Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 26.07.2001, Az.: 5 K 586/96
Vorbehaltsfestsetzung bei Auszahlung eines Umsatzsteuer-Guthabens; Einstufung eines Realaktes als Verwaltungsaktes aufgrung konkludenter Regelung
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 26.07.2001
- Aktenzeichen
- 5 K 586/96
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 14656
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2001:0726.5K586.96.0A
Fundstellen
- EFG 2001, 1409-1410 (Volltext mit red. LS)
- NWB 2001, 3473
Tatbestand
Der Kläger betreibt ein Unternehmen mit der Aufstellung von Geldspielautomaten. Am 27. September 1991 ging die Umsatzsteuererklärung des Klägers für das Streitjahr 1990 beim Beklagten ein. Darin erklärte der Kläger eine Umsatzsteuerzahllast in Höhe von 74.539,3,00 DM. In den Voranmeldungszeiträumen des Jahres waren 75.282,60 DM Umsatzsteuer einbehalten worden, so dass sich aus der Erklärung des Klägers ein verbleibender Überschuss zu seinen Gunsten in Höhe von 743,25 DM ergab.
Der Beklagte setzte die Umsatzsteuer im Bescheid vom 26. November 1991 erklärungsgemäß fest, ohne einen Vorbehalt der Nachprüfung auszusprechen. Aus dem Abrechnungsteil des Bescheides ergibt sich, das dem Kläger von dem selbstberechneten Erstattungsbetrag 731,65 DM überwiesen und 12,00 DM durch Umbuchung gutgeschrieben wurden. Dieser Bescheid ist dem Kläger nicht zugegangen. Vom Fehlschlagen der Bekanntgabe erlangte der Beklagte zunächst keine Kenntnis.
Im Anschluss an eine beim Kläger durchgeführte steuerliche Außenprüfung änderte der Beklagte den Umsatzsteuerbescheid 1990 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO, setzte die Umsatzsteuer auf 75.183,00 DM fest und gab diesen Bescheid dem Kläger unter dem 29. Juni 1992 bekannt, ohne einen Vorbehalt der Nachprüfung auszusprechen. Bereits mit Schreiben vom 18. Juni 1992 hatte der Prozessbevollmächtigte Einspruch gegen die "Umsatzsteuerbescheide 1987, 1988, 1989 und 1990 vom 25. Mai 1992" eingelegt.
Mit Änderungsbescheiden vom 28. September 1994 änderte der Beklagte die Umsatzsteuerfestsetzungen 1986 bis 1989, indem er antragsgemäß auf die Geldspielautomatenumsätze des Klägers keinen sog. Vervielfältiger mehr anwandte. Für das Streitjahr 1990 dagegen setzte der Beklagte die Umsatzsteuer dagegen lediglich von 75.183,00 DM auf 74.539,35 DM herab. Hierzu teilte er dem Kläger mit, dass die Umsatzsteuerfestsetzung 1990 unanfechtbar sei und ein unanfechtbarer Steuerbescheid nur insoweit geändert werden können, wie die Änderung reiche.
Mit Schreiben vom 18. Oktober 1994 wies der Prozessbevollmächtigte den Beklagten darauf hin, dass ein Bescheid vom 26. November 1991 beim Kläger nicht eingegangen sei. Durch Einspruchsbescheid vom 7. Dezember 1995 wies der Beklagte den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück. Das hiergegen gerichtete Klageverfahren (Az. 5 K 12/96) würde nach Rücknahme der Klage eingestellt.
Mit Schreiben vom 16. Oktober 1996 stellte der Kläger den Antrag auf Änderung des Umsatzsteuerbescheides 1990. Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 1. November 1996 ab.
Hiergegen richtet sich der Kläger mit der Sprungklage. Der Beklagte hat der ihm am 19. Dezember 1996 zugestellten Sprungklage mit einem am 16. Januar 1997 beim Niedersächsischen Finanzgericht eingegangenen Schriftsatz zugestimmt. Der Kläger vertritt die Auffassung, die Umsatzsteuerfestsetzung für 1990 könne noch geändert werden. Die von ihm erzielten Geldspielautomatenumsätze seien nur in dem von der Rechtsprechung des EuGH zugelassenen Umfang der Umsatzsteuer zu unterwerfen.
Der nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Umsatzsteuerbescheid vom 26. November 1991 sei unwirksam, weil er ihm, dem Kläger, nicht bekannt gegeben worden sei. Zwar sei in seiner Umsatzsteuererklärung noch keine Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung im Sinne des § 168 AO zu sehen, weil die Steuererklärung zu einer Steuervergütung geführt habe. In der Erstattung des von ihm errechneten Guthaben in Höhe von 731,65 DM zuzüglich 12,00 DM Umbuchung sei aber die Zustimmung des Beklagten zu der Umsatzsteuererklärung zu sehen. Diese stelle eine Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung dar. Der Umsatzsteuerbescheid vom 29. Juni 1992 habe den Vorbehalt der Nachprüfung nicht aufgehoben. Dieser habe damit seine Gültigkeit behalten.
Außerdem habe der Betriebsprüfer in Tz. 10 des Betriebsprüfungsberichts vom 6. April 1992 vermerkt, dass die Veranlagungen 1987 bis 1990 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erfolgt seien.
Schließlich dokumentiere der Eingabewertbogen des FA, dass der Sachbearbeiter bei Bearbeitung des nicht bekannt gegebenen Umsatzsteuerbescheides vom 26. Mai 1989 eine Vorbehaltsfestsetzung habe durchführen wollen.
Hinsichtlich des weiteren klägerischen Vorbringens wird insbesondere auf den in Kopie zu den Gerichtsakten Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 16. Oktober 1996 Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, den Umsatzsteuerbescheid 1990 zu ändern und die Umsatzsteuer auf 49.574,39 DM herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung seines Antrags trägt er vor, die Auszahlung des Guthabens könne nicht als Steuerbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gewertet werden. Es habe sich um eine Zahlung ohne rechtliche Grundlage gehandelt, weil der ihr zugrunde liegende Steuerbescheid nicht bekannt gegeben worden sei. Die erstmals wirksam bekannt gegebene Steuerfestsetzung sei der Umsatzsteuerbescheid vom 29. Juni 1992 gewesen. Dieser aber habe keine Nebenbestimmungen zum Vorbehalt der Nachprüfung beinhaltet.
Im Hinblick auf das Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf die Steuerakten zu Steuer-Nr... sowie die Gerichtsakten Bezug genommen.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Gründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Die Klage ist ohne das grundsätzlich nach 44 Abs. 1 FGO erforderliche Vorverfahren erhoben worden. Sie ist gleichwohl gemäß § 45 Abs. 1 FGO als Sprungklage zulässig, weil der Beklagte der Sprungklage innerhalb eines Monats nach Zustellung der Klageschrift zugestimmt hat.
Die Klage ist aber unbegründet, weil die Voraussetzungen für eine Änderungsmöglichkeit nicht erfüllt sind. Insbesondere kommt eine Änderung nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO nicht in Betracht, weil der Umsatzsteuerbescheid 1990 vom 29. Juni 1992 nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gestanden hat. Der Bescheid hat keine Nebenbestimmungen zum Vorbehalt der Nachprüfung enthalten.
Auch ist vor diesem Zeitpunkt keine Umsatzsteuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen. Die am 27. September 1991 beim Beklagten eingegangene Umsatzsteuererklärung des Klägers stellt keine Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung dar. Zwar steht gemäß § 168 Satz 1 AO grundsätzlich eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Das gilt aber nicht, wenn die Steueranmeldung - wie vorliegend - zu einer Herabsetzung der bisher zu entrichtenden Steuer oder zu einer Steuervergütung führt (§ 168 Satz 2 AO). In diesem Fall liegt eine Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erst vor, wenn die Finanzbehörde zustimmt. An einer solchen Zustimmung fehlt es. Eine ausdrückliche, formelle Zustimmung hat der Beklagte nicht erteilt.
Aber auch eine konkludente Zustimmung liegt nicht vor. Zwar kann die Zustimmung nach § 168 Satz 3 AO auch formlos, z.B. durch Gutschrift auf dem Konto des Steuerpflichtigen erfolgen (Klein, AO, 7. Aufl., § 168 Rz. 13). Gleichwohl stellt die Auszahlung des Umsatzsteuerguthabens durch den Beklagten keine Vorbehaltsfestsetzung im Sinne des § 168 AO dar.
Die Zustimmung ist auch bei formloser Erteilung ein Verwaltungsakt dar (Urteil des BFH vom 28. Februar 1996 XI R 42/94, BStBl II 1996, 660). Dessen Voraussetzungen liegen aber nicht vor. Verwaltungsakt ist gemäß § 118 Satz 1 AO jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Die Maßnahme muss somit von einem Regelungswillen getragen sein. Hieran fehlt es, weil der Beklagte davon ausging, die Zustimmung bereits mit dem tatsächlich nicht bekannt gegebenen Umsatzsteuerbescheid vom 26. November 1991 erteilt zu haben. Für einen erneuten Verwaltungsakt hat es deshalb im Zeitpunkt der Auszahlung und Gutschrift aus Sicht des Beklagten keine Veranlassung gegeben.
Allerdings sind bei der Auslegung von Verwaltungsakten auch die für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätze maßgebend. Danach ist in Anlehnung an den in § 133 BGB zum Ausdruck gekommenen Rechtsgedanken grundsätzlich nicht auf die Sicht des Erklärenden, sondern auf den Empfängerhorizont abzustellen. Es kommt somit darauf an, wie der Adressat den materiellen Gehalt der Äußerung der Verwaltung nach den ihm bekannten Umständen nach Treu und Glauben verstehen konnte (Klein, AO, 7. Aufl., § 118 Rz. 26 m.w.N.).
Grundsätzlich ist in tatsächlichen Handlungen (Realakten) kein Verwaltungsakt zu sehen, weil sie nicht auf eine rechtliche Regelung, sondern auf einen tatsächlichen Erfolg gerichtet sind. Realakte stellen weder Maßnahmen zur Regelung eines Einzelfalles dar noch sind sie auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet. Kommt einem Realakt aufgrund der Besonderheiten des Besteuerungsverfahrens als Massenverfahren ausnahmsweise Verwaltungsaktqualität zu, so handelt es sich um eine konkludente Regelung. Eine konkludente Willenserklärung setzt zwar nicht zwingend ein Erklärungsbewusstsein voraus, erfordert aber wenigstens, dass der Handelnde bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt erkennen konnte, dass sein Verhalten als Willenserklärung aufgefasst werden durfte und der andere Teil es auch tatsächlich so verstanden hat (Urteile des BGH vom 2. November 1989, IX ZR 197/88, BGHE 109, 171, 177; vom 29. November 1994, XI ZR 175/93, NJW 1995, 953; des BayObLG vom 15. Januar 1997, 3 Z BR 153/96, NJW-RR 1998, 161, 162). Hieran fehlt es vorliegend. Der Beklagte hatte alles Erforderliche getan, um den Umsatzsteuerbescheid vom 26. November 1991 wirksam bekannt zu geben. Die - letztlich offengebliebenen - Gründe für das Fehlschlagen der Bekanntgabe, haben ihre Ursache jedenfalls nicht im Verantwortungsbereich des Beklagten gehabt. Der Beklagte hat deshalb auch keine Veranlassung für die Annahme gehabt, die Auszahlung des Guthabens könne vom Kläger als regelnde Maßnahme mit Verwaltungsaktqualität verstanden werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.