Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 23.02.1993, Az.: 13 Sa 1499/92

Anspruch auf Sterbegeld aus einem Manteltarifvertrag; Verpflichtung zur angemessenen Unterhaltsleistung gegenüber dem Ehepartner in einer Doppelverdienerehe; Zweck der Sterbegeldregelung ; Bemessungsgrundlage für das Sterbegeld

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
23.02.1993
Aktenzeichen
13 Sa 1499/92
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1993, 10728
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1993:0223.13SA1499.92.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Wilhelmshaven - 28.08.1992 - AZ: 1 Ca 199/92

Verfahrensgegenstand

Forderung

Amtlicher Leitsatz

Ein Anspruch auf Sterbegeld in voller Höhe von 3 Monatsgehältern besteht nach § 13 des Manteltarifvertrages für den Niedersächsischen Einzelhandel auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis auf Grund Kündigung oder Aufhebungsvertrag 6 Wochen nach dem Tode des Arbeitnehmers geendet hätte.

Die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen hat
auf die mündliche Verhandlung vom 23.02.1993
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rosenkötter und
die ehrenamtlichen Richter Schaefer und Hausfeld
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wilhelmshaven vom 28.08.1992, 1 Ca 199/92, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf 10.304,00 DM festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Im Berufungsverfahren streiten die Parteien noch über restliches Sterbegeld in Höhe von zwei Monatsgehältern, 10.304,00 DM.

2

Die Klägerin ist die Ehefrau und Alleinerbin des am 14.11.1991 verstorbenen Arbeitnehmers, der zuletzt gegen ein Bruttomonatsgehalt von 5.152,00 DM bei der Beklagten beschäftigt war. Das Arbeitsverhältnis sollte zum 31.12.1991 beendet sein, wobei die Parteien darüber streiten, ob der Arbeitnehmer selbst gekündigt hatte oder ob ein Aufhebungsvertrag geschlossen wurde. Gemäß Abrechnung Dezember 1991 hat die Beklagte ein Monatsgehalt als Versorgungsbezüge abgerechnet und bezahlt.

3

Nachdem die Klägerin mit ihrem erstinstanzlich zuletzt gestellten Antrag Zahlung von drei Monatsgehältern als Sterbegeld beantragt hatte, hat das Arbeitsgericht unter Abzug des für Dezember gezahlten Betrages die Beklagte zur Zahlung von Sterbegeld in Höhe von weiteren zwei Monatsgehältern verurteilt. Der Restanspruch, Sterbegeld in Höhe von zwei weiteren Monatsgehältern, ist Gegenstand des Berufungsverfahrens.

4

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie habe gemäß § 13 des Manteltarifvertrages für den niedersächsischen Einzelhandel Anspruch auf Sterbegeld in Höhe von insgesamt drei Monatsgehältern. Die Klägerin hat beantragt,

5

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 15.456,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

6

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Sie hat die Auffassung vertreten, maßgeblich zu berücksichtigen sei, daß das Arbeitsverhältnis zum 31.12.1991 beendet werden sollte. Da dem Verstorbenen ein Gehaltsanspruch über diesen Zeitpunkt hinaus nicht zugestanden hätte, sei auch das Sterbegeld entsprechend zu beschränken, nämlich in Höhe des Restgehalts November und des Dezembergehalts.

8

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 10.304,00 DM brutto verurteilt (Sterbegeld in Höhe von zwei weiteren Monatsgehältern). Auf Tenor und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.

9

Mit Berufung trägt die Beklagte vor, der Sterbegeldanspruch sei der Höhe nach begrenzt auf den Gehaltsanspruch bis einschließlich 31.12.1991. Im übrigen sei die Klägerin nicht unterhaltsberechtigt gewesen, damit fehle eine Anspruchsvoraussetzung des § 13 MTV. Die Klägerin betreibe eine gut gehende Versicherungsagentur, sie habe zu Lebzeiten des Arbeitnehmers sogar über ein besseres Einkommen verfügt als dieser. Außerdem habe sie nach dem Tod ihres Ehemannes aus einer Lebensversicherung einen Betrag von 59.098,00 DM erhalten, diese Lebensversicherung habe die Beklagte zugunsten des Arbeitnehmers für den Fall des Ausscheidens aus dem Unternehmen abgeschlossen. Ergänzend wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung vom 09.11.1992, Bl. f. d.A.

10

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichtes Wilhelmshaven vom 28.08.1992, Az.: 1 Ca 199/92 aufzuheben und gemäß den Schlußanträgen in der 1. Instanz die Klage abzuweisen.

11

Die Klägerin beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

12

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und trägt weiterhin vor, sie sei unterhaltsberechtigt gewesen. Die Bruttobezüge und die Nettobezüge des Verstorbenen seien wesentlich höher gewesen als ihre eigenen Bezüge. Im übrigen habe nach § 1360 BGB Unterhaltspflicht bestanden. Ergänzend wird Bezug genommen auf die Berufungserwiderung vom 22.12.1992, Bl. f. d.A.

13

Das Landesarbeitsgericht hat Auskünfte der Tarifvertragsparteien eingeholt. Bezug genommen wird auf die Auskunft der HBV vom 17.12.1992, Bl. ... und ... d.A., auf die Auskunft der DAG vom 26.11.1992, Bl. d.A., und auf die Auskunft des Einzelhandelsverbandes Niedersachsen vom 29.12.1992, Bl. ... und ... d.A.

Entscheidungsgründe

14

Die Berufung der Beklagten ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 64, 66 ArbGG, 518, 519 ZPO. Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat mit zutreffender Begründung die Beklagte zur Zahlung von Sterbegeld in Höhe von zwei weiteren Monatsgehältern verurteilt.

15

Die Klägerin hat Anspruch auf Sterbegeld in Höhe von drei Monatsgehältern gemäß § 13 des allgemeinverbindlich erklärten Manteltarifvertrages für den niedersächsischen Einzelhandel. Die Beklagte kann dem Anspruch nicht entgegenhalten, daß die Klägerin gegenüber ihrem verstorbenen Ehemann nicht unterhaltsberechtigt gewesen sei.

16

In einer Doppelverdienerehe sind grundsätzlich beide Ehepartner verpflichtet, zum gemeinsamen Familienunterhalt beizutragen. Bei verschieden hohem Einkommen haben beide Ehegatten entsprechend ihrem Einkommen finanziell zum Unterhalt der Familie beizutragen (Palandt, BGB, 51. Aufl., § 1360, Rdnr. 12). Entsprechend hat auch das BAG (EzA § 850 c ZPO, Nr. 3) angenommen, auch derjenige, der wesentlich weniger verdiene als sein Ehegatte, müsse zum Familienunterhalt beitragen. Entsprechend dem eigenen Verdienst bestehe eine Verpflichtung zur angemessenen Unterhaltsleistung gegenüber dem Ehepartner. Der Ehepartner mit wesentlich höherem Verdienst sei deshalb grundsätzlich auch als unterhaltsberechtigt im Sinne des § 850 c ZPO zu berücksichtigen.

17

Selbst wenn die Klägerin erheblich höhere Einkünfte erzielt haben sollte als ihr verstorbener Ehemann, ist festzustellen, daß er aufgrund des relativ hohen Verdienstes von 5.152,00 DM brutto zum Familienunterhalt beizutragen hatte. Ob die Klägerin auf diesen Unterhalt angewiesen war, ist nicht entscheidend. Der Verstorbene hatte aufgrund seines Gehalts und entsprechend dem von den Ehepartnern gewählten Lebenszuschnitt zum Unterhalt beizutragen. Die Klägerin war unterhaltsberechtigt.

18

Darüber hinaus sind auch die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen des § 13 MTV erfüllt. Soweit die Beklagte meint, der Sterbegeldanspruch sei der Höhe nach begrenzt auf den Zeitraum, für den dem Verstorbenen bei Fortbestand des Arbeitsverhältnisses Gehalt zugestanden hätte, kann dem nicht gefolgt werden.

19

Bei der Auslegung eines Tarifvertrages ist zurückzugreifen auf die Auslegungsregeln für Gesetze. Auszugehen ist vom Tarifwortlaut, der Wille der Tarifvertragsparteien ist zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Weiterhin abzustellen ist auf den tariflichen Gesamtzusammenhang und den Sinn und Zweck der Tarifnorm (z.B. BAG AP Nr. 128 zu § 1 TVG Auslegung; BAG vom 23.09.1992, 4 AZR 566/91).

20

Aus einer Auslegung von § 13 MTV folgt, daß vorliegend ein ungekürzter Sterbegeldanspruch besteht. Das BAG (NZA 1991, Seite 679 [BAG 16.01.1991 - 4 AZR 341/90]) hatte zu einer ähnlich ausgestalteten tariflichen Sterbegeldregelung die Frage zu entscheiden, ob ein Sterbegeldanspruch auch dann besteht, wenn der Arbeitnehmer nach längerer Erkrankung und Erschöpfung der Vergütungsfortzahlung im Krankheitsfall verstirbt. Die tarifliche Sterbegeldbestimmung besagte:

Hinterläßt der Arbeitnehmer/Auszubildende einen unterhaltsberechtigten Ehegatten ..., so ist das regelmäßige Arbeitsentgelt für den Sterbemonat und ... bis zum Ende des folgenden Monats weiterzuzahlen.

21

Das BAG hat ausgeführt, im ersten Halbsatz regele die Tarifbestimmung die Anspruchsvoraussetzung, im zweiten Halbsatz beginnend mit "so ist" sei die Rechtsfolge geregelt. Daß das Gehalt weiterzuzahlen sei, betreffe deshalb nicht die Anspruchsvoraussetzung, sondern die Rechtsfolge. Im übrigen liege der Zweck der Sterbegeldregelung darin, die Dienste eines Arbeitnehmers zu belohnen, und zwar dadurch, daß bei seinem Ableben seine Hinterbliebenen noch für eine Übergangszeit den regelmäßigen Verdienst des Verstorbenen erhalten, um sich an die veränderte Lage anzupassen.

22

Zu verweisen ist auch auf die neuere Rechtsprechung des BAG zum Problembereich Gratifikation und lang andauernder Krankheit im Bezugszeitraum. Das BAG hat in der Entscheidung EzA § 611 BGB Gratifikation, Prämie, Nr. 90, ausgeführt, daß es nicht ungeschriebene Anspruchsvoraussetzung für eine Gratifikationszahlung sei, daß der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum nicht unerheblich gearbeitet habe. Eine solche Anspruchsvoraussetzung könne nur angenommen werden, wenn sie ausdrücklich in der entsprechenden Anspruchsgrundlage genannt werde. Daraus ist als allgemeiner Grundsatz zu folgern, daß sich die Anspruchsvoraussetzungen nach der tariflichen Bestimmung richten, aus der Rechtsnatur des Anspruchs oder aus Billigkeitsgesichtspunkten können nicht ungeschriebene Anspruchsvoraussetzungen abgeleitet werden.

23

Zu verweisen ist schließlich auf die Kommentarliteratur zu § 41 BAT, der eine dem § 13 MTV vergleichbare Sterbegeldregelung vorsieht. Nach allgemeiner Auffassung ist das Sterbegeld auch dann ungekürzt zu zahlen, wenn das Arbeitsverhältnis ohne Tod vorzeitig geendet hätte (Clemens-Scheuring, BAT, § 41, Rdnr. 7; Böhm-Spiertz, BAT, § 41, Rdnr. 29; Uttlinger-Breier, BAT, § 41, Erläuterung 5).

24

§ 13 MTV enthält weder in den Anspruchsvoraussetzungen noch auf der Rechtsfolgeseite eine Einschränkung dergestalt, daß das Sterbegeld der Höhe nach zu beschränken ist auf die Gehaltsansprüche, die dem Verstorbenen bei Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zugestanden hätten. Auslegungsbedürftig ist insoweit allein die Formulierung "die ihm zustehenden Bezüge". Mit dieser Formulierung, die Teil der Rechtsfolge ist, sie ist nicht Teil der Anspruchsvoraussetzung, ist aber lediglich die Bemessungsgrundlage für das Sterbegeld festgelegt. Für eine Auslegung, daß Sterbegeld etwa in Höhe von drei Monatsgehältern nur dann zu zahlen ist, wenn auch dem Verstorbenen bei Fortbestand des Arbeitsverhältnisses in dieser Höhe Gehaltsansprüche zugestanden hätten, ergeben sich keine Anhaltspunkte. Sterbegeld ist auch dann zu zahlen, wenn der Arbeitnehmer im Sterbemonat wegen Erschöpfung des Gehaltsfortzahlungsanspruchs keinen Gehaltsanspruch hatte. Entsprechend ist auch eine Einschränkung der Höhe des Sterbegeldes auf den vorgesehenen Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nicht möglich.

25

Diese Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck der Sterbegeldregelung. Die Sterbegeldregelung kann nur als zusätzliche Leistung des Arbeitgebers die vom Arbeitnehmer in der Vergangenheit geleisteten Dienste belohnen. Entsprechend wäre es sachfremd, die weitere Entwicklung des Arbeitsverhältnisses zu berücksichtigen. Auch die weitere Zielsetzung des Sterbegeldes, Fortzahlung des regelmäßigen Verdienstes des Verstorbenen für eine Übergangszeit, um den Hinterbliebenen eine Anpassung an die veränderte Lage zu ermöglichen, ist vorliegend erfüllt. Ein solcher Bedarf besteht auch dann, wenn der Verstorbene ohnehin aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden wäre. Für den Familienunterhalt gehen in diesen Fällen Lohnersatzleistungen, Arbeitslosengeld, Krankengeld oder Renten verloren. Das Sterbegeld erfüllt damit auch in Fällen der vorliegenden Art den von den Tarifvertragsparteien gewollten Zweck. Nach der Auskunft des Einzelhandelsverbandes Niedersachsen haben die Tarifvertragsparteien beabsichtigt, wegen des unbefristeten und nicht gekündigten Arbeitsverhältnisses für eine gewisse Zeit ein Übergangsgeld zu zahlen. Die Sozialverbundenheit resultiere aus dem Umstand, daß das Arbeitsverhältnis ohne den Tod des Arbeitnehmers angedauert hätte. Für diese Auslegung des Einzelhandelsverbandes finden sich im Tarifvertrag keine Anhaltspunkte. Es ist zwar durchaus üblich, tarifliche Sonderzahlungen von dem ungekündigten Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses abhängig zu machen. Auch die Tarifvertragsparteien des niedersächsischen Einzelhandels haben im Tarifvertrag über Urlaubsgeld und Sonderzahlung, gültig ab 19.07.1989, in § 14 die Auswirkung von Kündigungen auf die tariflichen Sonderzahlungsansprüche geregelt. Wenn aber von den Tarifvertragsparteien üblicherweise bei der Festlegung von Sonderzahlungen das Problem der vorzeitigen Kündigung gesehen wird, in der vorliegenden Sterbegeldregelung eine Regelung für den Fall der Kündigung aber fehlt, spricht dies ebenfalls dafür, daß der Sterbegeldanspruch dem Grunde und der Höhe nach unabhängig davon besteht, wielange das Arbeitsverhältnis fortbestanden hätte.

26

Soweit die Beklagte darauf verweist, die Klägerin habe aus einer von der Beklagten abgeschlossenen Lebensversicherung 59.098,00 DM bezogen, ist ihr Vorbringen unerheblich. Im Gegensatz etwa zum Manteltarifvertrag Einzelhandel/NRW § 19 Ziffer 2, sieht § 13 MTV keinen Fortfall der Bezüge im Sterbefall vor, wenn der Betrieb auf andere Weise laufende oder einmalige Zuwendungen an die Hinterbliebenen gewährt. Die Auszahlung der Lebensversicherung hat deshalb auf den Sterbegeldanspruch keine Auswirkungen.

27

Da die Berufung zurückzuweisen war, trägt die Beklagte die Kosten des Berufungsverfahrens, § 97 ZPO.

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Die Revisionszulassung erfolgt gemäß § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf 10.304,00 DM festgesetzt.

Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rosenkötter und
ehrenamtlicher Richter Schaefer
ehrenamtlicher Richter Hausfeld