Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 15.05.2023, Az.: 18 W 17/23

Eigentumseintragung beruhend auf der durch den notariellen Erbvertrag und den notariellen Verzichtsvertrag nachgewiesenen Unrichtigkeit

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
15.05.2023
Aktenzeichen
18 W 17/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 33069
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG Geestland - 17.01.2023 - AZ: D. Bl. VWXY-Z

Fundstelle

  • NotBZ 2024, 105-106

In der Grundbuchsache
C. H.,
Beschwerdeführerin, Beteiligte
Verfahrensbevollmächtigter:
Notar ...,
hat der 18. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch die Richterinnen am Oberlandesgericht Dr. ... und ... und den Richter am Oberlandesgericht ... am
10. Mai 2023 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Beteiligten vom 1. Februar 2023 wird die Zwischenverfügung der Rechtspflegerin des Amtsgerichts Geestland - Grundbuchamt - vom 17. Januar 2023 aufgehoben und das Amtsgericht angewiesen, unter Beachtung der Auffassung des Senates neu zu entscheiden.

Gründe

I.

Der Notar verlangt für die Beteiligte ihre Eintragung als Alleineigentümerin, nachdem die weiterhin eingetragene Eigentümerin, ihre Mutter, am 27. November 2022 verstorben ist. Sie verweist dazu neben dem Todesnachweis auf den notariellen, eröffneten Erbvertrag vom 13. Oktober 1983 der Verstorbenen und ihres zuvor verstorbenen Ehemanns, mit dem diese ihre beiden Kinder, die Beteiligte und deren Bruder D. H. als Schlusserben zu gleichen Teilen eingesetzt haben, sowie auf den notariellen Erb-, Zuwendungs- und Pflichtteilsverzichtsvertrag zwischen D. H. und seiner Mutter, der Erblasserin, vom 27. Juni 2014, mit dem dieser auf seinen gesetzlichen und gewillkürten Erbteil sowie Pflichtteil verzichtet hat.

Der Notar sieht mit Vorlage des Todesnachweises und der notariellen Urkunden den Unrichtigkeitsnachweis nach § 22 Abs. 1 GBO geführt. Die Rechtspflegerin hat mit Zwischenverfügung vom 17. Januar 2023 die Vorlage eines die Beteiligte als Alleinerbin ausweisenden Erbscheins verlangt. § 35 Abs. 1 S. 2 GBO komme nicht in Betracht, weil die Alleinerbschaft nicht allein auf der letztwilligen Verfügung beruhe, sondern auch auf dem notariellen Verzichtsvertrag.

Dagegen wendet sich der Notar für die Beteiligte mit Beschwerde vom 1. Februar 2023. Es seien auch außerhalb der Urkunde liegende Umstände zu berücksichtigen, soweit diese durch öffentliche Urkunden nachgewiesen werden. Im Erbscheinsverfahren würde auf dieser Grundlage ebenso entschieden werden. Das Grundbuchamt hat der Beschwerde mit Beschluss vom 1. März 2023 nicht abgeholfen und ergänzt, dass die Berücksichtigung von weiteren öffentlichen Urkunden nur in Betracht komme, wenn eine Nachweislücke zu füllen sei oder dies der Auslegung des Testamentes diene.

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Die Beschwerde ist nach § 71 Abs. 1 GBO i.V.m. § 11 Abs. 1 RPflG statthaft und gemäß § 73 Abs. 1, 2 GBO zulässig.

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Die Eintragung der Beteiligten als Eigentümerin kann nicht von der Vorlage eines Erbscheins abhängig gemacht werden, sondern beruht auf der durch den notariellen Erbvertrag und den notariellen Verzichtsvertrag nachgewiesenen Unrichtigkeit.

Gemäß § 19 GBO erfolgt eine Eintragung, wenn derjenige sie bewilligt, dessen Recht von ihr betroffen wird. Einer Bewilligung gemäß § 19 GBO bedarf es nur dann nicht, wenn die Unrichtigkeit des Grundbuchs nachgewiesen ist, § 22 Abs. 1 S. 1 GBO. Dabei ist die Unrichtigkeit bzw. die Richtigkeit der begehrten neuen Eintragung in der Form des § 29 GBO nachzuweisen. Zum Erbfolgenachweis ist dabei typisiert gemäß § 35 GBO ein Erbschein erforderlich, dieser jedoch entbehrlich, wenn sich die Unrichtigkeit des Grundbuchs aus einer Verfügung von Todes wegen in formgültiger öffentlicher Urkunde sowie der Niederschrift über ihre Eröffnung ergibt.

Dabei ist dem Grundbuchamt zwar darin zu folgen, dass hier die Alleinerbschaft der Beteiligten als Tochter der Verstorbenen gerade nicht allein aus dem notariellen Erbvertrag der Eheleute aus dem Jahr 1983 folgt, mit dem diese ihre beiden Kinder als Schlusserben bestimmt haben, sondern diese nur zusammen mit dem notariellen Erb-, Zuwendungs- und Pflichtteilsverzichtvertrag zwischen Mutter und Sohn von 2014 nachgewiesen wäre. Dabei ist der Verzichtsvertrag, wenn auch notwendig notariell erklärt, unmittelbar keine Verfügung von Todes wegen in formgültiger öffentlicher Urkunde.

Gleichwohl führt dies zum ausreichenden Nachweis. Dabei bedarf es keiner analogen Anwendung des § 35 Abs. 1 S. 2 GBO, indem erbfolgerelevante Urkunden, zu denen gemäß 78d Abs. 1 BNotO nicht nur Testamente und Erbverträge, sondern alle Urkunden mit Erklärungen, welche die Erbfolge beeinflussen können, insbesondere u.a. Erb- und Zuwendungsverzichtsverträge gehören, im Einzelfall einer Verfügung von Todes gleichgesetzt werden. Denn im Ergebnis folgt hier der Unrichtig- bzw. Richtigkeitsnachweis unter Beachtung des Nachweistypenzwangs des § 35 GBO zusätzlich auch aus § 22 Abs. 1 S.1 GBO. Wie bei der Erbteilsübertragung oder Abschichtung, bei der es nach obergerichtlicher Rechtssprechung (vgl. OLG München, Beschl. v. 9.4.2018 - 34 Wx 13/18, FGPrax 2018, 196 [OLG München 09.04.2018 - 34 Wx 13/18], beck-online, m.w.Nw.), der sich auch der Senat angeschlossen hat, keiner Voreintragung der in der Form des § 35 GBO nachgewiesenen Erben gemäß § 40 Abs. 1 GBO bedarf, gilt dies in ähnlicher Weise auch für den durch Verzicht abweichend vom Erbvertrag allein bei der Tochter entstehenden Erbteil. Zwar ist in den vorstehenden Fällen die gemäß § 35 GBO nachgewiesene Gesamtrechtsnachfolge bereits kraft Gesetzes gemäß § 1922 BGB eingetreten, während sich erst danach durch eine in der Form des § 29 GBO nachgewiesene Abschichtung oder Übertragung der Bestand der bereits entstandenen Erbengemeinschaft verändert. Aber auch der davor zu Lebzeiten des Erblassers getroffene Erb- bzw. Zuwendungsverzichtvertrag zwischen dem späteren Erblasser und dem Begünstigten wirkt zwar unmittelbar, entfaltet seine Wirkung aber notwendig erst mit dem Nachlassfall. In einer "juristischen Sekunde" wird die Wirkung des § 1922 BGB, d.h. die gesetzliche oder gewillkürte Gesamtrechtsnachfolge der an sich berechtigten Erben, auf die nicht durch den Verzichtsvertrag betroffenen Erben reduziert. Denn Gegenstand des Verzichts nach § 2346 BGB ist das gesetzliche Erb- bzw. Pflichtteilsrecht, das heißt die bloße Chance, mit dem Tod des (vom Verzichtenden zu überlebenden) Erblassers zu erben bzw. den schuldrechtlichen Pflichtteilsanspruch zu erwerben, nicht dagegen ein Anwartschaftsrecht oder die künftige Erbenstellung bzw. der künftige Pflichtteilsanspruch. Er ist, da er auf eine unmittelbar mit dem Erbfall eintretende Änderung der erbrechtlichen Verhältnisse gerichtet ist, ein erbrechtlicher Verfügungsvertrag. Im Gegensatz zum Erbvertrag hat er jedoch einen rein negativen Inhalt und die einzige vom Gesetz zugelassene Verfügung des Erbanwärters über seine Rechtsposition vor dem Erbfall zum Gegenstand (MüKo BGB/Wegerhoff, 9. Aufl. 2022, BGB § 2346 Rn. 2; v. Proff, NJW 2016, 539, 540, beck-online, m.w.Nw.). Dasselbe gilt für den Zuwendungsverzicht gemäß § 2352 BGB, wobei vorliegend der Sohn gegenüber seiner Mutter sowohl einen Zuwendungsverzicht als auch Erbverzicht sowie Pflichtteilsverzicht erklärt hat. Der Zuwendungsverzicht bewirkt nicht, dass die letztwillige Verfügung als solche aufgehoben wird. Entsprechend der Regelung in § 2346 Abs. 1 S. 2 verhindert der Verzicht nur den Anfall der Zuwendung (Erbeinsetzung, Vermächtnis) an den Verzichtenden, wie wenn er den Erbfall nicht erlebt hätte (MüKoBGB/Wegerhoff, 9. Aufl. 2022, BGB § 2352 Rn. 12).

Unter dieser Prämisse des an sich bestehenden gesetzlichen bzw. gewillkürten Erbrechtes, jedoch - zugleich mit dem Todesfall des Erblassers - unter Ausschluss der Verzichtserklärenden folgt hier der Unrichtigkeitsnachweis aus § 35 Abs. 1 S. 2 GBO anhand des notariellen Erbvertrages und aus § 22 Abs. 1 S.1 GBO anhand des notariellen Verzichtvertrages. Dies ist jedoch nicht zu generalisieren. Denn es sind durchaus Verzichtsverträge denkbar, bei denen die Erbenstellung bzw. der Umfang des Verzichtes nicht im Wege der Auslegung zu ermitteln ist, sondern außerhalb des Grundbuchverfahrens zu klären und ein Erbschein, anders als hier, erforderlich ist. Denkbar ist auch, dass sich der Verzicht nicht auf die Abkömmlinge des Verzichtenden erstreckt, mithin deren Erbenstellung gerade nicht in der Form des § 29 GBO bzw. anhand des Testamentes gesichert ist, sondern eines Erbscheins bedarf. Dies ist jedoch vorliegend nicht der Fall. Denn gemäß § 2349 BGB sowie i.V.m § 2352 S. 3 BGB erstreckt sich die Wirkung des Verzichts auf die Abkömmlinge des Verzichtenden, wenn ein Abkömmling oder ein Seitenverwandter des Erblassers auf das gesetzliche Erbrecht oder die testamentarische Erbeinsetzung verzichtet, sofern nicht ein anderes bestimmt wird. Dabei wird in der Verzichtserklärung aus dem Jahre 2014 die Erstreckung auf die Abkömmlinge des verzichtenden Sohnes sogar ausdrücklich bestimmt. Zusammengefasst kann mit der für das Grundbuchverfahren notwendigen zweifelsfreien Sicherheit einer Grundbuchunrichtigkeit eine Alleinerbenstellung der testamentarisch bedachten Tochter, der Beschwerdeführerin, angenommen werden.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Gerichtskosten fallen bei der erfolgreichen Beschwerde nicht an (vgl. § 22 Abs. 1 GNotKG). Die Erstattung außergerichtlicher Aufwendungen kommt nicht in Betracht, weil sich niemand in einem der Beschwerde entgegengesetzten Sinn am Beschwerdeverfahren beteiligt hat. Daher bedurfte es mangels Antrags (vgl. § 33 Abs. 1 RVG) auch nicht der Festsetzung des Geschäftswertes nach § 79 Abs. 1 GNotKG.