Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 24.06.1996, Az.: I 10/92

Anforderungen an die Ermittlung der Höhe der zu zahlenden Einkommensteuer; Anforderungen an die Bildung einer Rücklage; Veräußerung lebenden Inventars eines landwirtschaftlichen und forstwirtschaftlichen Betriebes im Zusammenhang mit einer Betriebsumstellung

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
24.06.1996
Aktenzeichen
I 10/92
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 23719
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1996:0624.I10.92.0A

Fundstellen

  • DB (Beilage) 1997, 16 (Kurzinformation)
  • EFG 1996, 974-975 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Einkommensteuer 1989

In dem Rechtsstreit
hat der I. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 24. Juni 1996,
an der mitgewirkt haben:
1. Vorsitzender Richter am Finanzgericht ...
2. Richter am Finanzgericht ...
3. Richter am Finanzgericht ...
4. ehrenamtlicher Richter ...
5. ehrenamtlicher Richter ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Der Einkommensteuerbescheid 1989 vom 21. Oktober 1991 und der Einspruchsbescheid vom 10. Dezember 1991 werden abgeändert und die Einkommensteuer 1989 auf 8.788 DM festgesetzt.

Die Kosten trägt der Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Geldbetrages in Höhe des an die Kläger zu erstattenden Betrages abwenden, sofern diese nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Im Streit ist die Bildung einer Rücklage nach § 6 b Einkommensteuergesetz (EStG).

2

Der Kläger (Kl.) ist Landwirt. Er ermittelt seinen Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft nach § 4 Abs. 1 EStG. Er hat zum 01.01.1989 den landwirtschaftlichen Betrieb verpachtet. Die selbstbewirtschaftete Fläche betrug vor der Verpachtung 48,26 ha. Nicht verpachtet wurden 3,94 ha Ödland und 0,51 ha Wald. Im Zuge der Verpachtung wurde das lebende Inventar - 25 Kühe, 8 Rinder und 32 Kälber - veräußert. Der Veräußerungsgewinn betrug 70.159,74 DM. In Höhe von 80 % von 70.159,74 DM = 56.127,79 DM bildete er eine Rücklage nach § 6 b Abs. 3 EStG. Diese Rücklage hat der Beklagte (Bekl.) nicht anerkannt. Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Vorverfahren die Klage, zu deren Begründung die Kl. ausführen:

3

Die Veräußerung des Viehbestandes sei eine Betriebsumstellung im Sinne des § 6 b Abs. 1 EStG. Die Verpachtung führe zu einer Änderung der agrarwirtschaftlichen Grundstruktur des Betriebes und zu einer wesentlichen Änderung der Landwirtschaftlichen Betriebsorganisation. Eine Betriebsaufgabe sei nicht erklärt worden. Der Verkauf des gesamten Tierbestandes und die Verpachtung seien die extremste Form der Betriebsumstellung. Für die Bildung einer Rücklage nach § 6 b EStG sei die Übertragung auf eine Ersatzinvestition nicht zwingend erforderlich. Durch die Rücklagenbildung könne bewußt eine Steuerstundung erstrebt werden. Durch § 6 b EStG solle auch der Strukturwandel in der Landwirtschaft durch die Verpachtung kleinerer landwirtschaftlicher Betriebe an Vollerwerbsbetriebe gefördert werden.

4

Die Kl. beantragen,

unter Änderung des Einkommensteuerbescheides 1989 vom 21. Oktober 1991 und des Einspruchsbescheides vom 10. Dezember 1991 im Wirtschaftsjahr 1989/1990 bei dem Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft eine Rücklage nach § 6 b EStG in Höhe von 56.127,79 DM zu berücksichtigen und die Einkommensteuer 1989 auf 8.788 DM herabzusetzen.

5

Der Bekl. beantragt,

die Klage abzuweisen.

6

Der Bekl. nimmt auf die Gründe der Einspruchsentscheidung Bezug und führt aus:

7

Eine Betriebsumstellung Liege nur bei einer wesentlichen Änderung der landwirtschaftlichen Betriebsorganisation vor. Die Veräußerung des gesamten Tierbestandes anläßlich der Verpachtung führe zu keiner Betriebsumstellung. Nur wenn der Landwirt die Absicht habe, einen anderen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb zu erwerben oder zu pachten und diese Absicht im Zeitpunkt der Aufgabe zu erkennen gebe, könne von einer Betriebsumstellung ausgegangen werden. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe in dem Urteil vom 15.02.1990 IV R 59/89 BStBl II 1991, 11, zwar in der Verkleinerung eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes mit Einstellung der Milchviehhaltung und der gleichzeitigen Aufnahme einer gewerblichen Tätigkeit eine Betriebsumstellung im Sinne des § 6 b Abs. 1 EStG gesehen. Der BFH habe dabei aber besonders auf die neu aufgenommene gewerbliche Tätigkeit abgestellt. § 6 b EStG diene in erster Linie dazu, Mittel für dringend benötigte Investitionsvorhaben zurückzustellen. Die Kl. hätten nicht die Absicht gehabt, zu investieren.

8

Im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Einkommensteuer-, Rechtsbehelfs- und Bilanzakten des Finanzamts (FA) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

9

Die Klage ist begründet.

10

Wenn im Zusammenhang mit einer Betriebsumstellung lebendes Inventar eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes veräußert wird, können nach § 6 b Abs. 1 EStG 1989 bis zu 80 v.H. des bei der Veräußerung entstandenen Gewinns von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten anderer Wirtschaftsgüter - die in § 6 b Abs. 1 Satz 2 näher bezeichnet sind - abgezogen werden. Wird der Abzug nicht vorgenommen, kann nach Abs. 3 im Wirtschaftsjahr der Veräußerung eine den steuerlichen Gewinn mindernde Rücklage gebildet werden. Diese Voraussetzungen liegen hier vor, und zwar aus folgenden Gründen:

11

Die Verpachtung - ohne Betriebsaufgabe - ist eine Betriebsumstellung. Eine solche liegt nicht nur dann vor, wenn ein lebender Betrieb seine Wirtschaftsweise verändert, Als Beispiele werden in Abschn. 41 a Abs. 7 EStR 1989 die Umstellung auf viehlose Wirtschaft oder die Umstellung von Milchwirtschaft auf Schweinemast genannt. Eine Betriebsumstellung liegt erst recht vor, wenn der lebende Betrieb durch Verpachtung zu einem ruhenden Betrieb wird. § 6 b EStG ist nicht zu entnehmen, daß nur der selbstwirtschaftende Landwirt die Rücklage soll bilden können. Begünstigt wird vielmehr jeder Steuerpflichtige, der im Zusammenhang mit einer Betriebsumstellung - hier der Verpachtung - lebendes Inventar eines Land- und forstwirtschaftlichen Betriebes veräußert. So ist es hier. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem BFH-Urteil vom 15. Februar 1990 IV R 59/89 BStBl II 1991, 11.

12

Liegen - wie hier - die Voraussetzungen nach § 6 b Abs. 1 EStG vor, kann nach Abs. 3 der Vorschrift im Wirtschaftsjahr der Veräußerung eine den steuerlichen Gewinn mindernde Rücklage gebildet werden. Das Gesetz fordert für die Bildung der Rücklage keine Investitionsabsicht. Wenn auch der Zweck des § 6 b EStG darin besteht, durch den Verzicht auf die sofortige Besteuerung der aufgedeckten stillen Reserven der Wirtschaft die ökonomisch sinnvolle Anpassung an strukturelle Veränderungen produktionstechnischer, verteilungswirtschaftlicher und regionaler Art zu erleichtern und dem Betrieb die ersparten Mittel zur Modernisierung und Rationalisierung zu erhalten - BFH IV R 59/89; so schließt doch der Wortlaut des Gesetzes die Bildung der Rücklage selbst dann nicht aus, wenn der Betriebsinhaber von vornherein nicht die Absicht hat, die Rücklage gegen die Anschaffungs- oder Herstellungskosten von Ersatzwirtschaftsgütern aufzulösen; sondern der Steuerpflichtige die Rücklage nur bildet, um die Besteuerung hinauszuschieben.

13

Die Voraussetzungen des § 6 b Abs. 4 EStG für die Anwendung der Abs. 1 und 3 der Vorschrift liegen unstreitig vor.

14

Der Klage war daher stattzugeben.

15

Die Einkommensteuer 1989 ist wie folgt neu zu berechnen:

Zu versteuernder Einkommensbetrag lt. angefochtenem Bescheid76.334,00 DM
abzgl. anteilige Rücklage 1/2 von 56.127,79 DM28.064,00 DM
zu versteuerndes Einkommen lt. Urteil48.270,00 DM
Einkommensteuer nach der Splittingtabelle8.788,00 DM.
16

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO), die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozeßordnung.

17

Das Gericht hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.