Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 15.03.2006, Az.: 1 A 32/05
Anerkennung; Beamter; Belastung; Berufskrankheit; Bleichromat; DEHP; Dienstunfall; Dienstunfallschutz; Fiktion; Fürsorge; Gestaltungsspielraum; Gleichheitssatz; Hodenkrebs; Kenntnis; Kenntnisstand; Medizin; Polizei; Polizeibeamter; Polizeischutzweste; PVC; Schutzweste; Unfallschutz; Ungleichbehandlung; Ursache; Ursachenzusammenhang; Wissenschaft; Zusammenhang
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 15.03.2006
- Aktenzeichen
- 1 A 32/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 53352
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 31 Abs 3 BeamtVG
- § 45 Abs 1 S 1 BeamtVG
- § 45 Abs 2 S 2 BeamtVG
- Art 3 Abs 1 GG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Gesundheitsschäden durch PVC-Folien in Polizeischutzwesten (Bleichromat- und DEHP-Belastung) verleihen keinen Anspruch auf Anerkennung als Berufskrankheit.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Erkrankung an Hodenkrebs als Dienstunfall.
Er beantragte mit Schreiben vom 23. September 1999 und 4. Februar 2000 die Aufnahme eines qualifizierten Dienstunfalles wegen einer Hodenkrebserkrankung, die bei ihm Ende 1995/Anfang 1996 diagnostiziert und infolge derer ihm der linke Hoden operativ entfernt worden war. Zur Begründung gab er an, er habe von 1991 bis zum 31. März 1999 dem MEK V L. angehört und in diversen Einsätzen Schutzwesten zum Unterziehen getragen. In diesen Schutzweste sei eine PVC-Folie eingearbeitet gewesen, die giftige Substanzen enthalten habe, die zu seiner Erkrankung geführt hätten. Durch die Wärme, Schwitzen und Schweiß sei ein Hautkontakt mit diesen Substanzen erfolgt. Den Schreiben fügte der Kläger einen Zeitungsartikel aus der Allgemeinen Zeitung U. vom 14. September 1999 bei, wonach Polizeiwesten in einigen Bundesländern wegen möglicher Krebsgefahr untersucht würden und unter den rund 80 Beamten des niedersächsischen Sondereinsatzkommandos in den Jahren 1993 bis 1997 vier Fälle mit Hodenkrebs aufgetreten seien. Die förmliche Unfallanzeige erfolgt am 5. April 2000 unter Bezugnahme auf die vorbezeichneten Schreiben.
Mit Schreiben vom 18. August 2003 lehnte die Bezirksregierung B. die Anerkennung der geltend gemachten Erkrankung als Dienstunfall ab, da der zur Anerkennung eines Dienstunfalls erforderliche Zusammenhang zwischen der dienstlichen Tätigkeit und der Erkrankung nicht nachweisbar sei. Hierbei bezog sich die Bezirksregierung B. auf ein Gutachten von Prof. Dr. med. C., Universität D., vom 24. Juli 2000 über die vom Kläger benutzte Schutzweste der Fa. E.. Das Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass zwischen dem Tragen der Schutzweste und der Erkrankung an Hodenkrebs ein kausaler Zusammenhang nicht wahrscheinlich sei. Die Westen enthielten als einzige Weichmacherkomponente Diethylhexylphthalat (DEHP), dessen Verwendung keiner gesetzlichen Beschränkung unterliege. Bei Menschen seien bislang keine Beobachtungen einer krebsauslösenden Wirkung auf die Hoden durch DEHP gemacht worden. Als sonstiger Wirkstoff, der im Verdacht kanzerogener Wirkung stehe, sei lediglich Bleichromat in den Westen enthalten. Bleichromat sei in der Kategorie 3b der MAK-Liste (Maximale Arbeitsplatzkonzentration-Liste) eingestuft, was bedeute, dass der Stoff wegen möglicher oder nur in Tierversuchen krebserzeugender Wirkung Anlass zu Besorgnis gebe, aber aufgrund unzureichender Information nicht endgültig beurteilt werden könne. Die vorliegenden Untersuchungen ließen den Schluss zu, dass nur bei Mischexposition (neben Bleichromat auch Anwesenheit von Zinkchromat) und schlechten hygienischen Arbeitsbedingungen ein erhöhtes Risiko an einer Lungenkrebserkrankung bestehe. Darüber hinaus gebe es keine Erkenntnisse, dass Bleichromat Hodentumore auslösen könne. Ob die mögliche DEHP-Exposition zur Auslösung des Hodentumors beigetragen habe, könne aufgrund der unsicheren Erkenntnisse einer Aufnahme der Substanz durch die Haut und der bislang nicht beobachteten Auslösung von Hodentumoren durch DEHP nicht wahrscheinlich gemacht werden.
Hiergegen legte der Kläger am 27. August 2003 Widerspruch ein.
Die Bezirksregierung B. wies versehentlich ohne Abwarten der Widerspruchsbegründung zunächst mit Widerspruchsbescheid vom 26. November 2003 den Widerspruch zurück, hob jedoch unmittelbar mit Bescheid vom 28. November 2003 den Widerspruchsbescheid vom 26. November 2003 auf.
Zur Begründung seines Widerspruchs führte der Kläger im Wesentlichen aus, dass das Gutachten von Prof. Dr. F. vom 24. Juli 2000 unzutreffend davon ausgehe, dass bei Menschen bislang keine Beobachtung einer karzinogenen Wirkung oder Degeneration der Hoden durch die Einwirkung von DEHP gemacht worden sei. Dies lasse sich nach neueren Untersuchungen nicht mehr aufrecht erhalten. Die neueren Forschungsergebnisse bestätigten eine fortpflanzungsschädigende und das Krebswachstum begünstigende Wirkung. So habe etwa das Deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung - BfR - am 14. August 2003 vor einer täglichen DEHP-Aufnahme gewarnt und darauf aufmerksam gemacht, dass trotz der erwiesenen schädlichen Wirkungen des Stoffes risikominimierende Maßnahmen nur für Kinder, nicht aber für erwachsene Verbraucher für erforderlich gehalten worden seien. Zudem gehe das BfR davon aus, dass als Expositionsquellen von DEHP auch Bekleidungen etc. in Betracht kämen. Die höchst gesundheitsgefährdende Wirkung von DEHP werde auch durch das Forschungsprojekt des Prof. G., Universität H., das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützt werden, bestätigt. Die von der Polizeidirektion in Auftrag gegebenen Gutachten des Prof. Dr. I., Martin-Luther-Universität J., vom 26. November 1998 und 25. Juli 2001 stünden dem nicht entgegen, da Prof. K. in seinem letzten Gutachten zu dem Ergebnis komme, dass die Schutzweste der Fa. L. trotz fehlendem nachweisbaren Zusammenhang mit den Erkrankungen aus präventiver Sicht wegen der Freisetzung von DEHP und möglicherweise von Bleichromat nicht mehr verwendet und durch unbedenkliche Produkte ersetzt werden sollte. Nunmehr habe Prof. M. seine Forschungsergebnisse am 7. März 2004 veröffentlicht und darauf hingewiesen, dass unter Berücksichtigung all dieser unterschiedlichen Wirkungen und Wirkmechanismen die Senatskommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe DEHP in Kategorie 4 der krebserzeugenden Arbeitsstoffe eingestuft habe, welche, ohne genotoxisch zu sein, das Krebswachstum förderten. Von der Annahme, dass DEHP gesundheitlich unbedenklich sei, könne daher ebenso wenig ausgegangen werden wie von der Annahme, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Eignung der Schutzweste zur Gefährdung der Gesundheit ausgeschlossen werden könne.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Januar 2005 wies die Beklagte als Rechtsnachfolgerin der Bezirksregierung B. den Widerspruch zurück. Bei der Erkrankung des Klägers handele es sich weder um einen Dienstunfall im Sinne von § 31 Abs. 1 BeamtVG, da Zeit und Ort des Unfalls nicht feststünden, noch um eine Berufskrankheit im Sinne von § 31 Abs. 3 BeamtVG, weil DEHP als Ursache eines Hoden-Karzinoms nicht als Berufskrankheit anerkannt sei. Die Berufskrankheiten-Verordnung sei abschließend, so dass eine dort nicht angeführte Krankheit nicht berücksichtigungsfähig sei. Ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Fürsorgepflicht komme ebenfalls nicht in Betracht, da nach den Gutachten von Prof. F. und Prof. K. ein Zusammenhang zwischen dem Tragen der Schutzweste und dem darin enthaltenen Bleichromat nicht zu belegen sei. Die im Widerspruchsverfahren vorgelegten Untersuchungen ergäben ebenfalls nicht einen konkreten Nachweis zwischen dem Tragen der Schutzweste und dem mit DEHP verbundenen allgemein Gesundheitsrisiko. Dies habe Dr. N. vom Medizinischen Dienst der Polizei in seiner Stellungnahme vom 27. Januar 2004 bestätigt. Nach seiner Auffassung könne den von dem Kläger angeführten Untersuchungen nicht entnommen werden, dass es wissenschaftlich anerkannte Lehrmeinung sei, DEHP gehöre zur Gruppe der Hodenkrebs auslösenden chemischen Verbindungen.
Hiergegen hat der Kläger am 3. Februar 2005 Klage erhoben und sein Begehren weiter verfolgt. Die zu § 31 Abs. 3 BeamtVG ergangene Verordnung verstoße gegen höherrangiges Recht, weil sie die Krankheit des Klägers nicht aufführe, während unter Nr. 2402 Erkrankungen durch ionisierende Strahlungen Berufskrankheiten anerkannt seien. Mit solchen Erkrankungen sei aber die Benutzung krebsverursachender Dienstbekleidung, die DEHP enthalte, zu vergleichen, weshalb es sich gemäß § 31 Abs. 3 BeamtVG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG um eine Berufskrankheit handele. Unterschiede bestünden insoweit nicht. Ergänzend sei vorzutragen, dass in einer Zusammenfassung der KEMI-Studie für die EU durch „Health Care Without Harm“ vom April 2003 von Aktivitäten der EU berichtet werde, wonach es inzwischen eine Klassifizierung und Kennzeichnung von DEHP als gefährliche Substanz gemäß 67/548/EEC gebe, demzufolge DEHP als „fortpflanzungsgefährdend“ in der Kategorie 2 eingestuft sei. Seit dem 30. Juli 2002 müssten DEHP und Zubereitungen, die mehr als 0,5 v. H DEHP enthielten, EU-weit mit dem Buchstaben T (Toxic) und dem Giftsymbol (Totenkopf) versehen werden. Nach dem Gutachten von Prof. K. vom 25. Juli 2001 enthielten die Schutzwesten der Fa. L. eine PVC-Material-Konzentration bzw. einem DEHP-Anteil von 35 bis 40 v. H., also ein Vielfaches des der Klassifizierung und Kennzeichnung zugrunde liegenden Wertes. Nach dem Gutachten von Prof. K. vom 26. November 1998 liege die Rate der Hodentumore bei Männern im Alter zwischen 20 und 35 Jahren bei 7 bis 8 von 100.000 pro Jahr. Bei der Gruppe von Polizeibeamten, die wie der Kläger an Hodentumor erkrankt gewesen seien, habe es allein innerhalb der Jahre 1997 bis 1999 insgesamt 6 Fälle von Hodenkrebs gegeben. Die GfE habe die Forschungsergebnisse von Prof. Angerer zwischenzeitlich aufgegriffen und von einer durch DEHP verursachten Verminderung der Spermienzahlen und der Hodengewichte sowie durch DEHP verursachte Hodenkrebserkrankungen berichtet. Es sei durch die Studie des Schwedischen Chemikalieninspektorats im Auftrag der EU vom 15. Mai 2003 auch bestätigt worden, dass DEHP reproduktionstoxisch und entwicklungstoxisch für Tiere sei und dass diese Tierstudien aussagekräftig in Bezug auf den Menschen seien. Prof. Angerer stellt ebenfalls fest, dass aufgrund der Tierversuche vermutet wird, dass beim Menschen ähnliche Wirkungen zu befürchten seien. Der Kläger habe alsbald nach der Feststellung den Dienstunfall gemeldet. Zum Zeitpunkt der Meldung habe die Rechtsvorgängerin der Beklagten zwar noch nicht über die erforderlichen Kenntnisse von der Giftigkeit und Kausalität des DEHP verfügt. Entscheidend sei aber, dass das verwendete DEHP bereits zum Zeitpunkt der Anmeldung als Dienstunfall wegen der verwendeten Konzentration als hochgiftig und ursächlich für die Hodenerkrankung einzustufen gewesen sei. Die älteren Untersuchungsergebnisse der Beklagten seien durch die neueren Erkenntnisse überholt. Zudem sei zu berücksichtigen, dass seit der Verwendung neuer Schutzwesten Fälle von Hodenkrebs nicht mehr aufgetreten seien.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Bezirksregierung Lüneburg vom 18. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 20. Januar 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die beim Kläger Ende 1995/Anfang 1996 diagnostizierte Erkrankung an Hodenkrebs als Dienstunfall anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf die Gründe in den angefochtenen Bescheiden und führt ergänzend aus, dass allein eine Neubewertung der allgemeinen Gesundheitsrisiken durch DEHP nicht ausreiche, im Einzelfall des Klägers den konkreten Ursachenzusammenhang zu klären. Der Kläger sei der Gefahr der Erkrankung auch nicht besonders ausgesetzt gewesen im Sinne von § 31 Abs. 3 BeamtVG. Dies sei nur der Fall, wenn die konkrete dienstliche Tätigkeit des Beamten erfahrungsgemäß eine hohe Wahrscheinlichkeit gerade dieser Erkrankung in sich berge. Die Art der dienstlichen Tätigkeit betreffe die spezifische Tätigkeit des Beamten und nicht die sonstigen Bedingungen, wie etwa Diensträume oder Einsatzmittel. Für die Zukunft sei für die Anerkennung einer Berufskrankheit kein Raum, da die neuen Schutzwesten mit einer anderen Folie bestückt seien. Nach dem Schadstoff-Glossar des ARGUK-Umweltlabors sei die akute Giftigkeit von DEHP gering und die Substanz nicht als erbgutschädigend eingestuft. Gegenwärtig lägen keine ausreichenden medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Verursachungswahrscheinlichkeit eines Krebsleidens bei Erwachsenen durch DEHP vor, die eine Aufnahme des Leidens in die Liste der Berufskrankheiten empfehlen würden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Anerkennung seiner Hodenkrebserkrankung als Dienstunfall nach § 31 Abs. 3 BeamtVG (i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG) nicht zu.
Zwar scheitert die Anerkennung der Erkrankung nicht an § 45 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG, wonach Unfälle, aus denen Unfallfürsorgeansprüche nach diesem Gesetz entstehen könnten, innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Jahren nach dem Eintritt des Unfalles bei dem Dienstvorgesetzten des Verletzten zu melden sind. Diese Meldefrist findet auch auf Berufskrankheiten im Sinne von § 31 Abs. 3 BeamtVG Anwendung und beginnt bei derartigen Erkrankungen mit dem Auftreten der Krankheit (vgl. nur BVerwG, 1.8.1985 - BVerwG 2 B 34/84, Buchholz 232.5 § 31 BeamtVG Nr. 4). Der Kläger hat diese zweijährige Frist versäumt, da die Erkrankung Ende 1995/Anfang 1996 diagnostiziert worden ist und er sie erst im September 1999 als Dienstunfall angezeigt hat. Ihm kann jedoch vorliegend auch nach Ablauf dieser Frist Unfallfürsorge noch gewährt werden, wenn seit dem Unfall noch nicht zehn Jahre vergangen sind und gleichzeitig glaubhaft gemacht wird, dass mit der Möglichkeit einer den Anspruch auf Unfallfürsorge begründenden Folge nicht habe gerechnet werden können oder dass der Berechtigte durch außerhalb seines Willens liegenden Umstände gehindert worden ist, den Unfall zu melden (§ 45 Abs. 2 Satz 1 BeamtVG). So verhält es sich hier. Seit dem Auftreten der Erkrankung bis zur Unfallanzeige im Jahre 1999 waren noch keine zehn Jahre verstrichen. Auch hat der Kläger glaubhaft gemacht, dass er vorher einen Ursachenzusammenhang zwischen der Hodenkrebserkrankung und seiner dienstlichen Tätigkeit nicht hat erkennen können. Der Kläger hat erst durch einen Zeitungsartikel, der am 14. September 1999 in der Allgemeinen Zeitung U. veröffentlicht worden ist und von der Untersuchung einiger Hodenkrebsfälle in mehreren Bundesländern in Verbindung mit den Polizeiwesten handelt (Beiakte A Bl. 6), von einem möglichen Ursachenzusammenhang erfahren. Er hat dann mit Schreiben vom 23. September 1999 und damit rechtzeitig innerhalb der in § 45 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG enthaltenen dreimonatigen Frist den Unfall gemeldet.
Der Anspruch ist jedoch deshalb nicht anzuerkennen, weil die Erkrankung an Hodenkrebs infolge einer DEHP-Belastung nicht als Berufskrankheit im Sinne von § 31 Abs. 3 BeamtVG, § 1 der Verordnung zur Durchführung des § 31 BeamtVG vom 20. Juni 1977 (BGBl I S. 1004) i. V. m. der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung vom 8. Dezember 1976 (BGBl I S. 2373) in der jeweils geltenden Fassung anerkannt ist. Nach § 31 Abs. 3 BeamtVG wird die Zuziehung der Krankheit als Dienstunfall fingiert, sofern die Krankheit in der zum Zeitpunkt der Erkrankung (hier Ende 1995/Anfang 1996) geltenden Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung aufgeführt ist. Diese Regelung ist abschließend (vgl. BVerwG, 13.1.1978 - BVerwG VI B 57.77, Buchholz 232 § 135 BBG Nr. 59; 12.9.1995 - BVerwG 2 B 61.95, Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 10 m. w. N.) Allein der Zeitpunkt der Erkrankung ist maßgeblich für die Feststellung, ob eine Erkrankung als Dienstunfall zu bewerten ist. Ob sich die rechtlichen Verhältnisse während der Dauer der Krankheit ändern, ist grundsätzlich unerheblich (vgl. BVerwG, 23.2.1999 - BVerwG 2 B 88.89, DVBl. 1999, 931).
Zum Zeitpunkt der Erkrankung des Klägers Ende 1995/Anfang 1996 war die Erkrankung an Hodenkrebs durch DEHP nicht in der Berufskrankheiten-Verordung als Berufskrankheit aufgeführt. Hierdurch hat der Verordnungsgeber seinen ihm zustehenden Gestaltungsspielraum nicht verletzt. § 31 Abs. 3 Satz 3 BeamtVG ermächtigt den Verordnungsgeber, die als Dienstunfall fingierten, in Betracht kommenden Erkrankungen im Sinne von § 31 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG zu bestimmen. Den hierdurch eröffneten Regelungs- und Gestaltungsspielraum hat der Verordnungsgeber im Rahmen der Ermächtigungsgrundlage durch einen Verweis in § 1 der Verordnung zur Durchführung des § 31 BeamtVG auf die Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung ausgefüllt und hierbei die Grenzen seines Gestaltungsspielraums in Bezug auf die Entscheidung über die Aufnahme oder Nichtaufnahme einer Krankheit in die Berufskrankheiten-Liste nicht unter- bzw. überschritten. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Überprüfung der Entscheidung des nach § 31 Abs. 3 Satz 3 BeamtVG ermächtigten Verordnungsgebers und der diesen zugrundeliegenden Erwägungen lediglich dahingehend gerichtlich überprüfbar ist, ob die getroffene Maßnahme den Rahmen der Zweckbindung der gesetzlichen Ermächtigung überschreitet, ob sie etwa schlechterdings ungeeignet ist, diesen Zweck zu erreichen, oder ob sie unverhältnismäßig ist (vgl. dazu auch BSG, 23.3.1999 - B 2 U 12/98 R, BSGE 84, 30). Bei der Frage, ob der Verordnungsgeber zum hier maßgeblichen Zeitpunkt die Grenzen seines Gestaltungsspielraums überschritten hat, weil er die Erkrankung an Krebs durch Phthalate nicht aufgenommen hat, ist zu berücksichtigen, dass die Anerkennung von Berufskrankheiten im Bereich des beamtenrechtlichen Unfallschutzes Fürsorgeleistung darstellt, die nach den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums nicht geboten ist. Insbesondere gibt es keinen hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums, dass die Beamten dienstunfallrechtlich in jeder Beziehung den Arbeitnehmern im allgemeinen Wirtschaftsleben gleichgestellt sein müssten. Vielmehr ist es dem Gesetz- bzw. Verordnungsgeber überlassen, inwieweit er Verbesserungen des sozialversicherungsrechtlichen Unfallschutzes in das Beamtenrecht einführt. Es verstößt daher insbesondere nicht gegen Verfassungsrecht, wenn der Verordnungsgeber in § 1 der Verordnung zur Durchführung des § 31 BeamtVG nicht insgesamt auf die Berufskrankheiten-Verordnung Bezug nimmt, sondern den beamtenrechtlichen Dienstunfallschutz im Bereich der Berufskrankheiten auf die in Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung aufgeführten Erkrankungen beschränkt (vgl. BVerwG, 6.5.1976 - BVerwG 6 B 48.75 -, Buchholz 232 § 135 BBG Nr. 57; 13.1.1978 - BVerwG 6 B 57.77 -, Buchholz 232 § 135 BBG Nr. 59; 12.9.1995 - BVerwG 2 B 61.95 -, Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 10).
Die Hodenkrebserkrankung des Klägers kann auch nicht mit Blick auf die in der Berufskrankheiten-Verordnung unter Nr. 2402 anerkannte Erkrankung durch ionisierende Strahlen oder anderer dort aufgeführter Berufskrankheiten in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG anerkannt werden. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Gleichheitssatz verletzt, wenn die gleiche oder ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, wenn also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein vernünftiger einleuchtender Grund für die Regelung fehlt (vgl. BVerfGE 76, 256 [BVerfG 30.09.1987 - 2 BvR 933/82] <329>; 83, 89 <107 f.>; 103, 310 <318>). Grundsätzlich obliegt es dem Gesetzgeber, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpft. Ob die Auswahl sachgerecht ist, lässt sich nicht abstrakt und allgemein feststellen, sondern nur in Bezug auf die Eigenart des zu regelnden Sachverhalts (vgl. BVerfGE 17, 122 [BVerfG 08.10.1963 - 2 BvR 108/62] <130>; 53, 313 <329>; 75, 108 <157>; 103, 310 <318>). Besteht für den Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum, ist der Gleichheitssatz nicht schon dann verletzt, wenn der Gesetzgeber nicht die gerechteste, zweckmäßigste oder vernünftigste Lösung gewählt hat. Die Gerichte können nur die Überschreitung äußerster Grenzen beanstanden, jenseits derer sich gesetzliche Vorschriften bei der Abgrenzung von Lebenssachverhalten als evident sachwidrig erweisen, sofern nicht von der Verfassung selbst getroffene Wertentscheidungen entgegenstehen (vgl. BVerfGE 42, 374 [BVerfG 05.10.1976 - 2 BvR 558/75] <388>; 75, 108 <157>; 78, 232 <247>; 100, 138 >174>; 101, 54 <101>). Nichts anderes gilt für die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers im Bereich der Regelung des beamtenrechtlichen Dienstunfallschutzes in Bezug auf die Bestimmung von Berufskrankheiten.
Eine willkürliche Ungleichbehandlung von Erkrankungen durch ionisierende Strahlen sowie anderer Berufskrankheiten einerseits und Erkrankungen durch Phthalate andererseits ist seitens des Verordnungsgebers vor diesem Hintergrund nicht gegeben, da die Nichtaufnahme von Krebserkrankungen, die durch Phthalate verursacht werden, dem medizinisch wissenschaftlichen Kenntnisstand entspricht, der zum hier maßgebenden Zeitpunkt des Auftretens der Erkrankung des Klägers bestanden hat. Dem Verordnungsgeber stand Ende 1995/Anfang 1996 keine medizinisch-wissenschaftlich ausreichende Grundlage zur Verfügung, um davon ausgehen zu können, dass eine Exposition von DEHP, der ein Beamter im Rahmen seiner Dienstausübung ausgesetzt ist, generell geeignet ist, bestimmte Erkrankung zu verursachen. Es fehlte an dem erforderlichen konkreten Nachweis an einem Ursachenzusammenhang (vgl. zu diesem Erfordernis auch BSG, 23.3.1999 - B 2 U 12/98 R, BSGE 84, 30), weshalb ein sachlich rechfertigender Grund für die Nichtaufnahme derartiger Erkrankungen in die Berufskrankheiten-Verordnung bestanden hat und aus Art. 3 Abs. 1 GG kein Anspruch auf Gleichbehandlung mit anerkannten Berufskrankheiten anzuerkennen ist. Der Annahme eines solchen Zusammenhangs und damit einer willkürlichen Ungleichbehandlung steht zunächst entgegen, dass die Verwendung von DEHP damals nicht gesetzlich eingeschränkt war. Darüber hinaus ergibt sich aus dem Gutachten von Prof. Dr. F. vom 24. Juli 2000, dass im Tierversuch DEHP zwar Hodenatrophien durch Degeneration der Samenkanälchen verursacht und in der Ratte und in der Maus hepatozelluläre Karzinome ausgelöst habe, Hodentumore jedoch nicht beobachtet worden seien. In Bezug auf die vom Kläger benutzte Schutzweste wird ausgeführt, dass der darin enthaltene Weichmacher DEHP zwar in nennenswertem Umfang freigesetzt werde und eine dermale Aufnahme möglich sei. Über deren Umfang sei jedoch keine sichere Aussage zu treffen. Es könne aber aufgrund der unsicheren Erkenntnisse über die Exposition und die bislang nicht beobachtete Auslösung von Hodenkrebs nicht wahrscheinlich gemacht werden, ob die DEHP-Exposition in den betroffenen Fälle zur Auslösung der Hodenmalignome beigetragen habe. In diesem Sinne äußert sich auch Prof. K. in seinem Gutachten vom 25. Juli 2001. Das Gericht kann im Einzelnen dahingestellt sein lassen, inwieweit diese Feststellungen nunmehr durch neuere Forschungsergebnisse als überholt anzusehen sind. Die vom Kläger angeführten Forschungsergebnisse, insbesondere von Prof. Dr. G., sprechen zwar für die Annahme eine kanzerogenen Wirkung von DEHP. Auch der Kläger hat allerdings aufgrund der von ihm vorgelegten Berichte und Forschungsergebnisse nicht darlegen können, dass für DEHP bereits zum Zeitpunkt seiner Erkrankung aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht eine kanzerogene Wirkung auf den Hoden eines Menschen zuerkannt worden ist. So haben erst die im Jahre 2003 bzw. 2004 veröffentlichten Forschungen von Prof. Angerer sowie weitere Studien die Vermutung nahegelegt, dass die im Rahmen von Tierversuchen festgestellten fortpflanzungsschädigenden und kanzerogenen Wirkungen sich auch beim Menschen einstellen dürften. Selbst wenn aufgrund der neueren Erkenntnisse die durch DEHP verursachten Erkrankungen in Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung nunmehr aufgenommen und damit dem beamtenrechtlichen Dienstunfallschutz unterfallen würden, könnte der Kläger sich hierauf nicht berufen, da - wie bereits ausgeführt - eine Veränderung der rechtlichen Verhältnisse während der Dauer der Krankheit grundsätzlich unerheblich ist (vgl. BVerwG, 23.2.1999 - BVerwG 2 B 88.89, DVBl. 1999, 931).
Schließlich ist nicht ersichtlich und vom Kläger auch nicht vorgetragen, dass durch den Anteil an Bleichromat, der in der benutzten Schutzweste enthalten ist, der Hodenkrebs bei dem Kläger ausgelöst worden ist. Zwar ist Bleichromat nach dem Gutachten von Prof. F. vom 24. Juli 2000 nach der MAK-Liste in die krebserzeugende Kategorie 3b eingestuft, die Stoffe umfasst, die wegen erwiesener oder möglicher krebserzeugender Wirkung Anlass zur Besorgnis geben, aber aufgrund unzureichender Informationen nicht endgültig beurteilt werden können. Eine Aufnahme von Bleichromat aus PVC über die Haut in systematisch relevanten Konzentrationen ist jedoch bislang nicht nachgewiesen. Nur bei Mischexpositionen und schlechten hygienischen Arbeitsbedingungen sei nach dem Gutachten ein erhöhtes Risiko einer Lungenkrebserkrankung gegeben, während die Auslösung von Hodenkrebs in der Literatur nicht beschrieben ist. Gegenteilige Feststellungen lassen sich nicht treffen.
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger durch die Art seiner dienstlichen Tätigkeit der Gefahr der Erkrankung an Hodenkrebs besonders ausgesetzt war, da es sich bei seiner Erkrankung bereits nicht um eine von § 31 Abs. 3 BeamtVG erfasste Berufskrankheit handelt.
Nach den vorigen Ausführungen kommt auch ein Schadensersatzanspruch des Klägers wegen Verletzung der Fürsorgepflicht nicht in Betracht, da der Dienstherr aufgrund des zum damaligen Zeitpunkt bestehenden medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstandes nicht von einer kanzerogenen Wirkung von DEHP ausgehen konnte und daher die Bereitstellung der Schutzwesten der Fa. L. keine Pflichtverletzung darstellt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.