Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 09.09.2003, Az.: 1 B 34/03
Asyl; Asylantragsteller; Asylbewerber; Asylfolgeantrag; Aussetzung; Buddhismus; Eilrechtsschutz; Eilverfahren; Folgeantrag; politische Verfolgung; Religionsgemeinschaft; sofortige Vollziehung; Verfolgung; Vietnam; vorläufiger Rechtsschutz; Wiederaufgreifen
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 09.09.2003
- Aktenzeichen
- 1 B 34/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 48540
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 71 Abs 1 AsylVfG
- § 80 VwGO
- § 80 Abs 4 S 3 VwGO
- § 51 VwVfG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Eine gerichtlicher Aussetzung hat bei gesetzlichem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in der Regel schon bei ernstlichen Zweifeln an der zutreffenden Einschätzung der Sach- und Rechtslage zu erfolgen (Analogie zu § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO).
2. Das Wiederaufgreifen im Asylfolgeverfahren erfolgt zweistufig, wobei in der 1. Stufe (Vorprüfung) mit seiner Anstoßfunktion nur die Möglichkeit einer Asylanerkennung verlangt werden kann; weitere Prüfungen gehören zur 2. Stufe des Folgeverfahrens.
3. Die Gesamtverhältnisse in Vietnam dürften sich in letzter Zeit verschärft haben, vor allem für Angehörige von Religionsgemeinschaften.
4. Das behördliche Handeln in Vietnam ist inzwischen von zahlreichen Zufällen abhängig, die eine Prognosesicherheit beeinträchtigen.
Gründe
Die 1958 geborene Antragstellerin vietnamesischer Staatsangehörigkeit und buddhistischen Glaubens kam - nach längerem Aufenthalt in der damaligen CSFR (1989-1991) - im Juni 1991 in das Bundesgebiet und stellte hier erstmals einen Asylantrag, der durch Bescheid des Bundesamtes vom 27. August 1991 abgelehnt wurde. Die dagegen gerichtete Klage war erfolglos (Urteil des VG Lüneburg vom 18.4.1994 - 1 A 843/91 - ). Danach erhielt die Antragstellerin im Juni 1994 eine Duldung, die anschließend von der zuständigen Ausländerbehörde immer wieder regelmäßig verlängert wurde. Ihrer Klage auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis wurde erstinstanzlich stattgegeben (Urteil der Kammer v. 20.2.2002 - 1 A 135/97 -), sie war jedoch letztlich erfolglos (Urteil des Nds. OVG v. 25.2.2003 - 9 LB 336/02 -).
Am 10. Juli 2003 stellte die Antragstellerin mit der Begründung einen Asylfolgeantrag, sie sei Buddhistin und habe als solche seit 1994 Erlaubnisse zum Besuch des vietnamesisch-buddhistischen Kulturzentrums in B. erhalten. Außerdem sei sie schwer lungenkrank und könne in Vietnam nicht versorgt werden; ein Attest hierzu werde nachgereicht. Mit Bescheid vom 24. Juli 2003 - per Übergabe-Einschreiben zugestellt (abgesandt am 15.8. 03) - lehnte die Antragsgegnerin ohne Anhörung der Antragstellerin die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab und stellte fest, Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG lägen nicht vor; zugleich wurde die Antragstellerin aufgefordert, das Bundesgebiet binnen einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, wobei ihr die Abschiebung nach Vietnam (oder einen anderen Staat) für den Fall angedroht wurde, dass sie die Frist nicht einhalte.
Gegen diesen Bescheid hat die Antragstellerin am 19. August 2003 per Fax bei der erkennenden Kammer Klage - 1 A 274/03 - erhoben und zugleich um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.
Der fristgerecht (§§ 71 Abs. 4, 36 Abs. 1, 74 Abs. 1 Halbs. 2 AsylVfG) bei der Kammer gestellte und auch sonst zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat Erfolg.
1. Im Verfahren des § 8o Abs. 5 VwGO sind in der Regel die beiderseitigen Interessen im Lichte des Art. 19 Abs. 4 GG gegeneinander abzuwägen. Geht dem Rechtsschutzantrag - wie hier - keine behördliche Vollzugsanordnung gem. § 8o Abs. 2 Nr. 4 VwGO voraus, weil nach Einschätzung des Gesetzgebers auf dem Sachgebiet generell schon ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung besteht (vgl. § 75 AsylVfG), dann ist analog § 8o Abs. 4 Satz 3 VwGO zu entscheiden (Finkelnburg/Jank, NJW-Schriften Bd. 12, 4. Auflage 1998, Rdn. 849 ff./851; Schoch/ Schmidt-Aßmann-Pietzner, VwVG-Kommentar, Bd I / Std: Jan. 2000, § 80 Rdn. 252 m.w.N.) - es sei denn, es besteht eine gesetzliche Spezialregelung. Eine solche liegt mit § 36 Abs. 4 AsylVfG vor, ohne dass durch sie allerdings der Entscheidungsmaßstab des § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO verändert worden wäre.
Hiernach hat - als "Ausgleich" für den gesetzlichen Ausschluß (s.o.) - gerichtlich eine Aussetzung bei ernstlichen Zweifeln schon im Regelfall zu erfolgen (Kopp, VwGO-Komm. 12. Aufl. § 80 Rdnr. 115), ein Rechtsgedanke, der u.a. auch in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gilt (VGH München, BayVBl. 1993, 691; VGH Mannheim, NVwZ-RR 1991, 287 [VGH Baden-Württemberg 23.10.1990 - 8 S 2237/90]; OVG Lüneburg, NJW 1978, 672; Renck, NVwZ 1992, 339; Czermak, BayVBl. 1976, 106; Schoch, aaO. Rdn. 204; Sodan/Ziekow, Nomos-Komm. zur VwGO, Losebl., Bearb. Puttler, Rz 109; a.A. Kopp, aaO, § 80 Rdn. 116). Demgemäß kommt es hier auf ernstliche Zweifel an, die dann anzunehmen sind, wenn "Unklarheiten, Unsicherheiten und vor allem Unentschiedenheit bei der Einschätzung der Sach- und Rechtslage" bestehen (Schoch u.a., aaO., Rdn. 194) bzw. ein Erfolg im Hauptsacheverfahren gleichermaßen unwahrscheinlich wie wahrscheinlich ist (Kopp, aaO, Rdn. 116; Nds.OVG Beschl. v. 24.3.2003 - 12 LA 19/03 -). Solche Zweifel liegen vor.
Auf diese Weise wird - auf der Grundlage einer prognostischen Risikoeinschätzung - zu-gleich auch Art. 19 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union v. 7.12. 2000 (Amtsblatt 2000/C 364/01 d. Europ. Gemeinsch.) und damit der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK Rechnung getragen, demzufolge niemand in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen werden darf, in dem für ihn das "ernsthafte Risiko" u.a. einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung besteht. Ein solches Risiko besteht hier (dazu unten).
2. Die Erfolgsaussichten des gestellten Antrages - und zugleich die genannten Zweifel - sind hier deshalb anzunehmen, weil bei einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 71 Abs. 1 AsylVfG und 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht von der Hand zu weisen ist.
a) Für ein Wiederaufgreifen gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 VwVfG genügt es, dass im mehrstufigen Wiederaufnahmeverfahren (vgl. dazu BayVGH, Inf-AuslR 1997, 47o m.w.N.; VG Lüneburg, InfAuslR 2000, S. 47) eine nachträgliche Änderung der Sachlage (oder Rechtslage) fristgerecht vorgetragen und die vorgetragenen Gründe geeignet sind und es - analog § 42 Abs. 2 VwGO - möglich erscheinen lassen, dass ein günstigeres Ergebnis erzielt werden kann (BayVGH, aaO, m.w.N.; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Loseblattsammlung, Band 2, Std: Sept. 2000, § 71 Rdn. 85 m.w.N.; BVerfG, InfAuslR 1993, 3o4; BVerwGE 39, 234 [BVerwG 06.01.1972 - BVerwG III C 83.70]; 44, 338 [BVerwG 30.01.1974 - BVerwG VIII C 20.72]; 77, 325 [BVerwG 23.06.1987 - BVerwG 9 C 251.86]; BGH NJW 1982, 2128 [BGH 29.04.1982 - IX ZR 37/81]; OVG Münster DÖV 1984, 901). Das Gesetz verlangt in dieser 1. Stufe - der Vorprüfung - nur, eine neue Entscheidung müsse zu Gunsten des Betroffenen ergehen können, wobei "können" iSv Eignung und Möglichkeit gemeint ist (Kopp/ Schenke, VwGO-Komm., 12. Auflage, Rdn. 66 m.w.N.; Funke-Kaiser, aaO, Rdn. 83, 89 u. 106 m.w.N.; vgl. HambOVG, NVwZ 1985, 512 [OVG Hamburg 17.05.1984 - OVG Bs VII 246/84]: "gute Möglichkeit einer Asylanerkennung"). Nicht zu verlangen ist, dass "die Veränderung der Sachlage zur Überzeugung des Bundesamtes oder Verwaltungsgerichts auch tatsächlich eingetreten ist" (Funke-Kaiser, aaO., Rdn. 85). Schon diese Erheblichkeitsprüfung gehört zum Kern des Folgeverfahren (Funke-Kaiser, aaO, Rdn. 84). Noch viel weniger kann im Vorprüfungsverfahren mit seiner bloßen Anstoßfunktion (Funke-Kaiser, aaO, Rdn. 89.1) verlangt werden, dass die Verfolgungsfurcht in der Sache geprüft wird.
Das wird außer Acht gelassen, wenn im Bescheid in eine Würdigung der (unstreitigen) Religionszugehörigkeit der Antragstellerin, die Buddhistin ist, eingetreten und das Folgeverfahren bereits in der Sache entschieden wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine fortdauernde Handlungseinheit nicht - wie im angefochtenen Bescheid - der 3-Monats-Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG unterstellt werden kann (OVG Weimar, Urteil v. 6.3.2002 - 3 KO 428/99 -). Damit dürfte ein entsprechender "Anstoß" für eine Vorprüfung im Folgeverfahren gegeben sein.
Ein Wiederaufgreifen des Asylverfahrens ist jedoch letztlich nur abweisbar, wenn ein hinreichend substantiiertes Vorbringen nach jeder nur denkbaren Betrachtung völlig ungeeignet ist, wobei verfassungsrechtlich die erforderliche "Richtigkeitsgewißheit" vorliegen muss (BVerfG, InfAuslR 1995, 342 [BVerfG 08.03.1995 - 2 BvR 2148/94] und InfAuslR 1995, 19 [BVerfG 05.10.1994 - 2 BvR 2333/93]). Ist das nicht der Fall, so ist erst in der eröffneten 2. Stufe des Folgeverfahrens (vgl. Funke-Kaiser, aaO, Rdn. 77.2) zu prüfen, ob die vorgetragenen Gründe tatsächlich tragen und eine asylrelevante Verfolgung oder aber die Voraussetzungen für Abschiebungsverbote oder -hindernisse vorliegen (BayVGH, aaO m.w.N.; 1. Kamm. des 2. Senats des BVerfG, AuAS 1993, 189/190; Funke-Kaiser, aaO, Rdn. 77.2, 84, 89.1). An die bloße Substantiierungspflicht sind schon aus verfassungsrechtlichen Gründen selbstverständlich "keine überspannten Anforderungen" zu stellen (Funke-Kaiser, aaO, Rdn. 89.1).
Da es für die Frage, ob staatliche Maßnahmen sich als Verfolgung darstellen, stets auf die "Gesamtverhältnisse im Herkunftsland" ankommt und dortige Veränderungen die (bloße) Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung iSv § 51 Abs. 1 AuslG nahe legen können (so BVerwG, InfAuslR 1994, S. 286 [BVerwG 15.03.1994 - BVerwG 9 C 510/93] / S. 288), ist eine nachträgliche Änderung der Sachlage iSv § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG schon bei einer Gesamtschau (Funke-Kaiser, aaO, Rdn. 88) mit hieraus ableitbarer Änderung der "Gesamtverhältnisse im Herkunftsland", aber auch bei einer Veränderung der behördlichen Reaktionen in Vietnam gegeben. Im Hinblick darauf heißt es im ai-Jahresbericht 2003 u.a.:
Eine zwischen dem UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) und den Regierungen von Kambodscha und Vietnam getroffene Vereinbarung bezüglich der Rückführung von Asylsuchenden, die im Jahr 2001 nach Kambodscha geflohen waren, wurde nicht eingehalten. Dissidenten, die sich mittels öffentlicher Petitionen und im Internet über die Korruption von Regierungsvertretern und fehlende demokratische Freiheiten beschwert hatten, wurden drangsaliert, unter Hausarrest gestellt oder zu Haftstrafen verurteilt. Die Verfolgung von Angehörigen staatlich nicht genehmigter Glaubensgemeinschaften hielt an.
b) Hier liegt es so, dass sich einerseits die "Gesamtverhältnisse" in Vietnam verschärft haben dürften (vgl. den ai-Jahresbericht 2003 u. Lagebericht des AA v. 1.4.2003: "Aushöhlung" des Dreierabkommens UNHCR-Vietnam-Kambodscha durch Vietnam), was sich als neuer Sachverhalt iSv § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG und damit als "Anstoß" zu einer weiteren Prüfung darstellt, und andererseits die unstreitige Religionszugehörigkeit der Antragstellerin im rechtshängigen Klageverfahren prognostisch durchaus eine Gefährdung für den Fall der Rückkehr nach Vietnam belegen könnte, was wiederum eine Veränderung der Sach- u. Rechtslage iSv § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG sein könnte: Es besteht die realistische Möglichkeit von Verfolgungsmaßnahmen, da die Antragstellerin Buddhistin ist (vgl. dazu VG Meiningen, Beschl. v. 18.6.2002 - 2 E 20341/02.Me -). Es könnten daher - soweit z.Z. im vorläufigen Rechtsschutzverfahren überschaubar - im maßgeblichen Klageverfahren unter Geltung des § 86 Abs. 1 VwGO durchaus die Voraussetzungen eines Abschiebungsschutzes nach § 51 Abs. 1 AuslG anzunehmen sein. Das ist im hier vorliegenden Eilverfahren derzeit zu Gunsten der Antragstellerin beachtlich (§ 80 Abs. 5 iVm Abs. 4 S. 3 VwGO, s.o.).
Daneben aber schaffte eine einmal vollzogene Abschiebung - u.U. im Widerspruch zu Art. 19 Abs. 2 der EU-Grundrechts-Charta (s.o.) und Art. 19 Abs. 4 GG - endgültig vollendete Tatsachen zu Lasten der Antragstellerin und Klägerin, die im Hauptsacheverfahren nicht mehr revidierbar wären. Auch das ist z.Z. ein gewichtiger Abwägungsgesichtspunkt.
c) Eine Bedrohung der buddhistischen Antragstellerin (vgl. dazu VG Meiningen, Beschl. v. 18.6.2002 - 2 E 20341/02.Me -) ist auch aus Strafvorschriften herleitbar, die Aktivitäten von Religionsgemeinschaften stark beschränken (Art. 81 c vietnamesisches StGB /Zwietracht - und Art. 199 vietnStGB /abergläubische Praktiken -). Sämtliche kirchlichen Aktivitäten unterliegen inzwischen einer Registrierungspflicht und bedürfen einer gesonderten Genehmigung (AA an VG Darmstadt v. 18.2.2002). Keiner Religionsgemeinschaft ist es gestattet, sich im sozialen, bildungspolitischen oder politischen Bereich in irgendeiner Weise zu betätigen (Lagebericht des AA v. 1.4.2003). Die Menschen wenden sich verstärkt den Religionsgemeinschaften zu (u.a. Christianisierungstendenzen, vgl. Lageberichte AA v. 1.4.2003 und v. 9.7.2001, S. 6 unten). Vgl. dazu Dr. Will vom 16. Juni 1999:
"Die vietnamesische Regierung sah sich daher auch veranlaßt, am 19.4.1999 ein Dekret über die Zulässigkeit religiöser Aktivitäten zu erlassen, in dem gefordert wird, die entsprechenden Vorschriften rigoros anzuwenden, um jeden Mißbrauch der Religion im Kampf gegen die Volksmacht zu unterbinden."
Nach einer Pressemitteilung der IGFM v. 7.2.2003 sind inzwischen alle Führungspersönlichkeiten der Vereinigten Buddhistischen Kirche Vietnam - VBKV - sowie jene der Hoa-Hao-Buddhisten in Vietnam - ohne justizielle Verfahren - verhaftet oder unter Hausarrest gestellt worden. Die administrative "Verfolgung" ziele nun auf deren Mitarbeiter. Aus Protest gegen die religiöse Unterdrückung hätten zahlreiche Selbstverbrennungen und Hungerstreiks stattgefunden. Viele Gläubige seien wegen solcher Verfolgungsmaßnahmen des vietnamesischen Staates nach Kambodscha geflohen, wobei solche Flucht in das Ausland von der vietnamesischen Regierung als "Destabilisierungsversuch und daher als Beeinträchtigung der nationalen Sicherheit" gewertet werde (IGFM v. 7.2.2003). Im Juli 2002 sei ein leitender VBKV-Mönch, der zuvor nach Phnom Penh geflohen sei, daher "vom vietnamesischen Geheimdienst gekidnappt" worden. In der Haft dann seien "Buddhisten mißhandelt und gedemütigt" worden. Nach IGFM-Pressemitteilungen häufen sich die Berichte aus Vietnam über Misshandlungen, Schikanen und Folter der Behörden gegenüber VBKV-Gläubigen. Die beiden führenden Mönche der VBKV befänden sich "seit Jahrzehnten in Haft oder unter Hausarrest", was auch für die führenden Persönlichkeiten der Hoa Hoa-Religion gelte. Schüler eines Pfarrers seien wegen ihres Engagements "bereits mehrmals verhaftet, zusammengeschlagen und gefoltert" worden, "um falsche Geständnisse zu erpressen". Außerdem heißt es in einer Pressemitteilung der IGFM v. 18.7.2001:
"Die vietnamesische Regierung versucht, sie durch alltägliche Schikanen, Hinderung an der Berufsausübung, Geldstrafen wegen angeblicher Verstöße gegen Verkehrsregeln, Mißhandlungen, Verhöre usw. einzuschüchtern. Die katholischen Laien sollen aufhören, Pfarrer Ly zu unterstützen, sich für die Anliegen der Pfarrgemeinden einzusetzen oder unter Hausarrest gestellte Geistliche zu besuchen".
Der Asienreferent der IGFM meint demzufolge (Pressemitteilung v. 18.7.2001):
"Die Unterdrückung der Religionsgemeinschaften in Vietnam erreicht eine neue Qualität. Die breit angelegte Gewaltaktion nicht nur gegen Priester und aktive Laien der katholischen Kirche zeigen, daß die Regierung Vietnams unwillig ist, die zahlreichen Konflikte mit den Gläubigen auf friedlichem Wege zu lösen.
Die IGFM ist daher sehr besorgt, dass die vietnamesische Regierung massiv gegen die Religionsgemeinschaften vorgeht. Es handele sich um eine "Kursänderung" der Regierung. Beleg hierfür ist u.a. das Verfahren nebst Begleitumständen gegen Pfarrer Ly, der ohne jede Verteidigung am 19. Oktober 2001 in Hue zu 15 Jahren Gefängnis abgeurteilt wurde (Jahresbericht ai 2002, S. 604; vgl. IGFM v. 22.10. 2001). Der für Januar 2003 geplante Prozess gegen drei Verwandte des abgeurteilten Pfarrers (wg. angeblicher "Spionage" für eine Menschenrechtsorganisation in den USA) wurde zunächst verschoben (IGFM v. 7.2.2003). Diese sich verschärfenden Veränderungen der "Gesamtverhältnisse" (s.o.) in Vietnam belegen für den Fall der Abschiebung prognostisch das Risiko einer unmenschlichen Behandlung der Antragstellerin iSv Art. 19 Abs. 2 EU-Grundrechts-Charta. Eine Verfolgung der Antragstellerin wegen ihres buddhistischen Glaubens ist daher keineswegs ausgeschlossen (vgl. VG Meiningen, Beschl. v. 18.6.2002 - 2 E 20341/02.Me -).
d) Aufgrund der Gesamtverhältnisse Vietnams ist eine Prognose zum Verhalten vietnamesischer Behörden heute nicht mehr abzugeben. Es ist dem Zufall überlassen, ob jemand repressiv "behandelt" , schikaniert, gefoltert oder abgestraft wird. Willkürliche Verhaftungen finden statt, wobei das nur formale Recht, einen Beistand hinzuzuziehen, nicht einmal eingehalten wird (so im Verfahren gegen Pfarrer Ly, vgl. IGFM-Presse-mitt. v. 22.10. 2001; so auch der Einzelentscheider-Brief Febr. 1999). Eine Prognose zum Verhalten vietnamesischer Behörden abzugeben, ist im Einzelfall völlig unmöglich:
"Da das Vorgehen der vietnamesischen Behörden und auch der Justiz, wie oben bereits ausgeführt, ganz wesentlich politisch beeinflußt und im übrigen in hohem Maße korrupt ist, ist eine objektive Beurteilung, ob sich die zuständigen Stellen von den...geschilderten Erwägungen bei der Entscheidung über das Ob und Wie einer Bestrafung des Betroffenen leiten lassen, praktisch unmöglich." - ai-Stellungnahme v. 2.2.1999 (ASA 41-97.145).
Damit ist zweifelhaft, ob die Antragstellerin - von künftigen Veränderungen in Vietnam während des Klageverfahrens abgesehen - im Hauptsacheverfahren als Flüchtling iSv § 3 AsylVfG noch so ohne weiteres abgelehnt werden könnte. Nach den gegenwärtigen Erkenntnissen ist vielmehr prognostisch eine Wahrscheinlichkeit für Verfolgungsmaßnahmen gegenüber dem Antragstellerin gegeben. Deshalb ist ihr - mit Blick auf die angedrohte Abschiebung - zunächst angesichts von Art. 19 Abs. 2 EU-Grundrechts-Charta und mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG (und Art. 47 EU-Grundrechts-Charta) vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren.
3. Im übrigen stehen der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht ausnahmsweise besonders gewichtige Gründe entgegen, die es erlaubten, schon vor Abschluß des Verfahrens der Hauptsache vollendete Tatsachen zu schaffen. Die Antragstellerin hält sich schon seit über 10 Jahren aufgrund von sog. "Kettenduldungen" unbeanstandet in der Bundesrepublik Deutschland auf. Ihr weiterer Aufenthalt nur für die Dauer des Klageverfahrens ist daher hinzunehmen. Denn der Rechtschutzanspruch eines Antragstellers aus Art. 19 Abs. 4 GG ist um so stärker, je gewichtiger die ihm abverlangte Belastung ist (BVerfGE 35, 382 / 4o2; BVerfGE, NVwZ 1985, 4o9; BVerfG (3. K. des 2. Senats) NVwZ-Beilage 1996, 19 [BVerfG 27.10.1995 - 2 BvR 384/95] m.w.N.). Deshalb ist sein Rechtsschutzantrag nur im Falle eindeutiger und unumstößlicher Richtigkeit (BVerfG, InfAuslR 1995, 19 [BVerfG 05.10.1994 - 2 BvR 2333/93]) abweisbar, die regelmäßig erst im Hauptsacheverfahren zu erlangen ist:
Droht ... dem Ast. bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung seiner Grundrechte, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung nicht mehr beseitigt werden kann, so ist - ... - einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren, es sei denn, daß ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen (so die 3. Ka. des 2. Senats des BVerfG, Beschl. v. 27.1o.1995, NVwZ-Beilage 3/1996, S. 19 [BVerfG 27.10.1995 - 2 BvR 384/95] m.w.N.)
An solcher unumstößlichen Richtigkeit fehlt es hier. Vielmehr ist angesichts der Veränderungen in Vietnam (ai-Jahresbericht 2003, Lagebericht des AA v. 1.4.2003) eine Bedrohung insbesondere von Freiheitsrechten (Religionsfreiheit) iSv. § 51 AuslG und eine Verfolgung der Antragstellerin durchaus denkbar und möglich.