Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 25.05.2023, Az.: 13 Verg 2/23

Anforderungen an die Leistungsbeschreibung im Rahmen der Ausschreibung von Bedarfsverkehrsleistungen im sog. On-Demand-Verkehr

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
25.05.2023
Aktenzeichen
13 Verg 2/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 52106
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2023:0525.13VERG2.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
VK Niedersachsen - 02.03.2023 - AZ: VgK-02-2023

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Zur (fehlenden) Notwendigkeit der Vorgabe eines Mengengerüsts oder der Änderung der Vergütungsstruktur

  2. 2.

    Zur Notwendigkeit, den Bietern in der Verhandlungsphase Betriebsdaten aus einem Pilotprojekt zur Verfügung zu stellen

Redaktioneller Leitsatz

1. Ein öffentlicher Auftraggeber verstößt im Rahmen der Ausschreibung von Bedarfsverkehrsleistungen im sog. On-Demand-Verkehr nicht gegen das Gebot einer eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung, wenn in den Vergabeunterlagen die Daten aus einem Pilotprojekt noch nicht offengelegt werden.

2. Soweit dies zu einem späteren Zeitpunkt geschieht, kann davon ausgegangen werden, dass sachkundige Bieter auf der Grundlage von Daten anderer On-Demand-Verkehre und unter Berücksichtigung weiterer Faktoren eine Prognose der zu erwartenden Nachfrage erstellen können.

3. Nach Offenlegung der Daten aus dem Pilotprojekt ist eine Änderung der Vergabeunterlagen nicht erforderlich.

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer Niedersachsen beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung vom 2. März 2023 (VgK-02-2023) wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin und der Antragstellerin werden - unter Berücksichtigung der teilweisen Erledigung des Nachprüfungsverfahrens in der Beschwerdeinstanz - der Antragstellerin zu 2/3 und der Antragsgegnerin zu 1/3 auferlegt.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 4.273.290 € festgesetzt.

Gründe

A.

Die Antragsgegnerin schrieb im Oktober 2022 im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb nach der SektVO Bedarfsverkehrsleistungen im sog. On-Demand-Verkehr mit in 12 Kommunen der Region H. vorzuhaltenden insgesamt 100 Fahrzeugen aus. Die Laufzeit war vom 1. Mai 2023 bis zum 31. Dezember 2024 mit einer Verlängerungsoption für die Antragsgegnerin um dreimal ein Jahr vorgesehen. Vorausgegangen war ein Pilotbetrieb in drei der zwölf Kommunen, den die Beigeladene durchgeführt hatte. Nach den Vergabeunterlagen steht es - abgesehen vom ersten Monat nach Projektstart - im Ermessen des Auftragnehmers, festzulegen, dass einzelne oder mehrere Fahrzeuge zwar vorgehalten. aber nicht mit Fahrpersonal versehen werden, solange eine den Anforderungen entsprechende Leistung sichergestellt ist. U. a. müssen nach den Unterlagen des Teilnahmewettbewerbs 95 % aller Fahrtwünsche der Kunden angenommen werden. Bei den Zuschlagskriterien ist mit einer überwiegenden Gewichtung der Preis angegeben. Der Preis soll auf der Grundlage von den Bietern anzubietender Monatspauschalen je vorgehaltenem Fahrzeug bestimmt werden.

Die Antragstellerin und die Beigeladene reichten Teilnahmeanträge ein. Die Antragstellerin rügte, dass die Vergabeunterlagen keine Angaben enthielten, um den tatsächlichen Einsatz der Fahrzeuge verlässlich zu kalkulieren. Es fehle ein Mengengerüst mit Angaben zur Anzahl der zu leisten Einsatzstunden. Wegen des hohen Personalkostenanteils bestehe, je nachdem welche Einsatzquote ein Bieter zugrunde lege, die Gefahr, dass entweder überteuerte Angebot oder Unterkostenangebote eingereicht würden. Es seien daher keine vergleichbaren Angebote zu erwarten. Ferner sei es für den Auftraggeber unmöglich, ein etwaiges ungewöhnlich niedriges Angebot nach Maßgabe von § 54 SektVO zu prüfen. Nachdem die Antragsgegnerin der Rüge nicht abhalf, hat die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag eingereicht.

Die Antragstellerin hat beantragt,

1. der Antragsgegnerin aufzugeben, die Vergabeunterlagen unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu ändern, um einen wirksamen Wettbewerb und vergleichbare Angebote zu schaffen, etwa durch Verpflichtung zur Vorgabe eines Mengengerüsts oder Änderung der anzubietenden Vergütungsstruktur,

2. die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin für notwendig zu erklären.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

1. den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen,

2. die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin für notwendig zu erklären.

Die Antragsgegnerin hat die Ansicht vertreten, der Nachprüfungsantrag sei bereits unzulässig. Die Antragstellerin habe ihre Rügeobliegenheit insbesondere nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB verletzt. Sie habe es unterlassen, die vermeintliche Unzulänglichkeit der Vergabeunterlagen bereits vor Ablauf der Bewerbungsfrist zu rügen. Der Nachprüfungsantrag sei auch unbegründet. Es liege kein Verstoß gegen das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Beschreibung der Leistung vor. Es sei nicht erforderlich, dass die tatsächlich zu erbringenden Leistungen im Voraus vollständig feststünden oder ohne Kalkulations- oder Prognoserisiko abgeschätzt werden könnten. Das Vergütungsschema lasse zwar ein bestimmtes Nachfragerisiko beim Auftragnehmer. Dem könne der Unternehmer aber begegnen, indem er die Nachfrage unter Rückgriff auf eine Vielzahl öffentlich zugänglicher oder in den Vergabeunterlagen beschriebener soziodemographischer Daten prognostiziere. Die Antragstellerin sei als marktführendes Unternehmen mit langjähriger Erfahrung wesentlich besser als die Antragsgegnerin in der Lage, Nachfrageprognosen zu erstellen. Die verbliebenden Unsicherheiten bei den Leistungsmengen seien für die Bieter vertretbar, da sie mit Risikoaufschlägen kompensiert werden könnten.

Die Vergabekammer hat dem Nachprüfungsantrag - unter Zurückweisung des weitergehenden Antrags - teilweise dahin stattgegeben, dass sie die Antragsgegnerin verpflichtet hat, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht vor Beginn der finalen Verhandlungsrunde weitere Betriebsdaten der Pilotkommunen bereitzustellen und dabei die Rechtsauffassung der Vergabekammer zu beachten. Eine Verpflichtung zur Mitteilung verlässlicher Mengenangaben hat die Vergabekammer verneint. Zur Begründung hat sie ausgeführt: Die Antragstellerin sei mit ihrem Vortrag zwar nicht präkludiert. Der Nachprüfungsantrag sei jedoch überwiegend unbegründet. Die Antragstellerin sei durch die Entscheidung des Auftraggebers, keine verlässlichen Mengenangaben vorzugeben, nicht in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt. Die Antragsgegnerin sei lediglich verpflichtet, allen Bietern die Betriebsdaten aus dem in den drei Kommunen durchgeführten Pilotprojekt zur Verfügung zu stellen. Anhand dieser Betriebsdaten, der Vergabeunterlagen sowie ihrer Kenntnisse und Mittel als erfahrenes Unternehmen sei der Antragstellerin zumutbar, eine Kalkulation der Monatspauschalen für die jeweiligen Teilgebiete zu erstellen. Das Zuschlagskriterium "Preis" in seiner konkreten Ausgestaltung gewährleiste einen wirksamen Wettbewerb. Eine Prüfung nach § 54 SektVO im Hinblick auf ungewöhnlich niedrige Angebote sei anhand der abgefragten Monatspauschalen möglich.

Gegen diese Entscheidung haben sowohl die Antragstellerin als auch die Antragsgegnerin sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie jeweils ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft haben. Die Antragsgegnerin hat im Anschluss an die Entscheidung der Vergabekammer mit einer Bewerberinformation umfangreiche Daten zu jeder einzelnen Buchung im Pilotprojekt bekanntgegeben. Davon nicht erfasst sind im Hinblick auf mögliche Betriebsgeheimnisse der Beigeladenen bestimmte Daten über die genaue Anzahl der in jeder der drei Pilotkommunen jeweils zum Einsatz gekommenen Fahrzeuge, der monatlichen Einsatzstunden pro Fahrzeug und deren Verteilung. In der mündlichen Verhandlung im Beschwerdeverfahren haben die Antragstellerin und die Antragsgegnerin den Nachprüfungsantrag in der Hauptsache für erledigt erklärt, soweit es um die Herausgabe der Betriebsdaten aus dem Pilotprojekt geht.

Die Antragstellerin beantragt,

1. den Beschluss der Vergabekammer vom 2. März 2023 aufzuheben, soweit der Nachprüfungsantrag zurückgewiesen worden ist,

2. die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Vergabeunterlagen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu ändern, um einen wirksamen Wettbewerb und vergleichbare Angebote zu schaffen, etwa durch Verpflichtung zur Vorgabe eines Mengengerüstes oder Änderung der anzubietenden Vergütungsstruktur,

3. die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

B.

I.

Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin ist gegenstandslos, nachdem die Antragstellerin und die Antragsgegnerin den Nachprüfungsantrag in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, soweit die Vergabekammer die Antragsgegnerin verpflichtet hat, die Betriebsdaten aus dem Pilotprojekt bereitzustellen.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag, soweit er über die Verpflichtung zur Bereitstellung der Betriebsdaten hinausgeht und insbesondere auf die Vorgabe eines Mengengerüsts gerichtet ist, mit weitgehend zutreffenden Erwägungen zu Recht zurückgewiesen.

1. Allerdings ist die Antragstellerin, wie die Vergabekammer zutreffend angenommen hat, mit ihrem Vorbringen, dass die Vergabeunterlagen keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Kalkulation der Angebotspreise für die Verkehrsleistung enthielten, weil die Kosten maßgeblich von den zu leistenden Einsatzstunden pro Fahrzeug und deren Verteilung abhingen, nicht präkludiert.

a) Gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB ist der Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit Verstöße gegen Vergabevorschriften, die erst in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, nicht spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Bewerbung oder zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden. Die von der Antragstellerin mit den Schreiben vom 5. und 25. Januar 2023 - nach Ablauf der Bewerbungsfrist am 21. November 2022, aber vor Ablauf der Angebotsfrist am 27. Januar 2023 - erhobene Rüge war nicht nach dieser Vorschrift verspätet, weil der behauptete Verstoß bis zum Ablauf der Bewerbungsfrist nicht erkennbar war.

Prüfungsmaßstab für die Erkennbarkeit eines Verstoßes gegen das Vergaberecht ist die Erkenntnismöglichkeit eines durchschnittlichen Antragstellers. Erkennbar sind somit Vergaberechtsverstöße, die von einem Durchschnittsbieter bei üblicher Sorgfalt und den üblichen Kenntnissen erkannt werden (OLG Celle, Beschluss vom 27. Februar 2020 - 13 Verg 5/19 -, juris Rn. 54).

Die der Antragstellerin bis zum Ablauf der Bewerbungsfrist vorliegenden Vergabeunterlagen - insbesondere eine Leistungsbeschreibung mit Angaben u. a. zum Bedienungsgebiet und zu den Bedienungszeiten sowie der sog. ODM-Vertrag mit Stand vom 11. November 2022, welcher in § 15 eine Berechnung der Vergütung durch Monatspauschalen pro vorgehaltenem Fahrzeug vorsieht - reichten für eine Erkennbarkeit des Verstoßes nicht aus. Zwar trifft es zu, dass diese Unterlagen die nach dem Standpunkt der Antragstellerin für eine verlässliche Preiskalkulation erforderlichen Angaben zu den Einsatzstunden pro Fahrzeug und deren Verteilung (Nachtarbeit, Sonntagsarbeit etc.) nicht enthielten, was für die Bieter auch erkennbar war, sofern sie sich bereits in diesem Verfahrensstadium mit den Vergütungsbestimmungen befassten. Die Antragstellerin musste aber nicht davon ausgehen, dass sie diesbezüglich nach einer Aufforderung zur Abgabe eines Angebots keine weitergehenden Informationen erhalten würde. Nach § 15 des in der Bewerbungsphase mitgeteilten Vertragsentwurfs sollte sich die monatliche Vergütung aus der Anzahl der in einem Monat vorgehaltenen Fahrzeuge multipliziert mit der Monatspauschale "lt. Kalkulationsblatt" bestimmen. Die Bieter sollten weitere Unterlagen zur Angebotserstellung, darunter "Kalkulationsblätter" erhalten (Ziffer 20 bzw. Ziffer 21 der Leistungsbeschreibung). Die Kalkulationsblätter lagen in der Bewerbungsphase nicht vor. Ob in ihnen oder in weiteren (geänderten) Vergabeunterlagen nähere kalkulationsrelevante Informationen zur Verfügung gestellt werden würden, war offen. Bevor aber nicht feststand, welche Angaben den Bietern in der Verhandlungsphase zur Verfügung stehen würden, brauchte die Antragstellerin nicht zu rügen.

Dies gilt umso mehr, als es aus Sicht der interessierten Unternehmen zunächst nur um die grundsätzliche Entscheidung ging, sich an dem Teilnahmewettbewerb zu beteiligen oder nicht. Zu diesem Zeitpunkt benötigen die Unternehmen den Teil der Vergabeunterlagen, die für die konkrete Angebotserstellung erforderlich sind, regelmäßig noch nicht (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. März 2018 - VII Verg 54/17 -, Rn. Juris 18.; Summa in: Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, § 160 GWB, Rn. 326). Hier hatte die Antragsgegnerin auf die Mitteilung eines Bewerbers in der Bewerbungsphase, dass die im Verzeichnis genannten für die Berechnung eines Angebots bedeutsamen Anlagen (u. a. der ODM-Vertrag) fehlten, geantwortet, dass für die Bewertung, ob eine Teilnahme lohne, die Bekanntmachung und der Entwurf der Leistungsbeschreibung vollkommen ausreiche. Auch dies sprach aus Sicht der Bieter dafür, dass sie sich in der Bewerbungsphase noch nicht mit der Kalkulation eines Angebots befassen mussten.

b) Erst recht kann eine positive Kenntnis der Antragstellerin im Sinn des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB nicht festgestellt werden.

2. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat aber in der Sache keinen Erfolg.

a) Nachdem die Antragsgegnerin die Daten aus dem Pilotprojekt ganz weitgehend offengelegt hat, ist sie nicht im Hinblick auf das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung gehalten, die Vergabeunterlagen zu ändern, um den Bietern eine verlässliche Kalkulation der anzubietenden Monatspauschalen je vorzuhaltendem Fahrzeug - etwa durch Verpflichtung zur Vorgabe eines Mengengerüstes - zu ermöglichen, oder die Vergütungsstruktur zu ändern.

aa) Die Vergabekammer hat ausgeführt: Der Antragstellerin sei die Ermittlung der (noch fehlenden) für die Kalkulation des Pauschalpreises relevanten Daten zumutbar. Die in den Pilotkommunen gewonnenen Betriebsdaten ermöglichten allen Bietern, eine eigene Prognose über das Auftragsvolumen über die gesamte Vertragslaufzeit zu erstellen. Den Daten aus den Pilotkommunen lasse sich eine Entwicklung des Nutzungsverhaltens entnehmen, die auch im Hinblick auf etwaige Risikoaufschläge berücksichtigt werden könne. Die Antragstellerin werbe in ihrem im Internet abrufbaren "Whitepaper" damit, innerhalb von ein bis zwei Wochen eine Nachfrageprognose erstellen zu können, die auf Daten anderer bereits laufender oder durchgeführter On-Demand-Verkehre beruhe, standortindividuell sei und sogar Rückschlüsse auf die stündliche Nachfrage zulasse. Die Antragstellerin sei demzufolge ein erfahrenes Unternehmen, das sich selber in der Lage sehe, anhand von öffentlich zugänglichen soziodemografischen Daten der Bediengebiete sowie bereits laufender oder durchgeführter On-Demand-Verkehrs eine Nachfrageprognose zu erstellen. Umso mehr sollte dies bei Verwendung der Betriebsdaten der Pilotkommunen möglich sein. Hinzu komme, dass neben der vorgegebenen Anzahl von betriebsbereit vorzuhaltenden Fahrzeugen in der Leistungsbeschreibung die zu berücksichtigenden Parameter (Bediengebiet, ODV-Haltepunkte, Bedienungszeiten, Bedienungsqualitäten, Anforderungen an das IT-System und die Telefonzentrale, Merkmale der Fahrzeuge, weitere Aufgaben des Auftragnehmers) transparent mitgeteilt worden seien. Im Gegensatz zu den Bietern verfüge die Antragsgegnerin nicht über die Marktkenntnis und das Know-how, eine Nachfrageprognose zu erstellen. Zudem erhalte der Vertrag Regelungen, die das Kalkulationsrisiko der Antragstellerin minimierten.

bb) Hiergegen wendet sich die Antragstellerin im Ergebnis ohne Erfolg. Das Gebot einer eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung gemäß § 121 GWB, § 28 Abs. 2 Nr. 1 SektVO ist durch die Vergabeunterlagen nicht verletzt.

Grundsätzlich ist der Auftragsgegenstand nach § 121 GWB in der Leistungsbeschreibung so eindeutig und erschöpfend wie möglich zu beschreiben, sodass die Beschreibung für alle Unternehmen im gleichen Sinne verständlich ist und die Angebote miteinander verglichen werden können. Dieses Gebot gilt allerdings nicht uneingeschränkt. Es endet an der Grenze des Mach- und Zumutbaren und bestimmt sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der öffentliche Auftraggeber hat diejenigen Daten bekannt zu geben, über die er liquide verfügt oder die er sich - gemessen an den Grundsätzen der Zumutbarkeit - mit der Ausschreibung adäquaten Mitteln, in der für das Vergabeverfahren zur Verfügung stehenden vergleichsweise kurzen Zeit und mit den dafür in der Regel nur begrenzt verfügbaren administrativen Ressourcen beschaffen kann. Besonders wenn die ausgeschriebene Leistung mengenmäßigen Unwägbarkeiten unterliegt, ist der Auftragnehmer gehalten, möglichst umfassend alle die Preisermittlung beeinflussenden Umstände sowie die die zur Quantifizierung geeigneten Parameter in der Leistungsbeschreibung offen zu legen (vgl. Kadenbach in Reidt/Stickler/Glahs, § 121 Rn. 21). Jedoch ist der Auftraggeber regelmäßig nicht gehalten, zusätzlich zu den ihm vorliegenden Erkenntnissen aufwendig neue Daten zu erheben, um die Grundlagen für die Kalkulation für die Bieter zu optimieren. Die Beschaffung notwendiger Informationen über preisbeeinflussende Umstände darf den Bietern insbesondere dann überlassen werden, wenn sie sich diese Informationen mit geringerem Aufwand als der Auftraggeber beschaffen können und die Vergleichbarkeit der Angebote nicht gefährdet ist (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 19. März 2019 - 13 Verg 7/18 -, juris Rn. 45 f.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. April 2013 - VII - Verg 50/12, juris Rn. 17). Aus § 28 Abs. 2 Nr. 1 SektVO folgt insoweit nichts Anderes.

Im Streitfall ist der Auftragsgegenstand eindeutig beschrieben. Der Auftragnehmer soll nach den Vergabeunterlagen verpflichtet werden, die in der Leistungsbeschreibung dargestellten Leistungen zu erbringen (§ 4 des ODM-Vertrags). Dafür soll er die in § 15 des ODM-Vertrags geregelte Pauschalvergütung erhalten. Ausgeschrieben ist eine "Komplettvergabe", die insbesondere die Bereitstellung der 100 Fahrzeuge, des Personals, eines IT-Systems sowie die Durchführung des Betriebs für den im Leistungsverzeichnis näher bezeichneten On-Demand-Verkehr umfasst. Es müssen nach den den Bietern im Bewerbungsverfahren zur Verfügung gestellten Unterlagen 95 % aller von den Kunden getätigten Fahrtwünsche angenommen und durchgeführt werden (Ziff. 2.6 der Leistungsbeschreibung). Dabei muss der Auftragnehmer bestimmte Qualitätskriterien erfüllen. Soweit es im Ermessen des Auftragnehmers stehen soll, einzelne oder mehrere Fahrzeuge nicht mit Fahrpersonal zu versehen, wenn trotzdem eine den Anforderungen der Leistungsbeschreibung und des ODM-Vertrags entsprechende Leistung sichergestellt ist, betreffen die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten nur den von den Bietern zu schätzenden Aufwand für die ausgeschriebene Leistung. Die Leistung als solche steht fest. Aus der Eindeutigkeit der Beschreibung der Leistung ergibt sich zugleich, dass die Leistung hinreichend erschöpfend beschrieben ist (vgl. Friton/Prieß, in: Röwekamp u. a., GWB, § 121 Rn. 18). Es kann offenbleiben, ob bereits aus diesen Gründen ein Verstoß gegen §§ 121 GWB, 28 Abs. 2 Nr. 1 SektVO nicht gegeben ist. Die Annahme eines Verstoßes scheidet jedenfalls wegen folgender Umstände des Falles aus:

Es ist - wie der Senat nach pflichtgemäßem Ermessen ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens entscheiden kann (vgl. Ohlerich in: Röwekamp u. a., GWB, § 163 Rn. 33; Wiese in: Röwekamp u.a. § 175 Rn. 19 (keine Bindung an Beweisanträge)) - davon auszugehen, dass sachkundige Bieter auf der Grundlage von Daten anderer On-Demand-Verkehre und unter Berücksichtigung weiterer Faktoren eine Prognose der zu erwartenden Nachfrage erstellen können. Dafür spricht, dass die Antragstellerin selbst damit wirbt, standortindividuelle Nachfrageprognosen auf der Basis bereits laufender On-Demand-Verkehre und unter Berücksichtigung weiterer Faktoren zu erstellen, wobei sogar Rückschlüsse auf die im Betrieb zu erwartende stündliche Nachfrage gezogen werden sollen. Soweit die Antragstellerin geltend macht, dass sich diese Werbung nur auf eine erstmalige, zeitlich begrenzte Einsatzprognose zu Beginn eines On-Demand-Verkehrs beziehe, liegt es auf der Hand, dass eine solche Nachfrageprognose mit Unsicherheiten behaftet ist und dass die Unsicherheit tendenziell zunimmt, je weiter die Prognose in die Zukunft reicht. Dass sich die Rahmenbedingungen in einer Kommune im Verlauf von (bis zu) 4,5 Jahren so grundlegend ändern, dass eine für die Anfangszeit des On-Demand-Betriebs stundengenau mögliche Prognose für die Gesamtlaufzeit überhaupt nicht mehr aussagekräftig sein soll, überzeugt aber nicht. Dagegen spricht auch die Erklärung der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer, dass sie sich auf der Grundlage der Vergabeunterlagen unter Berücksichtigung der im Pilotbetrieb gesammelten Erfahrungen in der Lage sehe, ein Angebot für die Ausschreibung zu erstellen. Es kommt hinzu, dass den Bietern die Daten aus den in drei Kommunen über eineinhalb Jahre durchgeführten Pilotbetrieb zur Verfügung stehen. Es steht den Bietern im Übrigen frei, wegen der verbleibenden Risiken einen entsprechenden Sicherheitszuschlag einzukalkulieren. Jedenfalls unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist es nicht unverhältnismäßig, den Bietern die Kalkulation des für die Leistungserbringung erforderlichen Personalbedarfs zu überlassen.

Entgegen der von der Antragstellerin vertretenen Ansicht lässt sich eine Unzumutbarkeit der Kalkulation auch nicht damit begründen, dass es sich bei dem ausgeschriebenen Vertrag bei genauer Betrachtung um eine "verkappte Dienstleistungskonzession" handele.

Die Antragstellerin kann auch nichts zu ihren Gunsten aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 17. Juni 2021 - C-23/20 herleiten, wonach bei Rahmenvereinbarungen in der Bekanntmachung sowohl die Schätzmenge und/oder der Schätzwert als auch eine Höchstmenge und/oder ein Höchstwert der zu liefernden Waren anzugeben sind. Anders als in dem vom EuGH entschiedenen Verfahren fehlt es hier schon an einer Rahmenvereinbarung. Die Antragsgegnerin will die Leistungen im On-Demand-Verkehr in vollem Umfang mit einer "Komplettvergabe" beschaffen (vgl. Auftragsbekanntmachung) und nicht auf der Grundlage eines Rahmenvertrags zukünftig weitere Verträge abschließen. Die ausgeschriebene Leistung ist in der Weise angegeben, dass eine bestimmte Anzahl von Fahrzeugen (100 Fahrzeuge in der Projektphase 3) in den jeweiligen Gemeindegebieten zu den im Leistungsverzeichnis genannten Zeiten betriebsbereit vorgehalten werden müssen. Aus den obengenannten Gründen ist es für den Auftragnehmer zumutbar, die Schätzung, wieviel Personal er dafür benötigt, im Rahmen der Angebotsabgabe vorzunehmen. Deshalb ist die Rechtsprechung zum Rahmenvertrag entgegen der von der Antragstellerin vertretenen Meinung hier auch nicht entsprechend anwendbar.

b) Die Antragstellerin meint ferner, dass das Zuschlagskriterium Preis in der Ausgestaltung als Pauschalvergütung je Fahrzeug gegen das Gebot der § 127 GWB i.V.m. § 52 SektVO verstoße, den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen. Nach den Vergabeunterlagen sei es den Bietern überlassen, den Umfang des erforderlichen Fahrpersonals zu prognostizieren und über dessen Einsatz zu entscheiden. Dies finde im Zuschlagskriterium "Preis" keine Berücksichtigung. Die geforderte Pauschale pro Fahrzeug und Monat verbräme, dass die Pauschale nicht mit einer festen Spanne an Betriebsstunden hinterlegt sei. Es sei deshalb nicht ersichtlich, welcher Bieter die Leistung zum günstigeren Preis anbiete. Die Preise seien damit nicht vergleichbar.

Dem folgt der Senat nicht. Die Antragstellerin verkennt den Gegenstand der ausgeschriebenen Leistung. Wie bereits ausgeführt wurde, soll nach den Vergabeunterlagen der Auftragnehmer verpflichtet werden, die in der Leistungsbeschreibung dargestellten Leistungen zu erbringen. Dafür soll er die in § 15 des ODM-Vertrags geregelte Pauschalvergütung erhalten. Die Leistung ist in den Vergabeunterlagen eindeutig bestimmt (siehe oben B. II. 2.a) bb)). Die angebotenen Preise für die Leistung sind somit vergleichbar.

c) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin führt die Gestaltung der Vergabeunterlagen auch nicht dazu, dass eine Aufklärung ungewöhnlich niedriger Angebote gemäß § 54 SektVO unmöglich ist. Für die Frage, ob der Preis eines Angebots ungewöhnlich niedrig erscheint, kann der Auftraggeber auf den Preisabstand des Angebots zu den anderen Angeboten und/oder auf seine Auftragswertschätzung zurückgreifen. Die dann ggf. gebotene Aufklärung ist nicht, wie die Antragstellerin meint, unmöglich, weil die Antragsgegnerin nicht über die Kompetenz für die Erstellung einer verlässlichen Nachfrageprognose verfügt. Im Falle einer Aufklärung käme es zunächst darauf an, ob der Bieter unter Offenlegung seiner Kalkulation nachvollziehbar erklären kann, dass er aufgrund sachbezogener oder wettbewerbsorientierter Gründe besonders preisgünstig anbieten kann. Hierbei kann der Auftraggeber auch Hilfe sachkundiger Dritter in Anspruch nehmen.

III.

Da die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde keinen Erfolg hat, sind ihr gemäß §§ 175 Abs. 2, 71 Satz 2 GWB die durch ihre Beschwerde entstanden Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der Kosten der Antragsgegnerin aufzuerlegen. Die Beschwerde der Antragstellerin betrifft den überwiegenden Teil des Verfahrensgegenstands.

Nachdem der Nachprüfungsantrag, soweit er die Herausgabe der Betriebsdaten aus dem Pilotprojekt betrifft, durch die übereinstimmende Erledigungserklärung in der Hauptsache erledigt ist, ist über die Kostenverteilung insoweit nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden, § 182 Abs. 4 Satz 3 GWB. Dies führt dazu, der Antragsgegnerin insoweit die durch ihre Beschwerde entstandenen Kosten aufzuerlegen. Der Senat bemisst den Teil des Verfahrensgegenstands, der die Herausgabe der Betriebsdaten aus dem Pilotprojekt betrifft, im Anschluss an die Ausführungen der Vergabekammer mit einem Drittel. Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand wäre die Antragsgegnerin insoweit unterlegen. Die Vergabekammer hat mit Recht angenommen, dass die Auftraggeberin bei fortbestehender Beschaffungsabsicht verpflichtet war, den Bietern in der Verhandlungsphase weitere Betriebsdaten der Pilotkommunen zur Verfügung zu stellen, um das Gebot einer eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung gemäß § 121 GWB, 28 Abs. 2 Nr. 1 SektVO zu erfüllen. Wie oben ausgeführt, hat der öffentliche Auftraggeber diejenigen Daten bekannt zu geben, über die er liquide verfügt oder die er sich - gemessen an den Grundsätzen der Zumutbarkeit - mit der Ausschreibung adäquaten Mitteln beschaffen kann. Diese Voraussetzungen waren hinsichtlich der Daten aus dem Pilotprojekt grundsätzlich erfüllt. Die Antragsgegnerin hat die Daten inzwischen auch weitgehend vollständig herausgegeben. Soweit sie einige wenige Daten mit Blick auf etwaige Betriebsgeheimnisse der Beigeladenen zurückbehalten hat, sind diese offenbar für die Kalkulation der Bieter nicht wesentlich, was sich auch daraus ergibt, dass die Antragstellerin den Nachprüfungsantrag, soweit er die Herausgabe der Daten aus dem Pilotprojekt betrifft, für erledigt erklärt hat.

Die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts ist im Beschwerdeverfahren - ohnehin ein Anwaltsprozess - nicht gesondert auszusprechen.

Der Gegenstandswert im Beschwerdeverfahren beträgt gemäß § 50 Abs. 2 GKG fünf Prozent der Bruttoauftragssumme. Bei Dienstleistungsaufträgen ist die Auftragssumme regelmäßig nach der gesamten Vertragslaufzeit zu bestimmen. Die Ungewissheit darüber, ob der Auftraggeber das Optionsrecht ausüben wird, ist mit einem angemessenen Abschlag vom vollen Auftragswert zu berücksichtigen, der rechnerisch während der optionalen Vertragslaufzeit erzielt werden könnte. Dieser Abschlag ist im Regelfall auf 50 % zu veranschlagen (BGH, Beschluss vom 18. März 2014 - X ZB 12/13 -, Rn. 13, juris). Bei Anwendung dieser Grundsätze beträgt die Bruttoauftragssumme 85.465.800 €, wie die Vergabekammer zutreffend ausgeführt hat. Fünf Prozent davon sind 4.273.290 €.

Die Beigeladene hat im Beschwerdeverfahren weder Sachanträge gestellt noch durch substantielles Vorbringen Einfluss genommen. Sie ist deshalb bei der Entscheidung über die Kostenverteilung nicht zu berücksichtigen (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Oktober 2014 - 13 Verg 8/14, juris Rn. 59).