Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 23.09.2003, Az.: 3 A 123/03

Ausweisung; Körperverletzung; Regelausweisung; wiederholte Körperverletzung; Wiederholungsgefahr

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
23.09.2003
Aktenzeichen
3 A 123/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 48219
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Für die Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung wie auch für die Frage, ob eine Ausnahme von der Regelausweisung vorliegt, kommt es auf den Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides an. Die zeitlich danach liegende Strafaussetzung zur Bewährung kann deshalb nicht bei der Rechtmäßigkeit der Ausweisung, sondern nur bei der Frage einer in einem gesonderten Verfahren geltend zu machenden Befristung der Wirkungen der Ausweisung bedeutsam sein. Der Kläger ist fünfmal wegen Körperverletzung mit dem Gesetz in Konflikt gekommen, es handelt sich bei ihm um einen kriminellen Schläger, bei dem auch wegen seiner Persönlichkeitsstruktur konkret mit erneuten Straftaten von Gewicht zu rechnen ist (Einzelfallwürdigung).

Tatbestand:

1

Der Kläger wehrt sich gegen seine Ausweisung und begehrt zugleich die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung.

2

Der Kläger wurde am 4. Januar 1980 in Celle geboren. Der Vater arbeitet seit vielen Jahren in einer Schlosserei. Der Kläger selbst hat in der Schlosserei eine Lehre absolviert, die er im Januar 2003 abschloss.

3

Bis zu einem Alter von 16 Jahren war der Kläger vom Erfordernis einer Aufenthaltsgenehmigung befreit, ab 1996 und 1998 erhielt der Kläger jeweils für zwei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnisse. Die letzte Aufenthaltserlaubnis war gültig bis zum 18. Juni 2000, am 21. Juni 2000 beantragte der Kläger deren Verlängerung. Die Verlängerung wurde bis zum 10. Dezember 2001 erteilt, anschließend erhielt der Kläger lediglich Bescheinigungen, dass er eine Aufenthaltsgenehmigung beantragt hatte, so dass sein Aufenthalt nach § 69 Abs. 3 AuslG als erlaubt galt.

4

Der Kläger ist in Deutschland mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten:

5

Im September 1996 erhielt er wegen gefährlicher Körperverletzung einen Freizeitarrest, weil er einen anderen Jugendlichen in Bauch und Gesicht getreten hatte.

6

Im Januar 1997 wurde der Kläger wegen vorsätzlicher Körperverletzung zur Erbringung von Hilfsdiensten verurteilt, weil er einen anderen Jugendlichen in den Rücken getreten und mit Fäusten derart geschlagen hatte, dass sein Mittelhandknochen brach.

7

Im September 1997 wurde der Kläger wegen Hehlerei und Diebstahls zu 40 Stunden Hilfsdienst verurteilt.

8

Im Dezember 1998 wurde der Kläger wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung mit einem Schuldspruch belegt.

9

Im August 2000 wurde der Kläger wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von acht Monaten verurteilt, wobei die Strafe für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde.

10

Ein Strafverfahren wegen Hausfriedensbruch wurde im Mai 1997 eingestellt, weil von der Verfolgung abgesehen wurde.

11

Im Oktober 2001 wurde der Kläger wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, weil er auf einem Volksfest zwei Personen getreten hatte, einen davon ins Gesicht mit der Folge des Nasenbeinbruchs, als er schon auf dem Boden lag.

12

Im Dezember 2002 erhielt der Kläger eine Duldung.

13

Nachdem der Kläger in den vergangenen Jahren mehrmals auf die Möglichkeit einer Abschiebung hingewiesen worden war, lehnte der Beklagte mit Verfügung vom 30. Dezember 2002 den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung ab. Gleichzeitig wies er den Kläger aus Deutschland aus, und er drohte die Abschiebung in die Türkei aus der Haft heraus an. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Lüneburg vom 17. Juni 2003 zurückgewiesen.

14

Der Kläger hat am 24. Juni 2003 Klage erhoben. Er trägt – wie schon im Widerspruchsverfahren – vor:

15

Bei der der letzten Verurteilung zugrunde liegenden Tat habe es sich um eine jugendtypische Verfehlung gehandelt. Auch wenn er über 20 Jahre alt gewesen sei, so habe er nicht auf eigenen Beinen gestanden, seine Entwicklung sei noch nicht abgeschlossen gewesen. Er habe sich in der Ausbildung befunden und bei seinen Eltern gewohnt. Durch die erstmalige Verbüßung der Haftstrafe werde er resozialisiert. Er sei weder drogen- noch alkoholabhängig. Er sei schuldenfrei und könne nach der Entlassung in seinem früheren Ausbildungsbetrieb Arbeit finden. Sein Verhalten und die Mitarbeit in der Justizvollzugsanstalt seien beanstandungsfrei, er werde nach Verbüßung von 2/3 der Strafe entlassen. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und die Rechtswidrigkeit der Ausweisung ergebe sich auch aus Europarecht, insbesondere den Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80. Sein Verbleib in Deutschland berühre die Grundinteressen der Gesellschaft nicht.

16

Der Kläger beantragt,

17

den Bescheid des Beklagten vom 30. Dezember 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2003 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen.

18

Die Beklagte beantragt,

19

die Klage abzuweisen.

20

Der Kläger wurde in der mündlichen Verhandlung zu seinen persönlichen Verhältnissen befragt. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Terminsprotokoll, den übrigen Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

21

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Ausweisungsverfügung des Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO in seinen Rechten (1.). Der Beklagte kann auch nicht gemäß § 113 Abs. 5 VwGO verpflichtet werden, dem Kläger eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen (2.).

22

1. Die von dem Beklagten im angefochtenen Bescheid ausgesprochene Ausweisung und Abschiebungsandrohung des Klägers ist rechtmäßig.

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a) die Ausweisung lässt sich nicht beanstanden.

24

Rechtsgrundlage der Ausweisung ist § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG. Danach wird ein Ausländer in der Regel ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren oder zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist.

25

Die Voraussetzungen zur Anwendung dieser Vorschrift liegen vor. Der Kläger ist zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden, und die Vollstreckung der Strafe ist nicht zur Bewährung ausgesetzt worden.

26

Der Kläger genießt nicht nach § 47 Abs. 3 AuslG Ausweisungsschutz. Er ist zwar im Bundesgebiet geboren, aber nicht im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis (§ 47 Abs. 3 S. 1 u. 2 i.V.m. § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AuslG). Denn der Kläger hat nach Vollendung seines 16. Lebensjahres nur befristete Aufenthaltserlaubnisse erhalten. Der Kläger ist auch kein heranwachsender oder minderjähriger Ausländer (§ 47 Abs. 3 Satz 3 u. 4 AuslG), er war vielmehr im Zeitpunkt der letzten abgeurteilten Körperverletzung, im Zeitpunkt des strafgerichtlichen Urteils und in dem Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung über 21 Jahre alt.

27

Eine Ausnahme von der Regelausweisung liegt nicht vor. Bei einer „Regelausweisung“ im Sinne des § 47 Abs. 2 AuslG kann die Ausländerbehörde nur in engen Ausnahmefällen von einer Ausweisung absehen, etwa wenn die Ausweisung sich als unangemessene Härte darstellt oder eine Sondersituation vorliegt, die ein Absehen von der vom Gesetzgeber vorausgesetzten „Normallage“ gebietet. Ob die Voraussetzungen für einen Sonderfall vorliegen, unterliegt der vollen gerichtlichen Nachprüfung. Ausnahmefälle sind durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet, der so bedeutsam ist, dass er das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigt. Zu berücksichtigen sind alle Umstände der strafgerichtlichen Verurteilung und die persönlichen Verhältnisse des Betroffenen. Dabei kommt es auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides an. Denn für die rechtliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung wie auch für die Frage, ob eine Ausnahme von der Regelausweisung vorliegt, ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides maßgeblich (vgl. etwa BVerwG, Beschl. v. 17.1.1996 - 1 B 3.96 -, InfAuslR 1996 S. 137; Urt. v. 19.11.1996 - 1 C 5.95 -, BVerwGE 102 S. 249, 257; Beschl. v. 8.2.1999 - 1 B 2.99 -, InfAuslR 1999 S. 330). An dem maßgeblichen hier zu beachtenden Zeitpunkt des Ergehens des Widerspruchsbescheides ändert sich nichts dadurch, dass vorliegend zugleich mit der Anfechtungsklage gegen die Ausweisungsverfügung auch eine Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung erhoben worden ist und für eine derartige Klage grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung entscheidend ist. Die Kombination von Anfechtungs- und Verpflichtungsklage führt mithin nicht dazu, auch für die Anfechtung der Ausweisung auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen (OVG Lüneburg, Beschl.v.23.06.1999, - 11 L 2328/99 -).

28

Daraus folgt:

29

Die vom Kläger begangene Straftat ist nicht als weniger gewichtig einzustufen. Dies belegt schon das Strafmaß von einem Jahr. Die Mindeststrafe beträgt bei gefährlicher Körperverletzung (lediglich) 6 Monate (§ 224 Abs. 1 StGB). Die Dauer der verhängten Strafe sind bei der Gewichtung der Umstände, die für und gegen einen Ausnahmefall von der Regelausweisung streiten, nicht nur zugunsten, sondern – wie im vorliegenden Fall – auch zu Lasten des Ausländers in Rechnung zu stellen (OVG Lüneburg, Beschl. v. 21.01.1997 – 12 M 349/97 -). Auch handelt es sich nicht um eine persönlichkeitsfremde Augenblickstat des Klägers. Er ist bereits früher mehrfach wegen Körperverletzung verurteilt worden, wobei er auch schon am Boden liegende Personen in den Körper und ins Gesicht getreten hatte. Der Kläger ist also – wie es im Strafurteil heißt – „mehrfach, vor allem einschlägig, vorbelastet“. Er ist ein Hitzkopf, der sich schnell provozieren lässt. Es handelt sich im Ergebnis um mehr als eine „Bagatelltat“, wobei im Übrigen bei einer Regelausweisung nach § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe der Strafrahmen ohnehin ohne grundlegende Bedeutung ist (vgl. Gemeinschaftskommentar zum AuslR, § 47 RdNr. 62).

30

Nicht gefolgt werden kann dem Kläger in seiner Argumentation, bei den Körperverletzungen habe es sich um jugendtypische Verfehlungen gehandelt. Der Kläger war jedenfalls im Zeitpunkt der Tat über 21 Jahre alt. Es ist auch nicht jugendtypisch, dass Menschen aufeinander eintreten, wenn der Gegner schon am Boden liegt. Vor allem wird die letzte Tat des Klägers nicht deshalb zu einer jugendtypischen Verfehlung, weil er ähnliche Delikte schon im jugendlichen Alter und im heranwachsenden Alter begangen hat. Wer 21 Jahre alt ist, muss mit der Härte und den Konsequenzen des Erwachsenenstrafrechts und – wie hier – des Ausländerrechts rechnen. Hierauf ist der Kläger wiederholt vom Beklagten hingewiesen worden.

31

Die Ausweisung des Klägers ist aus spezialpräventiven Gesichtspunkten geboten. Es hat im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides nicht erwartet werden können, der Kläger werde in Zukunft ein straffreies Leben führen. Vielmehr haben hinreichende konkrete Anhaltspunkte für die Gefahr erneuter Verfehlungen des Klägers vorgelegen. Die vom Kläger in den letzten Jahren verwirklichten Straftatbestände haben ein erhebliches Gewicht. Aufgrund der Art, Schwere und Häufigkeit der Körperverletzungen haben Anhaltspunkte dafür bestanden, dass in Zukunft neue Straftaten des Klägers ernsthaft drohen und damit von ihm eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit in Deutschland ausgeht. Schon der ersten Verurteilung im September 1996 lag eine Körperverletzung zugrunde, bei der der Kläger seinen Gegner in Bauch und Gesicht getreten hatte. Gleiches gilt für die der Verurteilung vom Januar 1997 zugrunde liegenden Tat. Der Kläger hatte seinen Gegner getreten und ihn mit Fäusten geschlagen, dass sein Mittelhandknochen brach. Es sind immer wieder Körperverletzungen von erheblichem Gewicht, die der Kläger begangen hat. Auch die der Verurteilung vom Oktober 2001 zugrunde liegende Tat verlief in gleicher Art und Weise: Der Kläger trat seinen Gegner ins Gesicht, dass er eine Nasenrückentrümmerfraktur und einen Nasenmuschelriss erlitt. Vom Amtsgericht Nürnberg wird der Kläger als Hitzkopf bezeichnet, der sich sehr schnell provozieren lässt. Seine Vorstrafen geben nach Auffassung des Amtsgerichts keinen Hinweis darauf, dass sich der Kläger künftig straffrei führen wird. Der Einzelrichter teilt die Einschätzung der Strafrichter zum Persönlichkeitsbild des Klägers. Der Kläger ist 1996, 1997, 1998, 2000 und 2001 wegen Körperverletzung mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Seine Familie hat ihn nicht davon abhalten können, immer wieder straffällig zu werden. Auch die wiederholten Strafaussetzungen zur Bewährung haben den Kläger nicht belehrt. Die Warnungen der Ausländerbehörde und die Hinweise auf eine mögliche Ausweisung hat der Kläger ignoriert. Seine Beteuerungen, er sei im Grunde kein schlechter Kerl und nach dem jugendlichen Alter seien ruhigere Bahnen vorgezeichnet, sind nicht glaubhaft. Der Kläger ist ein krimineller Schläger, bei dem angesichts seiner wiederholten Straftaten und seiner Persönlichkeitsstruktur konkret mit erneuten Straftaten von Gewicht zu rechnen ist.

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Dies ist auch nicht deshalb anders zu beurteilen, weil sich der Kläger in der Justizvollzugsanstalt beanstandungsfrei geführt hat und die Reststrafe nach Verbüßung von zwei Dritteln jetzt zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Denn in der Justizvollzugsanstalt hat er genügend Betreuungsangebote gehabt, die ihm außerhalb des Vollzuges nicht zur Verfügung stehen. Bei Erlass des Widerspruchsbescheides als maßgeblichem Zeitpunkt war die Vollstreckung noch nicht ausgesetzt. Die Entwicklung nach diesem Zeitpunkt muss - wie ausgeführt - aus Rechtsgründen zwingend außer Acht bleiben. Die Strafaussetzung kann erst in einem selbständigen Antragsverfahren auf Befristung der Wirkung der Ausweisung nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG von Belang sein (OVG Lüneburg, Beschl.v. 22.08.2002 - 11 LA 285/02 -). Abgesehen davon bestehen starke Zweifel, dass die über (lediglich) 10 Sitzungen laufende Gruppentherapie „Oase“ und die übrigen Erlebnisse und Eindrücke im Strafvollzug den Kläger läutern und eine Hinwendung zur Friedfertigkeit bewirken, letztlich das schaffen, was persönliches Umfeld, Familie, strafrichterliche Bewährungsstrafen und behördliche Drohungen in der Vergangenheit nicht geschafft haben. Der Einzelrichter nimmt dem Kläger ab, dass er sich - insbesondere wegen der drohenden Ausweisung und Abschiebung aus Deutschland - bemühen möchte, ein anderes Leben zu führen, jedoch meint der Einzelrichter, dass dieses Bemühen angesichts der Vorfälle in der Vergangenheit, der ständig wiederholten Gesetzesverstöße und des Persönlichkeitsbildes nicht mit der erforderlichen Sicherheit von Erfolg gekrönt sein wird.

33

Der Umstand, dass der Kläger in Deutschland geboren ist, begründet keinen Ausnahmefall von der Regelausweisung. Aus § 47 Abs. 3 S. 1 u. 2 i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG ergibt sich, dass dieser Umstand erst dann einen besonderen Ausweisungsschutz begründet, wenn über die Geburt in Deutschland hinaus der Ausländer im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis ist. Hat ein Ausländer – wie hier der Kläger – keine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, kann allein der Umstand der Geburt in Deutschland am Gesetz vorbei keinen Ausnahmefall von der Regelausweisung begründen.

34

Auch die persönliche Situation des Klägers im Übrigen rechtfertigt keine Ausnahme von der Regelausweisung. Insbesondere liegt ein Verstoß gegen Art. 6 GG und Art. 8 ERMK nicht vor. Die familiären Verhältnisse weisen keine Besonderheiten auf, die die Ausweisung im Vergleich zu anderen Fällen der Regelausweisung als unangemessene Härte erscheinen lassen. Der Kläger ist volljährig und imstande, allein zu leben. Weder sind seine Eltern auf seinen Beistand, noch ist der Kläger auf den Beistand seiner Eltern zwingend angewiesen. Ohne Hinzutreten besonderer Umstände wie etwa Beistandsbedürftigkeit des Klägers oder eines Familienangehörigen begründet die Tatsache, dass der Kläger in Deutschland verwurzelt ist und seine Familienangehörigen hier leben, keinen Ausnahmefall. Das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung geht dem Bestand der familiären Lebensgemeinschaft in Deutschland vor, weil der Kläger in beachtlicher Weise und wiederholt gegen Strafgesetze verstoßen hat, und erneute Rechtsverstöße konkret zu besorgen sind. Im Übrigen kann dem Schutz der Familie angemessen in einem Verfahren auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung Rechnung getragen werden, was hier jedoch nicht Streitgegenstand ist. Es liegen auch keine konkreten Hinweise dafür vor, dass einer Integration des Klägers in der Türkei Hindernisse von solchem Gewicht entgegenstünden, dass ihnen Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Ausweisung zukäme.

35

Europarecht steht der Ausweisung nicht entgegen. Allerdings können nach der Rechtsprechung des EuGH türkische Staatsangehörige, die eine Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 oder Art. 7 ARB 1/80 haben, nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit ausgewiesen werden, wobei nur eine Ausweisung aus spezialpräventiven, nicht aber eine solche aus generalpräventiven Gesichtspunkten gerechtfertigt ist; Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 verbietet Ausweisungen ohne Berücksichtigung des persönlichen Verhaltens des Täters. Eine Ausweisung aus spezialpräventiven Gesichtspunkten bleibt zulässig. Geht man davon aus, dass der Kläger einen Anspruch auf eine Arbeitserlaubnis nach Art. 6 oder 7 ARB 1/80 hat, woraus auch ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis folgen würde, kann er gleichwohl ausgewiesen werden: Eine Ausweisung aus Gründen der Spezialprävention widerspricht nicht Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80. Der Kläger ist hier aus Gründen der Spezialprävention auszuweisen, weil – wie ausgeführt – im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides eine strafrechtliche Wiederholungsgefahr konkret zu besorgen gewesen ist.

36

Der Hinweis des Klägers auf Art. 13 ARB 1/80 steht der Ausweisung nicht entgegen, weil das Stillhaltegebot des Art. 13 ARB 1/80 unter dem Vorbehalt von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 steht, d.h. bei einer spezialpräventiven Ausweisung wegen strafrechtlicher Wiederholungsgefahr das Stillhalteverbot des Art. 13 ARB 1/80 nicht zum Tragen kommt (OVG Münster, Urt. v. 13.06.2001 – 17 A 5552/00 -).

37

Wegen der Vereinbarung der Ausweisung mit dem Europarecht im Übrigen wird verwiesen und Bezug genommen auf die Begründung im angefochtenen Bescheid und Widerspruchsbescheid. Der Einzelrichter folgt der Begründung und sieht von einer weiteren Darstellung ab (vgl. § 117 Abs. 5 VwGO).

38

b) Die Androhung und Ankündigung der Abschiebung beruht auf §§ 49, 50 AuslG. Rechtsfehler hinsichtlich der Regelungen des Bescheides insoweit sind nicht gegeben.

39

c) Die Aufforderung, den Pass auszuhändigen, beruht auf § 42 Abs. 6 AuslG.

40

2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung. Nach § 8 Abs. 2 AuslG wird einem Ausländer, der ausgewiesen worden ist, auch bei Vorliegend er Voraussetzungen eines Anspruchs keine Aufenthaltsgenehmigung erteilt.

41

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.