Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 10.12.1993, Az.: 12 Sa 1036/93 E

Eingruppierung einer Chefarztsekretärin; Heranziehung spezieller Tätigkeitsmerkmale neben den allgemeinen Fallgruppen für den Verwaltungsdienst

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
10.12.1993
Aktenzeichen
12 Sa 1036/93 E
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1993, 16821
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1993:1210.12SA1036.93E.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Oldenburg - 03.12.1992 - AZ: 5 Ca 195/92 E

Fundstelle

  • ZTR 1994, 377-378 (Volltext mit red. LS)

Amtlicher Leitsatz

Zur Eingruppierung einer Chefarztsekretärin (Heranziehung spezieller Tätigkeitsmerkmale neben den allgemeinen Fallgruppen für den Verwaltungsdienst).

In dem Rechtsstreit
hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung von 10. Dezember 1993
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ...
und die ehrenamtlichen Richter ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 03.12.1992 - 5 Ca 195/92 E - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte für die Zeit ab 1. April 1991 verpflichtet ist, der Klägerin Vergütung nach Vergütungsgruppe V c. zumindest aber nach Vergütungsgruppe VI b der Anlage 1 a zumm BAT (Vergütungsordnung VKA) zu zahlen anstelle gewährter Vergütung nach Vergütungsgruppe VII BAT.

2

Die Klägerin, eine staatlich geprüfte Sekretärin, steht seit dem 6. Juli 1978 als Angestellte in den Diensten der beklagten Stadt und arbeitet im Städtischen Krankenhaus als Sekretärin eines Chefarztes (Kinderarzt). Dieser Chefarzt ist in seiner Eigenschaft als Kinderarzt - insbesondere durch die Notfallaufnahme - in den verschiedensten ärztlichen Aufgabenbereichen, mit Ausnahme der Gynäkologie, tätig. Kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung gelten für das Arbeitsverhältnis der Parteien die Bestimmungen des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT - VKA).

3

Die Aufgaben der Klägerin gliedern sich zeitlich wie folgt auf:

1.Abrechnung55 %
2.Schreiben nach Diktat20 %
3.Allgemeine Korrespondenz2 %
4.Terminplanung/Patientenbestellung14 %
5.Patientenberatung und Auskunftserteilung6 %
6.Befundberichte übermitteln3 %
4

Die Klägerin hat mit ihrer Klage die Auffassung vertreten, sie habe einen Anspruch auf Zahlung einer Vergütung nach der Vergütungsgruppe V c BAT. Sie sei als Angestellte im Innendienst beschäftigt und ihre Tätigkeit - abgesehen von den Schreibarbeiten - erfordere gründliche und vielseitige Fachkenntnisse und mindestens zu einem Drittel selbständige Leistungen.

5

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen,

daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab 1. April 1991 eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe V c BAT zu zahlen,

6

hilfsweise,

nach der Vergütungsgruppe VI b BAT.

7

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Sie hat geltend gemacht. Voraussetzung für eine Einstufung nach den Vergütungsgruppen V c bzw. VI b BAT seien neben den im erforderlichen Umfange vorhandenen gründlichen Fachkenntnissen auch vielseitige Fachkenntnisse. Daran mangele es jedoch bei der Klägerin, da allenfalls Terminplanung und Auskunfterteilung mit ca. 20 % der Arbeitszeit der Klägerin vielseitige Fachkenntnisse erforderten und auch selbständige Leistungen darstellten.

9

Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird im übrigen gemäß § 543 Abs. 2 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 63 bis 65 d.A.) sowie die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlägen verwiesen.

10

Das Arbeitsgericht Oldenburg hat durch das am 3. Dezember 1992 verkündete, hiermit in Bezug genommene Urteil (Bl. 62 bis 68 d.A.) die Klage abgewiesen, die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin auferlegt und den Streitwert auf 12.377,88 DM festgesetzt. Es hat angenommen, da die Klägerin zu mehr als 50 % - nämlich 55 % - ihrer Arbeitszeit, Abrechnungsaufgaben wahrnehme, erfülle sie das Merkmal der gründlichen und vielseitigen Fachkenntnisse nicht. Ihre Fachkenntnisse bezögen sich auf die Gebührenordnungen. Es werde zwar nicht verkannt, daß die Klägerin dabei unterschiedliche Gebührenordnungen kennen müsse. Alle Gebührenordnungen seien aber einem einheitlichen Fachgebiet zuzuordnen. Von Vielseitigkeit, d. h. Mannigfaltigkeit und Unterschiedlichkeit könne allenfalls dann gesprochen werden, wenn gründliche Fachkenntnisse aus mehr als zwei Gebieten erforderlich seien. Das sei vorliegend nicht der Fall.

11

Gegen das ihr am 3. Juni 1993 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 25. Juni 1993 Berufung eingelegt und diese am 9. Juli 1993 begründet.

12

Sie trägt in ihrer Berufungsbegründungsschrift (Bl. 77 bis 79 d.A.) vor, das Arbeitsgericht habe ihre Tätigkeiten falsch bewertet. Zum einen habe sie je nach Krankenkasse unterschiedliche Gebührenordnungen anzuwenden. Zum anderen müsse sie jedoch nicht nur Abrechnungen aus einem ärztlichen Bereich zugrundelegen, sondern aus einer Mehrzahl fachärztlicher Bereiche. Der Chefarzt, für den sie tätig sei, sei Kinderarzt, wobei zunächst die Gebührenordnung für Kinderärzte anzuwenden sei, wenn es sich um typische Kinderkrankheiten handele. Vielfach seien jedoch bei Kindern Behandlungen von Erkrankungen oder Verletzungen erforderlich, die auch bei Erwachsenen auftreten und dann müsse die Klägerin die jeweils in Betracht kommenden Gebührenordnungen für diese Bereiche ihrer Tätigkeit zugrundelegen. Da sie die unterschiedlichen Gebührenordnungen für verschiedene Kassen nach den wenigen Notizen, die sie jeweils von Chefarzt erhalte, anwenden müsse, habe sie eine Subsumtion vorzunehmen, welche jedenfalls nicht als leichte geistige Arbeit qualifiziert werden könne.

13

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin am 1. April 1991 eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe V c BAT zu zahlen,

14

hilfsweise

nach der Vergütungsgruppe VI b BAT.

15

Die Beklagte beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

16

Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 27. Juli 1993 (Bl. 82 bis 85 d.A. nebst Anlage Bl. 86 d.A.).

Gründe

17

Die nach der Beschwer statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet, weil der Klägerin keine Vergütung nach Vergütungsgruppe V c BAT bzw. VI b BAT zusteht.

18

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der BAT (VKA) aufgrund einzelvertraglicher Regelung Anwendung. Die Kammer hat keine Bedenken, die von den Parteien übereinstimmend vorgenommene Bildung von Arbeitsvorgängen zu übernehmen, da die Einteilung sich an der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. nur BAG AP Nr. 6 zu §§ 22, 23 BAT 1975) ausrichtet.

19

Das Arbeitsgericht hat sämtliche Tätigkeiten der Klägerin nach den Tätigkeitsmerkmalen für den allgemeinen Verwaltungsdienst untersucht und eine Einstufung nach Vergütungsgruppe V c bzw. VI b BAT abgelehnt. Ob diese Bewertung richtig ist, kann dahinstehen, denn das Urteil erweist sich jedenfalls im Ergebnis als zutreffend.

20

Die allgemeinen Fallgruppen sind nur dann heranzuziehen, falls eine tarifliche Bewertung nicht nach speziellen Tätigkeitsmerkmalen vorzunehmen ist. Im Streitfall stellt der Arbeitsvorgang Nr. 1 (Abrechnung) mit 55 % der gesamten klägerischen Arbeitszeit eine Tätigkeit dar, welche tariflich besonders zu bewerten ist. In Betracht kommen die Tätigkeitsmerkmale für Angestellte in medizinischen Hilfsberufen und medizinisch-technischen Berufen gemäß dem Tarifvertrag zur Änderung und Ergänzung der Anlage 1 a zum BAT vom 5. August 1971. Danach richtet sich die Tätigkeit von Arzthelferinnen mit Abschlußprüfung und entsprechender Tätigkeit sowie von Angestellten in der Tätigkeit von Arzthelferinnen. Diese umfaßt die von der Klägerin ausgeübte Abrechnungstätigkeit, denn eine solche ist ein typischer Teilaspekt aus dem Arbeitsbereich einer Arzthelferin.

21

Wie bereits das Landesarbeitsgericht Frankfurt in seinem Urteil vom 12. Januar 1989 - 9 Sa 200/88 - (ZTR 89, 271) zutreffend ausgeführt hat, zählen zu den typischen Tätigkeiten einer Arzthelferin Kassenabrechnungen. Die Kammer folgt dieser Wertung, die sich insbesondere auch aus der einschlägigen Darstellung des Berufes "Arzthelfer/Arzthelferin" in den von der Bundesanstalt für Arbeit herausgegebenen Blättern zur Berufskunde (1 - XA 301, 4. Aufl. 1987) eindeutig ergibt. Dort werden als Schwerpunkte der Tätigkeiten der Arzthelferin einmal der Aufgabenbereich "Medizinische Hilfstätigkeit" und zum anderen der Aufgabenbereich "Verwaltungsarbeiten" aufgeführt. Zu letzterem zahlt "Durchführen des Abrechnungswesens". Im einzelnen heißt es in den Blättern für Berufskunde auf Seite 4:

"Ein wichtiger Tätigkeitsbereich ist die Erstellung von Arztrechnungen für Patienten sowie die Mitwirkung bei der Abrechnung mit den Versicherungsträgern (Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen), die in der Regel zum Ende eines jeden Kalenderquartals erfolgen. Dies bedingt eine gute Kenntnis der verschiedenen ärztlichen Gebührenordnungen sowie der Abrechnungsbestimmungen."

22

Als Gegenstand der Berufsausbildung ist für die Arzthelferin u. a. aufgeführt "Durchführung der Abrechnung mit Krankenkassen und sonstigen Kostenträgern sowie Selbstzahlern unter Anwendung der einschlägigen ärztlichen Gebührenordnungen und Bestimmungen."

23

Schließlich spricht auch die Darstellung der Ausübungs- und Aufstiegsformen des Berufes der Arzthelferin (Seite 5 der Blätter für Berufskunde) dafür, daß die Tätigkeit der Klägerin im Abrechnungswesen als spezielle anzusehen ist, wenn es dort heißt:

"Neben einer Tätigkeit beim niedergelassenen Arzt findet die Arzthelferin schließlich Berufsmöglichkeiten in Krankenhaus und Klinik, in Kureinrichtungen und Sanatorien, in Gesundheitsämtern bzw. im Öffentlichen Gesundheitswesen, in Rehabilitations-Zentren, bei Ärztekammern und Kassenärztlichen Vereinigungen sowie bei Krankenversicherungen. Gerade die Krankenversicherungen greifen gerne auf in Abrechnungs- und Honorarwesen des Arztes erfahrene Arzthelferinnen zurück. Selbstverständlich verkleinert sich bei einer Tätigkeit in einer dieser Einrichtungen häufig das breite Spektrum der Helferinnen-Tätigkeit; in der Regel erfolgt eher eine Beschränkung entweder auf Verwaltungs- oder auf Laborarbeiten."

24

Kommen demnach bereits für 55 % der klägerischen Tätigkeiten die allgemeinen Fallgruppen nicht zur Anwendung, so kann ihre Klage keinen Erfolg haben, weil die speziellen Tätigkeitsmerkmale (Teil II VKA, Medizinische Hilfsberufe) für Angestellte ohne einschlägige Prüfung, d. h. für Angestellte in der Tätigkeit von Arzthelferinnen, lediglich die höchste Einstufung nach Vergütungsgruppe VIII BAT (Fallgruppe 2) vorsehen.

25

Das Urteil des Arbeitsgerichts war nach alledem im Ergebnis zu bestätigen und die Berufung mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

26

Die Zulassung der Revision folgt aus § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.