Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.10.2001, Az.: 11 MB 2745/01
Lebensmittel; neuartiges Lebensmittel; Neuartigkeit; Unbedenklichkeit; Verkaufsverbot; Zulassung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 09.10.2001
- Aktenzeichen
- 11 MB 2745/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 40346
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 13.07.2001 - AZ: 3 B 19/01
Rechtsgrundlagen
- EGV 258/97
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Nach den im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gewonnenen Erkenntnissen handelt es sich bei der Nonifrucht ( Frucht der Pflanze Morinda citrifolia ) nicht um ein erfahrungsgemäß unbedenkliches Lebensmittel iSd Art. 1 Abs. 2 2. HS Buchst. e EG-VO Nr. 258/97. Die aus der Nonifrucht entwickelten Säfte und Kapseln sind im Gebiet der Europäischen Union vor Einführung der EG-VO Nr. 258/97 nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden ( Art. 1 Abs. 2 1. HS EG-VO Nr. 258/97 ).
Tatbestand:
Die Antragstellerin verkauft per Katalog N Traubensaft und N-Kapseln. Saft und Kapseln werden aus der Pflanze "M" (indische Maulbeere, N-Frucht) gewonnen. In dem Katalog heißt es zu dieser Pflanze:
"Noni ist ein alt bewährtes Hausmittel aus der Apotheke der Mutter Natur. Die Frucht mit dem klangvollen Namen M enthält die höchste Konzentration an Pro-Xeronin, welches im Körper in Xeronin umgewandelt wird. Xeronin wiederum unterstützt über die Harmonisierung des Magen- und Darmgeschehens den gesamten Stoffwechsel, den Schlüssel für Gesundheit und Wohlbefinden. Die Heilkundigen Polynesiens, Tahitis und Hawaiis schätzen seit Urzeiten diese Effekte bei der Versorgung der Inselbewohner. In Europa gewinnt dieses Naturmittel immer mehr an Bedeutung."
Mit Bescheid vom 16. Mai 2001 untersagte der Antragsgegner der Antragstellerin, die von ihr angebotenen Waren in den Verkehr zu bringen (Verkaufsverbot). Mit Bescheid vom 14. Mai 2001 waren bereits zuvor 55 Dosen mit je 60 Noni-Kapseln sowie 30 Flaschen ...-Traubensaft á 1 I sichergestellt worden. Die sofortige Vollziehung wurde jeweils angeordnet. Die Antragstellerin legte gegen beide Bescheide mit Schreiben vom 17. bzw. 29. Mai 2001 Widerspruch ein
Darüber hinaus hat sie um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Zur Begründung führte sie u.a. aus, die Lebensmittel würden aus der Pflanze M mit natürlichen Zucht- und Vermehrungsmethoden gewonnen und seien nach allgemeiner Erfahrung unbedenklich für den Verzehr durch den Menschen. Hinweise auf Gesundheitsgefahren habe es in der Vergangenheit nicht gegeben. Ein irgendwie geartetes Genehmigungsverfahren vor Verkauf der Kapseln und des Saftes sei daher nicht erforderlich.
Der Antragsgegner hat demgegenüber wie auch schon in den angefochtenen Bescheiden die Auffassung vertreten, bei den N-Produkten handele es sich um neuartige Lebensmittel im Sinne der EG-Verordnung Nr. 258/97 (EG-VO Nr. 258/97), da sie bisher in der Europäischen Gemeinschaft noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden seien. Da es an einem nennenswerten Verbrauch in der Europäischen Gemeinschaft fehle, könnten die aus der Pflanze gewonnenen Lebensmittel auch nicht "erfahrungsgemäß als unbedenkliches Lebensmittel" gelten. Im Interesse des Schutzes der Verbraucher sei daher zunächst das nach der EG-VO Nr. 258/97 vorgeschriebene Zulassungsverfahren durchzuführen.
Mit angefochtenem Beschluss vom 13. Juli 2001 hat das Verwaltungsgericht dem Begehren der Antragstellerin entsprochen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte sei zumindest in dem vorläufigen Verfahren davon auszugehen, dass die aus der Pflanzenfrucht gewonnenen Erzeugnisse durch herkömmliche Vermehrungs- und Zuchtmethoden gewonnen worden seien und dass sie auch erfahrungsgemäß als ein unbedenkliches Lebensmittel gelten können. Zur Beurteilung, ob die aus der Pflanze gewonnenen Lebensmittel erfahrungsgemäß als unbedenklich anzusehen seien, sei dabei nicht nur auf das Gemeinschaftsgebiet der EU abzustellen. Nach den von der Antragstellerin vorgelegten Stellungnahmen staatlicher und überstaatlicher Stellen, die sich auf den Gebrauch der Pflanze auch außerhalb der EU bezögen, seien negative Erfahrungen mit der Verwendung der Pflanze nicht gemacht worden. Auf die Frage, ob die Lebensmittel in bezug auf das Gemeinschaftsgebiet neuartig seien, komme es nach alledem nicht mehr an. Die EG-VO Nr. 258/97 greife daher vorliegend nicht ein.
Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Beschwerde des Antragsgegners.
Im Laufe des Beschwerdeverfahrens hat die Bezirksregierung Weser-Ems mit Widerspruchsbescheid vom 31. August 2001 den gegen das Verkaufsverbot vom 16. Mai 2001 gerichteten Widerspruch vom 29. Mai 2001 zurückgewiesen. Über den Widerspruch vom 17. Mai 2001 gegen die Sicherstellungsverfügung vom 14. Mai 2001 ist -- soweit ersichtlich -- noch nicht entschieden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde des Antragsgegners hat Erfolg. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts vermag der Senat ein überwiegendes Suspensivinteresse der Antragstellerin nicht zu erkennen.
Bei der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO sind unter Einbeziehung des Zweckes des Gesetzes und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit die Interessen der Antragstellerin an der einstweiligen Nichtbefolgung der Ordnungsverfügungen abzuwägen mit den vom Antragsgegner verfolgten öffentlichen Interesse an der sofortigen Befolgung seiner Entscheidungen. Außer dem betroffenen Interesse und den Nachteilen, die den Beteiligten durch die sofortige Befolgung oder durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung entstehen, sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens mit in die Überlegungen einzustellen, soweit diese bereits überschaubar sind. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, weil sich bei summarischer Beurteilung Widerspruch oder Anfechtungsklage weder als offensichtlich erfolgversprechend noch als offensichtlich aussichtslos erweisen, sind vorrangig die wechselseitigen Interessen abzuwägen und zu ermitteln, wessen Interesse für die Dauer des Hauptsacheverfahrens der Vorrang gebührt. Dabei sind allerdings erkennbare Erfolgschancen des Betroffenen oder der Behörde, auch wenn sie noch keine sichere Prognose für den Ausgang des Hauptsacheverfahrens zulassen, in die Erwägung einzubeziehen. Sie können das Gewicht der von den Beteiligten geltend gemachten Interessen erhöhen oder mindern (vgl. Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl., Rdnr. 864).
Nach diesen Kriterien überwiegt sowohl hinsichtlich der Sicherstellungsverfügung vom 14. Mai 2001 als auch hinsichtlich des Verkaufsverbotes vom 16. Mai 2001 das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Anordnung der sofortigen Vollziehung.
Bei der Interessenabwägung ist auf Seiten der Antragstellerin das wirtschaftliche Interesse an einem weiteren Verkauf der N-Produkte in die Abwägung einzustellen. Das Sortiment der Antragstellerin besteht jedoch nicht nur aus N-Produkten. Sie bietet vielmehr -- wie sich dem im Verwaltungsvorgang befindlichen Auszug eines Katalogs entnehmen lässt -- "seit Jahrzehnten ... ein Sortiment (an), das auf sanfte und natürliche Weise zur Erhaltung und Wiedergewinnung (der) Gesundheit beitragen kann". U.a. kann man über die Antragstellerin z.B. auch Apfelessig für die Vollwertküche oder Aloe Vera-Produkte beziehen. Das ausgesprochene Verkaufsverbot betrifft daher nicht den Gewerbebetrieb der Antragstellerin in seiner Gesamtheit, und dieses mindert insoweit wieder die auf ihrer Seite in die Überlegungen einzubeziehenden wirtschaftlichen Interessen.
Demgegenüber kommt dem öffentlichen Vollzugsinteresse vorliegend ein besonderes Gewicht zu; denn durch die angeordnete sofortige Vollziehung des Verkaufsverbotes bzw. der Sicherstellungsverfügung soll die öffentliche Gesundheit vor nicht zureichend auf ihre Verträglichkeit geprüften Lebensmitteln geschützt werden. Da die öffentliche Gesundheit ein überragendes Schutzgut ist, ist diesem grundsätzlich der Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen einzelner Unternehmer einzuräumen. Das Gewicht dieses Schutzgutes wird zudem dadurch erhöht, dass der Ausgang des Hauptverfahrens zwar nicht sicher prognostiziert werden kann, jedoch zumindest nach dem derzeitigen Kenntnisstand Überwiegendes für eine Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügungen spricht. Dieses ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
Gemäß § 3 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften über neuartige Lebensmittel und Lebensmittelzutaten und über die Kennzeichnung von Erzeugnissen aus gentechnisch veränderten Sojabohnen und gentechnisch verändertem Mais sowie über die Kennzeichnung ohne Anwendung gentechnischer Verfahren hergestellter Lebensmittel (Neuartige Lebensmittel- und Lebensmittelzutatenverordnung -- NLV -- i. d. F. v. 14. 2. 2000 -- BGBl. I S. 123) dürfen Lebensmittel oder Lebensmittelzutaten im Sinne des Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 258/97 nicht ohne eine entsprechende Genehmigung in den Verkehr gebracht werden.
Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 258/97 des Europäischen Parlamentes und des Rates über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten (v. 27.1.1997, Abl EG L 43/1 -- EG-VO Nr. 258/97 --) bestimmt:
"1. In dieser Verordnung ist das Inverkehrbringen neuartiger Lebensmittel und neuartiger Lebensmittelzutaten in der Gemeinschaft geregelt.
2. Diese Verordnung findet Anwendung auf das Inverkehrbringen von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten in der Gemeinschaft, die in dieser bisher noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden und die unter nachstehende Gruppen von Erzeugnissen fallen:
a) ...
b) ...
c) ...
d) ...
e) Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, die aus Pflanzen bestehen oder aus Pflanzen isoliert worden sind und aus Tieren isolierte Lebensmittelzutaten, außer Lebensmittel oder Lebensmittelzutaten, die mit herkömmlichen Vermehrungs- oder Zuchtmethoden gewonnen wurden und die erfahrungsgemäß als unbedenkliche Lebensmittel gelten können;
f) ...
3. Gegebenenfalls kann nach dem Verfahren des Art. 13 festgelegt werden, ob ein Lebensmittel oder eine Lebensmittelzutat unter Abs. 2 dieses Artikels fällt."
Nach der EG-VO Nr. 258/97 hat mithin derjenige, der ein neuartiges Lebensmittel in der Europäischen Gemeinschaft in Verkehr bringen will, zunächst in dem Mitgliedsstaat, in dem das Erzeugnis erstmals in den Verkehr gebracht werden soll, einen entsprechenden Antrag zu stellen und abzuwarten, bis der Mitgliedsstaat ihn unterrichtet, dass er das Lebensmittel in den Verkehr bringen darf. Dieses Verfahren gilt allerdings nur für diejenigen neuartigen Lebensmittel in der Europäischen Gemeinschaft, die unter die in Art. 1 Abs. 2 Buchst. a) bis f) EG-VO Nr. 258/97 genannten Erzeugnisse fallen.
Vorliegend können die aus der N-Frucht entwickelten Säfte und Kapseln allenfalls dem Buchstaben e) zugeordnet werden, d.h. sie unterfallen dann schon nicht dem Anwendungsbereich EG-VO Nr. 258/97, wenn die sichergestellten und dem Verkaufsverbot unterliegenden N-Säfte und -Kapseln erfahrungsgemäß als unbedenkliches Lebensmittel gelten können und die N-Frucht zudem mit herkömmlichen Vermehrungs- oder Zuchtmethoden gewonnen wird. Zwar ist nach dem bisherigen Erkenntnisstand davon auszugehen, dass die N-Früchte mit herkömmlichen Vermehrungs- oder Zuchtmethoden gewonnen werden. Es bestehen aber Zweifel, ob die aus der Pflanze "M hergestellten N-Säfte und N-Kapseln als "erfahrungsgemäß unbedenkliches Lebensmittel" gelten können. Das Verwaltungsgericht hat dieses bejaht und insoweit auf die von der Antragstellerin vorgelegte Auflistung von Werner (GA Bl. 12 f.) verwiesen, wonach in der Literatur für verschiedene, zum Teil auch außerhalb des Gemeinschaftsgebietes liegende Länder bereits seit 1769 von der indischen Maulbeere als Lebensmittel berichtet wird (ebenso VG Kassel, Beschl. v. 30.7.2001 -- 5 G 1499/01 --; a.A. VG München, Beschl. v. 25.6.2001 -- M 22 S 01.1947 -- und VGH München, Beschl. v. 30.7.2001 -- 25 ZS 01.1844 --).
Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob -- wovon das Verwaltungsgericht ausgeht -- Wortlaut und Systematik des Art. 1 Abs. 2 EG-VO zu entnehmen ist, dass zur Begründung, ob ein Lebensmittel erfahrungsgemäß als unbedenklich anzusehen ist, auf sämtliche Länder der Welt abgestellt werden kann. Ebenso zweifelhaft ist es allerdings auch, ob für die Frage der erfahrungsgemäßen Unbedenklichkeit ausschließlich auf die im Gemeinschaftsgebiet gewonnenen Erkenntnisse zurückzugreifen ist (so wohl Zipfel, Lebensmittelrecht, Stand: 2/2001 unter C 150 Art. 1 Rdnr. 44 ff.). Die sehr weitgehende Auffassung des Verwaltungsgerichts vernachlässigt möglicherweise, dass Lebensmittel und Lebensmittelzutaten für die in der EU ansässigen Verbraucher bedenklich sein können, obgleich dieselben Lebensmittel für andere Volksstämme wegen anderer Ernährungsgewohnheiten und anderer körperlicher Konstitution unbedenklich sein können. Das Abstellen nur auf den räumlichen Bereich der Mitgliedsstaaten führt andererseits dazu, die Ausnahmeregelung innerhalb des Art. 1 Abs. 2 Buchst. e) der EG-VO letztlich leerlaufen zu lassen; denn ein Lebensmittel, das im EG-Bereich als erfahrungsgemäß unbedenklich gilt, dürfte in der Regel auch nicht mehr als neues Lebensmittel innerhalb der EG angesehen werden und umgekehrt. Naheliegender erscheint dem Senat daher, für die Frage, ob ein Lebensmittel im Sinne des Buchstaben e) als erfahrungsgemäß unbedenklich anzusehen ist, sowohl auf den Geltungsbereich der EG als auch auf mit dem EG-Raum vergleichbare Regionen (z.B. Nordamerika, Kanada) abzustellen. Regionen, die sich z.B. hinsichtlich der Ernährungsgewohnheiten und körperlichen Konstitution erheblich von den Vorgaben innerhalb des EG-Raumes unterscheiden, wären in den Vergleich dagegen nicht mit einzubeziehen (z.B. Afrika, Indien, China).
Dies mag jedoch für das vorliegende Eilverfahren auf sich beruhen. Selbst wenn man mit dem Verwaltungsgericht auf die in der gesamten Welt mit der Pflanze "M" gewonnenen Erfahrungen abstellt, vermag der Senat diesen Erkenntnismitteln -- zumindest nach dem bisherigen Kenntnisstand -- nicht mit zureichender Sicherheit zu entnehmen, dass es sich bei der Frucht dieser Pflanze -- der von der Antragstellerin vertriebene Saft und die Kapseln werden aus der Frucht und nicht z.B. aus den Blättern hergestellt (vgl. den oben zitierten Katalog) -- um ein erfahrungsgemäß unbedenkliches Lebensmittel handelt.
Das dürfte allerdings nicht bereits daraus folgen, dass ein von einer belgischen Firma, die ebenfalls Saft der N auf den Markt bringen will (Tahitian N Juice), ein bereits Mitte 2000 eingeleitetes förmliches Verfahren nach der EG-VO Nr. 258/97 bislang noch nicht abgeschlossen ist, sogar noch nicht einmal der Erstbericht der nationalen Behörden in Belgien vorliegt. Es kann dahinstehen, ob diese lange Verfahrensdauer gegen die Bewertung der Noni-Frucht als erfahrungsgemäß "unbedenklich" spricht; denn es ist bislang nichts dafür vorgetragen, dass die in jenem Saft enthaltenen Bestandteile mit den von der Antragstellerin vertriebenen Produkten vergleichbar sind.
Den zwischenzeitlich vorliegenden Berichten der verschiedenen Untersuchungsämter (Landesuntersuchungsamt für das Gesundheitswesen Südbayern v. 16.1. u. 30.1.2001; Landesuntersuchungsamt für das Gesundheitswesen Nordbayern v. 20.10.2000 sowie Staatliches Medizinal-, Lebensmittel- und Veterinäruntersuchungsamt Mittelhessen v. 4.9.2000) sind zwar konkrete gesundheitliche Bedenken im Zusammenhang mit der Verwendung der N-Frucht nicht zu entnehmen. Allerdings ist auch nicht die Bedenklichkeit, sondern die Unbedenklichkeit des Lebensmittels festzustellen, und eine derartige gesundheitliche Unbedenklichkeit wird in den untersuchten Proben in jenen Berichten nicht bescheinigt; das Untersuchungsamt Nordbayern weist in seiner Stellungnahme vom 20. Oktober 2000 vielmehr darauf hin, dass möglicherweise auch nicht mehr gesunde N-Früchte verarbeitet worden seien. Darüber hinaus ist den Stellungnahmen zu entnehmen, dass auch Bedenken an einer ordnungsgemäßen Kennzeichnung der jeweils untersuchten Säfte/Kapseln bestehen. Die durch eine unzutreffende Kennzeichnung beim Verbraucher hervorgerufene Irreführung ist aber neben gesundheitlichen Überlegungen ebenfalls im Rahmen des Tatbestandsmerkmals "unbedenklich" von Bedeutung (Zipfel, a.a.O., Art. 1 Rdnr. 43).
Allerdings wird in der von ... M. ... erstellten Liste über den Gebrauch der indischen Maulbeere als Nahrungsmittel (GA Bl. 12 ff.) von dem Gebrauch der indischen Maulbeere in den verschiedensten Ländern als Lebensmittel berichtet. In dieser Liste fehlen jedoch konkrete Angaben zur Häufigkeit der Verwendung als Lebensmittel. Diese Quantitätsangabe ist aber erforderlich, um das Tatbestandsmerkmal "erfahrungsgemäß" als Lebensmittel unbedenklich im Sinne des Art. 1 Abs. 2 Buchst. e) der EG-VO Nr. 258/97 auszufüllen.
Die von der Antragstellerin vorgelegten Bescheinigungen der Union Orthodox Jewish Congregations of America vom Januar 2000 sowie des Department of Agriculture and Markets, State of New York vom Mai 2000 reichen als Nachweis der Unbedenklichkeit der vorliegend von der Sicherstellungsverfügung und dem Verkaufsverbot betroffenen Noni-Säfte bzw. N-Kapseln nicht aus, weil Nachweise fehlen, dass die von der Antragstellerin vertriebenen Produkte mit den in jenen Bescheinigungen genannten Produkten übereinstimmen, also auch von den in jenen Bescheinigungen genannten Firmen stammen.
Auch der Hinweis auf die Anzahl der 1996 eingeführten indischen Maulbeeren ... vermag eine Bewertung als erfahrungsgemäß unbedenkliches Lebensmittel nicht zu rechtfertigen. Der Bescheinigung ist zum einen nicht zu entnehmen, in welchem Umfang indische Maulbeeren eingeführt wurden. Diese werden vielmehr in der Rubrik "Brombeeren, Maulbeeren usw." angeführt, ohne dass es noch eine besondere Kategorie bezüglich der Maulbeeren gibt. Zum anderen sagt die Auflistung nichts über die Art der Weiterverarbeitung der Maulbeeren aus.
In der überreichten Stellungnahme der Regierung von Französisch-Polynesien vom Januar 2001 ... werden zwar die aus der N-Frucht gewonnenen Extrakte als für den allgemeinen Verzehr geeignete Lebensmittel beschrieben. Dieser Stellungnahme vermag der Senat aber zumindest in diesem vorläufigen Verfahren keine wesentliche Bedeutung beizumessen, weil aus anderen Verlautbarungen deutlich wird, dass die indische Maulbeere seit ein paar Jahren ein wesentlicher Exportartikel ist, aus Sicht von Französisch-Polynesien somit ein erhebliches wirtschaftliches Interesse daran besteht, diesen Export auch weiterhin aufrecht zu erhalten.
Die Einstufung als erfahrungsgemäß unbedenkliches "Lebensmittel" begegnet schließlich auch deswegen Bedenken, weil die Pflanze nach Angaben der Antragstellerin in ihrem Katalog ("die Heilkundigen Polynesiens, Tahitis und Hawaiis schätzen seit Urzeiten diese Effekte bei der Versorgung der Inselbewohner") vor allem in der Volks- und Naturheilkunde eingesetzt wurde. Gleiches ergibt sich aus dem dem Internet zu entnehmenden Bericht "Neues Superenzym aus der Natur" ( http://www.noni-siebelts.purespace.de//N.htm ). In jenem Bericht heißt es -- insoweit in Übereinstimmung mit dem oben zitierten Katalog der Antragstellerin -- u.a.:
"Seit Jahrtausenden wird in Polynesien der Saft einer ganz speziellen Wildfrucht als bewährtes Hausmittel geschätzt ... (Der) Saft schmeckt in seiner unbehandelten Form nach altem Käse und (der) Geruch liegt in manchen Inselregionen sogar unangenehm in der Luft. Von vielen Eingeborenen wird er daher nur bei dringendem Bedarf verwendet ... Auf Hawaii wurde die "wuchernde Wildfrucht" nahezu vollständig abgeholzt. Doch dann erfuhren zwei hoch angesehene US-Lebensmitteltechniker 1993 zufällig von dieser Frucht ... Die Markteinführung dieses Vitalfruchtsaftes in den USA vor drei Jahren entwickelt sich mittlerweile zu einem der größten Hits der Lebensmittelbranche ... Die verhaltene Ehrfurcht der Polynesier gegenüber ihrer Wildfrucht verwandelte sich in ungebremste Begeisterung und Nationalstolz; wurde quasi über Nacht zum Exportprodukt Nr. 1 ihrer danieder liegenden Wirtschaft und schenkte über tausenden Pflückerfamilien umweltfreundliche, gut bezahlte Arbeitsplätze ..."
Diese Berichte lassen eine Einstufung als Arzneimittel möglich erscheinen. Gleiches ergibt sich aus der Stellungnahme von Dr. S "Die tropische Frucht mit 101 medizinischen Anwendungen". Schließlich wird auch in den oben erwähnten, in der Bundesrepublik Deutschland erstellten Gutachten zum Teil die Verwendung des Saftes/der Kapsel als Arzneimittel in den Raum gestellt. Geht man aber davon aus, dass die N-Frucht in ihren Ursprungsgebieten vor allem als Heilmittel und daher einem Arzneimittel vergleichbar eingesetzt wurde, kann aus dem Gebrauch der N-Frucht in jenen Gegenden nicht auf einen erfahrungsgemäß unbedenklichen Einsatz auch als "Lebensmittel" geschlossen werden.
Insgesamt fehlt es somit -- nach vorliegendem Erkenntnisstand -- an zureichenden Hinweisen, dass die Noni-Frucht und die aus ihr von der Antragstellerin gezogenen und vertriebenen Produkte ... bereits als ein erfahrungsgemäß unbedenkliches Lebensmittel einzustufen sind.
Da die Ausnahmeregelung des Art. 1 Abs. 2 Buchst. e) EG-VO somit nicht greift, kommt es darauf an, ob die aus der N-Frucht entwickelten Säfte und Kapseln in dem Gebiet der Europäischen Union schon vor Einführung der EU-VO Nr. 258/97 in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden sind. Neu im Sinne dieser Bestimmung sind alle Lebensmittel, die bislang nicht in regulären Einzelhandelsbetrieben verkauft wurden und damit jedermann zugänglich waren. Das ist für die aus der N Frucht entwickelten Lebensmittel im Rahmen des Gemeinschaftsgebietes der Fall. Dabei kann der Senat offen lassen, ob für die Frage, ob die Säfte und Kapseln für jedermann zugänglich waren, auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung im Mai 1997 abzustellen ist oder ob nach Sinn und Zweck bereits auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung des gemeinsamen Standpunktes im Oktober 1995, der letztlich zu der Verordnung geführt hat (so Zipfel, a.a.O., Art. 1 Rdnr. 19), abzustellen ist; denn zu keinem dieser Zeitpunkte waren aus der Noni-Frucht gewonnene Lebensmittel bislang im Gemeinschaftsgebiet regulär im Einzelhandelsbetrieb zu kaufen. Sie wurden vielmehr ausschließlich über Internet bzw. Katalog angeboten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 2 GKG. Dabei hält der Senat einen Streitwert von je 10.000,-- DM für die jeweiligen Verfahren für angemessen.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).