Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 28.01.1997, Az.: 5 U 156/96
Rechtfertigung des Vertrauens auf Beachtung der Vorfahrt bei freier Sichtmöglichkeit nach rechts; Vertrauensschutz bezüglich des eigenen Vorfahrtsrechts bei Zweifeln aufgund der örtlichen Verkehrslage
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 28.01.1997
- Aktenzeichen
- 5 U 156/96
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 21751
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1997:0128.5U156.96.0A
Rechtsgrundlagen
- § l7 StVG
- § 1 StVO
- § 3 StVO
Amtlicher Leitsatz
Einschränkung des Vertrauens auf Beachtung der Vorfahrt bei freier Sichtmöglichkeit nach rechts durch die örtliche Verkehrslage.
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Schadensausgleich nach einem Verkehrsunfall.
Am l4.l2.l995 stieß die Widerbeklagte zu 2) mit dem PKW (Toyota) des Klägers im Kreuzungsbereich des Gemeindeweges und der Gemeindestraße der Gemeinde mit dem von links kommenden PKW (Volvo) des Beklagten zu l), haftpflichtversichert bei der Beklagten zu 2), zusammen. Die Geschwindigkeit der Widerbeklagten zu 2) betrug ca. 3O km/h, die des Beklagten zu l) mindestens 80 km/h.
Beide Parteien sind von einer l00%igen Einstandspflicht des Unfallgegners ausgegangen.
Das Landgericht hat eine Haftungsquote von 6O:4O zu Gunsten des Klägers zu Grunde gelegt. Der Beklagte zu l) habe zwar das Vorfahrtsrecht der Widerbeklagten zu 2) verletzt, da es sich bei dem Gemeindeweg, aus dem sie gekommen ist, nicht um einen Feld- oder Waldweg handele; die Widerbeklagte zu 2) treffe aber ein Mitverschulden, da sie wegen zu erwartender möglicher Zweifel von herannahenden Verkehrsteilnehmern an ihrem Vorfahrtsrecht nicht ungebremst habe in die Kreuzung einfahren dürfen.
Von den jeweiligen Schadensaufstellungen hat es dem Kläger 7.639,75 DM und dem Widerkläger l.942,22 DM materiellen Schadensersatz sowie dem Beklagten zu l) 6OO,- DM immateriellen Schadensersatz zugesprochen.
...
Mit ihrer gegen das landgerichtliche Urteil eingelegten Berufung nehmen Kläger und Widerbeklagte zu 2) ihre Verurteilung auf die Widerklage hin; der Kläger verlangt aber weiterhin vollen Ausgleich des ihm entstandenen materiellen Schadens.
Unter ergänzender Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen bekräftigt er seine Auffassung, dass die Widerbeklagte zu 2) nach den gegebenen Umständen insbesondere, weil sie nach rechts volle Einsichtsmöglichkeit gehabt habe, auf die Beachtung ihres Vorfahrtrechts habe vertrauen dürfen und der Beklagte zu l) angesichts der viel zu hohen Geschwindigkeit grob fahrlässig gehandelt habe.
...
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Die vom Landgericht nach der gemäß § l7 StVG gebotenen Abwägung der Verursachungsbeiträge vorgenommene Schadensverteilung ist nicht zu beanstanden. Die dagegen und gegen die angenommene Schadenshöhe gerichteten Berufungsangriffe gehen insgesamt ins Leere.
Dabei brauchte der Senat der Frage, ob es sich bei dem von der Widerbeklagten zu 2) befahrenen Gemeindeweg um einen Feld- oder Waldweg gemäß § 8 Abs. 1 Ziff. 2 StVO handelt, nicht abschließend nachzugehen.
Die nachvollziehbaren Erläuterungen des Kfz-Sachverständigen anhand der von ihm vorgelegten Bilddokumentation zu dem Unfallort lassen jedenfalls zu voller richterlicher Überzeugung (§ 286 ZPO) den Schluss zu, dass die Widerbeklagte zu 2) nach den örtlichen Verhältnissen konkreten Anlass hatte, daran zu zweifeln, etwaige herannahende Verkehrsteilnehmer würden ihr Vorfahrtsrecht schon beachten. Die Bilddokumentation und insbesondere darin die Bilder 34 und 35 belegen, dass vor allem auf Grund des Verlaufs des Weges, seiner Bepflasterung und der Einmündung sowie der jedenfalls nach links eingeschränkten Sichtmöglichkeit durchaus Grund zur Sorge bestand, Verkehrsteilnehmer auf dem Weg würden sich als bevorrechtigt ansehen. In Anbetracht dessen durfte die ortskundige Widerbeklagte zu 2) nicht, wie von ihr eingeräumt, ungebremst in die Kreuzung einfahren.
Für sie streitet entgegen der Berufung auch nicht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (VersR l985, 784), wonach bei freier Sichtmöglichkeit wenigstens nach rechts das Vertrauen auf Beachtung der Vorfahrt gerechtfertigt sein kann. Dieser Vertrauensgrundsatz besteht nicht mehr, wenn die besondere örtliche Verkehrslage Zweifel nährt, der Wartepflicht werde nicht genügt werden. Das ist hier nach den genannten Eigenarten der aufeinander treffenden Gemeindewege und ihrer geringen Verkehrsbedeutung der Fall. Verkehrsteilnehmern aus dem Gemeindeweg muss sich zumindest die Möglichkeit aufdrängen, dass Kraftfahrer auf dem Weg von einer ihnen zustehenden Vorfahrtsberechtigung ausgehen könnten. Aus diesem Grunde durfte die Widerbeklagte zu 2) nicht auf ihr Vorfahrtsrecht vertrauen, sondern musste sich - wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat - gemäß den Geboten aus §§ 1 und 3 StVO mit besonderer Vorsicht dem Einmündungsbereich nähern.
Gegen die nach den beiderseitigen Verschuldensanteilen zuerkannte Haftungsquote ist nichts zu erinnern.
Nach der vom Kläger vorgelegten Rechnung des Autohauses vom 2O.l2.l995 in Verbindung mit dem Gutachten des Ingenieurbüros (GA 16, 20) können für die Anhängerkupplung nicht mehr als die vom Landgericht eingesetzten 162,10 DM zu Grunde gelegt werden.
Es ist nicht ersichtlich, wie ein Sachverständiger demgegenüber einen höheren Schaden feststellen können soll. Die Berufung übersieht, dass in den durch die Rechnung ausgewiesenen Arbeitskosten von 2lO,4O DM weitere Arbeiten enthalten sind, die mit dem Kupplungsumbau nichts zu tun haben.
Die Berufung war daher insgesamt mit den Nebenentscheidungen aus §§ 97 Abs. 1, 515 Abs. 3, 708 Nr. 10, 713, 546 ZPO zurückzuweisen.