Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 26.07.2001, Az.: 5 K 274/01
Umsatzsteuerähnlicher Charakter von Nachzahlungszinsen
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 26.07.2001
- Aktenzeichen
- 5 K 274/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 14653
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2001:0726.5K274.01.0A
Fundstelle
- EFG 2001, 1414 (red. Leitsatz)
Tatbestand
Streitig ist die Festsetzung von Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer.
Der Kläger ist Unternehmer und betreibt einen Einzelhandel mit Drogerieartikeln. Im Anschluss an eine Außenprüfung (geändert wurde der Eigenverbrauch für Pkw und Telefon; zudem erfolgte eine Vorsteuerkürzung aufgrund geänderter Aufteilung der Herstellungskosten) ergingen für die Streitjahre geänderte Umsatzsteuerbescheide. Dabei wurden für 1996 Zinsen in Höhe von 890,00 DM, für 1997 in Höhe von 99,00 DM und für 1998 in Höhe von 20 DM festgesetzt.
Der Kläger wendet sich ausschließlich gegen die Zinsfestsetzung.
Er trägt vor, die Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer nach § 233a AO hätten den Charakter einer nach Art 33 der 6. EG-Richtlinie nicht zulässigen Umsatzsteuer. Jede Zusatzsteuer zur gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer beinhalte eine variable Ausgestaltung der Steuersätze, was einen Verstoß gegen den Grundsatz darstelle, dass maximal drei Steuersätze zulässig seien. Der Kläger nimmt hier Bezug auf die entsprechenden Rechtsausführungen von Grams, UR 2000, 456.
Zudem verstoße die Zinsfestsetzung gegen den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Belastungsneutralität. Während der Umsatzsteueranspruch des Fiskus bereits 15 Monate nach Entstehung zu verzinsen sei, werde der entsprechende Zins-Erstattungsanspruch nach deutschem Recht erst 15 Monate nach Bezug der Lieferung oder Leistung und Erhalt der Rechnung verzinst. Da der Vorsteueranspruch mithin - entgegen den EU-rechtlichen Vorgaben - zu einem späteren Zeitpunkt entstehe als der korrespondierende Umsatzsteueranspruch, verstoße der als Umsatzsteuer wirkende Nachzahlungszins gegen den Grundsatz der Belastungsneutralität. Der Kläger nimmt hier Bezug auf die Rechtsausführungen von Nagler, DStR 1999, 1176.
Der Kläger beantragt,
die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1996 bis 1998 vom 15. Februar 2001 in Gestalt des Einspruchsbescheids vom 11. April 2001 insoweit zu ändern, dass die Zinsen zur Umsatzsteuer jeweils ersatzlos aufzuheben sind.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, Nachzahlungszinsen hätten nach ihrer Gesetzesbegründung und ihrem Sinn und Zweck nicht den Charakter von Umsatzsteuern. Mit der Einführung der sog. Vollverzinsung habe der Gesetzgeber einen Ausgleich dafür schaffen wollen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen - aus welchen Gründen auch immer - zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden. Nachzahlungszinsen dienten somit lediglich dem Ausgleich eines möglichen Zinsvorteils der Steuerpflichtigen.
Bei den Zinsen handele es sich nicht um Steuern i.S. des § 3 Abs. 1 AO, sondern vielmehr um Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen i.S. des § 3 Abs. 3 AO, die ebenso wie Verspätungszuschläge, Säumniszuschläge, Zwangsgelder und sonstige Kosten alle Steuerpflichtigen, damit auch jeden Unternehmer innerhalb einer Leistungskette, unabhängig von der Bemessungsgrundlage belasten.
Außerdem verkenne die Argumentation des Klägers, dass nicht nur Steuernachforderungen, sondern auch Steuererstattungen nach § 233a AO verzinst würden.
Gründe
Die Klage ist unbegründet. Die Nachzahlungszinsen haben keinen umsatzsteuerähnlichen Charakter i.S.d. Art. 33 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie.
Nach Art. 33 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie sind die Mitgliedstaaten nicht daran gehindert, Abgaben auf Versicherungsverträge, Abgaben auf Spiele und Wetten, Verbrauchsteuern, Grunderwerbsteuern sowie ganz allgemein alle Steuern, Abgaben und Gebühren, die nicht den Charakter von Umsatzsteuern haben, beizubehalten oder einzuführen. Art. 33 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie begründet - im Umkehrschluss - ein Verbot umsatzsteuerähnlicher Abgaben.
Ob eine Steuer, Abgabe oder Gebühr den Charakter einer Umsatzsteuer i.S.d. Art. 33 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie hat, hängt dabei nicht von ihrer Benennung (Steuer, Gebühr oder Abgabe im jeweiligen mitgliedstaatlichen Sinne) sondern allein davon ab, ob sie das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems beeinträchtigt, indem sie den Waren und Dienstleistungsverkehr so belastet, wie es für die Mehrwertsteuer kennzeichnend ist.
Der EuGH (vgl. Urt. v. 26.06.1997 - Rs. C-370/95 u. 372/95 - Careda SA, UR 1997, 357; zuletzt Urt. v. 09.03.2000 Rs. C-437/97 - Krankenhausverein Wien, UR 2000, 242 (244) Rz. 22 m.w.N.) umschreibt den Charakter der Mehrwertsteuer so: Die Mehrwertsteuer gilt allgemein für alle sich auf Gegenstände und Dienstleistungen beziehenden Geschäfte; sie ist proportional zum Preis dieser Gegenstände und Dienstleistungen; sie wird auf jeder Stufe der Erzeugung und des Vertriebs erhoben. Sie bezieht sich ausschließlich auf den Mehrwert der Gegenstände und Dienstleistungen, d.h., es wird die bei einem Geschäft fällige Steuer unter Abzug der Steuer berechnet, die bei dem vorhergehenden Geschäft schon entrichtet worden ist. Sie kann über den Preis der Dienstleistungen und Gegenstände abgewälzt werden, so dass sie letztlich vom Verbraucher getragen wird.
Die hier streitigen Nachzahlungszinsen haben nicht den Charakter einer Umsatzsteuer.
Mit der allgemeinen Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen wollte der Gesetzgeber einen Ausgleich dafür schaffen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen "aus welchen Gründen auch immer" zu unterschiedlichen Zeiten festgesetzt und fällig werden. Wegen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung sollten Liquiditätsvorteile, die aus dem verspäteten Erlass des Steuerbescheides entstanden sind, jedenfalls für die Zeit nach Ablauf von 15 Monaten nach Entstehung der Steuer abgeschöpft werden (vgl. BTDrucks 11/2157 S.194).
Die Nachzahlungszinsen knüpfen damit an die verspätete Steuerfestsetzung an. Sie belasten den Waren- und Dienstleistungsverkehr nicht so, wie es für die Mehrwertsteuer kennzeichnend (charakteristisch) ist.
Erstens wird der Nachzahlungszins nicht ausschließlich nach Maßgabe der Lieferungen von Gegenständen, Dienstleistungen und Einfuhren berechnet, die der Steuerpflichtige durchführt (vgl. hierzu EuGH-Urt. v. 18. Februar 1998 - Rs. C-318-96 - SPAR Österreichische Warenhandels AG, EuGHE 1998 I-810 Tz. 26), sondern vielmehr nach Maßgabe des sich bei der Verrechnung von Umsatzsteuer und Vorsteuer ergebenden Saldos (Nachzahlung oder Erstattung). Damit ist Bemessungsgrundlage für den Nachzahlungszins nicht der als Gegenleistung für die bewirkten Umsätze erhaltene Betrag, sondern der von der jeweiligen Wertschöpfung im Unternehmen abhängige Saldo der Besteuerungsgrundlagen.
Zweitens wird der Nachzahlungszins nicht auf jeder Produktions- und Vertriebsstufe erhoben. Die Erhebung ist vielmehr abhängig von der verspäteten Festsetzung der Umsatzsteuer, die nicht bei jedem Unternehmer innerhalb der Lieferkette unterstellt werden kann.
Drittens bezweckt § 233a AO keine Belastung des Endverbrauchs. Die Verzinsungsregelung will einen beim Steuerpflichtigen entstehenden Liquiditätsvorteil abschöpfen und bezweckt keine Belastung des "Endverbrauchs". Insofern gilt für die Zinsen nichts anderes als für andere steuerliche Nebenleistungen zur Umsatzsteuer wie etwa Verspätungs- oder Säumniszuschläge, die auch nicht auf den Endverbraucher übergewälzt werden können.
Es kommt auch nicht - wie Grams meint - darauf an, ob der Endverbraucher mit den Zinsen über eine Erhöhung der Gestehungskosten belastet wird. Selbst wenn man unterstellen würde, dass der von der Zinszahlung betroffene Unternehmer die Belastung an den Endverbraucher weitergäbe, so ist dies nicht die von der 6. EG-Richtlinie vorgesehene direkte Abwälzung einer Steuer auf den bei dem belasteten Umsatz belieferten Empfänger. Vielmehr läge dann eine indirekte Belastung im Wege der Preiskalkulation vor, die bei allen unternehmerischen Kosten in Betracht kommen kann, sofern der Markt dies zulässt.
Der Nachzahlungszins hat keinen mehrwertsteuerähnlichen Charakter (ebenso - allerdings ohne Begründung - BFH-Urteil vom 12.04.2000 XI R 21/97, BFHNV 2000, 1178). Damit kann der auf das EU-rechtliche Mehrwertsteuersystem beschränkte Grundsatz der Belastungsneutralität vorliegend keine Anwendung finden. Darüber hinaus wäre der Grundsatz der Belastungsneutralität im Streitfall ohnehin nicht tangiert, weil die Erhöhung der Eigenverbrauchsbesteuerung beim Kläger nicht zugleich einen Vorsteueranspruch begründen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.