Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 25.10.2001, Az.: 4 MA 2958/01
Einstufung von geschuldeter Miete als geschuldete Miete als Unterkunftsbedarf; Angemessenen Beträgen für Miete, Heizung und angefallene Zinsen und Vollstreckungskosten als notwendige Unterkunftskosten ; Angemessene Höhe von Unterkunftskosten
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 25.10.2001
- Aktenzeichen
- 4 MA 2958/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 27227
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2001:1025.4MA2958.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Oldenburg - 08.08.2001 - AZ: 3 B 2284/01
Rechtsgrundlagen
- § 12 BSHG
- § 22 BsHG
- § 3 Abs. 1 RSV
- § 123 VwGO
Fundstellen
- FEVS 2002, 247-251
- NDV-RD 2002, 10-11
- NJW 2002, 841-842 (Volltext mit amtl. LS)
- NZM 2002, 224-226
- ZfF 2002, 137-138
- info also 2002, 135
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die bis zur Beendigung des Mietverhältnisses für die bereits geräumte Wohnung - neben der für die neu bezogene Wohnung - geschuldete Miete kann als Unterkunftsbedarf anerkannt werden, wenn es notwendig gewesen ist, daß der Hilfeempfänger gerade diese neue Wohnung zu diesem Zeitpunkt gemietet und bezogen hat, und wenn er alles ihm Mögliche und Zumutbare getan hat, um die Aufwendungen für die frühere Wohnung so gering wie möglich zu halten (wie Urteile des Senats vom 25.06.1997 - 4 L 7075/95 - und 10.03.1999 - 4 L 4401/98 -, V.n.b.).
- 2.
Zu den notwendigen Unterkunftskosten im Sinne des § 12 BSHG können neben den angemessenen Beträgen für Miete und Heizung auch inzwischen angefallene Zinsen und Vollstreckungskosten gehören, wenn diese Nebenkosten für den Hilfesuchenden nicht vermeidbar waren, weil der Träger der Sozialhilfe die eigentlichen Unterkunftskosten bisher nicht übernommen hat (vgl. Beschl. d. Sen. v. 01.10.1985 - 4 OVG B 81/85 -, V. n. b.).
- 3.
Einen finanziellen Ausgleich für die Vergangenheit herbeizuführen, ist nicht die Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes, sondern des Hauptverfahrens. Eine Ausnahme ist nach der Rechtsprechung des Senats aber gerechtfertigt, wenn die Nichtleistung von Sozialhilfe in der Vergangenheit bis in die Gegenwart fortwirkt, d. h. eine gegenwärtige Notlage zur Folge hat, etwa dadurch, dass unbefriedigt gebliebene Gläubiger des Hilfesuchenden gegen ihn ein Vollstreckungsverfahren betreiben (wie Beschl. d. Sen. v. 11.02.1986 - 4 OVG B 102/85 -).
Gründe
I.
Die Antragsteller und ihre Kinder, eine insgesamt aus neun Personen bestehende Familie, erhalten von der Antragsgegnerin laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Die Familie bezog im November 1999 in O. in der H. Straße 163 eine Wohnung (9 Zimmer, Küche, Bad, Gesamtwohnfläche 205 qm, Miete 1.550,00 DM, Vorauszahlung für Heizung und Nebenkosten 550,00 DM). Bei der Berechnung des sozialhilferechtlichen Bedarfs der Familie berücksichtigte die Antragsgegnerin in der Folgezeit die angemessenen Unterkunftskosten in Höhe von 1.660,00 DM zuzüglich 350,00 DM Heizkostenvorauszahlung, insgesamt also 2.010,00 DM monatlich.
Am 7. August 2000 erhielten die Antragsteller von der GSG Bau- und Wohngesellschaft ein Angebot für eine kostengünstigere Wohnung. Die Antragsteller kündigten daraufhin am 30. August 2000 die bisherige Wohnung zum 30. November 2000. Die Mietvertrag über die neue Wohnung schlossen sie am 21. September 2000 ab. Das neue Mietverhältnis begann am 1. Oktober 2000.
Die Antragsteller schulden der Vermieterin der Wohnung H. Straße 163 aus der Zeit bis einschließlich September 2000 noch Zahlungen auf Miete und Nebenkosten in Höhe von 2.168,81 DM. Offen sind ferner die Zahlungen für Miete und Nebenkosten für die Monate Oktober und November 2000. Hinsichtlich des Gesamtbetrages von 6.368,81 DM zuzüglich Zinsen und Kosten in Höhe von 1.623,62 DM (Stand: 3. Mai 2001) betreibt die frühere Vermieterin der Antragsteller gegen diese die Zwangsvollstreckung. Die Gesamtforderung von 7.992,43 DM erhöht sich seit dem 3. Mai 2001 täglich um 2,32 DM Zinsen.
Die Antragsgegnerin hat eine Übernahme der rückständigen Unterkunftskosten für die Wohnung H. Straße 163 mit Bescheid vom 12. September 2000 abgelehnt. Über den Widerspruch der Antragsteller vom 20. September 2000 ist, soweit ersichtlich, bisher nicht entschieden worden.
Einen Antrag der Antragsteller auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 9. August 2001 abgelehnt. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Die angemessenen Unterkunftskosten für die Zeit bis einschließlich September 2000 habe die Antragsgegnerin übernommen, ein Anspruch auf Übernahme weitergehender Kosten bestehe nicht. Einen Anspruch auf Übernahme der Mietkosten für die Wohnung H. Straße 163 in den Monaten Oktober und November 2000 hätten die Antragsteller nicht, da die Antragsgegnerin sozialhilferechtlich lediglich verpflichtet sei, die Kosten für die tatsächlich bewohnte Unterkunft zu übernehmen. Hinsichtlich der gesamten offenen Kosten ergebe sich auch nicht ein Anspruch der Antragsteller gegen die Antragsgegnerin auf Übernahme aus § 15 a Abs. 1 Satz 1 BSHG, da die Kostenübernahme nicht zur Sicherung der (derzeit bewohnten) Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt sei.
Mit dem Antrag auf Zulassung der Beschwerde und der Beschwerde selbst verfolgen die Antragsteller ihr Begehren weiter.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde gegen den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts bleibt ohne Erfolg, soweit er auf Übernahme von Zahlungsrückständen aus der Zeit bis einschließlich September 2000 zuzüglich anteiliger Zinsen und Vollstreckungskosten gerichtet ist. Insoweit ist ein Grund für die begehrte Zulassung der Beschwerde nach § 146 Abs. 4 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen "ernstlicher Zweifel" an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses nicht gegeben. Das Verwaltungsgericht hat insoweit den Antrag zu Recht abgelehnt. Der Senat macht sich die zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Beschlusses zu eigen und verweist auf sie. "Ernstliche Zweifel" an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts haben die Antragsteller insoweit nicht dargelegt und sind auch nicht ersichtlich.
Hinsichtlich der offenen Zahlungen auf die Miete und die Nebenkosten für die Monate Oktober und November 2000 bestehen hingegen die von den Antragstellern geltend gemachten "ernstlichen Zweifel" an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts insoweit, als das Verwaltungsgericht eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Übernahme des angemessenen Teils dieser Kosten sowie der insoweit angefallenen Zinsen und Vollstreckungskosten verneint hat. Insoweit ist die Beschwerde aus den nachstehenden Gründen, die auch zur Begründetheit der Beschwerde selbst führen, zuzulassen.
Über die zugelassene Beschwerde entscheidet der Senat ohne nochmalige Anhörung der Antragsgegnerin. Denn die maßgeblichen tatsächlichen Umstände und rechtlichen Erwägungen sind bereits im bisherigen Verfahren von den Beteiligten bzw. dem Verwaltungsgericht erörtert worden.
Die Antragsteller haben einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Einen finanziellen Ausgleich für die Vergangenheit herbeizuführen, ist zwar nicht die Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes, sondern des Hauptverfahrens. Eine Ausnahme ist nach der Rechtsprechung des Senats aber dann gerechtfertigt, wenn die Nichtleistung von Sozialhilfe in der Vergangenheit bis in die Gegenwart fortwirkt, d. h. eine gegenwärtige Notlage zur Folge hat, etwa dadurch, dass unbefriedigt gebliebene Gläubiger des Hilfesuchenden gegen ihn ein Vollstreckungsverfahren betreiben (Beschl. d. Sen. v. 11.02.1986 - 4 OVG B 102/85 -). Ein solcher Fall liegt hier vor.
Die Antragsteller haben auch einen Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf Übernahme der Kosten für die Wohnung in der H. Straße 163 für die Monate Oktober und November 2000 - beschränkt auf den angemessenen Umfang - glaubhaft gemacht.
Nach § 11 Abs. 1 BSHG ist Hilfe zum Lebensunterhalt dem zu gewähren, der seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem aus seinem Einkommen und Vermögen beschaffen kann. Der notwendige Lebensunterhalt umfasst gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 BSHG die Aufwendungen für die Unterkunft. Nach § 3 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 22 BSHG (RegelsatzVO) werden laufende Leistungen für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen gewährt. § 3 Abs. 1 Satz 2 RegelsatzVO schränkt die Gewährung laufender Leistungen für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen jedoch ein. Übersteigen die Unterkunftskosten einen der Besonderheit des Einzelfalles "angemessenen Umfang", so sind sie nur solange anzuerkennen, als es dem Hilfeempfänger nicht möglich oder zuzumuten ist, durch Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken. In welcher Höhe die Unterkunftskosten angemessen sind, ist weder im BSHG noch in § 3 Abs. 1 RegelsatzVO näher erläutert. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. z. B. Beschl. v. 25.03.1996 - 4 M 1250/96 -, Beschl. v. 24.07.1998 - 4 O 2084/98 - oder zuletzt Beschl. v. 23.04.2001 - 4 MA 1400/01 -, V.n.b.) ist zur Ermittlung der Angemessenheit der Aufwendungen für eine (bis zum 31. Dezember 2000 bezogene) Wohnung an die Höchstbeträge der Tabelle zu § 8 WoGG anzuknüpfen, wenn andere Anhaltspunkte wie Mietspiegel oder ähnliches fehlen. In Übereinstimmung damit hat die Antragsgegnerin in der Vergangenheit für die Wohnung H. Straße 163 Kosten in Höhe von monatlich 1.660,00 DM zuzüglich 350,00 DM Heizungskosten, zusammen also 2.010,00 DM monatlich, als angemessen angesehen (vgl. Berechnungsbogen für 09/00, Beiakte A Bl. 373). Dass hier die Voraussetzungen für die Berücksichtigung der tatsächlichen Unterkunftskosten gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 RegelsatzVO vorlägen, ergibt sich weder aus dem Vorbringen der Beteiligten noch sonst aus dem Akteninhalt.
Im Oktober 2000 haben die Antragsteller die Wohnung H. Straße 163 zwar allenfalls noch kurzzeitig und im November 2000 überhaupt nicht mehr bewohnt. Nach der Rechtsprechung des Senats kann aber die bis zur Beendigung des Mietverhältnisses für die bisherige Wohnung - neben der für die neu bezogene Wohnung - geschuldete Miete als Unterkunftsbedarf anerkannt werden, wenn es notwendig gewesen ist, dass der Hilfeempfänger gerade diese neue Wohnung zu diesem Zeitpunkt gemietet und bezogen hat, und wenn er alles ihm Mögliche und Zumutbare getan hat, um die Aufwendungen für die frühere Wohnung so gering wie möglich zu halten (Urteile d. Sen. v. 25.06.1997 - 4 L 7075/95 - u. v. 10.03.1999 - 4 L 4401/98 -, V. n. b.). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Mit dem Bezug der neuen Wohnung haben die Antragsteller ihre Unterkunftskosten sogar unter das Maß des Angemessenen gesenkt. Die Wohnung ist ihnen im August 2000 zur Miete ab Oktober 2000 angeboten worden. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsteller den Zeitpunkt für den Beginn des Mietverhältnisses hätten hinausschieben können, um einen nahtlosen Anschluss an das Ende des alten Mietverhältnisses (Kündigung frühestens zum Ende November 2000) zu erreichen, liegen nicht vor. Ebenso ist nicht ersichtlich, dass die Antragsteller die doppelte Mietbelastung für die Miete Oktober und November 2000 etwa durch das Stellen geeigneter Nachmieter für die alte Wohnung hätten reduzieren können. Der Senat hält es für eher unwahrscheinlich, dass die Antragsteller in der Zeit zwischen der Kündigung des alten Mietverhältnisses und jedenfalls Anfang November 2000 geeignete Nachmieter für die alte Wohnung hätten finden können, die aufgrund ihrer Größe und der Mietkosten ohnehin nur für wenige Wohnungssuchende in Frage kommen dürfte.
Die Antragsteller haben somit Anspruch auf Übernahme der angemessenen Kosten für die Wohnung H. Straße 163 in den Monaten Oktober und November 2000 in Höhe von (1.660,00 DM + 350,00 DM = 2.010,00 DM × 2 =) 4.020,00 DM. Zu den notwendigen Unterkunftskosten im Sinne des § 12 BSHG kommen hier neben den angemessenen Beträgen für Miete und Heizung allerdings auch die inzwischen angefallenen Zinsen und Vollstreckungskosten, denn diese Nebenkosten waren für die Antragsteller nicht vermeidbar, da die Antragsgegnerin die eigentlichen Unterkunftskosten bisher nicht übernommen hat (vgl. Beschl. d. Sen. v. 01.10.1985 - 4 OVG B 81/85 -, V. n. b.). Da die Vermieterin hier Zinsen und Kosten für eine Gesamtforderung geltend macht, die über den von der Antragsgegnerin zu übernehmenden Teil der Kosten erheblich hinausgeht, kann der hier von der Antragsgegnerin zu übernehmende Teil der Zinsen und Kosten lediglich geschätzt werden. Der Betrag von 4.020,00 DM erfasst etwa zwei Drittel der von der Vermieterin geltend gemachten Hauptforderung von 6.368,81 DM. Die von der Vermieterin geltend gemachten Zinsen und Kosten betragen nach dem Stand 3. Mai 2001 1.623,62 DM zuzüglich Zinsen für seither rd. 150 Tage à 2,32 DM, d. h. weitere 348,00 DM. Zwei Drittel davon sind 1.315,00 DM. Daraus ergibt sich der Gesamtbetrag der von der Antragsgegnerin zu übernehmenden Kosten für die Wohnung H. Straße 163 (Unterkunft und Heizung) für die Monate Oktober und November 2000 in Höhe von (4.020,00 DM + 1.315,00 DM =) 5.335,00 DM. Die Antragsgegnerin kann diesen Betrag (unter Bestimmung des Zahlungszwecks, § 366 BGB) direkt an die bevollmächtigten Rechtsanwälte der Vermieterin leisten.