Verwaltungsgericht Lüneburg
v. 24.09.2003, Az.: 1 A 229/02

Anforderungsmerkmal; Anforderungsprofil; Dienstpostenbesetzung; Konkurrentenstreit

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
24.09.2003
Aktenzeichen
1 A 229/02
Entscheidungsform
Gerichtsbescheid
Referenz
WKRS 2003, 48215
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Zur Verbindlichkeit eines Anforderungsprofils.

2. Zum Umfang der gerichtlichen Kontrolle eines Anforderungsmerkmals.

Tatbestand:

1

Der Kläger und der Beigeladene bewarben sich neben anderen um den zur Besetzung ausgeschriebenen und nach der Besoldungsgruppe A 12/13g BBesO bewerteten Dienstposten des „Fachkoordinators Einsatzlehre zugleich Fachlehrer“ bei dem Aus- und Fortbildungszentrum des Bundesgrenzschutzpräsidiums Nord in C..

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Hinsichtlich der Anforderungen des Dienstpostens heißt es in der Stellenausschreibung vom 2. Januar 2002 unter dem Punkt obligatorische Anforderungen u.a.: „Mindestens 2-jährige Verwendung in einem Einsatzbereich des Bundesgrenzschutzes, die nicht länger als drei Jahre zurückliegt.“

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Der 1962 geborene Kläger ist Polizeihauptkommissar und seit 28. September 1998 mit kurzen Unterbrechungen als Fachlehrer bei dem Aus- und Fortbildungszentrum in C. tätigt. Mit Verfügung vom 3. Februar 1999 war er mit der funktionalen Wahrnehmung der Aufgaben des Fachkoordinators Einsatzlehre beauftragt worden. In dem aktuellen Leistungsnachweis zum Stichtag 1. Mai 2001 erhielt der Kläger die (höchste) Gesamtpunktzahl von neun Punkten.

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Der 1951 geborene Beigeladene ist ebenfalls Polizeihauptkommissar. Er war in der Zeit vom 1. Juli 1998 bis 30. April 1999 Ermittlungsbeamter bei der Bundesgrenzschutzinspektion D. und ist seit dem 1. Mai 1999 dort Leiter des Ermittlungsdienstes. In der aktuellen Anlassbeurteilung zum Stichtag 19. Februar 2002 erhielt der Beigeladene, der am 23. November 2001 zum Polizeihauptkommissar der Besoldungsgruppe A 12 BBesO befördert worden war, die Gesamtpunktzahl von sechs Punkten.

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Mit Bescheid vom 22. April 2002 teilte das Grenzschutzpräsidium Nord dem Kläger mit, es beabsichtige, den ausgeschriebenen Dienstposten mit dem Beigeladenen zu besetzen. Der Kläger habe nicht berücksichtigt werden können, da er das obligatorische Anforderungsprofil des Dienstpostens hinsichtlich der 2-jährigen Verwendung in einem Einsatzbereich des Bundesgrenzschutzes in den letzten drei Jahren nicht erfülle.

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Der Kläger legte dagegen Widerspruch ein und führte zur Begründung im Wesentlichen an: Die Auswahlentscheidung sei fehlerhaft. Nicht berücksichtigt worden sei, dass er seit drei Jahren den ausgeschriebenen Dienstposten wahrnehme und hierfür die Spitzennote von neun Punkten erhalten habe. Das Anforderungsprofil werde von ihm auch hinsichtlich der geforderten 2-jährigen Verwendung in einem Einsatzbereich des Bundesgrenzschutzes erfüllt. Übersehen worden sei nämlich, dass er neben seiner Lehrtätigkeit regelmäßig als Rückführungsbeamter im Einsatz sei. Darüber hinaus sei er in der Zeit vom 8. Mai bis 15. November 2000 zum Einsatz auf der Expo abgeordnet gewesen und bei dem Castor-Transport Ende 2001 als stellvertretender Hundertschaftsführer verwendet worden. Der Leiter des Ausbildungs- und Fortbildungszentrums in C. habe in seinem Schreiben vom 6. Februar 2002 ebenfalls bestätigt, dass er aufgrund seiner Tätigkeit das Anforderungsprofil der 2-jährigen Verwendung im Einsatzbereich des Bundesgrenzschutzes erfülle. Schließlich sei nicht eindeutig, was unter Einsatzbereich des Bundesgrenzschutzes zu verstehen sei. Ziehe man hier die Definition des Begriffes „Einsatz“ in der Polizeidienstvorschrift 100 heran, nämlich Wahrnehmung operativer polizeilicher Aufgaben unter Nutzung personeller und materieller Ressourcen, fehle dem Beigeladenen die erforderliche Erfahrung. Denn in der von ihm ausgeübten Ermittlungstätigkeit seien operative Elemente nicht enthalten. Im Übrigen sei die Ermittlungstätigkeit nicht Bestandteil des Faches Einsatzlehre. Letztlich führe hier die Überbetonung des Anforderungsprofils dazu, dass dem verfassungsmäßig gewährleisteten Prinzip der Bestenauslese nicht mehr Rechnung getragen werde.

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Auf den mit dem Widerspruch bei Gericht gestellten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz untersagte die Kammer mit Beschluss vom 20. Juni 2002 (1 B 28/02) der Beklagten, den ausgeschriebenen Dienstposten vor Ablauf einer Frist von einem Monat nach Zustellung des Widerspruchsbescheides mit dem Beigeladenen zu besetzen.

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Den Widerspruch wies das Grenzschutzpräsidium Nord mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 2002 zurück. Darin ist im Wesentlichen ausgeführt: Das gewählte Anforderungsprofil für den ausgeschriebenen Dienstposten sei nicht zu beanstanden. Es liege grundsätzlich im Ermessen des Dienstherrn, wie er das Anforderungsprofil eines Dienstpostens gestalte. Die u.a. gewählte Anforderung der 2-jährigen Verwendung in einem Einsatzbereich des Bundesgrenzschutzes sei sachgerecht und sachdienlich. Sinn und Zweck der Aufnahme dieses obligatorischen Anforderungsmerkmals sei es gewesen, eine Beamtin bzw. einen Beamten mit einer aktuellen und vertieften Einsatzerfahrung im Bundesgrenzschutz für den Dienstposten zu gewinnen. Außerdem entspreche dies der durch Ziffer 4.2 der Grundsätze zur Verwendungsplanung für den gehobenen Polizeivollzugsdienst im Bundesgrenzschutz gewollten wechselnden Folge von Führungs- und Stabsverwendungen sowie Verwendungen in der Aus- und Fortbildung. Unter Einsatzerfahrung im Bundesgrenzschutz seien vornehmlich Erfahrungen durch Einsatztätigkeiten im Grenzschutzeinzeldienst - d.h. bei Bundesgrenzschutzinspektionen - oder im Grenzschutzverband - d.h. bei Grenzschutzabteilungen - zu verstehen. Der Kläger erfülle dieses Anforderungsmerkmal nicht. Seine Tätigkeit in den letzten drei Jahren sei geprägt durch die Lehrtätigkeit. Lediglich seine 6,5-monatige Abordnung für den Einsatzdienst bei der Expo könne als Verwendungszeit in einem Einsatzbereich des Bundesgrenzschutzes anerkannt werden. Die geforderte 2-jährige Verwendungszeit werde dadurch bei weitem nicht erreicht. Dies gelte auch dann, wenn man noch die Verwendung als stellvertretender Hundertschaftsführer bei einem Castor-Transport berücksichtigen wollte. Die gelegentliche Tätigkeit als Rückführungsbeamter stelle keine Einsatzverwendung im Bundesgrenzschutz dar. Der Beigeladene erfülle demgegenüber auch dieses Anforderungsmerkmal. Seine Tätigkeiten entsprächen der geforderten Einsatzverwendung. Selbst wenn man für seine Ermittlungstätigkeiten die vom Kläger herangezogene Definition anwenden wollte, sei festzustellen, dass die Ermittlungstätigkeit auch Wahrnehmung operativer Aufgaben umfasse. Denn die Aufgaben des Ermittlungsdienstes seien vielfältiger Natur und in der Regel direkt mit operativen Vorgängen verknüpft.

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Am 5. August 2002 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt und vertieft er seine Ausführungen aus dem Vorverfahren.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid des Grenzschutzpräsidiums Nord vom 22. April 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Juli 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über seine Bewerbung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie wiederholt und vertieft die Ausführungen aus dem Widerspruchsbescheid. Ergänzend weist sie nochmals darauf hin, dass ein rechtmäßiges obligatorisches Anforderungsprofil für den Dienstherrn bindend sei. Die Bestenauslese dürfe nur zwischen denjenigen erfolgen, die das zulässige Profil erfüllten.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt dieser Gerichtsakte, den der Gerichtsakte 1 B 28/02 sowie den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

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Der angefochtene Bescheid des Grenzschutzpräsidiums Nord vom 22. April 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 2002 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Auswahlentscheidung zugunsten des Beigeladenen ist rechtlich nicht zu beanstanden.

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Die Entscheidung des Dienstherrn über die Übertragung eines öffentlichen Amtes und bei der Beförderungsauswahl hat sich an dem sich aus Art. 33 Abs. 2 GG, § 7 BRRG und § 8 Abs. 1 BBG ergebenden Leistungsgrundsatz zu orientieren. Der Leistungsgrundsatz besagt, dass die Auswahl unter den Bewerbern nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung vorzunehmen ist. Ihre Auswahl beruht auf der Bewertung der durch Art. 33 Abs. 2 GG vorgegebenen persönlichen Merkmale, die in Bezug zu dem „Anforderungsprofil“ des jeweiligen Dienstpostens gesetzt werden. Erst dieser Vergleich ermöglicht die Prognose, dass der in Betracht kommende Beamte den nach der Dienstpostenbeschreibung anfallenden Aufgaben besser als andere Interessenten gerecht werden und damit auch - nach Bewährung auf dem höherwertigen Dienstposten - für ein höherwertiges Statusamt geeignet sein wird. Durch die Bestimmung des Anforderungsprofils eines Dienstpostens legt der Dienstherr die Kriterien für die Auswahl der Bewerber fest. Das Anforderungsprofil des Dienstposten bestimmt objektiv die Kriterien, die der Inhaber erfüllen muss. An ihnen werden die Eigenschaften und Fähigkeiten der Bewerber um den Dienstposten bemessen, um eine optimale Besetzung zu gewährleisten. Im Auswahlverfahren ist der Dienstherr an das von ihm entwickelte Anforderungsprofil gebunden, da er anderenfalls im Widerspruch zu den selbst gesteckten Ziel bestmöglicher Aufgabenwahrnehmung gerät. Erst wenn mehrere Bewerber allen Anforderungskriterien gerecht werden, haben - in der Regel durch dienstliche Beurteilungen ausgewiesene - Abstufungen der Qualifikation Bedeutung (BVerwG, Urt. v. 16.8.2001 - 2 A 3.00 - DVBl. 2002, 132).

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Sowohl die Auswahlentscheidung als auch die Festlegung des Anforderungsprofils als vorweggenommener Teil der Auswahlentscheidung unterliegen als Akt wertender Erkenntnis lediglich einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Die verwaltungsgerichtliche Nachprüfung beschränkt sich darauf, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat oder ob sie von einem unrichtigen bzw. unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachwidrige Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften oder mit höherrangigem Recht vereinbare Richtlinien (Verwaltungsvorschriften) verstoßen hat (vgl. BVerwG, Urt. V. 16.8.2001, a. a. O.; OVG Lüneburg, Beschl. v. 11.8.1995 - 5 M 7720/95 - Nds.Rpfl. 1995, 280; Beschl. v. 21.11.1995 - 5 M 6322/95 -, NVwZ-RR 1996, 677 und Beschl. v. 21.6.2002 - 5 ME 88/02 -).

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Die hier angefochtene Auswahlentscheidung der Beklagten genügt den vorstehend dargelegten Anforderungen.

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Die Berücksichtigung der obligatorische Anforderung einer mindestens 2-jährigen Verwendung in einem Einsatzbereich des Bundesgrenzschutzes, die nicht länger als drei Jahre zurückliegt, für den Dienstposten des Fachkoordinators Einsatzlehre zugleich Fachlehrer beim Aus- und Fortbildungszentrum des Bundesgrenzschutzpräsidiums Nord in C. lässt Mängel nicht erkennen. Das Grenzschutzpräsidium Nord hat zu diesem Anforderungsmerkmal ausgeführt, dass es Ausdruck der durch Ziffer 4.2 der Grundsätze zur Verwendungsplanung für den gehobenen Polizeivollzugsdienst im Bundesgrenzschutz gewollten wechselnden Folge von Führungs- und Stabsverwendungen sowie Verwendungen in der Aus- und Fortbildung sei. Sinn und Zweck der Aufnahme dieses obligatorischen Anforderungsmerkmals in der Stellenausschreibung sei es, eine Beamtin bzw. einen Beamten mit einer aktuellen und vertieften Einsatzerfahrung im Bundesgrenzschutz für den Dienstposten zu gewinnen. Hierunter seien vornehmlich Erfahrungen durch Einsatztätigkeiten im Grenzschutzeinzeldienst - d.h. beim Bundesgrenzschutzinspektion - oder im Grenzschutzverband - d.h. im Bundesgrenzschutzabteilungen - zu verstehen. Maßgebend sei mithin, den Dienstposten mit einem Praktiker zu besetzen, der daneben selbstverständlich auch die für ein Fachlehrer erforderlichen Befähigungen haben müsse, wie sie in den anderen Anforderungsmerkmalen zum Ausdruck komme. Diese an den konkreten Bedürfnissen des hier ausgeschriebenen Dienstpostens orientierten Erwägungen sind einleuchtend, nachvollziehbar und ausschließlich sachlich begründet. Für den Einfluss sachfremder Erwägungen ist ebenso wenig etwas ersichtlich wie dafür, dass ein unrichtiger oder unvollständiger Sachverhalt zugrunde gelegt worden wäre.

22

Dieses damit rechtmäßige und zulässige Anforderungsmerkmal erfüllt der Kläger nicht, so dass er bei der Bewerberauswahl zu Recht nicht berücksichtigt werden durfte und es auf einen Vergleich seiner dienstlichen Beurteilung und derjenigen des Beigeladenen gerade nicht ankommt. Dem Kläger ist hier eindeutig in den letzten drei Jahren der Dienstposten eines Fachlehrers zugewiesen gewesen. Diesen Dienstposten hat er auch ganz überwiegend wahrgenommen; er hat sogar kommissarisch die Tätigkeit des Fachkoordinators Einsatzlehre erfüllt. Der Kläger ist damit eindeutig in der Aus- und Fortbildung verwendet worden und gerade nicht in einem Einsatzbereich des Bundesgrenzschutzes. Dass der Kläger hier für 6,5 Monate zu einem Einsatz auf der Expo abgeordnet gewesen ist sowie beim Castor-Transport 2001 die Aufgaben eines stellv. Hundertschaftsführers wahrgenommen hat ändert nichts daran, dass hier eine 2-jährige Verwendung im Einsatzbereich des Bundesgrenzschutzes nicht vorliegt. Dies gilt auch dann, wenn man die gelegentliche Tätigkeit als Rückführungsbeamter in den Blick nimmt. An dieser Bewertung ändert auch nichts die Stellungnahme des Leiters des Aus- und Fortbildungszentrums C. vom 6. Februar 2002. Auch dieser muss letztlich einräumen, dass eine 2-jährige Verwendung in einem Einsatzbereich des Bundesgrenzschutzes nicht festgestellt werden kann. Er ist lediglich der Auffassung, dass die vom Kläger wahrgenommenen Tätigkeiten einer 2-jährigen Verwendung in einem Einsatzbereich gleichstehen (so der letzte Satz seiner Stellungnahme).

23

Der Beigeladene erfüllt demgegenüber dieses Anforderungsmerkmal. Seine Tätigkeit als Ermittlungsbeamter und dann als Leiter des Ermittlungsdienstes bei der Bundesgrenzschutzinspektion D. stehen ohne Zweifel eine Verwendung in einem Einsatzbereich des Bundesgrenzschutzes dar. Dies gilt auch dann, wenn man die Definition des „Einsatzes“ des Klägers entsprechend der Polizeidienstvorschrift 100 heranzieht. Dies hat das Grenzschutzpräsidium Nord in seinem Widerspruchsbescheid zutreffend dargelegt. Zur weiteren Begründung nimmt das Gericht auf diese Ausführungen Bezug.

24

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

25

Gründe, die Berufung gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO zuzulassen, sind nicht gegeben.