Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 25.10.2001, Az.: 8 LA 3301/01
Ausschließliche Auswirkung des Schutzguts aus Art. 6 Grundgesetz (GG) auf Befristung der Ausweisung; Verpflichtung zur Anordnung der Ausweisung bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 Nr. 1 Ausländergesetz (AuslG)
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 25.10.2001
- Aktenzeichen
- 8 LA 3301/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 25603
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2001:1025.8LA3301.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Osnabrück - 30.08.2001 - AZ: 5 A 107/01
Rechtsgrundlage
- § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG
Fundstellen
- AUAS 2002, 38-39
- AUAS 2002, 17-18
- InfAuslR 2002, 118-119
Amtlicher Leitsatz
Ist ein Ausländer nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG abzuschieben, kann das Schutzgut des Art 6 Abs. 1 GG nur bei der Entscheidung über den Vollzug der Ausweisung oder der Entscheidung über eine Befristung der Wirkungen der Ausweisung berücksichtigt werden.
Gründe
Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg, weil die vom Kläger geltend gemachten Berufungszulassungsgründe nicht vorliegen bzw. nicht hinreichend dargelegt worden sind.
Entgegen der Annahme des Klägers bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Der Einwand des mit einer Ausländerin verheirateten Klägers, seine Ausweisung sei mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht vereinbar, ist unzutreffend. Der Senat hat bereits in seinem Beschluss vom 13. Juli 2000 (8 M 2449/00), mit dem er den Antrag des Klägers auf Zulassung der Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 9. Juni 2000 abgelehnt hat, darauf hingewiesen, dass das Schutzgut des Art. 6 Abs. 1 GG erst bei der hier nicht zu beurteilenden Entscheidung, ob die Wirkungen der Ausweisung nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG befristet werden, berücksichtigt werden kann. Daran ist festzuhalten.
Nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG wird ein Ausländer ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Liegen diese Voraussetzungen - wie im Fall des Klägers - vor, ist die Ausländerbehörde verpflichtet, die Ausweisung anzuordnen (Renner, AuslR, Komm., 7. Aufl., § 47 Rn. 5; Hailbronner, AuslR, Komm., § 47 Rn. 5). Der Ausländerbehörde ist weder die Möglichkeit einer Ausnahme noch Ermessen eingeräumt. Sie darf weder aus spezial- oder generalpräventiven Gründen noch in Härtefällen von der Ausweisung absehen (Renner, § 47 Rn. 5). Etwas anderes gilt nur zugunsten freizügigkeitsberechtigter Staatsangehöriger von EG-Mitgliedsstaaten, weil die §§ 45 ff. AuslG durch EG-Recht überlagert und modifiziert werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 02.07.1975 - I C 20.73 - BVerwGE 49, 60[BVerwG 02.07.1975 - I C 20/73]; Renner, § 45 Rn. 26 m.w.N., § 47 Rn. 9). Abgesehen davon besteht lediglich in den Fällen der §§ 47 Abs. 3, 48 Abs. 1, 2 AuslG ein Entscheidungsspielraum, da die Ausweisung dann nur in der Regel oder aufgrund Ermessens zu erfolgen hat (Renner, § 47 Rn. 5); in diesen Fällen ist das öffentliche Interesse an der Entfernung des Ausländers gegen das besondere Interesse an der Erhaltung von Ehe und Familie schon bei der Entscheidung über die Ausweisung abzuwägen (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 10.04.1989 - 1 B 63.89 -). Diese die Ausweisung regelnden Bestimmungen des Ausländergesetzes tragen den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Rechnung (Beschl. v. 10.12.1993 - 1 B 160.93 -). Härten, die auftreten, können und müssen gegebenenfalls im Wege einer Duldung oder einer Befristung der Wirkungen der Ausweisung gemildert werden (BVerwG, Beschl. v. 30.12.1993 - 1 B 185/93 -; Beschl. v. 10.12.1993 - 1 B 160.93 -). Die gesetzlichen Bestimmungen entsprechen ferner den Anforderungen an Eingriffe in das Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK, der deshalb keinen weitergehenden Schutz vermittelt (BVerwG, Beschl. v. 21.08.1997 - 1 B 163/97 - m.w.N.; Urt. v. 17.06.1998 - 1 C 27/96 - BVerwGE 107, 58, 73) [BVerwG 17.06.1998 - 1 C 27/96], und sind überdies mit Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar, der selbst ausländische Ehepartner deutscher Staatsangehörigen nicht schlechthin vor Ausweisung und Abschiebung schützt (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 16.09.1992 - 2 BvR 1546/92 -).
Gegen seine Ausweisung kann der Kläger des weiteren nicht mit Erfolg einwenden, es sei ausgeschlossen, dass er erneut straffällig werde. Da der Kläger nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG auszuweisen ist, kann bei der Ausweisung nicht berücksichtigt werden, ob die Gefahr nicht mehr besteht, dass der Kläger wiederum straffällig wird. Dieser Aspekt ist allenfalls bei der Entscheidung, ob und in welchem Umfang die Wirkungen der Ausweisung befristet werden, bedeutsam. Im übrigen hat der Kläger nicht dargelegt, aus welchen konkreten Gründen eine Wiederholungsgefahr ausgeschlossen sein soll.
Der Rechtmäßigkeit der Ausweisung steht schließlich der Umstand, dass die Familie des Klägers über ausreichenden Wohnraum verfügt und nicht mehr von Sozialleistungen lebt, nicht entgegen, da § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG die Ausweisung des Klägers zwingend vorschreibt.
Die Berufung kann ferner nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zugelassen werden, weil der Kläger nicht dargetan hat, dass seine Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist. Dazu hätte er erläutern müssen, welche konkreten Rechts- oder Tatsachenfragen nur unter besonderen, d.h. überdurchschnittlichen Schwierigkeiten zu beantworten sein sollen und aus welchen Gründen dies der Fall ist. Derartige Angaben lässt der Zulassungsantrag jedoch vermissen.
Schließlich kommt die Zulassung der Berufung auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) in Betracht. Eine Rechtssache ist nur dann im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO grundsätzlich bedeutsam, wenn sie eine bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich noch nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine obergerichtlich nicht geklärte Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich im Rechtsmittelzug stellen würde und im Interesse der Einheit der Rechsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung durch das Berufungsgericht bedarf und zugänglich ist (Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Komm., § 124 Rn. 30 ff. m. w. Nachw.). Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache ist daher nur dann im Sinne des § 124 a Abs. 1 Satz 4 VwGO dargelegt, wenn eine derartige Frage bezeichnet und zudem erläutert worden ist, warum sie im angestrebten Berufungsverfahren sowohl entscheidungserheblich als auch klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren (vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 124 Rn. 53 ff. m. w. Nachw.). Diesen Anforderungen genügt der Zulassungsantrag nicht. Der Kläger hat zwar die Frage, ob allein die zu verbüßende Haftstrafe die Abschiebung (gemeint ist offensichtlich die Ausweisung) rechtfertigt und eine Abwägung unter Berücksichtigung des Art. 6 Abs. 1 GG nicht stattfindet, als entscheidungserheblich bezeichnet. Er hat indessen nicht erläutert, aus welchen Gründen diese Frage angesichts der umfangreichen höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung noch berufungsgerichtlicher Klärung bedürfen soll. Abgesehen davon verleiht diese Frage seiner Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, weil sie sich anhand des Gesetzeswortlauts und der höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung ohne weiteres beantworten lässt.