Landgericht Verden
Beschl. v. 16.06.2005, Az.: 6 T 51/05

Bibliographie

Gericht
LG Verden
Datum
16.06.2005
Aktenzeichen
6 T 51/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 42527
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGVERDN:2005:0616.6T51.05.0A

In der Beschwerdesache

betreffend das Grundbuch von Beppen Blatt 558

...

hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Verden am 16.06.2005 durch ... beschlossen:

Tenor:

  1. Die Zwischenverfügung des Amtsgerichts Syke - Grundbuchamt - vom 04.02.2005 wird aufgehoben.

Gründe

1

I.

Die Beschwerdeführerin ist die überlebende Ehefrau des am 10.11.2004 verstorbenen ... (Erblasser). Aus der Ehe sind die gemeinsamen Kinder ..., ... und ... hervorgegangen. Der Erblasser ist als Eigentümer zu 1/2 Anteil des im Grundbuch von Beppen, Blatt 558, des Amtsgerichts Syke in Abteilung I unter lfd. Nr. 1a verzeichneten Grundbesitzes eingetragen.

2

Am 29.06.2003 errichteten die Beschwerdeführerin und der Erblasser vor dem Notar ... in Bremen unter der Nr. 205 der Urkundenrolle für 2003 ein gemeinschaftliches Testament. In diesem heißt es unter anderem:

3

§ 1

4

Erster Erbfall

5

Der Erstversterbende setzt hiermit den Überlebenden zu seinem alleinigen Vorerben ein. Dieser ist von allen Beschränkungen befreit, von denen nach dem Gesetz Befreiung erteilt werden kann. Der Nacherbfall tritt ein mit dem Ableben des überlebenden Ehegatten.

6

§ 2

7

Zweiter Erbfall

8

1. Der Längstlebende von uns setzt auf seinen Tod unsere gemeinschaftlichen Abkömmlinge gemäß der gesetzlichen Erbfolge erster Ordnung zu seinen Erben ein. Ersatznacherben eines verstorbenen Nacherben sind dessen Abkömmlinge zu untereinander gleichen Teilen; sind solche nicht vorhanden, sind Ersatznacherben die übrigen Nacherben zu untereinander gleichen Teilen.

9

2. (...)

10

§ 3

11

Pflichtteilsstrafklausel

12

Verlangt und erhält einer unserer Abkömmlinge auf den Tod des Erstversterbenden den Pflichtteil, so wird er und sein Stamm von der Nacherbfolge und der Erbfolge auf das Ableben des Längstlebenden von uns ausgeschlossen und erhält auch beim Tode des Längstlebenden nur den Pflichtteil.

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Die gemeinsamen Kinder der Beschwerdeführerin und des Erblasser sind in dem einleitenden Absatz des Testaments namentlich aufgeführt. Wegen des Inhalts des Testaments im Übrigen wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

14

Nach dem Tode des Erblassers stellte die Beschwerdeführerin am 31.01.2005 beim Amtsgericht Syke - Grundbuchamt - einen Grundbuchberichtigungsantrag. Darin beantragte sie unter Vorlage einer beglaubigten Abschrift des notariellen Testaments sowie des Eröffnungsprotokolls, an Stelle des Erblassers als Eigentümerin an dem hälftigen Anteil des vorbezeichneten Grundbesitzes im Grundbuch eingetragen zu werden.

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Auf diesen Antrag hin hat das Grundbuchamt am 04.02.2005 eine Zwischenverfügung erlassen. Es begründete seine Verfügung damit, dass der beantragten Eintragung ein Hindernis entgegenstehe, weil Zweifel hinsichtlich der Auslegung des notariellen Testaments bestünden. Es könne nicht festgestellt werden, ob die Beschwerdeführerin befreite Vorerbin des Erblassers unter Anordnung einer Nacherbschaft zu Gunsten der gemeinsamen Kinder oder Alleinerbin im Rahmen eines "Berliner Testamentes" geworden sei. Die Beschwerdeführerin wurde daher unter Fristsetzung aufgefordert, einen Erbschein vorzulegen.

16

Gegen die ihr am 08.02.2005 zugestellte Zwischenverfügung des Grundbuchamtes hat die Beschwerdeführerin am 18.02.2005 Beschwerde eingelegt. Sie meint, dass sie nicht als Alleinerbin eingesetzt worden sei. Wie aus dem Zusammenhang ersehen werden könne, enthalte der Wortlaut des ersten Satzes von "§ 2 Ziffer 2" (gemeint ist wohl: § 2 Ziffer 1) des Testaments ein "redaktionelles Versehen", indem dort das Wort "Erben" an Stelle des Wortes "Nacherben" verwendet werde.

17

Das Grundbuchamt hat der Beschwerde durch Beschluss vom 28.02.2005 nicht abgeholfen.

18

II.

Die Beschwerde (§ 71 Abs. 1 GBO) gegen die Zwischenverfügung (§ 18 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GBO) des Grundbuchamtes vom 04.02.2005 ist zulässig und begründet. Das Grundbuchamt kann von der Beschwerdeführerin nicht verlangen, dass sie einen Erbschein vorlegt. Die Beschwerdeführerin hat den erforderlichen Nachweis der Vor- und Nacherbfolge bereits durch Vorlegung des notariellen Testaments nebst Eröffnungsprotokoll geführt.

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1. Gemäß § 35 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GBO kann der Nachweis über die Erbfolge gegenüber dem Grundbuchamt dadurch geführt werden, dass der Erbe ein notariell beurkundetes Testament sowie die Niederschrift über dessen Eröffnung vorlegt. Dies gilt auch für den Nachweis einer Vor- und Nacherbschaft im Rahmen des § 51 GBO. Erachtet das Grundbuchamt jedoch die Erbfolge durch diese Urkunden nicht als nachgewiesen, so kann es weiter gehend die Vorlegung eines Erbscheines verlangen (§ 35 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GBO). Hieraus folgt indes nicht, dass es im Ermessen des Grundbuchamtes stünde, ob es bei bestehenden Unklarheiten einen Erbschein fordert. Statt dessen hat das Grundbuchamt den Inhalt der vorgelegten öffentlichen Verfügung von Todes wegen auf die Erbeinsetzung sowie deren Beschränkung durch Anordnung einer Nacherbschaft hin zu prüfen; insoweit ist eine zweifelsfreie Bestimmung von Erben, Nacherben und Ersatzerben erforderlich (vgl. OLG Hamm, NJW-RR 1997, 646 (646)). Zu diesem Zweck hat das Grundbuchamt die in der öffentlichen Urkunde enthaltene Verfügung zunächst selbständig auszulegen. Insbesondere darf es die Vorlegung eines Erbscheines nicht schon deshalb verlangen, weil die Auslegung der letztwilligen Verfügung rechtliche Schwierigkeiten bereitet (vgl. OLG Hamm, aaO., S. 647; BayObLG, Rpfleger 1983, 104 (104); Demharter, GBO, 25. Aufl., 2005, § 35 Rdnr. 42 u. § 51 Rdnr. 8). Nur wenn darüber hinaus auch Zweifel tatsächlicher Art bestehen, die nur durch weitere Ermittlungen über den Willen des Erblassers oder über die tatsächlichen Verhältnisses geklärt werden können, muss ein Erbschein verlangt werden (vgl. OLG Hamm, aaO., S. 647), denn solche Ermittlungen anzustellen ist das Grundbuchamt weder verpflichtet noch berechtigt (vgl. BayObLG, aaO.).

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2. Nach diesen Maßstäben bedarf es vorliegend zum Nachweis der einzutragenden Vor- und Nacherbschaft keines Erbscheines. Das gemeinschaftliche Testament des Erblassers und der Beschwerdeführerin ist vielmehr aus sich selbst heraus einer eindeutigen Auslegung zugänglich. Dies gilt sowohl mit Blick darauf, dass eine Vorerbschaft und nicht eine Alleinerbschaft der Beschwerdeführerin angeordnet ist, als auch hinsichtlich der als Nacherben eingesetzten Personen.

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a.) Scheinen bei einem gemeinschaftlichen Testament von Eheleuten Zweifel dahingehend zu bestehen, ob deren gemeinsamen Willen zufolge eine Vor- und Nacherbschaft oder aber eine Alleinerbschaft des überlebenden Ehegatten gewollt war, so muss der gemeinsame Wille durch individuelle Auslegung des Testaments auf der Grundlage des erklärten Willens beider Eheleute erforscht werden (vgl. Edenhofer in: Palandt, BGB, 64. Aufl., 2005, vor § 2265 Rdnr. 12 u. § 2269 Rdnr. 5). Die Auslegungsregel des § 2269 Abs. 1 BGB, derzufolge im Zweifelsfall von einer Alleinerbenschaft des überlebenden Ehegatten auszugehen ist, findet nur Anwendung, wenn auch nach Ermittlung aller in Betracht kommender Umstände nicht zu behebende Zweifel bestehen bleiben (vgl. Edenhofer, aaO., § 2269 Rdnr. 5). Zwar enthält das gemeinschaftliche Testament des Erblassers und der Beschwerdeführerin in seinem Regelungsteil keine ausdrückliche Bestimmung darüber, welche Personen "Nacherben" sein sollen. Aus der gebotenen Gesamtschau der getroffenen Regelungen ergibt sich jedoch zweifelsfrei, dass beide Eheleute den Überlebenden von ihnen nicht zum Alleinerben des Erstversterbenden, sondern lediglich zu dessen befreiten Vorerben einsetzen wollten.

22

In § 1 des gemeinschaftlichen Testaments ist explizit davon die Rede, dass der Überlebende "alleiniger Vorerbe" des Erstversterbenden sein soll. Das Wort "alleinig" bezieht sich hier lediglich darauf, dass auf den ersten Erbfall entgegen der gesetzlichen Erbfolge die gemeinsamen Kinder der Eheleute, die in der das gemeinschaftliche Testament einleitenden Erklärung namentlich bezeichnet werden, nicht zugleich mit dem überlebenden Ehegatten Erben werden sollen. Zwar lässt der Gebrauch des Begriffs des "Vorerben", selbst wenn er in einem notariellen Testament verwendet wird, für sich genommen noch nicht den sicheren Schluss darauf zu, dass tatsächlich eine Vorerbschaft im Rechtssinne und nicht doch - nach laienhafter Ausdrucksweise - eine Alleinerbschaft mit Schlusserbeneinsetzung gewollt war. Jedoch erfährt der Begriff des "Vorerben" im vorliegenden Testament seine Bestätigung dadurch, dass der Vorerbe in § 1 S. 2 von allen Beschränkungen, denen ein Vorerbe von Gesetzes wegen unterliegt und von denen Befreiung erteilt werden kann, befreit werden soll. Zudem wird in § 1 S. 3 der Zeitpunkt des Eintritts des Nacherbfalles definiert. Beide Bestimmungen ergäben keinen Sinn, wenn der überlebende Ehegatte tatsächlich Alleinerbe hätte werden sollen. Ferner lässt die in das gemeinschaftliche Testament aufgenommene Pflichtteilsstrafklausel (§ 3) erkennen, dass die testierenden Eheleute übereinstimmend davon ausgegangen sind, dass ihr Vermögen nach dem Tod des Erstversterbenden in zwei Vermögensmassen - d.h. eine, bezüglich der die Vor- und Nacherbschaft besteht, und eine weitere, über die der Längstlebende in § 2 Ziff. 1 S. 1 eine selbständige Erbeinsetzung trifft - auseinanderfallen soll. Hätten die Eheleute nämlich das beiderseitige Vermögen als eine Einheit angesehen, so hätte es hier einer doppelten Regelung dergestalt, dass der den Pflichtteil verlangende und erhaltende Abkömmling auf das Ableben des Längstlebenden sowohl "von der Nacherbfolge" als auch "von der Erbfolge" ausgeschlossen werden soll, nicht bedurft.

23

Hinzu kommt, dass zwar auch die Eintragung eines Nacherbenvermerks in das Grundbuch, die von Amts wegen zusammen mit der Eintragung des Vorerben sowie etwaiger Befreiungen des Vorerben von den Beschränkungen seines Verfügungsrechts zu erfolgen hat (§ 51 GBO), grundsätzlich des Nachweises des Bestehens der Nacherbschaft nach § 35 GBO bedarf. Sofern jedoch das Grundbuchamt nicht aus anderen Gründen berechtigte Zweifel an der Richtigkeit der Eintragung hegt, erübrigt sich ein solcher Nachweis nach allgemeiner Lebenserfahrung dann, wenn der Vorerbe seine eigene Eintragung zugleich mit derjenigen des bzw. der Nacherben beantragt (vgl. Meikel/Imhof/Riedel, Grundbuchrecht, Bd. 3, 6. Aufl., 1970, § 51 Anm. 4; Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 13. Aufl., 2004, Rdnr. 3496; Kraiß in: Meikel u.a., Grundbuchrecht, Bd. 2, 9. Aufl., 2004, § 51 Rdnr. 87). Der Nacherbenvermerk begründet kein Recht des Nacherben, sondern verlautbart lediglich eine Verfügungsbeschränkung des antragstellenden Vorerben und würde daher im Falle seiner etwaigen Unrichtigkeit nur Letzteren beeinträchtigen (vgl. KG, DR 1944, 194). Das Grundbuchamt ist insoweit weder berechtigt noch verpflichtet, die Rechte des Vorerben entgegen dessen eigenen Antrag wahrzunehmen (vgl. KG, HRR 6 (1930), Nr. 507). Zwar hat die Beschwerdeführerin in ihrem Grundbuchberichtigungsantrag vom 31.01.2005 ausdrücklich nur ihre eigene Eintragung als Eigentümerin des hälftigen Anteils des Erblassers an dem Grundbesitz in das Grundbuch beantragt, nicht jedoch zugleich auch die Eintragung eines Nacherbenvermerks zugunsten ihrer Abkömmlinge. Insoweit hat sie jedoch nunmehr mit ihrer Beschwerdeschrift für Klarheit gesorgt.

24

b.) Die Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments ergibt ferner, dass die in der einleitenden Erklärung namentlich aufgeführten drei gemeinsamen Kinder der testierenden Eheleute zu Nacherben des Vorerben bestimmt werden sollten. Eine ausdrückliche, dahin gehende Regelung ist in dem Testament zwar nicht enthalten. Dies lässt sich entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin auch nicht einfach dadurch heilen, dass man dem Wortlaut des § 2 Ziff. 1 S. 1 ein "redaktionelles Versehen" unterstellt und dort sodann das Wort "Erben" durch das Wort "Nacherben" ersetzt. Das Wort "Erben" wird dort vielmehr zu Recht verwendet, weil der Längstlebende im Hinblick auf sein eigenes - d.h. nicht aus der Vorerbschaft stammendes - Vermögen die gemeinsamen Kinder nicht zu "Nacherben" irgendeines zum Vorerben bestimmten Dritten, sondern unmittelbar zu seinen Erben einsetzen wollte. Jedoch zeigt auch hier ein Blick auf die Gesamtheit des Inhalts des Testaments, dass die Nacherben des erstverstorbenen Ehegatten die gemeinsamen Abkömmlinge sein sollen.

25

Dies ergibt sich zunächst daraus, dass die drei gemeinsamen Kinder der Eheleute im einleitenden Teil des Testaments namentlich aufgeführt werden. Hierauf wird Bezug genommen, soweit der Längstlebende in § 2 Ziff. 1 S. 1 "unsere gemeinschaftlichen Abkömmlinge" als seine Erben einsetzt. Dass diese gemeinsamen Abkömmlinge zugleich auch die Nacherben des überlebenden Ehegatten als des Vorerben (§ 1) sein sollen, zeigt sich wiederum an der Pflichtteilsstrafklausel des § 3, die ausdrücklich bestimmt, dass derjenige "unserer" (d.h.: der gemeinschaftlichen) Abkömmlinge, der auf den Tod des Erstversterbenden den Pflichtteil verlangt und erhält, nebst seines Stammes (auch) "von der Nacherbfolge" ausgeschlossen sein soll. Ein solcher Ausschluss ist indes nur dann sinnvoll, wenn der betreffende Abkömmling auch tatsächlich Nacherbe ist; anderenfalls liefe die angedrohte Sanktion ins Leere. Mithin lässt § 3 eindeutig erkennen, dass alle drei pflichtteilsberechtigten gemeinsamen Kinder nach dem Willen beider Eheleute als Nacherben eingesetzt werden sollten. Dafür, dass neben ihnen noch weitere Personen hätten Nacherben werden sollen, enthält das gemeinschaftliche Testament keinerlei Anhaltspunkte.

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Eine namentliche Benennung auch der Ersatznacherben (§ 2 Ziff. 1 S. 2) ist gegenwärtig nicht möglich. Insoweit kann ein Nachweis der Ersatznacherbfolge durch Erbschein nicht gefordert werden (vgl. Demharter, aaO., § 51 Rdnr. 9 m. Nachw.).