Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 16.05.2023, Az.: 24 U 323/22

Zurückweisung des Antrags auf Aussetzung des Verfahrens; Hersteller i.S. des Art. 3 Nr. 27 der Richtlinie 2007/46/EG

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
16.05.2023
Aktenzeichen
24 U 323/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 33070
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hildesheim - 01.07.2022 - AZ: 5 O 84/22

In dem Rechtsstreit
... - pp. - ...
hat der 24. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. ..., die Richterin am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht Dr. ... am 16. Mai 2023 beschlossen:

Tenor:

  1. I.

    Der Antrag der Klägerin auf Aussetzung des Verfahrens wird zurückgewiesen.

  2. II.

    Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim vom 1. Juli 2022 wird zurückgewiesen.

  3. III.

    Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

  4. IV.

    Dieser Beschluss ist ebenso wie das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte als Motorenherstellerin wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem von ihr erworbenen Pkw Audi Q3 2,0 l TDI, der mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor vom Typ EA 288 der Emissionsschutznorm Euro 6 mit NSK-Katalysator ausgestattet ist, auf Schadensersatz in Anspruch.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens ihr Klagebegehren weiter. Wegen ihres Berufungsvorbringens wird auf die Berufungsbegründung vom 21. Oktober 2022 (Bl. 196-227 Bd. II d. A.) Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

wie folgt für Recht zu erkennen:

  1. 1.

    Unter Aufhebung des am 1. Juli 2022 verkündeten Urteils des Landgerichts Hildesheim (Az. 1. Instanz: 5 O 84/22) wird die Beklagte und Berufungsbeklagte verurteilt, Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs der Marke Audi mit der Fahrgestellnummer XXXXX an die Klägerin und Berufungsklägerin den Kaufpreis in Höhe von 18.559 € abzüglich eines Nutzungsentschädigungsbetrages in Höhe von 3.686,75 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 14.872,25 € seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

  2. 2.

    Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte und Berufungsbeklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs gemäß vorstehender Ziffer 1. in Annahmeverzug befindet.

  3. 3.

    Die Beklagte und Berufungsbeklagte wird verurteilt, die Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von 607,50 € zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Wegen ihres Vorbringens im Berufungsverfahren wird auf die Berufungserwiderung vom 14. Dezember 2022 (Bl. 235-275 Bd. II d. A.) Bezug genommen.

Der Senat hat mit Beschluss vom 27. Februar 2023 (Bl. 305-314 Bd. II d. A.) darauf hingewiesen, die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zu beabsichtigen. Die Klägerin ist dem mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 11. Mai 2023 (Bl. 339-342 Bd. II d. A.) entgegengetreten, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird. Sie beantragt die Aussetzung des Verfahrens bis zum 26. Juni 2023 im Hinblick auf das Verfahren des Bundesgerichtshofs zum Az. VIa ZR 335/21.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist offensichtlich unbegründet und unterliegt daher der Zurückweisung durch einstimmig gefassten Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO. Zur Begründung nimmt der Senat auf die Ausführungen im Hinweisbeschluss vom 27. Februar 2023 Bezug, dessen Gründe durch die Stellungnahme der Klägerin nicht entkräftet werden. Ihr Antrag auf Aussetzung des Verfahrens ist zurückzuweisen.

1. Die weiteren Ausführungen der Klägerin ändern nichts daran, dass weder ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB noch ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB wegen eines Verstoßes gegen die einschlägigen Vorschriften des Unionsrechts besteht. Dabei kann, wie im Hinweisbeschluss unter 2. a) im Einzelnen ausgeführt, dahingestellt bleiben, ob diesen Vorschriften drittschützende Wirkung zugunsten des Erwerbers eines Fahrzeugs zukommt (vgl. nunmehr EuGH, Urteil vom 21. März 2023 - C-100/21, juris). Unabhängig davon hat die Beklagte bereits nicht gegen die genannten Vorschriften verstoßen, weil sie nicht die Herstellerin des Fahrzeugs ist. Denn das Verbot der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen aus Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG richtet sich unmittelbar nur an den Hersteller des jeweiligen Fahrzeugs, nicht aber an die Hersteller einzelner Fahrzeugkomponenten wie insbesondere des Motors. Auch auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Verfahren VIa ZR 335/21, in dem Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 26. Juni 2023 bestimmt worden ist, kommt es daher nicht an. Mangels Vorgreiflichkeit kommt eine Aussetzung des Verfahrens in unmittelbarer oder analoger Anwendung von § 148 ZPO mithin nicht in Betracht.

Soweit die Klägerin meint, der im Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 21. März 2023 (aaO) angenommene Schutz der einschlägigen Vorschriften des Unionsrechts gewähre ihr einen Anspruch gegen die Beklagte als Motorenherstellerin, kann dem aus den im Hinweisbeschluss ausgeführten Gründen nicht gefolgt werden. Das Urteil vom 21. März 2023 stützt die Argumentation der Klägerin nicht, sondern begründet die drittschützende Wirkung zugunsten der Erwerber von Kraftfahrzeugen mit den Bestimmungen der Rahmenrichtlinie, die "eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Automobilhersteller und dem individuellen Käufer eines Kraftfahrzeugs herstellt" (aaO Rn. 82). Für die Annahme der Klägerin, die drittschützende Wirkung begründe Rechte der Erwerber nicht nur gegenüber dem Fahrzeughersteller, sondern auch gegenüber dem Hersteller des Motors, ergeben sich Anhaltspunkte weder aus dem Urteil des Gerichtshofs vom 21. März 2023 noch aus den darin in Bezug genommenen Vorschriften des Unionsrechts.

Maßgeblich ist, wer Aussteller der Übereinstimmungsbescheinigung ist. Denn sie ist es letztlich, die eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Automobilhersteller und dem individuellen Käufer eines Kraftfahrzeugs herstellt, mit der diesem gewährleistet werden soll, dass das Fahrzeug mit den maßgeblichen Rechtsvorschriften der Union übereinstimmt. Da der Hersteller eines Fahrzeugs bei der Aushändigung der Übereinstimmungsbescheinigung an den individuellen Käufer des Fahrzeugs für die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme dieses Fahrzeugs die sich aus Art. 5 VO 715/2007/EG ergebenden Anforderungen beachten muss, ermöglicht diese Bescheinigung insbesondere, den Käufer davor zu schützen, dass der Hersteller seine Pflicht, im Einklang mit dieser Bestimmung stehende Fahrzeuge auf den Markt zu bringen, nicht einhält (vgl. EuGH aaO).

"Hersteller" in diesem Sinne ist nach Art. 3 Nr. 27 der Richtlinie 2007/46/EG die Person oder Stelle, die gegenüber der Genehmigungsbehörde für alle Belange des Typgenehmigungs- oder Autorisierungsverfahrens sowie für die Sicherstellung der Übereinstimmung der Produktion verantwortlich ist. "Übereinstimmungsbescheinigung" ist nach Art. 3 Nr. 36 der Rahmenrichtlinie das in Anhang IX der Richtlinie 2007/46/EG wiedergegebene, vom Hersteller ausgestellte Dokument, mit dem bescheinigt wird, dass ein Fahrzeug aus der Baureihe eines nach dieser Richtlinie genehmigten Typs zum Zeitpunkt seiner Herstellung allen Rechtsakten entspricht". Nach Art. 18 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie legt der "Hersteller in seiner Eigenschaft als Inhaber einer EG-Typgenehmigung für Fahrzeuge (...) jedem vollständigen, unvollständigen oder vervollständigten Fahrzeug, das in Übereinstimmung mit dem genehmigten Typ hergestellt wurde, eine Übereinstimmungsbescheinigung bei". In Anhang IX der Rahmenrichtlinie wurde der Inhalt der EG-Übereinstimmungsbescheinigung beschrieben. In Abschnitt 0 dieses Anhangs hieß es:

"Die Übereinstimmungsbescheinigung stellt eine Erklärung des Fahrzeugherstellers dar, in der er dem Fahrzeugkäufer versichert, dass das von ihm erworbene Fahrzeug zum Zeitpunkt seiner Herstellung mit den in der Gemeinschaft geltenden Rechtsvorschriften übereinstimmte. Die Übereinstimmungsbescheinigung soll es außerdem den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten ermöglichen, Fahrzeuge zuzulassen, ohne vom Antragsteller zusätzliche technische Unterlagen anfordern zu müssen."

Mit dieser Systematik der unionsrechtlichen Vorgaben ist eine Ausdehnung des Schutzbereichs über den Fahrzeughersteller hinaus auch auf den Motorenhersteller nicht zu vereinbaren. Vielmehr folgt aus ihr eindeutig, dass "Hersteller" in diesem Sinne nur der Fahrzeughersteller sein kann.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht nach § 708 Nr. 10, § 709 Satz 2, § 711 ZPO. Die Voraussetzungen, unter denen gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO die Revision zuzulassen wäre, sind nicht erfüllt.