-25 Wx 73/03, Schleswig Holsteinisches Oberlandesgericht, NJW-RR 2002, 794, OLG München, FamRZ 2005, 1196[OLG München 26.01.2005 - 33 AR 3/05], Soergel, § 1906 Rn.50, Palandt, § 1906 Rn.10). Trotz der vom Oberlandesgericht Celle in der Entscheidung über die sofortige weitere Beschwerde dargelegten Rechtsauffassung war die Kammer nicht an einer hiervon abweichenden Entscheidung gehindert, da es sich bei den Ausführungen des Oberlandesgerichts lediglich um ein Obiter Dictum handelt. Auf Grund der Divergenz der Entscheidungen auf oberlandesgerichtlicher Ebene wäre eine obergerichtliche Klärung gem. § 28 Abs.2 FGG wünschenswert.
Grundsätzlich darf eine Heilbehandlung nur mit Einwilligung des Betroffenen durchgeführt werden. Dabei kommt es für die Wirksamkeit der Einwilligung nicht auf dessen Geschäftsfähigkeit, sondern auf seine natürliche Einsichts- und Steuerungsfähigkeit an. Einwilligungsfähig ist danach, wer Art, Bedeutung und Tragweite einer Heilmaßnahme zu erfassen und seinen Willen hiernach zu bestimmen vermag. Ist diese Fähigkeit vorhanden, darf der Betroffene grundsätzlich gegen seinen Willen weder behandelt noch untergebracht werden (OLG Düsseldorf, I-25 Wx 73/03 m.w.N.). Fehlt sie hingegen, darf dem Betroffenen trotz etwa entgegenstehenden Willens medizinische Hilfe nicht verweigert werden.
Die wegen der grundrechtlichen Relevanz erforderliche gesetzliche Grundlage für entsprechende Maßnahmen hat der Gesetzgeber mit § 1906 BGB geschaffen. Heilbehandlung und Unterbringung sind im Falle des § 1906 Abs.1 Nr.2 BGB untrennbar miteinander verknüpft. Kann eine Heilbehandlung nicht durchgeführt werden, darf auch die Unterbringung nach dieser Vorschrift nicht angeordnet bzw. genehmigt werden. Sind die Voraussetzungen für eine Unterbringung zum Zwecke der Heilbehandlung dagegen erfüllt, so decken die gesetzliche Ermächtigung und die notwendige vormundschaftsgerichtliche Genehmigung ( § 1906 Abs.2 S.1 BGB) nicht nur die mit der Unterbringung verbundene Freiheitsentziehung, sondern auch die Heilbehandlung selbst, zu deren Durchführung die Unterbringung angeordnet worden ist (OLG Düsseldorf, a.a.O.).
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 11. Oktober 2000 (FamRZ 2001, 149), die für eine Ablehnung der Zwangsmedikation in Bezug genommen wird (OLGR Celle, a.a.O.) steht dem nicht entgegen (OLG Düsseldorf, a.a.O.; OLG München, a.a.O.; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, a.a.O.). Soweit sie eine gesetzliche Grundlage für eine Zwangsbehandlung verneint, befasst sie sich ausschließlich mitambulantenBehandlungsmaßnahmen und grenzt diese deutlich gegen den gesetzlich geregelten Fall der Unterbringung, die die medizinische Versorgung eines einwilligungsunfähigen Betroffenen gerade ermöglichen soll, ab (OLG Düsseldorf, a.a.O.).
Die Kammer hält es nicht mit dem Sinn und Zweck des § 1906 Abs.1 Nr.2 BGB für vereinbar, einerseits die Unterbringung zur Durchführung einer Heilbehandlung zu genehmigen, andererseits aber die zwangsweise Umsetzung eben dieser Heilbehandlung zu verbieten. Normzweck ist, bei psychisch kranken Personen, denen die entsprechende Einsichtsfähigkeit fehlt, eine erforderliche Heilbehandlung durch Unterbringung des Betroffenen zu ermöglichen. Zweck der Unterbringung ist die Behandlung. Die Unterbringung selbst ist nur Mittel zum Zweck. Steht aber die Behandlung im Vordergrund, so muss die Genehmigung der Unterbringung gegebenenfalls auch die Zwangsbehandlung umfassen.
Dem Willen des Betroffenen würde zudem in derselben Angelegenheit unterschiedliches Gewicht beigemessen werden: lehnt er die Unterbringung ab, kann deren Notwendigkeit aber krankheitsbedingt nicht erkennen, so ist sein Wille insoweit unbeachtlich; lehnt er aber gleichzeitig auch die Medikation ab, weil er auch deren Notwendigkeit krankheitsbedingt nicht erkennen kann, so soll sein Wille entscheidend sein.
Hinzu kommt, dass eine Unterbringung ohne gleichzeitige Behandlung auf eine bloße Verwahrung des Betroffenen hinausliefe. Diese allein wäre in vielen Fällen - wie auch hier- medizinisch nicht Erfolg versprechend.
Eine Zwangsmedikation des Betroffenen ist auch im Hinblick auf eine drohende weitere Chronifizierung der Erkrankung (s. Seite 2 derärztlichen Stellungnahme vom 17. November 2005) verhältnismäßig. Es ist davon auszugehen, dass der Betroffene bereits seit 1999 erkrankt ist. Wie er in seiner Anhörung nochmals ausgeführt hat, verfolgt er bereits seit diesem Jahr seine politischen Ideen. Alternativen zu einer medikamentösen Behandlung bestehen nach Auskunft von Dr. Gensichen nicht.
Die Verhältnismäßigkeit ist im Übrigen auch unter dem Gesichtspunkt zu bejahen, dass ohne Zwangsbehandlung voraussichtlich erneut Konflikte im familiären Bereich mit Tätlichkeiten drohen. Wie sich aus den eigenen Angaben des Betroffenen des Betroffenen ergibt, führte eine Nichtigkeit dazu, dass dieser seinem minderjährigen Sohn an den Hals gegangen ist (Einkauf eines Joghurts). Eine Einsicht in eigenes Fehlverhalten oder ein Bedauern des Betroffenen waren bei der Anhörung nicht zu erkennen, so dass erneute Entgleisungen zu befürchten sind. Ein weiterer tätlicher Angriff auf seine Familienangehörigen würde gegebenenfalls zu einer dauerhaftenUnterbringung des Betroffenen nach PsychKG führen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 128 b, 131 KostO und § 13 a FGG.
Richter am Landgericht Dänekas ist infolge dienstlicher Geschäfte ortsabwesend.
Marsch
Ramsauer