Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 15.10.2001, Az.: 4 MA 3539/01

Couch; Couchgarnitur; Couchtisch; Gebrauchtmöbel; Gebrauchtmöbelbeschaffung; Glauben; Glaubensregeln; Hilfe zum Lebensunterhalt; Kulturvorschriften; Meidungsvorschriften; Möbel; Polstermöbel; Reinheitsgebot; Sanitärbereich; Sanitäreinrichtung; Sanitäreinrichtungsbereich; Schlafmöbel; Sinti; Sozialhilfe; Speisevorschriften; Tisch

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
15.10.2001
Aktenzeichen
4 MA 3539/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 40377
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - AZ: 7 B 3725/0

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Auch Angehörige der Volksgruppe der Sinti können unter Achtung behaupteter Meidungsvorschriften und Reinheitsgebote grundsätzlich auf einmalige Leistungen für die Beschaffung gebrauchter Möbelstücke (hier: Sofa, Sessel und Couchtisch) verwiesen werden.

Gründe

1

Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

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Nach §§ 146 Abs. 4, 124 Abs. 2 VwGO (i.d.F. des 6. VwGO-Änderungsgesetzes vom 1. November 1996, BGBl. I S. 1626) ist die Beschwerde nur zuzulassen,

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1. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses bestehen,

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2. wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,

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3. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

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4. wenn der angefochtene Beschluss von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder

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5. wenn ein der Beurteilung des Beschwerdegerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

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Im vorliegenden Verfahren liegt ein Zulassungsgrund nicht vor.

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Der Senat hat - entgegen der Auffassung der Antragstellerin - nicht "ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses". Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt. Der Senat macht sich die zutreffenden Erwägungen des angefochtenen Beschlusses vom 27. September 2001 (Az. 7 B 3725/01) zu eigen und verweist deshalb auf sie (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).

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Das Antragsvorbringen rechtfertigt eine andere Entscheidung nicht. Der Schlussfolgerung der Antragstellerin, dass ihr als Angehörige der Volksgruppe der Sinti aus religiösen und kulturellen Gründen nicht zugemutet werden könne, sich auf entsprechende Gebrauchtmöbel verweisen zu lassen, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Dies beruht auf Folgendem:

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Die Antragstellerin hat einen Anspruch gegen den Antragsgegner auf Bewilligung einmaliger Leistungen für die Beschaffung einer Couchgarnitur (Sessel und Sofa) sowie eines Couchtisches nach den §§ 11, 12, 21 Abs. 1 a Nr. 6 BSHG glaubhaft gemacht. Der Antragsgegner hat aufgrund des am 1. November 2000 durchgeführten Hausbesuches festgestellt, dass diese Möbelstücke zum notwendigen Lebensunterhalt der Antragstellerin gehören. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht strittig. Um diesen Bedarf zu decken, durfte der Antragsgegner die Antragstellerin auf den Ankauf von Gebrauchtmöbeln verweisen bzw. die Leistungen der Höhe nach auf die Preise für entsprechende Gebrauchtmöbel begrenzen. Der Antragsgegner ist der Antragstellerin im Übrigen dadurch weiter entgegengekommen, dass er ihr die Barauszahlung des auf dem Auftragsschein vom 15. März 2001 angegebenen Betrages angeboten hat. Auf den Meinungsstreit, ob es einem Hilfeempfänger allgemein zumutbar ist, auf die Benutzung gebrauchter Gegenstände verwiesen zu werden (vgl. Senat, Urt. v. 19.1.1999 - 4 L 1423/98 -, V.n.b. m. Hinw. a. BVerwG, Urt. v. 14.3.1991 - 5 C 70.86 -, FEVS 41, 397 u. Urt. v. 1.10.1998 - 5 C 19/97 -; BVerwGE 107, 234; Senat, Beschl. v. 18.9.1991 - 4 O 2165/91 -, info also 1992, 136) braucht hier nicht näher eingegangen zu werden. Jedenfalls der Bedarf der Antragstellerin kann durch die vom Antragsgegner gewährten Beihilfen für die Beschaffung gebrauchter Möbelstücke gedeckt werden.

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Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass die Antragstellerin der Volksgruppe der Sinti angehört. Der Senat hat keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass es der Antragstellerin nicht zugemutet werden kann, gebrauchte Möbel zu benutzen. Die vorliegenden Unterlagen enthalten kein grundsätzliches "Verbot" für Angehörige der Volksgruppe der Sinti, gebrauchte Möbel zu benutzen. So enthält das von der Antragstellerin vorgelegte Schreiben des Vereins H. Sinti e.V. vom 8. Oktober 2001 lediglich die Aussage, dass es verständlich sei, wenn Angehörige der deutschen Sinti (für den Fall, dass sie es sich selbst nicht leisten könnten, weil sie z.B. von der Sozialhilfe lebten) gebrauchte Möbel ablehnten und aus diesem Grund Neu-Möbel wünschten. Entsprechendes gilt auch für die von der Antragstellerin vorgelegten Auskunft der Sinti-Allianz Deutschland e.V. vom 5. August 2001. In dieser Auskunft wird u.a. ausgeführt, dass das Reinheitsgebot, Speisevorschriften und Berufseinschränkungen zu den uralten vedischen Überlieferungen der Volksgruppe der Sinti gehörten. Einem Angehörigen der Sinti sei es untersagt, Tätigkeiten auszuüben, die im entferntesten mit Blut, Tod, Exkrementen und Müll, mit pflegerischen Bereichen und Verarbeitung von Lebensmitteln, die gegen die Speisevorschriften verstießen, in Verbindung stünden. Ein generelles "Verbot", gebrauchte Möbel zu benutzen, ergibt sich aber auch aus dieser Auskunft nicht. Vielmehr ist nach dem Vorbringen der Antragstellerin - auch unter Berücksichtigung der Gutachten des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 26. Oktober 1994 und 14. August 2001, die sich beide in den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners befinden - davon auszugehen, dass bei Angehörigen der Sinti bei Benutzung gebrauchter Gegenstände bestimmte Anforderungen zu stellen sind. (Dabei können etwaige Besonderheiten für die Verwendung gebrauchter Möbel im Schlaf- und Sanitäreinrichtungsbereich hier unberücksichtigt bleiben.) Für die hier benötigte Couchgarnitur nebst Couchtisch gilt danach, dass unter Beachtung des dargelegten "Meidungs- und Reinheitsgebotes" der Volksgruppe der Sinti die Herkunft der gebrauchten Möbelstücke nachvollziehbar sein muss. Die Möbelstücke dürfen demnach nicht dem gesundheitlichen oder medizinischen Bereich, dem Bereich der Abfallentsorgung oder der Bestattung entstammen. Die Antragstellerin hat es bei der Anschaffung der gebrauchten Möbelstücke jedoch selbst in der Hand, diese Gebote einzuhalten. Der Antragsgegner hat eine bare Auszahlung der Beihilfen angeboten. Der Antragstellerin ist es daher beispielsweise möglich, entsprechende Gebrauchtmöbel auch von anderen Angehörigen der Sinti zu erwerben. Sofern die Antragstellerin die Gebrauchtmöbel auf dem Privatmarkt beschafft, ist es zumutbar, dass sie sich bei den jeweiligen Anbietern zum Zwecke der von ihr geltend gemachten Einhaltung der Meidungsvorschriften und Reinheitsgebote ihrer Volksgruppe nach der Herkunft der Möbel erkundigt. Sollten im Einzelfall Zweifel bleiben, so ist es der Antragstellerin zumutbar, von dem konkreten Angebot Abstand zu nehmen und sich weiter um die Beschaffung der Gebrauchtmöbel zu bemühen. Die Antragstellerin hat im Übrigen solche Anstrengungen bislang nicht hinreichend glaubhaft gemacht.

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Die von dem Antragsgegner bewilligten Beihilfen sind auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Die Geldbeträge sind zur Deckung des Bedarfes angemessen. Von der Antragstellerin wird auch nicht substantiiert vorgetragen, dass die zugesprochenen Beihilfen für einen Couchtisch in Höhe von 65,-- DM, für ein Sofa in Höhe von 95,-- DM sowie für einen Sessel in Höhe von 45,-- DM nicht ausreichten, um entsprechende Gebrauchtmöbel zu beschaffen.

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Auf die von der Antragstellerin behaupteten gesundheitlichen Besonderheiten bei ihren Kindern braucht nicht näher eingegangen zu werden. Ihr Vorbringen ist allerdings - worauf der Antragsgegner zutreffend hinweist - widersprüchlich. So behauptet die Antragstellerin im gerichtlichen Verfahren, dass ihr gemeinsam mit ihr im Haushalt lebender Sohn S. an einer schweren chronischen Asthmaerkrankung leide, die es erforderlich mache, dass die Couchgarnitur eine abwaschbare oder leicht zu reinigende Oberfläche aufweise, um schädliche Hausstaub- oder Milbenansammlungen zu reduzieren. Im Verwaltungsverfahren hat sich die Antragstellerin hingegen auf eine solche Erkrankung ihres Sohnes N. berufen und insoweit ein ärztliches Attest des Herrn Dr. P., datiert mit 8. Mai 2001, vorgelegt, wonach bei Anschaffung von Polstermöbeln darauf geachtet werden solle, dass diese feucht abwischbar seien. Auch wenn solche gesundheitlichen Belange mit zu berücksichtigen sind, nimmt der Senat an, dass die bewilligten Beihilfen für die Couchgarnitur ausreichen, um entsprechende Möbelstücke mit abwaschbarer oder leicht zu reinigender Oberfläche (beispielsweise Kunstleder) anzuschaffen. Der mit der Suche nach geeigneten Möbelstücken verbundene Aufwand ist der Antragstellerin zuzumuten.

15

Eine die Zulassung der Beschwerde begründende besondere rechtliche Schwierigkeit der Rechtssache legt die Antragstellerin nicht dar. Eine Streitsache weist im Übrigen keine besonderen Schwierigkeiten (tatsächlicher oder rechtlicher Art) auf, wenn die Rechtsstreitigkeit ohne Weiteres durch einfache Anwendung einer eindeutigen Rechtsvorschrift auf ein klar zutage liegenden Sachverhalt gelöst werden kann. Dies ist hier der Fall. Die Frage, ob es der Antragstellerin zur Deckung ihres Bedarfs zuzumuten ist, auf die Beschaffung einer gebrauchten Wohnzimmercouchgarnitur und eines Couchtisches verwiesen zu werden, lässt sich - wie dargelegt - anhand der hier maßgeblichen Rechtsvorschriften (§§ 11, 12, 21 Abs. 1 a Nr. 6 BSHG) ohne besondere Schwierigkeiten beantworten.

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Eine Zulassung der Beschwerde ist auch nicht wegen einer "grundsätzlichen Bedeutung" der Rechtssache gerechtfertigt. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache im Sinne der §§ 146 Abs. 4, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nur dann zu, wenn sie in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht eine Frage aufwirft, die im Rechtsmittelzug entscheidungserheblich und fallübergreifender Klärung zugänglich ist sowie im Interesse der Rechtseinheit geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind hier ebenfalls nicht gegeben. Einer fallübergreifende Auseinandersetzung mit kulturellen und religiösen Vorschriften der Sinti und den besonderen religiös und kulturell bedingten Reinheitsvorschriften und Tabus dieser Volksgruppe unter Beachtung von Art 4 GG bedarf es nicht. Wie ausgeführt, legt der Senat das Vorbringen der Antragstellerin seiner Entscheidung zugrunde. Ausgehend von diesen religiösen und kulturellen Grundsätzen gelangt der Senat aber ebenso wie das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass im konkreten Einzelfall der Antragstellerin die Beschaffung von Gebrauchtmöbeln zugemutet werden kann.