Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.11.2003, Az.: 7 LA 191/03
Anwalt; Ausgangskontrolle; Begründungsfrist; Berufungszulassung; Büroorganisation; Büropersonal; Fristenkontrolle; Fristenprüfung; Fristversäumnis; Hilfsperson; Organisationsverschulden; Prozessbevollmächtigter; Rechtsanwalt; Verschulden; Wiedereinsetzung; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; Zurechnung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 19.11.2003
- Aktenzeichen
- 7 LA 191/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 48443
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 25.06.2003 - AZ: 1 A 152/01
Rechtsgrundlagen
- § 60 Abs 1 VwGO
- § 124a Abs 4 S 4 VwGO
- § 85 Abs 2 ZPO
Gründe
Durch das im Tenor bezeichnete Urteil hat das Verwaltungsgericht die auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der atomrechtlichen Beförderungsgenehmigung vom 15. Dezember 2000 / 3. April 2001 gerichtete Klage als unzulässig abgewiesen. Die der Genehmigung zugrundeliegenden Vorschriften vermittelten den Klägern keine Klagebefugnis.
Gegen das ihnen am 24. Juli 2003 zugestellte Urteil haben die Kläger am 20. August 2003 die Zulassung der Berufung beantragt und die fristgerechte Vorlage der Begründung angekündigt. Diese ging am 25. September 2003, einem Donnerstag, beim Verwaltungsgericht ein. Nach Hinweis in der Eingangsverfügung des Senats auf den damit verspäteten Eingang haben die Kläger am 10. Oktober 2003 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und dazu ausgeführt:
Die für die Fristenkontrolle zuständige Sachbearbeiterin der Rechtsanwaltskanzlei habe im Fristenkalender das Ende der Begründungsfrist fälschlich mit dem 25. September 2003 notiert. Die Antragsbegründung sei bereits am 20. August 2003 im Wesentlichen fertiggestellt gewesen; sie habe in einigen Aspekten aber noch vertieft werden sollen. Die Fertigstellung habe sich dann bis zum 19. September 2003 verzögert. An diesem Tag sei der Schriftsatz nach einigen weiteren Korrekturen unterzeichnet worden und hätte abgeschickt werden sollen. Der prozessbevollmächtigte Rechtsanwalt habe deshalb keinen Grund gesehen, die von ihm bemerkte falsche Notierung der Begründungsfrist noch zu ändern. Der Schriftsatz sei dann aber nicht in den Postausgang gelangt, sondern versehentlich in eine zweite Unterschriftenmappe für Schriftsatzausfertigungen geraten, von der Mitarbeiterin in dieser auf dem Schreibtisch vergessen und später im Aktenschrank abgelegt worden. Die Frist sei im Kalender jedoch bereits gestrichen worden. Die zweite Unterschriftenmappe sei dann bis zum 25. September 2003 unbeachtet geblieben; erst an diesem Tag habe die Kanzleikraft ihr Versäumnis festgestellt und den Schriftsatz sogleich an das Verwaltungsgericht gefaxt.
Es sei einzuräumen, dass mit der Notierung der falschen Begründungsfrist sowie der nicht fristgerechten Aufgabe des Schriftsatzes zur Post ein fehlerhaftes Verhalten der Hilfskräfte vorgelegen habe. Da diese Kräfte aber mit der erforderlichen Sorgfalt ausgewählt und überwacht worden seien, sie über lange Jahre stets zuverlässig gearbeitet hätten und auch die Büroorganisation als solche keine Fehler aufweise, könne das Verschulden der Hilfspersonen dem Prozessbevollmächtigten nicht zugerechnet werden. Dass dieser selbst die falsch notierte Frist bei der Vorlage der Akte am 18. bzw. 19. September 2003 nicht vertieft geprüft und korrigiert habe, könnte ebenfalls als Versäumnis angesehen werden. Er habe dies nicht für erforderlich gehalten, weil der Schriftsatz jedenfalls unmittelbar vor der Herausgabe gestanden habe. Die notierte Frist sei vorliegend für die Fristversäumnis aber nicht kausal gewesen.
In der Sache berufen sich die Kläger auf die Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache, der Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und auf Verfahrensfehler.
Die Beklagte und die Beigeladenen beantragen Antragsablehnung. Sie sind, soweit sie sich dazu geäußert haben, der Auffassung, dass bereits die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung nicht vorlägen.
II.
Der Berufungszulassungsantrag ist unzulässig, so dass es keines Eingehens auf die geltend gemachten Berufungszulassungsgründe bedarf.
Die Kläger haben die in § 124a Abs. 4 S. 4 VwGO bestimmte Zweimonatsfrist zur Darlegung der Zulassungsgründe (um einen Tag) versäumt.
Über die Fristversäumnis kann ihnen nicht durch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO hinweggeholfen werden; der Senat unterstellt dafür, dass die Zweiwochenfrist des § 60 Abs. 2 S. 1 VwGO zur Geltendmachung der Wiedereinsetzungsgründe eingehalten worden ist.
Wiedereinsetzung ist nach der genannten Vorschrift zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Fristeinhaltung verhindert war. Die Versäumung der Begründungsfrist beruht hier jedoch auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Kläger, das diese sich nach § 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müssen.
Es gehört grundsätzlich zu den Sorgfaltspflichten des Rechtsanwaltes, die Wahrung der Fristen eigenverantwortlich zu überwachen. Dafür kann offen bleiben, ob er die Feststellung und Berechnung der Berufungsbegründungsfrist auch gut ausgebildeten und sorgfältig beaufsichtigten Bürokräften eigenverantwortlich überlassen darf (diese Frage für die Revisionsbegründungsfrist grundsätzlich verneinend BVerwG, Beschl. v. 7.3.1995 – 9 C 390.94 -, NJW 1995, S. 2122 (2123) m.w.N.). Denn auch dann, wenn man die Möglichkeit der eigenverantwortlichen Überlassung der Berufungsbegründungsfrist bejaht, hat der Rechtsanwalt in jedem Fall den Ablauf dieser Frist dann eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt werden (BVerwG, a.a.O.; stdg. Rspr. des BGH, vgl. etwa Beschl. v. 24.10.2001 - VIII ZB 19/01 -, NJOZ 2002, S. 907 m.w.N.; Pentz, NJW 2003, 858 (864) m.w.N.). Diese Prüfungspflicht hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger vorliegend nicht ausreichend wahrgenommen. Ihm wurde die Akte bereits im August 2003 zur Stellung des Zulassungsantrags vorgelegt. Bereits zu diesem Zeitpunkt hätte er eigenständig prüfen müssen, wann die Begründungsfrist abläuft. Er hätte dann erkannt, dass der Ablauf dieser Frist fehlerhaft notiert war. Entsprechendes gilt für die später noch mehrfach erfolgte Vorlage der Akten, etwa die am 18. und 19. September 2003. Es wäre seine Pflicht gewesen, auf die Berichtigung des Fehlers hinzuwirken und in diesem Zusammenhang die rechtzeitige Expedierung, also eine Ausgangskontrolle, sicherzustellen (BGH, a.a.O.). In der Versäumung dieser Pflichten liegt ein schuldhaftes Verhalten im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO, das es ausschließt, dem Wiedereinsetzungsgesuch zu entsprechen.
Den Prozessbevollmächtigten der Kläger vermag auch sein Hinweis nicht zu entlasten, dass es bei einer frühzeitigen Korrektur der Fristennotierung ebenfalls zur Fristüberschreitung gekommen wäre, weil die Sekretärin A. den Schriftsatz unabhängig von der Notierung in die falsche Unterschriftenmappe gelegt und diese sechs Tage unbeachtet umherliegen gelassen habe. Einmal ist anzunehmen, dass die Hilfskraft bei zutreffender Notierung "24.09.2003" bereits an diesem Tag (und nicht erst, wie geschehen, am 25.09.2003) auf den liegengebliebenen Schriftsatz gestoßen wäre. Vor allem aber gehört es, wie ausgeführt, grundsätzlich zu den Aufgaben des Rechtsanwalts, nicht nur für die rechtzeitige Herstellung eines Schriftsatzes, sondern auch für dessen rechtzeitigen Eingang bei Gericht zu sorgen (Pentz, a.a.O. m.w.N.). Zu diesem Zweck muss er eine hinreichend zuverlässige Fristenkontrolle organisieren. Eine Büroorganisation, die außer Abfragen der Hilfskräfte untereinander offensichtlich keine geeigneten Vorkehrungen gegen Möglichkeiten der zeitweisen Fehlleitung fristgebundener Schriftsätze innerhalb der Kanzlei vorsieht, genügt nicht den Anforderungen, das Erforderliche zur Verhinderung von Fristversäumnissen zu gewährleisten (Kopp/Schenke, VwGO, 13. A., Rn. 21 zu § 60).