Landgericht Göttingen
Beschl. v. 19.11.2007, Az.: 5 T 136/07
Pfändung einer Rente nach den für Arbeitseinkommen geltenden Vorschriften in Bezug auf die Billigkeit der Pfändung
Bibliographie
- Gericht
- LG Göttingen
- Datum
- 19.11.2007
- Aktenzeichen
- 5 T 136/07
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 56446
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGGOETT:2007:1119.5T136.07.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Osterode am Harz - 14.06.2007 - AZ: 8 IK 177/06
- nachfolgend
- BGH - 20.05.2010 - AZ: IX ZB 251/07
Rechtsgrundlagen
- § 850b Abs. 2 ZPO
- § 850c ZPO
...
hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen
durch
den Richter am Landgericht G als Einzelrichter
am 19. November 2007
beschlossen:
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Schuldners vom 23. Juni 2007 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Osterode am Harz vom 14.06.2007 wird zurückgewiesen.
Die einstweilige Anordnung der Kammer vom 13. August 2007 wird aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Schuldner zu tragen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Der Schuldner erlitt im Jahr 1989 auf einer Dienstfahrt einen schweren Verkehrsunfall mit der Folge von Gehirnschädigungen etc.. Er war lange Jahre in ärztlicher Behandlung und bedarf der Beaufsichtigung durch eine Bezugs- bzw. Vertrauensperson. Diese Aufsicht wird durch die Ehefrau des Schuldners wahrgenommen. Ferner wird der Schuldner teilweise von Nachbarn unentgeltlich betreut. Direkte finanzielle Mehraufwendungen für Medikamente und Arztzuzahlungen hat der Schuldner aufgrund seiner Krankheit nicht mehr. Der Schuldner hat außer Nebenkosten gegenwärtig keine Wohnkosten. Über das Vermögen des Schuldners wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Osterode am Harz vom 16.02.2007 das Insolvenzverfahren eröffnet. Zum Treuhänder wurde der Beschwerdegegner bestellt. Der Schuldner erhält eine monatliche Rentenleistung in Höhe von 697,26 EUR. Des Weiteren erhält er eine Verletztenrente von der Berufsgenossenschaft in Höhe von monatlich 1.076,87 EUR. Im Prüfungsbericht vom 25.04.2007 beantragte der Treuhänder gem. §36 InsO i.V.m. §850 b Ziffer 2 ZPO zu bestimmen, die Einkünfte des Schuldners bei der Berechnung des pfändbaren Anteiles zusammenzurechnen.
Ferner regte er an, dass die Einkünfte des Schuldners aus der Verletztenrente nach §850 b Abs. 2 ZPO der Pfändbarkeit unterliegen, da das sonstige dem Insolvenzverfahren unterliegende Vermögen des Schuldners nicht zu einer vollständigen Befriedigung der Forderungen führen werde, und eine Pfändbarkeit aufgrund nicht zu berücksichtigender Unterhaltspflichten sowie der dem Schuldner monatlich verbleibenden Selbstbehalt der Billigkeit entspräche.
Mit Schreiben vom 25.05.2007 wandte sich der Schuldner gegen die Anregung des Insolvenzverwalters die monatliche Verletztenrente für pfändbar zu erklären. Seiner Meinung nach entspräche eine Erklärung der Pfändbarkeit der Verletztenrente nicht der Billigkeit. Die für §850 b Abs. 2 ZPO zur Beurteilung der Billigkeit vorzutragenden Tatsachen seien vom Gläubiger zu beweisen.
Mit Beschluss vom 14.06.2007, auf den wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 87 d.A.) beschloss das Amtsgericht, dass die Einkünfte des Schuldners aus der Verletztenrente bei der Berufsgenossenschaft nach Maßgabe der §§4 InsO, 850 b Abs. 2 ZPO der Pfändung unterlägen. Ferner ordnete es an, dass zur Berechnung des nach §850 c pfändbaren Teiles des Gesamteinkommens gem. §850 e Nr. 2 a ZPO die Einkommen des Schuldners bei der H und der I zusammenzurechnen seien. Zur Begründung führte das Amtsgericht lediglich aus, dass die Pfändung der Verletztenrente zugelassen werde, da der Schuldner mit Durchführung des Insolvenzverfahrens und der evtl. späteren Erteilung der Restschuldbefreiung von seinen Schulden befreit werde. Der Schuldner verfüge über Gesamteinkünfte in Höhe von monatlich 1.774,13 EUR. Ausweislich des Gläubigerverzeichnisses stünden dem Schulden in Höhe von mehr als 151.000,00 EUR gegenüber. Vor diesem Hintergrund entspräche die Einbeziehung der Verletzten rente der Billigkeit.
Hiergegen wendet sich der Schuldner mit anwaltlichem Schriftsatz vom 23. Juni 2007, in dem er Beschwerde gegen die Beschluss einlegt.
Zur Begründung führt der Schuldner aus, dass der Insolvenzverwalter (und damit auch das Amtsgericht) unberücksichtigt gelassen habe, dass auch über das Vermögen der Ehefrau des Schuldners das Insolvenzverfahren beantragt sei und der Schuldner sie insoweit tatsächlich finanziell mit seiner Rente unterstütze. Viel wichtiger sei aber, dass die Art des beizutreibenden Anspruchs nicht rechtfertige, die Verletztenrente doch zu pfänden. Der Insolvenzverwalter gehe überhaupt nicht auf das Zustandekommen der Verbindlichkeiten ein. Er sei aber für die Ausnahmeregelung des §850 b Abs. 2 ZPO beweispflichtig. Dazu enthalte der Beschluss keine Angaben.
Der Schuldner beantragt:
- 1.
Der Beschluss des Amtsgerichts Osterode am Harz - Insolvenzgericht - vom 14.06.2007, AZ. 8 IK 177/06 wird aufgehoben.
- 2.
Die Einkünfte des Schuldners aus der Verletztenrente bei der I unterliegen nicht der Pfändung.
- 3.
Die Renten der H, Lange Weihe 2-4, 30880 Laatzen (J) und der I, Ib, Ic (K) sind nicht zusammenzurechnen.
Der Beschwerdegegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen und die Anordnung der Aussetzung der Vollziehung des Beschlusses des Amtsgerichts Osterode als Insolvenzgericht vom 14.06.2007 aufzuheben.
Der Treuhänder beantragt hilfsweise,
einen angemessenen, der Billigkeit entsprechenden Anteil der sonst pfändungsfreien Altersrente dem Insolvenzbeschlag weiter zu unterwerfen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz des Beschwerdegegners vom 23.08.2007 (Bl. 116 d.A.) Bezug genommen.
II.
Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Beschwerde ist nicht begründet. Das Amtsgericht hat im Ergebnis zutreffend die Zusammenrechnung der Renten und die Ermittlung des Pfändungsfreibetrages nach §850 c ZPO angeordnet. Gem. §850 b Abs. 1 ZPO ist die Berufsunfähigkeitsrente, die der Schuldner bezieht, unpfändbar. Gem. §850 b Abs. 2 ZPO kann die Rente jedoch nach den für Arbeitseinkommen geltenden Vorschriften gepfändet werden, wenn die Vollstreckung in das sonstige bewegliche Vermögen des Schuldners zu einer vollständigen Befriedigung des Gläubigers nicht geführt hat oder voraussichtlich nicht führen wird und wenn nach den Umständen des Falles, insbesondere nach der Art des beizutreibenden Anspruchs und der Höhe der Bezüge, die Pfändung der Billigkeit entspricht.
Dies ist nach Überzeugung der Kammer hier der Fall. Dem Schuldner stehen monatlich 1.774,13 EUR bei Zusammenrechnung beider Renten zur Verfügung. Da der Schuldner keine Unterhaltspflicht zu erfüllen hat, wären bei diesem Betrag während der 6-jährigen Wohlverhaltensphase 549,40 EUR nach der Tabelle zu §850 c ZPO pfändbar, während 72 Monaten mithin 39.556,80 EUR. Sofern die Pfändungsgrenze nicht auf diese Weise festgesetzt würde, wäre ein noch geringerer Betrag während der Wohlverhaltensphase pfändbar. Freies Vermögen hat der Schuldner lediglich in Gestalt einer Lebensversicherung mit einem Rückkaufswert in Höhe von 1.136,50 EUR. Zur Tabelle sind dem gegenüber 133.319,31 EUR angemeldet. Demzufolge wird selbst im Fall weitestgehender Pfändung der Wert der gepfändeten Beträge zur Tilgung der Verbindlichkeiten im Insolvenzverfahren nicht ausreichen.
Ferner entspricht nach den Umständen des Falles vorliegend die von dem Amtsgericht getroffene Entscheidung, wonach die Pfändungsgrenze gem. §850 c ZPO nach Zusammenrechnung der beiden Rentenbezüge zu ermitteln ist, der Billigkeit im Sinne von§850 b Abs. 2 ZPO. Nicht ausreichend ist für diese Feststellung allerdings, dass, wie das Amtsgericht augenscheinlich gemeint hat, dem Insolvenzbeschlag unterliegende Vermögen des Schuldners zu einer vollständigen Befriedigung des Schuldners nicht führen wird, und dass der Schuldner am Ende der Wohlverhaltensperiode die Restschuldbefreiung erlangen kann. Diese Begründung wird dem Umstand, dass §850 b Abs. 2 ZPO zwei kumulative Voraussetzungen enthält, nicht gerecht. Denn die Prüfung, ob die Pfändung im Einzelfall der Billigkeit entspricht, kann nicht schlicht durch einen Vergleich der Vollstreckungsmöglichkeit und der Höhe der Schulden erfolgen. In diesem Fall wäre das gesonderte Tatbestandsmerkmal der Billigkeit stets schon mit dem Vorliegen des ersten Kriteriums der Vorschrift, dass die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Schuldners zu einer vollständigen Befriedigung des Gläubigers nicht geführt hat oder nicht führen wird, erfüllt. Bei der Beurteilung der Umstände des Falles i.S.d. Vorschrift sind insbesondere auch Bedürftigkeit und Notlage des einen oder anderen Teils zu berücksichtigen (vgl. Stöber, Forderungspfändung, 14. Aufl., Rn. 1.029). Nach den Darlegungen des Schuldners hat dieser keine finanziellen Mehraufwendungen für Medikamente oder Arztzuzahlungen zu erbringen. Insgesamt hat der Schuldner die Folgen seiner Erwerbsunfähigkeit im Hinblick auf seine persönliche Versorgung so eingerichtet, dass er, soweit die Versorgung durch seine Ehefrau nicht gewährleistet werden kann, von Nachbarn betreut wird. Ein finanzieller Mehrbedarf aufgrund der Krankheit des Schuldners besteht mithin nicht, so dass die Berufsunfähigkeitsrente nicht zur Deckung eines gesundheitsbedingten Mehrbedarfs erforderlich ist. Ein solcher gesundheitsbedingter Mehrbedarf wäre nach Auffassung der Kammer vollständig anzurechnen. Bei dieser Berechnung ist der Schuldner vor dem Hintergrund, dass dieser keine Wohnkosten hat, bei der Ermittlung des Pfändungsfreibetrages nach der Tabelle zu §850 c bereits bessergestellt, als jemand, der Kosten für Unterkunft hat. Aus diesem Grunde erscheint die Zusammenrechnung der Renten und die Ermittlung des Pfändungsfreibetrages nach der Tabelle zu §850 c ZPO der Billigkeit entsprechend.
Nach Auffassung der Kammer gebietet die soziale Zweckbindung der Berufsunfähigkeitsrente keine weitergehende Privilegierung im Rahmen des Insolvenzverfahrens. Insofern kommt in der Tat der Gedanke des Amtsgerichts und des Beschwerdegegners zum Tragen, dass der Schuldner die weiteren Schulden nach Ablauf der Wohlverhaltensphase nicht mehr zurückführen muss. Anders als im Fall einer zeitlich unbefristeten Bestimmung des Pfändungsfreibetrages im Rahmen der Anwendung der Pfändungstabelle zu §850 c ZPO erscheint daher die Bestimmung des Pfändungsfreibetrages während der Wohlverhaltensphase trotz der sozialen Zweckbindung der Berufsunfähigkeitsrente als angemessen. Zweck der Berufsunfähigkeitsrente ist unter anderem, die Folgen der Minderung der gesetzlichen Altersrente aufgrund der nach der Erwerbsunfähigkeit weggefallenen Beitragszahlungen, zu kompensieren. Altersrente wäre aber wie Arbeitseinkommen pfändbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf §97 ZPO.
Bei der Wertfestsetzung hat sich die Kammer am Jahresbetrag des zu pfändenden Betrages orientiert (12 × 549,40 EUR = 6.592,80 EUR).
Nach Auffassung der Kammer war die Rechtsbeschwerde gemäß §574 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 zuzulassen, insbesondere zur Klärung der Frage, inwiefern der Umstand, dass der Schuldner in der Verbraucherinsolvenz nach der Wohlverhaltensphase die Restschuldbefreiung erlangen kann, die im Rahmen von §850 b Abs. 2 ZPO zu treffenden Billigkeitsentscheidung beeinflusst.