Landgericht Göttingen
Beschl. v. 12.04.2007, Az.: 10 T 10/07
Durchsuchung von Geschäftsräumen eines Schuldners sowie von Privaträumen der Geschäftsführer des Schuldners während eines laufenden Insolvenzverfahrens; Bedürfnis nach gerichtlicher Entscheidung trotz Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzzieles im Falle einer sofortigen Beschwerde gegen die Anordnung einer Durchsuchung; Begriff des tiefgreifenden Grundrechtseingriffes i.R.e. sofortigen Beschwerde; Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei Anordnung von Zwangsmaßnahmen i.S.d. Insolvenzordnung (InsO)
Bibliographie
- Gericht
- LG Göttingen
- Datum
- 12.04.2007
- Aktenzeichen
- 10 T 10/07
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 49836
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGGOETT:2007:0412.10T10.07.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Osterode - 27.10.2006 - AZ: 8 IN 30/06
Rechtsgrundlagen
- § 6 Abs. 1 InsO
- § 21 Abs. 1 S. 2 InsO
- Art. 13 GG
Fundstellen
- NZI 2007, 353-354 (Volltext mit amtl. LS)
- NZI 2008, 8
- NZI (Beilage) 2007, 10 (amtl. Leitsatz)
- ZIP 2007, 2007-2008 (Volltext mit red. LS)
- ZInsO 2007, 499-501 (Volltext mit red. LS)
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Wenn das Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtslage in besonderer Weise schutzwürdig ist, besteht trotz Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzziels ein Bedürfnis nach gerichtlicher Entscheidung.
- 2.
Wenn in grundrechtlich geschützte Bereiche des Schuldners eingegriffen werden soll, ist durch das Gericht zu prüfen, ob nicht andere, weniger einschneidende Maßnahmen möglich sind, um Auskünfte des Schuldners zu erreichen oder seine Mitwirkung herbeizuführen.
- 3.
Aufgrund eines Durchsuchungsbeschlusses muss einem Schuldner Gelegenheit gegeben werden, die begehrten Unterlagen ohne die Durchführung der Durchsuchung herauszugeben; daher müssen die gesuchten Unterlagen zumindest im Wesentlichen beschrieben werden.
In dem Insolvenzantragsverfahren
...
hat die 10. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen
durch
I. als Einzelrichterin
auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin vom 15.12.2006
gegen den Beschluss des Amtsgerichts Osterode am Harz vom 27.10.2006 - 8 IN 30/06 -
am 12.04.2007
beschlossen:
Tenor:
Es wird festgestellt, dass die Durchsuchung der Geschäftsräume der Schuldnerin sowie der Privaträume der Geschäftsführer der Schuldnerin rechtswidrig war.
Gründe
Am 22.03.2006 hat der Gläubiger Finanzamt J. den Antrag gestellt, über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren zu eröffnen. Das Amtsgericht hat daraufhin mit Beschluss vom 29.05.2006 den Betriebswirt G. zum Sachverständigen bestellt und ihn beauftragt, ein Gutachten über die Fragen zu erstatten, ob bei der Schuldnerin Zahlungsunfähigkeit vorliegt beziehungsweise Kosten zur Deckung des Verfahrens vorhanden sind. Der Sachverständige hat mehrfach mitgeteilt, dass er Probleme bei der Beschaffung der notwendigen Informationen habe. Dies beruhe unter anderem darauf, dass der Geschäftsführer der Schuldnerin C. erkrankt sei und die Geschäftsführerin D. sich darauf berufe, aufgrund eines Gesellschafterbeschlusses seit mehreren Jahren von der Tätigkeit der Geschäftsführerin befreit zu sein.
Mit Schreiben vom 20.06.2006 hat der Sachverständige beantragt, einen Anhörungstermin anzuberaumen und die Geschäftsführer der Schuldnerin dazu zu laden, um die Vermögensverhältnisse der Schuldnerin aufzuklären.
Mit Beschluss vom 06.07.2006 hat das Amtsgericht den Sachverständigen zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Dieser hat mit Schreiben vom 11.09.2006 mitgeteilt, dass es ihm gelungen sei, über die letzten Steuerberater der Schuldnerin buchhalterische Auswertungen und betriebswirtschaftliche Auswertungen auf den jeweils 31.12. der Jahre 2002 bis 2005 zu erhalten. Jahresabschlüsse stünden jedoch nicht zur Verfügung, weil sie offensichtlich nicht aufgestellt worden seien. Ferner habe sich der Geschäftsführer der Schuldnerin C. dahingehend geäußert, dass alle Unterlagen aus den Jahren 2001 und früher entwendet beziehungsweise durch ein Feuer zerstört worden seien. Im Hinblick darauf sei wohl nicht mehr überprüfbar, ob das Stammkapital seinerzeit tatsächlich geflossen sei. Mit Schreiben vom 18.09.2006 hat der vorläufige Insolvenzverwalter den Antrag auf Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses für die Geschäftsräume der Schuldnerin und die Privaträume der Geschäftsführer der Schuldnerin gestellt. Er hat insoweit ausgeführt, es sei davon auszugehen, dass keine kooperative Zusammenarbeit mit den Geschäftsführern möglich sei.
Mit Beschluss vom 27.10.2006 hat das Amtsgericht die Durchsuchung der Geschäftsräume der Schuldnerin sowie der Privaträume der Geschäftsführer der Schuldnerin angeordnet. Bei der aufgrund dieses Beschlusses erfolgten Durchsuchung der Räumlichkeiten sind keine Unterlagen aufgefunden worden, die dem Sachverständigen für die Erstattung des Gutachtens dienlich sein könnten.
Mit der sofortigen Beschwerde vom 15.12.2007 wendet sich die Schuldnerin gegen die Durchsuchung der Räumlichkeiten. Sie trägt vor, sie habe dem Sachverständigen alle ihr zur Verfügung stehenden Geschäftsunterlagen ausgehändigt wie zum Beispiel die gesamten vorhandenen Buchungsunterlagen und Inventurverzeichnisse ab dem Jahr 2002. Auch habe der Geschäftsführer der Schuldnerin ihm erklärt, dass die Unterlagen aus der Zeit von 2001 und früher nicht mehr vorhanden seien, diese seien vielmehr abhanden gekommen.
Der Sachverständige hat sich in seiner Stellungnahme zur sofortigen Beschwerde dahingehend geäußert, ihm würden für die Jahre 2004 bis 2006 keine vollständigen Buchhaltungsunterlagen vorliegen. Auch seien ihm keine Inventurverzeichnisse ab dem Jahr 2002 übergeben worden, offensichtlich existierten derartige Verzeichnisse gar nicht. Im Übrigen habe er dem Geschäftsführer der Schuldnerin in den persönlichen Gesprächen detailliert mitgeteilt, welche Unterlagen und Auskünfte er benötige. So sei ihm erklärt worden, dass insbesondere die vollständigen Personalunterlagen einschließlich der Arbeitsverträge, die sozialversicherungsrechtlichen Unterlagen, eine vollständige und nachvollziehbare Inventur-, eine vollständige und nachvollziehbare Gläubigerliste, Unterlagen über Kredit- und Darlehensverträge vorzulegen seien. Der Geschäftsführer der Schuldnerin habe zum Abschluss des Gesprächs vom 10.07.2006 auch die Zusammenstellung und Herausgabe der Unterlagen zugesichert. Tatsächlich sei dies jedoch in der Folgezeit nicht erfolgt.
Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin ist gemäß §§ 6 Abs. 1, 21 Abs. 1 Satz 2 InsO zulässig und auch insoweit begründet, als die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung festzustellen ist.
Das für die sofortige Beschwerde erforderliche Rechtsschutzbedürfnis der Schuldnerin liegt vor. Zwar handelt es sich hier um einen Fall verfahrensrechtlicher Überholung, denn die Durchsuchung der Geschäftsräume und der Privaträume der Geschäftsführer der Schuldnerin hat stattgefunden, so dass durch die Beschwerdeentscheidung eine Besserstellung der Schuldnerin nicht mehr erreicht werden kann. Trotz Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzziels besteht jedoch ein Bedürfnis nach gerichtlicher Entscheidung fort, wenn das Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtslage in besonderer Weise schutzwürdig ist (BVerfGE 96, 27, 40). Darüber hinaus kommt ein trotz Erledigung fortbestehendes Rechtsschutzinteresse in Fällen tief greifender Grundrechtseingriffe in Betracht. Hierunter fallen insbesondere solche Eingriffe, die unter Richtervorbehalt stehen und nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt sind, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung vorgegebenen Instanz kaum erlangen kann (BVerfGE 104, 220, 232 ff.). Im Hinblick darauf hat der Bundesgerichtshof in Bezug auf eine dem Gesetz fremde, in das Grundrecht des Betroffenen auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 GG) eingreifende Maßnahme, gegen die eine gerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig zu erlangen war, einen Fortsetzungsfeststellungsantrag zugelassen (BGHZ 158, 212 ff). Hier war das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung betroffen, so dass trotz der Erledigung der von der Schuldnerin angegriffenen Durchsuchung der Räumlichkeiten das Rechtsschutzbedürfnis weiterhin besteht.
Auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin ist die Rechtswidrigkeit der vorgenommenen Durchsuchung festzustellen. Der vom Amtsgericht erlassene angefochtene Beschluss, mit dem das Amtsgericht die Durchsuchung der Geschäftsräume der Schuldnerin und die Privaträume der Geschäftsführer der Schuldnerin angeordnet hat, hätte in dieser Form nicht ergehen dürfen. Dem Amtsgericht sind insoweit Verfahrensfehler unterlaufen. Zwar ist als verfahrenssichernde Maßnahme grundsätzlich die Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume des Schuldners sowie die Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen zulässig (vergleiche Kübler/Prütting/Pape Kommentar zur Insolvenzordnung, 12. Lfg. 3/02). Die Insolvenzordnung enthält jedoch ein gestaffeltes, in sich abgeschlossenes System von Beuge-, Zwangs- und verfahrenssichernden Maßnahmen. Bei der Anordnung dieser Maßnahmen ist deshalb auch im Eröffnungsverfahren der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (LG Göttingen ZIP 2003, 680; Kübler/Prütting/Pape a.a.O., § 20 Rndr. 44). Insbesondere dann, wenn in grundrechtlich geschützte Bereiche des Schuldners eingegriffen werden soll, muss das Gericht prüfen, ob nicht andere, weniger einschneidende Maßnahmen möglich sind, um - wie hier - die begehrten Auskünfte des Schuldners zu erreichen beziehungsweise seine Mitwirkung herbeizuführen (vergleiche hierzu auch OLG Celle ZInsO 2001, 322). Diesen Grundsatz hat das Amtsgericht hier nicht hinreichend berücksichtigt. Das Amtsgericht hat die Durchsuchung der Geschäftsräume der Schuldnerin sowie der Privaträume der Geschäftsführer der Schuldnerin angeordnet, ohne zuvor die Geschäftsführer zu einem Anhörungstermin zu laden. Auf den entsprechenden Antrag des Sachverständigen vom 20.06.2006 hat das Amtsgericht nicht reagiert. Auch konnte das Amtsgericht nicht ohne weiteres unterstellen, dass die Geschäftsführer der Schuldnerin einer Ladung zu einem Anhörungstermin nicht nachkommen würden beziehungsweise auch in einem Anhörungstermin die nötigen Informationen nicht geben würden. Zwar hat der vorläufige Insolvenzverwalter im Beschwerdeverfahren mitgeteilt, der Geschäftsführer der Schuldnerin habe ihm gegenüber im Juli 2006 die Zusammenstellung und Herausgabe von angeforderten Unterlagen zugesagt, ohne sich hieran zu halten. Dass jedoch der Geschäftsführer der Schuldnerin diese Weigerung auch gegenüber dem Gericht aufrecht erhält, wenn ihm vom Gericht die möglichen Folgen einer solchen Weigerung vor Augen geführt werden, ergibt sich nach dem derzeitigen Sachstand nicht.
Darüber hinaus ist der vom Amtsgericht erlassene Durchsuchungsbeschluss inhaltlich zu beanstanden. Das Amtsgericht hat die Durchsuchung der Geschäftsräume der Schuldnerin und der Privaträume der Geschäftsführer angeordnet zur Auffindung von Geschäftsunterlagen der Schuldnerin. Diese Fassung ist in keiner Weise konkret und aussagekräftig. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Sachverständige schon mit Schriftsatz vom 11.09.2006 mitgeteilt hat, ihm sei es gelungen, über die letzten Steuerberater buchhalterische Auswertungen und betriebswirtschaftliche Auswertungen auf den jeweils 31.12. der Jahre 2002 bis 2005 zu erhalten. Weiterhin hat der Sachverständige mitgeteilt, dass nach Aussage des Geschäftsführers der Schuldnerin alle Unterlagen aus den Jahre 2001 und früher nicht mehr vorhanden seien. Weder aus den Ermittlungen des Sachverständigen noch dem sonstigen Akteninhalt lässt sich entnehmen, dass Anhaltspunkte dafür bestehen, dass solche Unterlagen aus dem Jahre 2001 und früher tatsächlich noch existieren und von den Geschäftsführern der Schuldnerin zurückgehalten werden. Da jedoch aufgrund des Durchsuchungsbeschlusses einem Schuldner letztlich noch Gelegenheit gegeben werden muss, die begehrten Unterlagen ohne die Durchführung der Durchsuchung herauszugeben, müssen deshalb die gesuchten Unterlagen zumindest im Wesentlichen beschrieben werden.
Zwar hat der Sachverständige im Beschwerdeverfahren dargelegt, er habe dem Geschäftsführer der Schuldnerin anlässlich einer Besprechung im Juli 2006 im Einzelnen erklärt, welche Unterlagen er benötige und insbesondere die vollständigen Personalunterlagen einschließlich der Arbeitsverträge, die Sozialversicherungsunterlagen, eine vollständige und nachvollziehbare Inventur, Gläubigerlisten und Unterlagen über Kredit- und Darlehensverträge angefordert. Eine dahingehende Substantiierung der anlässlich der Durchsuchung aufzufindenden Unterlagen enthält der Beschluss des Amtsgerichts jedoch nicht.