Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 11.01.2001, Az.: 203-VgK-19/2000
Bestimmung des Schwellenwertes eines Auftrags; Voraussetzungen für den Ausschluss eines Angebots vom Vergabeverfahren; Bestimmung der wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweisen im Vergabeverfahren; Einordnung der Scheinausschreibung als unlautere Verhaltensweise im Vergabeverfahren; Unlauterkeit der Beteiligung einer Kommune am Vergabeverfahren; Zulässigkeit der exterritorialen Betätigung von Gemeinden; Bindung der öffentlichen Hand an den Neutralitätsgrundsatz bei Vergaben in privatrechtlicher Form
Bibliographie
- Gericht
- VK Lüneburg
- Datum
- 11.01.2001
- Aktenzeichen
- 203-VgK-19/2000
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 28952
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 100 GWB
- § 2 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A
- § 108 NGO
Verfahrensgegenstand
Ausschreibung eines Auftrags zur Entsorgung von Problemabfällen und Sonderabfall- Kleinmengen pp.
Die Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg hat
durch
den Vorsitzenden ORR Gause,
den hauptamtlichen Beisitzer Dipl.-Ing. Tyrra und
den ehrenamtlichen Beisitzer Dipl.-Oec. Brinkmann
auf die mündliche Verhandlung vom 16.11.2000
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
- 2.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
- 3.
Die Kosten werden auf 5.000,-- DM festgesetzt.
Gründe
I.
Der Auftraggeber hat im Wege des Offenen Verfahrens die Einsammlung, Zuordnung, Entsorgung von Problemabfällen und Kleinmengen besondersüberwachungsbedürftiger Abfälle (Sonderabfall Kleinmengen) sowie die Entsorgung von Kühlgeräten in seinem Kreisgebiet ausgeschrieben. Gemäß den Ausschreibungsbedingungen sollten die Angebote bis zum 13.11.2000 abgegeben werden. An der Ausschreibung beteiligte sich unter anderem auch die Antragstellerin mit einem fristgerechten Angebot. Mit Schreiben vom 21.11.2000 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass sie beabsichtige, den Zuschlag der Firma
zu erteilen, da es sich insoweit um das wirtschaftlichste Angebot handle. Aus der Vergabeakte geht hervor, dass das zweitwirtschaftlichste Angebot von der Antragstellerin abgegeben wurde. Alleiniger Gesellschafter der Firma xxxxxx ist der Landkreis xxxxxx . Alleinvertretungsberechtigter Mitgeschäftsführer ist der Kreisangestellte.
Die Beigeladene arbeitet bereits mit dem Auftraggeber auf dem Gebiet der Abfalldeponierung zusammen. In einem zwischen dem Landkreis xxxxxxxxxx und der Beigeladenen am 09.12./10.12.1999 geschlossenen Vertrag über die Entsorgung von Sperrabfällen und Grobstoffen heißt es in der Präambel:
"Die Vertragspartner beabsichtigen eine engere Kooperation im Bereich der Abfallwirtschaft zum wirtschaftlichen Vorteil beider. Sie streben eine vertrauensvolle und partnerschaftliche Zusammenarbeit an. Neben den in diesem Vertrag beschriebenen Leistungen wird eine weiter gehende Zusammenarbeit beabsichtigt, wenn im Einzelfall eine entsprechende Einigung vertraglich erfolgt."
Die Antragstellerin hat mit Schreiben vom 24.11.2000 gegenüber dem Auftraggeber Verstöße gegen Vergaberecht und eine damit verbundene Verletzung von Rechten der Antragstellerin geltend gemacht. Darin machte sie geltend, eine Wertung des Angebots der xxxxxxxxxx verstoße gegen § 2 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A, weil es sich um eine wettbewerbsbeschränkende und unlautere Verhaltensweise handle. Im Übrigen verstoße die Beteiligung einer hundertprozentigen Gesellschaft eines Landkreises an einer Ausschreibung eines anderen Landkreises gegen § 108 NGO, der die Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Betätigung der Kommunen regelt.
Mit Telefax vom 08.12.2000 hat die Antragstellerin die Vergabekammer angerufen. Sie vertritt die Auffassung, dass die vom Auftraggeber beabsichtigte Zuschlagserteilung auf das Angebot der xxxxxx gegen § 2 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A verstoße. Die wettbewerbsbeschränkende und unlautere Verhaltensweise ergebe sich daraus, dass es sich bei der xxxxxx um eine hundertprozentige Tochter des Landkreises xxxxxx handle. Diese dürfe nur im eigenen Hoheitsbereich des Landkreises xxxxxxxx tätig werden. Eine Ausdehnung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit über die Grenzen des Landkreises xxxxxxxx hinaus sei mit § 108 Abs. 1 NOG nicht vereinbar. Danach muss es sich auch bei der Abfallentsorgung um eine Aufgabe der örtlichen Gemeinschaft handeln. Damit werde durch den Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass die wirtschaftliche Betätigung außerhalb der örtlichen Zuständigkeit einer Kommune, also ihrem Hoheitsgebiet, grundsätzlich ausgeschlossen sei. Dieses Regionalprinzip solle unter anderem gerade verhindern, dass kommunale Gesellschaften zur Erhöhung der eigenen Kapazitätsauslastung auch in gemeindefremden Gebieten tätig werden. Dies sei aber gerade durch die Auftraggeberin und die xxxx beabsichtigt. Es sei auch insoweit kein das wirtschaftliche Tätigwerden rechtfertigenderöffentlicher Zweck ersichtlich. Es sei nicht Sache der Gemeinden und Landkreise, sich in den wirtschaftlichen Wettbewerb ausschließlich mit dem Ziel zu begeben, Gewinne zu erzielen. Der Auftraggeber hätte daher nach Auffassung der Antragstellerin das Angebot der Firma xxxx bei der Bewertung nicht berücksichtigen dürfen und diese vom Vergabeverfahren ausschließen müssen. ImÜbrigen macht die Antragstellerin eine Verletzung des vergaberechtlichen Neutralitätsgrundsatzes geltend und verweist diesbezüglich auf die Rechtsprechung des OLG Brandenburg, NVWZ 1999, S. 1142, 1147 - "Flughafen Brandenburg-Berlin". Dieser Vergaberechtsverstoß ergebe sich daraus, dass der Auftraggeber - unstreitig - auf der Grundlage eines Kooperationsvertrages vom 16.12.1999 / 09.12.1999 eine Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Abfallwirtschaft mit der xxxxxx beabsichtigt. Es entstehe der Eindruck, dass sich der Auftraggeber von diesem bereits abgeschlossenen Kooperationsvertrag bei seiner Vergabeentscheidung zu Gunsten der xxxxxx beeinflussen lassen könnte.
Die Antragstellerin beantragt:
- 1.
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die Firma xxxxxxxxx (xxxx), , vom Vergabeverfahren auszuschließen.
- 2.
Der Antragsgegnerin werden die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragstellerin auferlegt.
- 3.
Es wird festgestellt, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war.
Der Auftraggeber beantragt,
die Anträge der Antragstellerin zurückzuweisen.
Der Auftraggeber tritt den Rechtsauffassungen der Antragstellerin entgegen. Die Beteiligung der xxxxx am Ausschreibungsverfahren sei mit der NGO vereinbar. Gemäß § 114 NGO werde ausdrücklich festgelegt, dass kommunale Unternehmungen einen Ertrag für den Haushalt der Gemeinde erwirtschaften sollen. Dies bedeute, dass das Vorliegen eines öffentlichen Zwecks der wirtschaftlichen Betätigung nicht dadurch ausgeschlossen werde, dass auch ein Gewinn mit dem Betrieb eines kommunalen Unternehmens erzielt werde. Der Auftraggeber beruft sich auf die Rechtsprechung des OLG Karlsruhe (Urteil v. 16.12.2000 - Az.: 4 U 171/99) sowie des OLG Düsseldorf (Beschluss v. 12.01.2000, Az.: Verg. 3/99). Die dort zu den entsprechenden Regelungen in den Gemeindeordnungen Baden-Württembergs bzw. Nordrhein-Westfalens getroffenen Aussagen, wonach die kommunalrechtlichen Regelungen nicht den Schutz von Wettbewerbern bezwecken und sich diese deshalb nicht auf eine Gesetzesverletzung berufen könnten, seien auf die Rechtslage in Niedersachsenübertragbar, da die entsprechenden Bestimmungen fast wörtlich mit § 108 Abs. 1 NGO übereinstimmten. Ein Verstoß gegen § 108 NGO könne für sich genommen keinen Verstoß gegen wettbewerbsrechtliche Vorschriften darstellen. Es sei im Übrigen Aufgabe des Betriebes Abfallwirtschaft, sämtliche möglichen Einsparpotenziale zu realisieren, um die von ihm für die gebührenpflichtigen im Landkreis xxxxxxxxx zu erbringenden Dienstleistungen so kostengünstig wie möglich anzubieten. Hierfür sei eine verstärkte gebietsübergreifende Zusammenarbeit mit dem Landkreis xxxxxxxx als direktem Nachbar von hoher Bedeutung. Dem diene auch der Kooperationsvertrag, den der Kreistag am 10.12.1999 beschlossen habe. Die Vergabe an die xxxxxx böte die Chance, weitere Synergieeffekte zu erzielen, indem hierdurch die Auslastung von durch die Vertragspartner vorzuhaltenden Anlagen erhöht werde. Diese Erwägungen seien neben dem günstigsten Angebotsendpreis die entscheidenden Gründe gewesen, den Zuschlag auf das Angebot der Firma xxxxxx zu erteilen.
Die Vergabekammer hat die Firma xxxxxxxx gem. § 109 GWB beigeladen, da ihre Interessen durch die Entscheidung schwer wiegend berührt werden. Die Beigeladene tritt dem Vorbringen des Auftraggebers bei. Sie weist darüber hinaus darauf hin, dass es sich bei dem streitbefangenen Auftrag im Hinblick auf das Hauptbetätigungsfeld der xxxxxx , das nach wie vor im Gebiet des Landkreises xxxxxxxxxx liege, um eine nur geringfügige Ausdehnung der Tätigkeit außerhalb des Gemeindegebietes handele. Während die Beigeladene einen Umsatz von jährlich 52 Mio. DM mache, betrage der Wert des streitbefangenen Auftrags im Landkreis xxxxxxxx lediglich jährlich 115.000,-- DM/a.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Vergabeakte und das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 10.01.2001 verwiesen.
II.
Der zulässige Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist unbegründet. Weder die Beteiligung der Beigeladenen am streitbefangenen Vergabeverfahren noch der zwischen dem Auftraggeber und der Beigeladenen geschlossene Kooperationsvertrag vom 10.12.1999/09.12.1999 verstößt gegen Vergaberecht und verletzt die Antragstellerin auch nicht in ihren Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB.
1.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
Bei dem Auftraggeber handelt es sich um eine Gebietskörperschaft und damit um einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB. Der streitbefangene Auftrag übersteigt auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert von § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. Zwar hat der Gesetzgeber von der Ermächtigungsgrundlage in § 127 Nr. 1 GWB zum Erlass einer Rechtsverordnung zur Umsetzung der Schwellenwerte für eine EU-weite Ausschreibung bislang keinen Gebrauch gemacht (die neue Vergabeverordnung ist noch nicht in Kraft getreten). § 100 GWB ist aber richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass die Schwellenwerte unmittelbar durch die EG-Richtlinien bestimmt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um einen Dienstleistungsauftrag, für den gem. § 1 a Nr. 1 VOL/A der für eine Pflicht zur EU-weiten Ausschreibung maßgebliche Schwellenwert von 200.000,-- EURO = 391.166,-- DM gilt. Der voraussichtliche Wert des streitbefangenen Auftrags ergibt sich aus dem vom Auftraggeber für die Abfallentsorgung für den ausgeschriebenen Zeitraum 01.01.2001 bis zum 31.12.2003 zu entrichtenden Entgelt. Aus der in der Vergabeakte enthaltenen Verwaltungsdrucksache, Az.: 70, vom 21.11.2000 über die Vergabe der Einsammlung, Zuordnung und Entsorgung von Problemabfällen und Kleinmengen von besonders überwachungsbedürftigen Abfällen (Sonderabfall Kleinmengen) sowie Entsorgung von Kühlgeräten ergibt sich, dass das an erster Stelle rangierende, preisgünstigste Angebot der Beigeladenen 107.379,92 DM jährlich beträgt. Bezogen auf den Dreijahreszeitraum ergibt sich danach zwar ein Gesamtwert des Auftrags von 322.239,76 DM der den maßgeblichen Schwellenwert unterschreitet. Im Schrifttum wird allerdings die Auffassung vertreten, dass nicht nur das der Vergabe zugrunde zu legende Verfahren, sondern auch die Rechtsschutzmöglichkeiten der am Verfahren beteiligten Bieter durch den geschätzten Wert eines Auftrags bestimmt werden(vgl. Jestaedt, Kemper, Marx, Prieß, Das Recht der Auftragsvergabe, S. 83). Nach einem in der Vergabeakte enthaltenen Vermerk vom 30.11.2000(Bl. 81 der Vergabeakte) überschritt der Auftragwert nach der internen Kostenschätzung ohne weiteres den EU-Schwellenwert. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass das teuerste der sieben rechtzeitig zur Submission eingereichten Angebote 232.371,20 DM/a erreicht, somit einen Gesamtwert von 697.113,60 DM. Durchschnittlich ergibt sich aus den sieben Angeboten ein Auftragswert von 166.826,61 DM und damit ein durchschnittlicher Gesamtauftragswert von 500.479,83 DM. Das streitbefangene Vergabeverfahren ist somit gem. § 100 Abs. 1 GWB einer Nachprüfung durch die Vergabekammer zugänglich.
Die Antragstellerin ist auch antragsbefugt im Sinne des § 107 Abs. 2 GWB, da sie als Bieterin ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung von Rechten durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, indem sie ausführt, die Beteiligung der Beigeladenen am streitbefangenen Vergabeverfahren verstoße gegen § 2 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A, da es sich bei der Beigeladenen um eine hundertprozentige Gesellschaft des Landkreises xxxxxxxx handle und die Ausdehnung ihrer Tätigkeit über die Landkreisgrenzen hinaus nicht von § 108 NGO gedeckt sei. Voraussetzung für die Antragsbefugnis gem. § 107 Abs. 2 GWB ist weiterhin, dass das antragstellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. Boesen, Vergaberecht, § 107 Rdnr. 52). Die Antragstellerin hat ein entsprechendes Rechtsschutzbedürfnis dargelegt. Sie hat schlüssig vorgetragen, dass sie eine Chance auf Erhalt des Zuschlags haben würde, wenn das Angebot der Beigeladenen auszuschließen wäre. Dies wird bestätigt aus der bereits oben zitierten in der Vergabeakte enthaltenen Verwaltungsdrucksache vom 21.11.2000, Az.: 70. Daraus ergibt sich, dass das Angebot der Antragstellerin mit 108.617,18 DM/a an zweiter Stelle rangiert.
Die Antragstellerin ist auch ihrer Pflicht gem. § 107 Abs. 3 nachgekommen, vor Anrufung der Vergabekammer die behaupteten Verstöße gegen die Vergabevorschriften bereits im Vergabeverfahren selbst gegenüber dem Auftraggeber unverzüglich zu rügen. Die Antragstellerin hatte durch das Schreiben des Auftraggebers vom 21.11.2000 von der Teilnahme der Beigeladenen und der Absicht des Auftraggebers, der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen, erfahren. Bereits mit Schreiben vom 24.11.2000 rügte die Antragstellerin gegenüber dem Auftraggeber die Teilnahme der Beigeladenen und die beabsichtigte Zuschlagserteilung als vergaberechtswidrig. Die Rüge erfolgte somit unverzüglich im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB.
2.
Der Nachprüfungsantrag ist jedoch unbegründet. Das Angebot der Beigeladenen ist nicht wegen Verstoßes gegen§ 2 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A vom Vergabeverfahren auszuschließen. Eine Verletzung der Antragstellerin in ihren Rechten gem. § 97 Abs. 7 GWB liegt nicht vor. Auch die von der Antragstellerin geltend gemachte Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes gem. § 97 Abs. 2 GWB aufgrund der zwischen dem Auftraggeber und der Beigeladenen geschlossenen Kooperationsvereinbarung vom 10.12.1990 / 09.12.1999 ist nicht gegeben.
a)
Die Beteiligung der Beigeladenen am streitbefangenen Vergabeverfahren verstößt nicht gegen § 2 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A. Nach dieser Vorschrift sind wettbewerbsbeschränkende und unlautere Verhaltensweisen zu bekämpfen. Unter "wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen" sind dabei keineswegs nur die sowohl in VOL wie auch VOB an anderer Stelle behandelten und schon nach dem GWB (§§ 1, 14) unzulässigen wettbewerbsbeschränkenden Absprachen (§ 25 Nr. 1 Buchst. f VOL/A, § 9 Nr. 5 VOL/B) oder gar der Ausschreibungsbetrug (§ 298 StGB) zu verstehen, sondern ganz allgemein Verhaltensweisen der Bieter, aber auch der Auftraggeber, die den Wettbewerb beeinträchtigen. Unter "unlautere Verhaltensweisen" im Sinne dieser Vorschrift sind zu verstehen unlautere Handlungsweisen im engeren Sinne, die gegen die guten Sitten verstoßen und deshalb § 1 UWG verletzen, Wettbewerbshandlungen, die gegen Sondervorschriften des UWG verstoßen, Wettbewerbshandlungen, die nicht gegen UWG-Vorschriften, wohl aber gegen Vorschriften anderer Gesetze verstoßen (z.B. - bislang - Verstöße gegen das Rabattgesetz) sowie Verhaltensweisen, die den ordentlichen Gepflogenheiten in Industrie, Handel und Handwerk zuwiderlaufen, wie z.B. irreführende Angaben gegenüber der Einkaufsdienststelle). Auf Seiten des Auftraggebers fällt z.B. eine Scheinausschreibung unter den Begriff der unlauteren Verhaltensweisen gem. § 2 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A (vgl. Daub/Eberstein, VOL/A 5. Auflage, § 2 Rdnr. 13, 14 m.w.N.). Entgegen der Auffassung der Beigeladenen kann die Beteiligung eines kommunalen Unternehmens an einem Vergabeverfahren durchaus unlauter im Sinne des § 2 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A sein, wenn diese Teilnahme am Wettbewerb nicht durch die Gemeindeordnung gedeckt ist (vgl. LG München I, Urteil vom 19.05.1999, 1 HK O 3922/99; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 28.09.1999 (Az.: 2 U 7/97, Daub/Eberstein, a.a.O., Rdnr. 14). In Niedersachsen müssen sich Art, Umfang und Grenzen einer wirtschaftlichen Betätigung der Kommunen an § 108 Niedersächsische Gemeindeordnung (NGO), der gem. § 65 Niedersächsische Landkreisordnung (NLO) auch für eine entsprechende wirtschaftliche Betätigung der Landkreise gilt, messen lassen. Entgegen der Auffassung des Auftraggebers und der Beigeladenen sowie der teilweise im Schrifttum vertretenen Auffassung (vgl. Thiele, NGO, 5. Aufl., § 108, Anm. Nr. 6) entfaltet § 108 NGO nach Auffassung der Vergabekammer ebenso wie die entsprechenden Regelungen in den Gemeindeordnungen der anderen Bundesländer durchaus auch eine den Wettbewerb regelnde Funktion. § 108 NGO soll nicht nur eine Stärkung, sondern auch eine Abgrenzung der kommunalen Handlungsmöglichkeiten bewirken, die den unterschiedlichen und teilweise gegenläufigen Interessen der Kommunalwirtschaft und der Privatwirtschaft gerecht wird (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 12.01.2000, Az.: Verg. 3/99, ZVgR 3/2000, S. 3 ff.). Soweit die wirtschaftliche Betätigung einer Kommune gegen § 108 NGO verstößt, sind auch die Interessen privatwirtschaftlicher Unternehmen in den Schutzbereich dieser Vorschriften mit einbezogen. § 108 NGO gehört damit zu den Vorschriften im Sinne des § 97 Abs. 7 GWB, die im Vergabeverfahren einzuhalten sind. Dabei macht es keinen Unterschied, ob eine Gemeinde oder ein Landkreis sich unmittelbar mit einem Eigenbetrieb oder über eine von ihr gegründete, mehrheitlich oder völlig beherrschte GmbH am Wirtschaftsleben beteiligt.
Die Anwendbarkeit des § 108 NGO auf die Unternehmenstätigkeit der Beigeladenen wird auch nicht durch die Privilegierung gem. § 108 Abs. 3 NGO ausgeschlossen. Danach sind Unternehmen im Sinne dieses maßgeblichen Abschnitts der NGO insbesondere nicht Einrichtungen "... des Umweltschutzes sowie solche ähnlicher Art". Zu den Einrichtungen des Umweltschutzes in diesem Sinne gehören auch Einrichtungen der Abfallentsorgung (vgl. die entsprechende ausdrückliche Regelung in § 107 Abs. 2 Nr. 4 GO NW). Gem. § 108 Abs. 4 Satz 1, 2 NGO gilt der maßgebliche Absatz 1 des § 108 NGO jedoch entsprechend für Krankenhäuser, Einrichtungen der Abwasserbeseitigung, der Straßenreinigung, der Informations- und Kommunikationstechnik sowie solche, die Abfälle einsammeln und befördern oder die Aufgaben der Abfallbehandlung, -verwertung oder -ablagerung wahrnehmen. Diese genießen eine kommunalrechtliche Privilegierung nur insoweit, als sie abweichend von § 108 Abs. 3 NGO als Eigenbetriebe oder - wie im Falle der Beigeladenen - in einer Rechtsform des privaten Rechts geführt werden, wenn die Gemeinden über die Mehrheit der Anteile verfügen.
Die Beteiligung der Beigeladenen am streitbefangenen Vergabeverfahren wird jedoch durch die entsprechend anzuwendende Vorschrift des § 108 Abs. 1 NGO gedeckt. Danach dürfen Gemeinden (und über § 65 NLO auch Landkreise) sich zur Erledigung von Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft wirtschaftlich betätigen. Sie dürfen Unternehmen nur errichten, übernehmen oderwesentlich erweitern, wenn und soweit
- 1.
der öffentliche Zweck das Unternehmen rechtfertigt,
- 2.
die Unternehmen nach Art und Umfang in einem angemessenen Verhältnis zu der Leistungsfähigkeit der Gemeinden und zum voraussichtlichen Bedarf stehen,
- 3.
der Zweck nicht besser und wirtschaftlicher durch einen anderen erfüllt wird oder erfüllt werden kann.
Dabei hat das Merkmal der "Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft" nur deklaratorische Bedeutung, weil der örtliche Bezug des gemeindlichen Handelns bereits nach Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 57 Abs. 3 Niedersächsische Verfassung Grundvoraussetzung seiner Zulässigkeit ist (vgl. Thiele, a.a.O., § 108, Anm. 1). Ein "öffentlicher Zweck" im Sinne des § 108 NGO ist anzunehmen, wenn sich die Betätigung am Gemeinwohl orientiert, also insbesondere dem Ziel dient, das Wohl der Einwohner zu fördern (§ 1 Abs. 1 Satz 2 NGO) und ihnen die erforderlichen sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Einrichtungen bereitzustellen (§ 2 Abs. 1 Satz 2 NGO). Weder die Erledigung von Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft noch deröffentliche Zweck einer kommunalen Abfallentsorgungsgesellschaft wie der Beigeladenen verbieten per se jegliches Engagement über die eigenen kommunalen Grenzen hinaus. Zwar hat der alleinige Gesellschafter der Beigeladenen, der Landkreis xxxxxxxx , als öffentlicher Entsorgungsträger gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz in Verbindung mit § 6 NAbfG nur die in seinem Gebiet anfallenden und überlassenen Abfälle aus privaten Haushaltungen und Abfälle zur Beseitigung aus anderen Herkunftsbereichen zu verwerten und zu beseitigen. Daraus ergibt sich jedoch nicht umgekehrt ein Verbot, sich zusätzlich auch an der Abfallentsorgung außerhalb der eigenen Grenzen zu beteiligen. Eine solche völlige Beschränkung ließe sich auch nicht mit Art. 28 Abs. 2 GG vereinbaren, der das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen garantiert.
Richtig ist, dass einer derartigen "exterritorialen" Tätigkeit kommunaler Unternehmen und Einrichtungen durch § 108 NGO Grenzen gesetzt werden. Der "öffentliche Zweck" im Sinne des § 108 Abs. 1 Nr. 1 NGO muss eben stets in derörtlichen Gemeinschaft wurzeln. Daraus ergibt sich, dass der Schwerpunkt der Tätigkeit eines kommunalen Unternehmens stets auf dem Territorium der eigenen Kommune liegen muss. Dieses Erfordernis wird jedoch durch die Beteiligung am Wettbewerb um die streitbefangene Sonderabfallentsorgung des Auftraggebers, des unmittelbar benachbarten Landkreises, nicht beeinträchtigt. Die Beigeladene macht unbestritten einen Umsatz von jährlich ca. 52 Mio. DM. Demgegenüber fällt die streitbefangene Sonderabfallentsorgung im Nachbarlandkreis xxxxxxxxxx mit einem jährlichen Auftragswert von lediglich 166.826,61 DM/a (Mittelwert der sieben im streitbefangenen Vergabeverfahren eingegangenen Angebote) nicht herausragend ins Gewicht. Das Hauptbetätigungsfeld bleibt auch nach Erhalt des Zuschlags im streitbefangenen Vergabeverfahren eindeutig das Territorium des Landkreises. Angesichts der Relation des Wertes des streitbefangenen Auftrages zum Gesamtumsatz kann darüber hinaus auch nicht von einer "wesentlichen Erweiterung" im Sinne des § 108 Abs. 1 NGO gesprochen werden.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin widerspricht die erklärte Absicht der Beigeladenen, durch die Akquisition des streitbefangenen Auftrags die Auslastung des eigenen Zwischenlagers und damit die eigene Wirtschaftlichkeit zu verbessern, auch nicht dem öffentlichen Zweck eines kommunalen Abfallentsorgungsunternehmens. Die Vergabekammer ist zwar mit der Antragstellerin der Auffassung, dass es grundsätzlich nicht Sache der Kommunen ist, sich in den wirtschaftlichen Wettbewerb ausschließlich mit dem Ziel zu begeben, Gewinne zu erzielen. Die Erwirtschaftung eines gelegentlich der eigenen Geschäftstätigkeit erwirtschafteten Gewinns lässt sich jedoch nicht vermeiden, zumindest in der nach § 108 Abs. 4 NGO ausdrücklich zugelassenen Rechtsform des privaten Rechts. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich, wie im Fall der Beigeladenen, um eine GmbH handelt. Auch ist ein kommunales Unternehmen, wie die Kommune in ihrer Gesamtheit selbst auch, gesetzlich verpflichtet, ihre Tätigkeitwirtschaftlich auszuüben. Dazu gehört im vorliegenden Fall ohne weiteres auch die von der Beigeladenen angestrebte Verbesserung der Auslastung ihres Zwischenlagers. Die Beigeladene hat in der mündlichen Verhandlung vom 10.01.2001 erläutert, dass ihre dortige Kapazität von 400 t bei weitem noch nicht ausgelastet ist und durch den streitbefangenen Auftrag die Möglichkeit bestehe, zusätzliche 40 t zu entsorgen.
Auch der Einwand der Antragstellerin, die Beigeladene sei im Innenverhältnis gar nicht zur Ausdehnung ihrer Tätigkeit über die Grenzen des Landkreises xxxxxxxx hinaus befugt, ist unzutreffend. § 2 des notariellen Gesellschaftsvertrages der Beigeladenen vom 13.12.1999 regelt:
"Gegenstand des Unternehmens sind abfallwirtschaftlich Aktivitätenjeglicher Art. Aufgabe der xxxxxx istinsbesondere die Sicherstellung der Abfallentsorgung im Landkreis xxxxxxxxxx. Sie ist dabei dem öffentlichen Zweck verpflichtet."
Die Beteiligung an der Abfallentsorgung eines Nachbarlandkreises ist damit offensichtlich vom Gesellschaftszweck gedeckt. Andernfalls hätten die Gesellschafter geregelt, dass die Aufgabe der xxxxxx ausschließlich die Sicherstellung der Abfallentsorgung im Landkreis xxxxxxxxxx ist.
b)
Auch der von der Antragstellerin gerügte Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot
des § 97 Abs. 2 GWB liegt nicht vor. Die Vergabekammer hat weder aufgrund der im Wege der Amtsermittlung durchgeführten Überprüfung der Vergabeakte noch aufgrund des Vortrags der Beteiligten Anhaltspunkte dafür gefunden, dass das Ergebnis des streitbefangenen Vergabeverfahrens etwa aufgrund des Kooperationsvertrages zwischen der Beigeladenen und dem Auftraggeber vom 09.12.1999 / 10.12.1999 beeinflusst worden ist. Nach der Präambel dieses Vertrages beabsichtigen die Vertragspartner zwar eine engere Kooperation im Bereich der Abfallwirtschaft zum wirtschaftlichen Vorteil beider. Sie streben eine vertrauensvolle und partnerschaftliche Zusammenarbeit an und beabsichtigen neben den in diesem Vertrag beschriebenen Leistungen eine weiter gehende Zusammenarbeit. Diese weiter gehende Zusammenarbeit ist jedoch schon in der Präambel unter die ausdrückliche Bedingung gestellt, dass "im Einzelfall eine entsprechende Einigung vertraglich erfolgt". Da der Auftraggeber den streitbefangenen Auftrag, wie vergaberechtlich vorgeschrieben, nicht etwa freihändig der Beigeladenen erteilt hat, sondern der Auftragserteilung vorher einen europaweiten Wettbewerb vorangestellt hat und die Beigeladene ausweislich des Vergabevermerks mit einem Angebotsendpreis von 107.379,92 DM brutto eindeutig das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hat, liegen keine Anhaltspunkte für eine Verletzung des Neutralitätsgrundsatzes vor. Der vom Gleichbehandlungsgebot des § 97 Abs. 2 GWB geschützte Neutralitätsgrundsatz bindet die öffentliche Hand auch dann, wenn es um die Auftragsvergabe in privatrechtlichen Formen geht. Allerdings teilt die Vergabekammer die Auffassung des von der Antragstellerin zitierten OLG Brandenburg (Beschluss v. 03.08.1999 - 6 Verg. 1/99 - NVWZ 1999, S. 1242 ff.) nicht, dass der Neutralitätsgrundsatz sich auch im Vergaberecht aus § 20 VwVfG ableitet. Vielmehr ergibt sich der Neutralitätsgrundsatz im Vergaberecht unmittelbar aus § 97 Abs. 2 GWB als Folge des im europäischen Vergaberecht verankerten Diskriminierungsverbotes (vgl. Vergabekammer Lüneburg, Beschluss v. 24.07.2000, 203-VgK-8/2000). Die Vergabekammer vertritt deshalb auch im Gegensatz zum OLG Brandenburg hinsichtlich der Reichweite des Neutralitätsgrundsatzes nicht die Auffassung, dass eine Verletzung dieses Grundsatzes bereits dann vorliegt, wenn lediglich ein "böser Schein" der Voreingenommenheit oder Parteilichkeit im Raum steht, sei es bezüglich einer am Vergabeverfahren beteiligten natürlichen Person, einer langjährigen Zusammenarbeit oder, wie hier, einer vertraglichen Absichtserklärung, die dem Inhalt nach einem Rahmenvertrag gleichkommt. Vielmehr bedarf es zusätzlich konkreter Umstände, die eine Parteilichkeit besorgen lassen. Die Vergabekammer wird in ihrer Auffassung bestätigt durch den aktuellen Entwurf für die künftige Vergabeverordnung. Der dortige§ 16 regelt ebenfalls den Ausschluss voreingenommener natürlicher Personen mit der Einschränkung:
"... es sei denn, dass dadurch für die Person kein Interessenkonflikt besteht oder sich die Tätigkeiten nicht auf die Entscheidungen in dem Vergabeverfahren auswirken."
Damit ist nach dem Willen des Gesetzgebers entgegen der Rechtsprechung des OLG Brandenburg ein "böser Schein" für sich genommen nicht ausreichend, eine Verletzung des Neutralitätsgrundsatzes gem. § 97 Abs. 2 GWB zu begründen.
Der Nachprüfungsantrag war daher als unbegründet zurückzuweisen.
III. Kosten
Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 Abs. 1 GWB in Verbindung mit § 16 VwKostG. Es wird die Mindestgebühr in Höhe von 5.000,-- DM bzw. 2.556,46 EURO gem. § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.
Die Zahlung der Gebühr hat sich durch den von der Antragstellerin bereits geleisteten Kostenvorschuss in gleicher Höhe erledigt.
Tyrra
Brinkmann