Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 21.06.1996, Az.: IX 84/91

Anspruch auf Herabsetzung des Gewerbeertrags wegen Steuerfreiheit eines durch Verminderung einer betrieblichen Rentenverpflichtung entstandenen Gewinns; Erhöhungen des Betriebsvermögens bei Schuldenerlass zum Zwecke der Sanierung; Sanierungsbedürfnis und Teilerlass von Schulden; Schaffung der Ertragsfähigkeit durch Maßnahmen; Unternehmensbezogene Auslegung der Norm; Entbehrlichkeit der Überschuldung; Erlass von Zinsen; Berücksichtigung von Bilanzierungsfehlern

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
21.06.1996
Aktenzeichen
IX 84/91
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 18873
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1996:0621.IX84.91.0A

Fundstellen

  • DB (Beilage) 1997, 21 (Kurzinformation)
  • DStRE 1997, 481-484 (Volltext mit amtl. LS)
  • EFG 1996, 1016-1018 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Feststellungsbescheid 1988 und Gewerbesteuermeßbetrag 1988

Amtlicher Leitsatz

Sanierungsgewinn durch Herabsetzung einer Rentenverpflichtung

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Unter einer Sanierung eines Unternehmens sind Maßnahmen zu verstehen, die geeignet sind, ein Unternehmen vor dem Zusammenbruch zu bewahren und wieder ertragsfähig zu machen. Es muss eine bestimmte Maßnahme aller oder einzelner Gläubiger zugrunde liegen, die zwar an keine Form gebunden ist, sich aber im Wege eines allgemeinen Akkords, eines Vergleichs oder einzelner Vereinbarungen als ein Erlass darstellt. Der darüber hinaus zu Grunde liegende Sanierungszweck führt zur Steuerfreiheit der daduch entstandenen Betriebsvermögenserhöhung.

  2. 2.

    Ein Sanierungsgewinn kann auch dann steuerfrei sein kann, wenn durch den Schulderlass nicht die wirtschaftliche Gesundung einer Personengesellschaft, sondern die der persönlich haftenden Gesellschafter bezweckt wird. Es genügt für die Sanierungseignung, wenn der Forderungserlass einem Einzelunternehmer ermöglicht, das von ihm betriebene Unternehmen aufzugeben, ohne von weiter bestehenden Schulden beeinträchtigt zu sein.

  3. 3.

    Entsprechendes gilt auch für den Gesellschafter einer Mitunternehmerschaft, der persönlich unbeschränkt haftet.

Der IX. Senat des Finanzgerichts Niedersachsen hat
nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 21. Juni 1996, an der mitgewirkt haben:
Vorsitzender Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtliche Richterin ...
ehrenamtlicher Richter ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Der Gewinnfeststellungsbescheid 1988 vom 27. Juni 1994 wird geändert und der Gewinnanteil des Beigeladenen auf 21.088 DM festgesetzt.

Der Bescheid über den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag vom 4. Juli 1994 wird geändert und der Meßbetrag nach dem Gewerbeertrag nach einem Gewinn aus Gewerbebetrieb von 74.972 DM festgesetzt.

Die Berechnung des Meßbetrags wird dem Beklagten übertragen. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen werden nicht erstattet.

Das Urteil ist für die Klägerin hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob der durch eine Verminderung einer betrieblichen Rentenverpflichtung entstandene Gewinn als Sanierungsgewinn steuerfrei zu belassen und der Gewerbeertrag entsprechend herabzusetzen ist.

2

Die Klägerin ist eine offene Handelsgesellschaft (OHG), die u.a. ein Hoch- und Tiefbauunternehmen betreibt. Der Beigeladene (Beiladungsbeschluß vom 11. Juni 1996) ist an der Klägerin zu 50 v.H. beteiligt und ausschließlich für die Klägerin tätig. Er erhält dafür keine Vergütung.

3

Seinen Gesellschaftsanteil hatte der Beigeladene durch Vertrag vom 14. Dezember 1973 vom Gesellschafter L. erworben. Als Gegenleistung für die Übertragung der Beteiligung hatte er sich verpflichtet, L. eine Leibrente von monatlich 4.000 DM und nach dessen Ableben der Ehefrau ein Drittel dieses Betrags zu zahlen. Die Rente diente nach dem Vertrag dem Lebensunterhalt der Berechtigten.

4

Neben einer Anpassungs-(Wertsicherungs-)Klausel vereinbarten die Vertragsbeteiligten, daß sich die Rentenzahlungen vorübergehend ermäßigen sollten "sobald vom Käufer glaubhaft gemacht wird, daß nach dem Stand der Gesellschaft und unter Berücksichtigung der angemessenen Unterhaltsbedürfnisse des Käufers die Rente in der vereinbarten Höhe nicht mehr tragbar erscheint".

5

Der Beigeladene führte das in der Bilanz zum 31. Dezember 1973 ausgewiesene Kapital des L. in Höhe von 479.447,74 DM fort. In seiner Ergänzungsbilanz passivierte er den Rentenbarwert und schrieb diesen vermindert um die jährlichen Rentenzahlungen, die in voller Höhe als Betriebsausgaben behandelt wurden, fort.

6

Die Klägerin erwirtschaftete in den Jahren 1981 bis 1988 überwiegend Gewinne. Die Kapitalkonten- und Gewinnentwicklung des Beigeladenen stellt sich wie folgt dar:

Kapital01.01.1981774.777  DM
Gewinn198195.715  DM
01.01.1982686.824  DM
Gewinn1982281.984  DM
01.01.1983710.653  DM
Verlust198388.344  DM
01.01.1984475.164  DM
Gewinn198428.412  DM
01.01.1985451.157  DM
19854.289  DM
01.01.1986319.920  DM
1986116.588  DM
01.01.1987304.981  DM
198759.995  DM
Gewinn01.01.1988242.686  DM
198857.743  DM
31.12.1988159.882  DM.
7

Aufgrund der Anpassungsklausel stieg die Rente und betrug im Streitjahr 1988 monatlich 6.400 DM. Da der Beigeladene die fälligen Beträge wegen der rückläufigen Gewinnentwicklung der Klägerin nicht mehr in voller Höhe aufbringen konnte, stundete und erließ L. seit 1985 Teilbeträge. Zum 31. Dezember 1987 beliefen sich die Rückstände auf 66.300 DM zzgl. 1.676,10 DM Zinsen.

8

Im Dezember 1987 vereinbarten der Beigeladene und L. eine Änderung der Rentenverpflichtung. L. verzichtete wegen der schlechten Wirtschaftslage der Klägerin und des Beigeladenen auf die aufgelaufenen Rückstände und Zinsen. Weiter erklärte er sich damit einverstanden, daß der Beigeladene ab 1. Januar 1988 lediglich eine Rente von 4.000 DM monatlich zu zahlen hat.

9

Durch die Änderungsvereinbarung verringerte sich der Rentenbarwert um 168.338 DM. Den neuen Wert von 280.653 DM passivierte die Klägerin in der Ergänzungsbilanz für den Beigeladenen auf den 31. Dezember 1988 und behandelte den dadurch entstandenen Gewinn über 168.338 DM als steuerfreien Sanierungsgewinn.

10

Dieser Behandlung folgte der Beklagte (das Finanzamt - FA -) durch Änderungsbescheid gem. § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) vor der in 1993 durchgeführten Außenprüfung nicht mehr, sondern erfaßte den Ertrag aus der Verminderung des Rentenbarwerts in voller Höhe als Sonderbetriebseinnahme.

11

Der dagegen erhobene Einspruch blieb erfolglos.

12

Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin gegen die Besteuerung des streitigen Gewinnbetrags. Sie ist der Auffassung, dieser Gewinnanteil sei nach § 3 Nr. 66 EStG als Sanierungsgewinn steuerfrei zu belassen. Für die Prüfung der Sanierungsvoraussetzungen sei nicht auf die Klägerin, sondern auf den Beigeladenen abzustellen. Dieser sei seit dem 1. Januar 1988 buchmäßig überschuldet gewesen, wie die Gewinnentwicklung von 1983 bis 1987 zeige:

13

Gewinnentwicklung des Beigeladenen von 1983 bis 1987

HandelsbilanzErgänzungsbilanzGewinn i. S. des §  15  EStG
1983./.88.344  DM./.67.202  DM./.155.546  DM
1984+28.412  DM./.67.803  DM./.39.391  DM
1985+4.289  DM./.43.890  DM./.39.601  DM
1986+116.588  DM./.42.499  DM+74.089  DM
1987+59.995  DM./.29.088  DM+30.907  DM
1983bis
1987:+120.940  DM./.250.482  DM./.129.542  DM
+24.188  DM./.50.096  DM./.25.908  DM
14

Die Kapitalkontenentwicklung stelle sich wie folgt dar: Kapitalentwicklung des Beigeladenen vom 01.01.1983 bis 01.01.1988

HandelsbilanzErgänzungsbilanzsteuerliches Kapitalkonto
01.01.1983+710.653  DM./.514.819  DM+195.834  DM
01.01.1984+475.164  DM./.509.621  DM./.34.457  DM
01.01.1985+451.157  DM./.532.424  DM./.81.267  DM
01.01.1986+319.920  DM./.515.314  DM./.195.394  DM
01.01.1987+304.981  DM./.513.813  DM./.208.832  DM
01.01.1988+242.686  DM./.532.901  DM./.290.512  DM.
15

Soweit diese Zahlen von den erstellten Bilanzen abwichen, sei das darauf zurückzuführen, daß L. dem Beigeladenen bereits seit 1985 Teilbeträge erlassen habe, die in der vorstehenden Übersicht noch als Verbindlichkeiten behandelt seien. Da kein Vermögen und keine anderen Einkünfte vorhanden gewesen seien, habe aus Sicht des Beigeladenen im Streitjahr eine Sanierungssituation bestanden.

16

Die Herabsetzung der Rentenverpflichtung sei auch geeignet gewesen, den Beigeladenen vor einem Konkurs und dem sich daraus zwangsläufig ergebenden Ausscheiden aus der Klägerin zu verhindern.

17

Das FA hat die angefochtenen Steuerbescheide während des Klageverfahrens nochmals geändert. Die Klägerin hat die Änderungsbescheide nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.

18

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

  1. 1.

    den Feststellungsbescheid vom 27. Juni 1994 zu ändern und den Gewinnanteil des Beigeladenen auf 21.088 DM festzustellen;

  2. 2.

    den Bescheid über den einheitlichen Gewerbesteuer-Meßbetrag vom 4. Juli 1994 zu ändern und den Meßbetrag nach einem Gewerbeertrag von 74.972 DM festzusetzen.

19

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

20

Es bleibt bei seiner im Verwaltungsverfahren vertretenen Rechtsauffassung, weder die Klägerin noch der Beigeladene seien sanierungsbedürftig i.S.d. § 3 Nr. 66 EStG gewesen.

21

Der Senat hat am 11. Juni 1996 beschlossen, den ehemaligen Gesellschafter L. als Zeugen zu vernehmen, aber wegen des hohen Alters des Zeugen von einer Anhörung abgesehen.

Entscheidungsgründe

22

Die Klage ist begründet.

23

Die angefochtenen Steuerbescheide sind rechtswidrig, da das FA die durch die Minderung des Rentenbarwerts entstandene Gewinnerhöhung von 168.338 DM beim Beigeladenen der Besteuerung unterzogen und der Festsetzung des einheitlichen Gewerbesteuer-Meßbetrags somit einen zu hohen Gewerbeertrag zugrunde gelegt hat.

24

Nach § 3 Nr. 66 EStG sind Erhöhungen des Betriebsvermögens, die dadurch entstehen, daß Schulden zum Zweck der Sanierung ganz oder teilweise erlassen werden, von der Einkommensteuer befreit.

25

Der Begriff der Sanierung ist gesetzlich nicht festgelegt. Nach der Rechtsprechung sind unter einer Sanierung Maßnahmen zu verstehen, die geeignet sind, ein Unternehmen vor dem Zusammenbruch zu bewahren und wieder ertragsfähig zu machen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22. April 1964 I 62/61 U BFHE 79, 382, BStBl III 1964, 370, m.w.N.). Es muß eine bestimmte Maßnahme aller oder einzelner Gläubiger zugrunde liegen, die zwar an keine Form gebunden ist, sich aber im Wege eines allgemeinen Akkords, eines Vergleichs oder einzelner Vereinbarungen als ein Erlaß i.S. des § 397 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) darstellt (BFH-Urteil vom 26. November 1980 I R 52/77, BFHE 132, 72, BStBl II 1981, 181).

26

Die Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns setzt im einzelnen voraus, daß das Unternehmen sanierungsbedürftig ist, daß die Schuld oder die Schulden ganz oder teilweise erlassen werden, daß die Gläubiger in der Absicht handeln, die geschäftliche und finanzielle Gesundung des Schuldners herbeizuführen, und daß der Schulderlaß geeignet ist, das sanierungsbedürftige Unternehmen vor dem Zusammenbruch zu bewahren und wieder ertragsfähig zu machen (BFH-Urteile vom 22. November 1983 VIII R 14/81, BFHE 140, 521, BStBl II 1984, 472, m.w.N.; vom 22. Januar 1985 VIII R 37/84, BFHE 143, 420, BStBl. II 1985, 501; vom 20. Februar 1986 IV R 172/84, BFH/NV 1987, 493; vom 28. Februar 1989 VIII R 303/84, BFHE 157, 51, BStBl II 1989, 711).

27

I. Das maßgebende Sanierungssubjekt

28

Zutreffend ist die Klägerin der Auffassung, daß ein Sanierungsgewinn auch dann steuerfrei sein kann, wenn durch den Schulderlaß nicht die wirtschaftliche Gesundung einer Personengesellschaft, sondern die der persönlich haftenden Gesellschafter bezweckt wird. Zwar hat der BFH in seinem Urteil in BFHE 143, 420, BStBl II 1985, 501 die Steuerfreiheit des durch einen Forderungsverzicht entstehenden Gewinns verneint, weil die Klägerin in dem dort entschiedenen Fall nicht spätestens im zeitlichen Zusammenhang mit dem Schulderlaß eine eigene werbende Tätigkeit aufgenommen hatte. Die Klägerin war eine GmbH & Co. KG, bei der keine natürliche Person für die Verbindlichkeiten unbeschränkt haftete. Entsprechendes gilt für das Urteil vom 7. Februar 1985 IV R 177/83 (BFHE 143, 531, BStBl II 1985, 504), das ebenfalls für eine GmbH & Co. KG die Möglichkeit einer "unternehmerbezogenen" Sanierung verneint.

29

Im Streitfall geht es jedoch nicht um einen Erlaß zugunsten eines Kommanditisten, der nur beschränkt haftet, sondern um einen Erlaß zugunsten eines Gesellschafters einer Personengesellschaft, der für die Gesellschaftsschulden persönlich unbeschränkt einzustehen hat.

30

Der I. Senat des BFH hat in den Urteilen vom 14. März 1990 I R 64/85 (BFHE 161, 28, BStBl II 1990, 810) und I R 106/85 (BFHE 161, 34, BStBl II 1990, 813) entschieden, daß es für die Sanierungseignung genügt, wenn der Forderungserlaß einem Einzelunternehmer ermöglicht, das von ihm betriebene Unternehmen aufzugeben, ohne von weiter bestehenden Schulden beeinträchtigt zu sein. Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an, die im Ergebnis mit der Rechtsprechung des RFH übereinstimmt (vgl. Urteile in RStBl 1937, 436; vom 12. Oktober 1938 VI 621/38, RStBl 1939, 86; vom 4. Mai 1938 VI 192/38, Steuer- und Wirtschaft - StuW - 1938, 576; vom 14. November 1938 VI 495/38, RStBl 1939, 117).

31

Nach Auffassung des Senats gelten diese Grundsätze nicht nur für einen Einzelunternehmer, sondern auch für den Gesellschafter einer Mitunternehmerschaft, der persönlich unbeschränkt haftet. Der Senat folgt damit auch insoweit der Rechtsprechung des RFH. Dieser hat eine steuerfreie Sanierung dann bejaht, wenn sich Gläubiger und Schuldner einigen, daß zwar der Betrieb der Personengesellschaft aufgegeben wird, daß aber dem einzelnen Gesellschafter durch die Einigung ein wirtschaftliches Bestehen als Angestellter oder in irgendeiner anderen Form ermöglicht werden soll (RFH in RStBl 1937, 436 und in StuW 1938, 576).

32

Der BFH hat zwar stärker als der RFH die Einheit der Personengesellschaft betont. Er geht davon aus, daß eine Personengesellschaft für die Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer insoweit Steuerrechtssubjekt ist, als sie in der Einheit ihrer Gesellschafter Merkmale eines Besteuerungstatbestandes verwirklicht, welche den Gesellschaftern für deren Besteuerung zuzurechnen sind (BFH-Beschluß vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, 425 f., BStBl II 1984, 751 761). Diese Betrachtung erfordert jedoch nicht, bei der Frage der Sanierungseignung ausschließlich auf die Personengesellschaft abzustellen. Die Personengesellschaft als solche unterliegt nicht der Einkommensteuer. Steuerpflichtig und damit Steuerschuldner sind die Gesellschafter als natürliche Personen. Die Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns kann sich deshalb auch nur bei den Gesellschaftern auswirken.

33

Durch die Steuerbefreiung der Sanierung soll der Erlaß von Forderungen begünstigt werden, die nicht mehr vollwertig sind, deren Fortbestand jedoch den Schuldner in seiner Existenz bedroht. Bestünde die Steuerfreiheit nicht, könnte es durch den Erlaß zum Anfall von Steuern kommen (BFH in BFHE 161, 28, BStBl II 1990, 810). Diese Situation besteht beim persönlich haftenden Gesellschafter einer Personengesellschaft in gleichem Maß wie bei einem Einzelunternehmer.

34

Die vom Senat vertretene Auffassung entspricht dem System des EStG. Subjekt der Einkommensteuer ist nicht der Betrieb, sondern die natürliche Person. Auf den Betrieb kommt es nur insoweit an, als das Betriebsvermögen Grundlage für die Ermittlung der Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 EStG bildet.

35

Die unternehmerbezogene Auslegung des § 3 Nr. 66 EStG ist verfassungskonform. Aus Art. 3 des Grundgesetzes (GG) folgt das Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 22. Februar 1984 1 BvL 10/80, BVerfGE 66, 214, BStBl II 1984, 357). Mit der Regelung in § 3 Nr. 66 wird erreicht, daß ein nicht mehr leistungsfähiger Schuldner nicht aufgrund von Maßnahmen zur Einkommensteuer herangezogen werden wird, die dazu dienen, seine Leistungsfähigkeit wieder herzustellen. Dieser Gesichtspunkt trifft auch auf den Fall zu, daß die Leistungsfähigkeit nicht gerade im Hinblick auf den Betrieb hergestellt wird, in dem die Schulden begründet sind und die erlassen werden.

36

Die Anwendung dieser Grundsätze gebietet, bei der Frage nach der Sanierungsbedürftigkeit auf die wirtschaftliche Situation des Beigeladenen als Gesellschafter der Klägerin und nicht auf die der Klägerin abzustellen. Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob der Beigeladene tatsächlich im konkursrechtlichen Sinne überschuldet war oder nicht, denn die Sanierungsbedürftigkeit setzt keine Überschuldung voraus. Vielmehr reicht es hin, daß mit einer Zahlungsunfähigkeit des Schuldners ohne die zur Sanierung führenden Maßnahmen in absehbarer Zeit zu rechnen gewesen war. Dazu haben die Klägerin in der Klageschrift und der Beigeladene in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Senats - vom Beklagten im Ergebnis unwidersprochen - vorgetragen, daß der Beigeladene die Rentenverpflichtung von mittlerweile 6.400 DM monatlich aus dem ihm zustehenden Gewinn der Gesellschaft nicht mehr hätte tragen können. In den Jahren 1983 bis 1987 hat der Beigeladene lediglich 1986 und 1987 einen Gewinn von 74.089 DM bzw. 30.907 DM erzielt. Für die Folgejahre konnte - wie der Beigeladene ausführlich geschildert hat - aufgrund der schlechter werdenden Ertragslage in der Baubranche keine günstige Prognose gestellt werden. Sein Kapitalkonto hatte sich nach der Ergänzungsbilanz zum 01.01.1988 auf negativ 532.901 DM verschlechtert. Kreditmittel standen ihm nicht zur Verfügung. Da auch kein verwertbares Vermögen und keine weiteren Einkünfte vorhanden waren, geht der Senat davon aus, daß beim Beigeladenen eine i.S.d. § 3 Nr. 66 EStG sanierungsbedürftige Wirtschafts- und Finanzlage gegeben war.

37

II. Sanierungseignung der Rentenanpassung

38

Die Anpassung der Rentenverpflichtung zum 01.01.1988 von monatlich 6.400 DM auf 4.000 DM war auch geeignet, den Beigeladenen i.S.d. § 3 Nr. 66 EStG zu sanieren. Das Tatbestandserfordernis der sog. Sanierungseignung, gelegentlich auch als Sanierungserfolg bezeichnet (z.B. Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 4. Aufl., S. 180), folgt aus dem primären wirtschafts- und sozialpolitischen Zweck und der sachlichen Rechtfertigung der Steuerbefreiung, das Unternehmen als Faktor des Wirtschaftslebens, insbesondere als Einkunftsquelle des Unternehmers und seiner Arbeitnehmer und mittelbar auch seiner Geschäftspartner, "am Leben zu erhalten" (z.B. Senatsurteil vom 15. Dezember 1966 IV 232/64 BFHE 88, 122, 123, BStBl III 1967, 309; vgl. auch Groh in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 3 EStG Anm. 424). Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, daß es dem Beigeladenen durch die Herabsetzung der Rentenverpflichtung gelungen war, seinen Verpflichtungen gegenüber dem früheren Gesellschafter - wenn auch in verminderter Höhe - nachzukommen und so seine Gesellschafterstellung in der Klägerin beizubehalten. Ohne die Rentenanpassung und den Erlaß der bereits gestundeten Renten- und Zinsbeträge hätte der Beigeladene in absehbarer Zeit Konkurs anmelden und aus der Klägerin ausscheiden müssen. Die Anpassungsvereinbarung hat somit, wenn auch im Zusammenhang mit einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Klägerin nach 1989 und daraus resultierender höherer Gewinne, dazu beigetragen, daß es dem Beigeladenen möglich wurde, als Gesellschafter der Klägerin weiter zu bestehen und seine Einkunftsquelle in Form der Beteiligung aufrechtzuerhalten. Hinzu kommt, daß sich sein monatlicher Liquiditätsstatus verbesserte und sich seine Kreditwürdigkeit aufgrund der geringeren Verpflichtung erhöhte.

39

III. Erlaß bestehender Forderung

40

Begünstigt ist nach dem Gesetz allerdings nur der Erlaß bereits zugunsten des Gläubigers bestehender Ansprüche. Die Rechtsprechung hat dementsprechend nur den Erlaß bereits aufgelaufener Zinsen, nicht aber die Ermäßigung des Zinssatzes für die Zukunft als steuerbegünstigte Sanierungsmaßnahme angesehen (Urteil des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 21. Dezember 1937 I 326/37, RStBl 1938, 239). Auch die Aufhebung eines für den Steuerpflichtigen nachteiligen Lieferungsvertrages wurde nicht zu den steuerbegünstigten Sanierungsmaßnahmen gerechnet (RFH-Urteil vom 10. Dezember 1930 VI A 793/30, RStBl 1931, 195). Ebenfalls soll die Zubilligung einer Preiserhöhung gegenüber einem notleidenden Schuldner nicht zu einem steuerbefreiten Sanierungsgewinn führen (BFH-Urteil vom 31. Januar 1985 IV R 149/82, BFHE 143, 267, BStBl II 1985, 365). Auch in der Gewährung eines Zuschusses wird keine steuerbegünstigte Sanierungsmaßnahme gesehen (BFH in BFHE 143, 267, BStBl II 1985, 365 m.w.N.). Zwar mag eine durch solche Maßnahmen bewirkte Gewinnerhöhung nicht auf eine entsprechende steuerliche Leistungsfähigkeit hindeuten, doch gilt dies nicht mit der gleichen Gewißheit wie für den Schulderlaß als typische Maßnahme zur Abwehr der Zahlungsunfähigkeit bzw. der Überschuldung und damit des Konkurses des Leistungspflichtigen. Die steuerliche Begünstigung des Schulderlasses soll daher nicht auf weitere Stützungsmaßnahmen der Gläubiger ausgedehnt werden. In dieser auf sachlichen Gründen beruhenden Differenzierung liegt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (BFH in BFHE 143, 267, BStBl II 1985, 365).

41

Der Senat folgt dieser Rechtsprechung grundsätzlich. Im Streitfall ist er jedoch der Auffassung, daß auch die Herabsetzung der Rentenverpflichtung, die keinen eigentlichen Erlaß im zivilrechtlichen Sinne (§ 397 BGB) darstellt, einer Erlaßmaßnahme gleichgestellt werden muß. Es kann bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise keinen Unterschied machen, ob der Gläubiger des Beigeladenen formal auf Erfüllung der ursprünglichen Rentenverpflichtung bestanden hätte, aber die über den monatlichen Betrag von 4.000 DM hinausgehenden Beträge - möglicherweise erst nach einer vorangegangenen Stundung - erlassen hätte oder ob sich - wie geschehen - die Vertragsbeteiligten zu einer Abänderung der ursprünglichen Verpflichtung entschließen. In beiden Fällen hätte der Beigeladene tatsächlich nur den Betrag von 4.000 DM monatlich zu zahlen gehabt, wäre also von dem übersteigenden Betrag befreit worden. Aus dieser Überlegung heraus, stellt auch die Abänderungsvereinbarung aus dem Dezember 1987 eine geeignete Sanierungsmaßnahme i.S.d. § 3 Nr. 66 EStG dar.

42

IV. Sanierungsabsicht

43

Die Anpassung der Rentenvereinbarung ist von den Rentenberechtigten in Sanierungsabsicht vorgenommen worden. Sie haben in ihrer schriftlichen Äußerung vom 8. August 1991 erklärt, der Änderungsvereinbarung hätten sie zugestimmt, um sowohl den Beigeladenen als auch die Klägerin zu sanieren. Der Senat hat angesichts dieser Erklärung und des altersbedingt schlechten Gesundheitszustands des ehemaligen Gesellschafters der Klägerin darauf verzichtet, diesen persönlich anzuhören. Der Sanierungsabsicht steht nicht entgegen, daß die Rente dem Lebensunterhalt der Berechtigten diente und diese befürchten mußten, ohne eine Anpassung in nächster Zeit keine Zahlungen mehr zu erhalten. Dieser Beweggrund tritt nach Auffassung des Senats in den Hintergrund, denn den Rentenberechtigten mußte in erster Linie an einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation des Rentenverpflichteten (Beigeladenen) gelegen sein, damit die Rentenzahlungen langfristig gesichert wurden. Da somit alle Voraussetzungen eines steuerfreien Sanierungsgewinns nach § 3 Nr. 66 EStG vorgelegen haben, war der sich durch die Verminderung des Rentenbarwerts ergebenden Gewinn des Beigeladenen in Höhe von 168.338 DM steuerfrei zu belassen.

44

V. Berücksichtigung des Sanierungsgewinns im Streitjahr 1988

45

Nach den einvernehmlichen Feststellungen in der mündlichen Verhandlung wurde die undatierte Änderungsvereinbarung schon im Dezember 1987 abgeschlossen, so daß der Klägerin bereits zum Bilanzstichtag 31. Dezember 1987 bekannt war bzw. bekannt gewesen sein mußte, daß sich der Barwert der Rentenverpflichtung des Beigeladenen um 168.338 DM ermäßigen würde. Die Ergänzungsbilanz dieses Jahres enthält allerdings noch den vom ursprünglichen Barwert abgeleiteten Ansatz. Der Abschluß der Änderungsvereinbarung wurde somit nicht zum 31. Dezember 1987, sondern erst zum 31. Dezember 1988 (Streitjahr) bilanzmäßig erfaßt. Dem ist der Außenprüfer des FA gefolgt.

46

Die Klägerin hat, wie sich aus diesen Feststellungen ergibt, zum 31. Dezember 1987 einen zu hohen Rentenbarwert passiviert. Dieser hätte bereits 1987 angepaßt werden müssen. Insoweit lag ein fehlerhafter Bilanzansatz vor, der durch eine entsprechende Bilanzberichtigung (§ 4 Abs. 2 Satz 1 EStG) rückgängig gemacht werden mußte.

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a) Bilanzierungsfehler sind grundsätzlich und vorrangig in der Bilanz des Wirtschaftsjahres zu berichtigen, in der es zu der fehlerhaften Bilanzierung gekommen ist. Liegt für das Jahr, in dem es zu der fehlerhaften Bilanzierung gekommen ist, bereits ein Steuerbescheid vor, der aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht mehr geändert werden kann, so ist nach dem Grundsatz des formellen Bilanzenzusammenhangs (vgl. hierzu u.a. BFH-Urteil vom 16. Mai 1990 X R 72/87, BFHE 161, 451, BStBl II 1990, 144, 1046 m.w.N.) der unrichtige Bilanzansatz grundsätzlich in der ersten Schlußbilanz richtigzustellen, in der dies unter Beachtung der für den Eintritt der Bestandskraft und der Verjährung maßgeblichen Vorschriften möglich ist, und zwar grundsätzlich erfolgswirksam (Urteil in BFHE 161, 451, BStBl II 1990, 144, 1046). Bei der gesonderten und einheitlichen Feststellung von Einkünften nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO ist der Bilanzierungsfehler hiernach in der Bilanz des ersten Wirtschaftsjahres zu berichtigen, dem noch kein bestandskräftiger und nicht mehr änderbarer Feststellungsbescheid zugrunde liegt.

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b) Für die gesonderte Feststellung gelten gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 AO die Vorschriften über die Durchführung der Besteuerung sinngemäß. Demzufolge gelten auch die Vorschriften über die Festsetzungsverjährung grundsätzlich auch für Feststellungsbescheide sinngemäß (Tipke/Kruse, a.a.O., § 181 AO Tz. 1). Da die Feststellungserklärung für 1987 am 10. Oktober 1988 abgegeben worden war, endete hiernach die Feststellungsfrist vorbehaltlich der Regelung in § 181 Abs. 5 AO mit Ablauf des 31. Dezember 1992 (§ 181 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Dies führt gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 169 Abs. 1 Satz 1 AO dazu, daß der Feststellungsbescheid 1987 im Zeitpunkt des Beginns der Außenprüfung (25. Oktober 1993) nicht mehr geändert werden konnte. Diese Rechtslage stellt auch der Bericht über die Außenprüfung vom 4. Februar 1992 (Seite 2) zutreffend fest. Die in der Bilanz zum 31. Dezember 1987 zu hoch passivierte Rentenverpflichtung war deshalb in der Bilanz des Streitjahres - wie geschehen - gewinnerhöhend aufzulösen mit der Folge, daß im Bescheid für das Streitjahr 1988 ein entsprechend höherer, aber nach § 3 Nr. 66 EStG steuerfrei zu belassener Gewinn für den Beigeladenen festzustellen ist.

49

Dieser Gewinn ist auch der Festsetzung des einheitlichen Gewerbesteuer-Meßbetrags 1988 zugrunde zu legen. Die Berechnung des Meßbetrags wird nach § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem FA übertragen.

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VI.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung des Streitfalles zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

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VII.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozeßordnung.