Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 26.07.2001, Az.: 5 K 374/00
Entstehungszeitpunkt für die Vorsteuer-Abzugsberechtigung; Bewirken der Lieferung oder Leistung; Zeitpunkt des Rechnungserhalts
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 26.07.2001
- Aktenzeichen
- 5 K 374/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 14655
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2001:0726.5K374.00.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 15.07.2004 - AZ: V R 76/01
Fundstellen
- DStRE 2002, 51-52 (Volltext mit amtl. LS)
- EFG 2001, 1414-1415 (Volltext mit red. LS u. Anm.)
- IWB 2002, 165
- UR 2001, 449-450
- UStB 2002, 41-42
Tatbestand
Streitig ist die Festsetzung der Nachzahlungszinsen gem. § 233a AO.
Die Klägerin ist Unternehmerin und Organträgerin. Mit Kaufvertrag vom 10.12.1991 erwarben die Klägerin und die Fa. L. GmbH (Organgesellschaft der Klägerin) die Firmen E. OHG und P & D OHG. Die Übertragung der Gesellschafts- und Geschäftsanteile erfolgte mit Wirkung zum 02.01.1992. Der - unter Einhaltung bestimmter Prämissen - vereinbarte Kaufpreis sollte 20 Mio zuzüglich gesetzlicher Mehrwertsteuer - soweit eine solche anfällt - betragen.
Erst im Rahmen einer Besprechung am 16.02.1995 konnten sich Käufer und Verkäufer auf einen endgültigen Gesamtkaufpreis von 19.300.000,00 DM einigen. Ferner wurde vereinbart, dass auf die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 8 Buchst. f UStG verzichtet und dementsprechend Rechnungen mit Umsatzsteuer erteilt werden sollten.
Die Rechnungen für den Kauf der beiden Firmen
P & D OHG für 13.671.471,00 DM zzgl. 14 % USt (1.914.005,94 DM) und
E. OHG für 2.279.750,00 DM zzgl. 14 % USt (319.165,00 DM)
sind bei der Klägerin im März 1995 eingegangen. Die Rechnung von der Fa. P & D datiert vom 02.01.1992; die Rechnung der Fa. E. OHG trug die Daten 02.01.1992 und 23.03.1995.
Mit Schreiben vom 05.04.1995 beantragte die Klägerin die Änderung der bisherigen, unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Umsatzsteuerfestsetzung 1992. Zur Begründung legte sie die beiden Rechnungen mit einem Vorsteueranspruch in Höhe von insgesamt 2.233.108,94 DM vor.
Der Beklagte führte die Änderung der Umsatzsteuer für 1992 - weiter unter dem Vorbehalt der Nachprüfung - antragsgemäß durch (Bescheid vom 09.05.1995). Im Anschluss an eine Außenprüfung gelangte der Beklagte zu der Auffassung, dass die Vorsteuer zu Unrecht im Veranlagungszeitraum 1992 geltend gemacht worden sei. Er begründete dies mit dem Erhalt der Rechnung in 1995 und berücksichtigte dementsprechend die Vorsteuer erst im Jahr 1995.
Gegen den geänderten Umsatzsteuerbescheid 1992 vom 16.04.1999 wendet sich die Klägerin insoweit als dort Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO festgesetzt worden sind.
Sie trägt vor, die Zinsfestsetzung verstoße gegen das EU-Recht. Nach Art. 17 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie entstehe das Recht auf Vorsteuerabzug, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entstehe. Bei dem Anspruch der abziehbaren Steuer handele es sich um den Steueranspruch des Fiskus. Dieser entstehe nach Art. 10 Abs. 2 Satz 1 der 6. EG-Richtlinie zu dem Zeitpunkt, zu dem die Lieferung eines Gegenstandes bewirkt werde. Demnach entstehe das Recht auf Vorsteuerabzug im Zeitpunkt des Leistungsbezugs (1992) und nicht erst im Zeitpunkt des Rechnungserhalts (1995). Demnach dürfe sich der Umstand, dass der Beklagte den Vorsteueranspruch erst in 1995 berücksichtigt habe, bei der Zinsfestsetzung nicht zu ihren Lasten auswirken.
Die Klägerin beantragt,
die mit dem Umsatzsteuerbescheid 1992 vom 16. April 1999 verbundene Zinsfestsetzung in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 28. Juni 2000 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, der Vorsteuererstattungsanspruch entstehe erst bei Empfang der Rechnung, hier also im Jahr 1995. Dementsprechend beginne der Zinslauf nach § 233a AO auch erst mit der Entstehung des Vorsteueranspruchs, mithin erst nach Erhalt der Rechnung in 1995. Daher sei die Festsetzung von Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer 1992 zu Recht erfolgt.
Eine niedrigere Festsetzung käme allenfalls in einem gesonderten Verfahren nach § 163 AO in Betracht.
Gründe
Die Klage ist begründet. Die Festsetzung der Nachzahlungszinsen ist rechtswidrig und aufzuheben.
Nach § 233a Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 AO beginnt der Zinslauf für eine Steuererstattung "15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist".
Die Entstehung des Vorsteueranspruchs ist in der 6. EG-Richtlinie ausdrücklich geregelt. Nach Art. 17 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie entsteht das Recht auf Vorsteuerabzug, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht. Letzteres ist gem. Art. 10 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie der Zeitpunkt, in dem die Lieferung des Gegenstandes oder die Dienstleistung bewirkt wird. Das Bestehen eines Rechts auf Vorsteuerabzug hängt allein davon ab, dass zu diesem Zeitpunkt (Leistungsempfang) die Eigenschaft als Steuerpflichtiger besteht und dieser als solcher handelt (EuGH-Urt. v. 08.06.2000 - Rs. C-400/98 -, Breitsohl, UR 2000, 329; vgl. auch Wagner, in: Sölch/Ringleb, UStG, § 15 Rz. 50 m.w.N).
Demgegenüber enthält das UStG keine ausdrückliche Regelung hinsichtlich der Entstehung des Vorsteueranspruchs. Nach der ständigen - von der Rspr. des BFH gedeckten - Verwaltungspraxis entsteht der Vorsteueranspruch in entsprechender Anwendung des § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG in dem Veranlagungszeitraum, in dem die materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen i.S.d. § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG (Erhalt der Leistung und der Rechnung) insgesamt vorliegen (So ausdrücklich BFH-Urt. v. 20.10.1994 V R 84/92, BStBl II 1995, 223; Urt. v. 20.01.1997 V R 28/95, BStBl II 1997, 716).
Diese deutsche Verwaltungspraxis steht im offenen Widerspruch zu dem ausdrücklichen Wortlaut der 6. EG-Richtlinie. Sie lässt sich auch nicht unter Hinweis auf das Erfordernis einer Rechnung für die Ausübung der Abzugsberechtigung rechtfertigen (vgl. Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie). Denn die Entstehung der Abzugsberechtigung vollzieht sich - anders als die Ausübung derselben (vgl. Urteil des Senats vom 08.02.2001 - 5 K 310/00 -, UR 2001, 217) - gerade unabhängig von dem Besitz einer Rechnung.
§ 233a Abs. 2 Satz 1 AO ist daher EU-rechtskonform dahingehend auszulegen, dass Entstehungszeitpunkt für die Abzugsberechtigung das Bewirken der Leistung - hier die Übertragung der Gesellschafts- und Geschäftsanteile - ist.
Die Übertragung der Gesellschafts- und Geschäftsanteile erfolgte mit Wirkung zum 02.01.1992. Der Zinslauf beginnt damit 15 Monate nach Ablauf des Jahres 1992 und nicht erst - wie der Beklagte meint - mit Ablauf des Jahres 1995.
Dass der mit der Rechnungsstellung ausgeübte Verzicht auf die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 8 Buchst. f UStG auf den Zeitpunkt der Ausführung des Umsatzes (hier 1992) zurückwirkt, entspricht ständiger Rechtsprechung des BFH (vgl. z.B. BFH-Urt. v. 25.01.1996, BStBl II 1996, 338).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.