Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 28.11.2001, Az.: 203-VgK-21/2001
Nachprüfungsverfahren bezüglich der Vergabe von Trockenbauarbeiten; Wertung anderer als im Leistungsverzeichnis vorgegebener Fabrikate; Verstoß gegen das Transparenzgebot; Bestimmung des Schwellenwertes bei losweise und Eu-weit ausgeschriebenen Bauaufträgen; Anforderungen an eine Kenntnis i.S.d. § 107 Abs. 3 S. 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (GWB)
Bibliographie
- Gericht
- VK Lüneburg
- Datum
- 28.11.2001
- Aktenzeichen
- 203-VgK-21/2001
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 28987
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 128 Abs. 4 GWB
- § 97 Abs. 1 GWB
- § 2 Nr. 7 VwV
- § 25 Nr. 3 Abs. 3 S. 2 VOB/A
Verfahrensgegenstand
VOB-Vergabeverfahren Baumaßnahme II. Bauabschnitt / Bauteil 5
hier: Trockenbauarbeiten
In dem Nachprüfungsverfahren
hat die Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg
ohne mündliche Verhandlung
durch
den Vorsitzenden ORR Gause,
die hauptamtliche Beisitzerin Dipl.-Ing. Schulte und
den ehrenamtlichen Beisitzer Dipl.-Ing. Lohmöller
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Die Auftraggeberin wird verpflichtet, erneut in die Wertung des streitbefangenen Vergabeverfahrens einzutreten und diese unter Beachtung der aus den Entscheidungsgründen ersichtlichen Rechtsauffassung der Vergabekammer erneut durchzuführen.
- 2.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Auftraggeberin.
- 3.
Die Kosten werden auf 5.000,-- DM festgesetzt.
- 4.
Die Auftraggeberin hat der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Zuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin war notwendig.
Begründung
I.
Auf Grund des rechtskräftigen Beschlusses der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg vom 17.09.2001 - Az. 203-VgK-18/2001 - trat die Auftraggeberin erneut in die Wertung des streitbefangenen Vergabeverfahrens ein. Dabei schlug die von der Auftraggeberin beauftragte Arbeitsgemeinschaft der Architekten vor, die Angebote mit den ausgeschriebenen Mengen und mit den abgestimmten Alternativpositionen (Bedarfspositionen) auszuwerten und den Vergabebericht neu zu fassen. Es wurde in diesem Schreiben vom 24.09.2001 handschriftlich vom beauftragten Architekten vermerkt, dass im Rahmen der neuen Farbkonzeption für den Neubau auch die Alternative farbige Türbeschläge von "Hewi" statt "Ogro" zu prüfen ist. In der 2. Ergänzung zum Prüfungsbericht vom 13.07.2001 vom 11.10.2001 stellt das beauftragte Architekturbüro fest, dass die Hauptangebotssumme
- der Firma xxxxx 1.562.997,00 DM netto und
- der Firma xxxxx 1.633.623,45 DM netto beträgt.
Im Zuge der erneuten Auswertung wurden alle in der Ausschreibung vorhandenen Alternativen laut dem vorgenannten Prüfbericht untersucht, um auf der Basis dieser Auswertung das wirtschaftlichste Angebot zu ermitteln. Es handelt sich dabei um folgende Leistungen:
Pos. 01.02.01.120 und 121: Edelstahl-Eckschutzschienen,
Pos. 01.04.05.03-8, 11 und 12, 31-39: Türbeschläge, Umstellung auf Fabrikat Hewi.
In diesem Fall beträgt die geprüfte Angebotssumme netto nach Bewertung mit Alternativen gem. Ziff. 7 und Nachlass:
Xxxxx netto | 504.680,78 DM |
---|---|
Xxxxx netto | 1.489.883,15 DM |
Differenzbetrag | 14.797,63 DM |
Die beauftragte Arbeitsgemeinschaft der Architekten schlug daher vor, die Firma xxxxx mit dem Auftrag zur Ausführung der Trockenbauarbeiten zu erteilen. Mit Schreiben vom 16.10.2001 teilte die Auftraggeberin der Antragstellerin mit, dass sie erneut in die Wertung des streitbefangenen Vergabeverfahrens eingetreten sei. Sie teilte der Firma xxxxx mit:
"Die Wertung der Angebote der Firma xxxxx und der xxxxx erfolgte unter Beachtung des Beschlusses der Vergabekammer nach folgenden Kriterien:
1.
Die im Leistungsverzeichnis genannten Mengenansätze werden unverändert gewertet.2.
Die Auswertung der Alternativpositionen (im Leistungsverzeichnis versehentlich als Bedarfspositionen bezeichnet) erfolgt für die F30-Decken und für die OP-Schiebetüren grundsätzlich nach den Leistungsverzeichnis-Positionen und den jeweils zugehörigen Positionen.3.
Die in der Verhandlung strittige Beurteilung der Schalldämmwerte der Trennwände hat keine Auswirkungen auf diese Nachprüfung.4.
Der aufgesetzte Schrammschutz aus Edelstahl an den Umfassungszargen der Türen (Pos. 01.04.05.45 und 46) soll nicht zur Ausführung kommen, da die Auftraggeberin festgelegt hat, die betreffenden Umfassungszargen vollständig aus Edelstahl einbauen zu lassen. Diese Positionen werden daher bei der Wertung in Abzug gebracht. Entsprechende Zulagepositionen für die Ausführung der Umfassungszargen in Edelstahl sind im LV vorhanden, auch wenn die Stückzahl zu gering ist.5.
Der Titel 01.04.06 beinhaltet mehr Durchgangszargen als Schiebetüren. Im Zuge der Wertung der Alternative System Hospitaltechnik entfallen die Positionen 01.04.06.01-09 aus dem Leistungsumfang. Die zusätzlich erforderlichen Durchgangszargen werden durch die Aktivierung der Positionen 63 - 67 des Titels 01.04.01 in den Leistungsumfang hineingenommen.6.
Die Alternative Edelstahl-Eckschutzschienen Pos. 01.02.01.120/121 wurde in die Wertung einbezogen.7.
Die Türbeschläge sind als Fabrikat Ogro mit der Alternative Hewi (Pos. 01.04.05.3-8, 11 und 12 und 31-39) im LV erfasst. Es wird die Alternative Hewi in die Wertung einbezogen. Die Beschläge Fabrikat Ogro entfallen. Die Auswirkungen in der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes unter Berücksichtigung der vorgenannten Kriterien wurden in der anliegenden Excel-Tabelle vom 11.10.2001, Version "F", untersucht und dargestellt.Danach hat die Firma xxxxx das wirtschaftlichste Angebot eingereicht."
Mit Datum 17.10.2001, vorab per Fax abgesandt, teilte die Auftraggeberin der Antragstellerin mit, dass auf ihr Angebot der Zuschlag nicht erteilt werden kann, weil sie nicht das wirtschaftlichste Angebot gem. § 25 Nr. 3 Abs. 3 Satz 2 VOB/A abgegeben habe.
Mit Schreiben vom 23.10.2001 rügte die Bevollmächtigte der Antragstellerin die beabsichtigte Vergabe der Arbeiten an die Firma der Beigeladenen.
Mit Nachprüfungsantrag vom 29.10.2001, eingegangen bei der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg per Telefax am gleichen Tage, beantragte die Antragstellerin die Einleitung des Nachprüfungsverfahrens. Sie ist der Auffassung, dass sich die Auftraggeberin nicht an die Maßgabe der Vergabekammer und ihren eigenen Festlegungen in den Ausschreibungsbedingungen hält. Sie trägt vor, dass die Auftraggeberin bei der zuletzt vorgenommenen Wertung in mehreren Punkten gegen das Transparenzgebot verstoßen habe.
Die Auftraggeberin habe durch zwei alternativ zueinander stehende Positionen bzw. Positionsgruppen, die bisher nicht zur Disposition standen, erneut gegen das Transparenzgebot verstoßen.
Nach ihrer Auffassung wurde jetzt nicht der Titel 01.02.01.120 Edelstahl-Eckschutzschienen, durch Verschraubung einbauen gewertet, sondern der alternativ abgefragte Preis Titel 01.02.01.121 Edelstahl-Eckschutzschienen, durch Kleben befestigen und einbauen.
Durch diesen Austausch ergab sich nach Auffassung der Antragstellerin eine Wertungsverschiebung zu Gunsten der Beigeladenen.
Ferner habe die Auftraggeberin jetzt nicht die ursprünglich ausgeschriebenen und auch gewerteten Positionen 01.04.05.3, 5, 7 und 11 Türdrücker des Fabrikats Ogro in die Wertung eingestellt, sondern die alternativ abgefragten Türdrücker der Positionen 01.04.05.4, 6, 8 und 12 des Fabrikats Hewi. in die Wertung eingestellt.
Auch bei den Positionen 01.04.05.31, 34 und 37 wurden jetzt nicht die ursprünglich ausgeschriebenen und auch gewerteten Tür- und Wandpuffer des Fabrikats "KWS" sowie deren Montage für Wand- oder Türblatt gewertet, sondern die alternativ abgefragten Positionen 01.04.05.33, 36 und 39 des Fabrikats "Hewi".
Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass durch eine derartige nachfolgende und zielgerichtete Änderung bereits getroffener Entscheidungen in keinster Weise mehr eine nachprüfbare Vergabeentscheidung gegeben ist. Zur Begründung bezieht sich die Antragstellerin auch auf einen Beschluss des OLG Frankfurt vom 20.12.2000, VergabeR 2001, 243, in dem nach ihren Angaben unmissverständlich entschieden wurde, dass die Vergabestelle nach Anweisung der Wiederholung einer Wertung durch die Vergabekammer nur die festgestellten Fehler korrigieren darf, im Übrigen die Wertung jedoch unverändert zu bleiben habe.
Soweit die Auftraggeberin angibt, die Alternativen seien jetzt aus Kosteneinsparungsgründen gewählt worden, könne sie dies jederzeit nach Auffassung der Antragstellerin nach Zuschlagserteilung, auf Grundlage der VOB/B vollziehen, in dem im Zuge der Ausführung entsprechende Anordnungen ergehen.
Die Antragstellerin beantragt:
- 1.
Der Antragsgegnerin wird untersagt, den Zuschlag im offenen Verfahren bezüglich Bauvorhaben xxxxx xxxxx xxxxx, II. BA/Bauteil 5, Neubau, Ausschreibung
Trockenbauarbeiten, Vergabe Nr. 04.01.N 11SKL an die Bieterin Firma xxxxx zu erteilen. - 2.
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, bei der Wertung die Positionen
01.02.01 120 Edelstahl-Eckschutzschienen und aus dem Titel 01.04.05 Türbeschläge die Positionen 01.04.05.3 Türdrückerpaar Ogro 01.04.05.5 Türdrückerpaar Ogro 01.04.05.7 Türdrückerpaar mit Breitschildern Ogro 01.04.05.11 Türdrückerpaar WC Ogro 01.04.05.31 Türpuffer am Boden KWS 01.04.05.34 Wandtürpuffer KWS 01.04.05.37 Türpuffer und Wandmontage KWS zu werten und folgende hierzu im Alternativverhältnis stehende Positionen nicht zu werten:
01.02.01.121 Edelstahl-Eckschutzschienen 01.04.05.4 Türdrückerpaar Hewi 01.04.05.6 Türdrückerpaar Hewi 01.04.05.8 Türdrückerpaar mit Breitschildern Hewi 01.04.05.12 Türdrücker WC Hewi 01.04.05.33 Türpuffer am Boden Hewi 01.04.05.36 Türpuffer Hewi 01.04.05.39 Puffer, Tür- und Wandmontage Hewi. Weiter ist die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Bedarfspositionen 01.04.06.31 + 35 als Zulage zur Ausführung der Schiebetüren in Edelstahl zu werten.
Weiter beantragt die Antragstellerin, die Antragsgegnerin anzuweisen, bei der neu vorzunehmenden Wertung keine weiteren Änderungen in Bezug auf Alternativpositionen vorzunehmen, sondern bisher getroffene Entscheidungen bei der Wertung von Alternativpositionen unverändert beizubehalten.
- 3.
Weiter beantragt die Antragstellerin, die anwaltliche Vertretung der Antragstellerin gem. § 128 Abs. 4 GWB für notwendig zu erklären.
- 4.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Auftraggeberin beantragt,
den Antrag zu verwerfen bzw. zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass sie sehr wohl die Vorgaben des Beschlusses der Vergabekammer vom 17.09.2001 beachtet und umgesetzt habe. Allerdings habe die Gesamtkostensituation und die durch das vorangegangene Verfahren eingetretenen Verzögerung es erforderlich gemacht, dass die Vergabestelle der beauftragten Arbeitsgemeinschaft der Architekten den Auftrag gab, erneut Kosteneinsparungen zu überprüfen und wo möglich zu realisieren. Die hierzu angestellten Überlegungen mussten teilweise wegen technischer Bedenken verworfen werden, zum einen Teil hatten sie jedoch Erfolg und führten zu weiteren Kosteneinsparungen. Das sind die Posten, die jetzt von der Antragstellerin beanstandet werden. Die Antragstellerin verkenne jedoch, dass bei der Entscheidung, ob und wann welche Alternativpositionen auszuführen sind, es sich um eine rein interne Willensbildung des Auftraggebers handelt. Eine Alternativposition kommt ihrer Meinung nach dann zum Tragen, "wenn der Auftraggeber dies festlegt". Der Zeitpunkt hierzu ist nicht bestimmt. Die Auftraggeberin sei als Bauherrin selbstverständlich an die Ausschreibung nur als solche gebunden, d. h. sie kann nicht beliebig neue Anforderungen stellen (vgl. KG 13.10.99 - KartVerg 3/99 - BauR 2000, 565 [KG Berlin 13.10.1999 - Kart Verg 3/99]; Thür. OLG Jena 28.06.2000 - 6 Verg 2/00 - Leibis/Lichte III, BauR 2000, 1611). Das sei hier auch nicht der Fall.
Die Auftraggeberin vertritt die Auffassung, dass die jetzt beanstandete Entscheidung sich vollständig im Rahmen echter und auch so ausgeschriebener Alternativpositionen bewegt, also genau in dem Rahmen, in dem der Vergabestelle eine Entscheidung zwischen zwei oder gar mehreren Ausführungen möglich ist.
Die Vergabekammer hat mit Zustimmung der Beteiligten gemäß § 112 Abs. 1 Satz 2 GWB von einer mündlichen Verhandlung abgesehen.
Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Vergabeakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist begründet. Die Antragstellerin ist im Sinne der §§ 97 Abs. 7, 114 Abs. 1 GWB in ihren Rechten verletzt, weil die Auftraggeberin sowohl bei der Position "Edelstahl-Eckschutzschienen" als auch bei den Teilleistungen Türdrücker und Tür- und Wandpuffer sowie deren Montage für Wand- oder Türblätter andere Fabrikate gewertet hat, als sie im Leistungsverzeichnis vorgegeben hatte. Dadurch hat die Auftraggeberin gegen das Transparenzgebot gem. § 97 Abs. 1 GWB verstoßen. Dagegen bei den beiden Bedarfspositionen 01.04.06.31 und 35 (Zulage für Türblatt mit Edelstahl) die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt.
1.
Der Antrag ist zulässig. Bei der Auftraggeberin handelt es sich um einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB. Der streitbefangene Auftrag übersteigt den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gem. § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um Bauleistungen im Sinne des § 1 VOB/A. Für Bauaufträge gilt gem. § 2 Nr. 4 der am 01.02.2001 in Kraft getretenen Vergabeverordnung (VgV) vom 09.01.2001 ein Schwellenwert von 5 Mio. Euro. Werden Bauaufträge, wie im vorliegenden Fall, losweise ausgeschrieben, so gilt gem. § 2 Nr. 7 VgV ein Schwellenwert von 1 Mio. Euro oder bei Losen unterhalb von 1 Mio. Euro deren addierter Wert ab 20 v. H. des Gesamtwertes aller Lose. Nach dem Ergebnis der streitbefangenen Ausschreibung erreicht der Wert des Gewerkes "Trockenbauarbeiten im Rahmen der Baumaßnahme xxxxxxxxxx, II. Bauabschnitt, Bauteil 5 Neubau" nicht den Wert von 1 Mio. Euro. Gleichwohl ist hier der Anwendungsbereich des 4. Teils des GWB eröffnet. Die Auftraggeberin hat das streitbefangene Los nämlich EU-weit ausgeschrieben und als Nachprüfstelle die Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg angegeben. Durch diese im Rahmen der EU-weiten Ausschreibung erfolgte Benennung der Vergabekammer als Nachprüfstelle hat die Auftraggeberin den rechtlichen Rahmen (§§ 102 ff. GWB) für die Nachprüfung festgelegt. Die Wirkung dieser Festlegung besteht in einer Selbstbindung der Verwaltung, dass sie das verfahrensgegenständliche Los nicht dem 20%-Kontingent nach § 2 Nr. 7 VwV zuordnet, für welches das Nachprüfungsverfahren nicht eröffnet wäre (vgl. BayObLG, Beschluss v. 20.08.2001, Az.: Verg 9/01; BGH NJW 1998, 3636 ff., 3638 [BGH 08.09.1998 - X ZR 48/97]) [BGH 08.09.1998 - X ZR 48/97]. Das Vergabeverfahren ist damit einer Nachprüfung durch die Vergabekammer zugänglich.
Die Antragstellerin ist auch gem. § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da sie als Bieterin ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung von Rechten durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, indem sie behauptet, die Auftraggeberin wolle auf ihr Angebot, das im Submissionstermin mit der niedrigsten Angebotssumme auf Platz 1 rangiert hatte, nur deshalb den Zuschlag nicht erteilen, weil sie in vergaberechtswidriger Weise die Wertung durchgeführt habe und deshalb das Angebot der Beigeladenen als wirtschaftlichstes Angebot ermittelt habe. Voraussetzung für die Antragsbefugnis gem. § 107 Abs. 2 GWB ist, dass das antragstellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass die Antragstellerin diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. Boesen, Vergaberecht, § 107, Rdn. 52). Die Antragstellerin hat ein entsprechendes Rechtsschutzbedürfnis dargelegt. Sie hat schlüssig dargelegt, dass sie sogar eine Aussicht auf Erhalt des Zuschlags gehabt hätte, wenn die Auftraggeberin die Angebotswertung ohne die von der Antragstellerin gerügten vermeintlichen Vergaberechtsverstöße durchgeführt hätte.
Die Antragstellerin ist auch ihrer Pflicht gem. § 107 Abs. 3 GWB nachgekommen, vor Anrufung der Vergabekammer die behaupteten Verstöße gegen die Vergabevorschriften bereits im Vergabeverfahren selbst gegenüber der Auftraggeberin unverzüglich zu rügen. Die Auftraggeberin hatte die Antragstellerin erstmals mit Schreiben vom 16.10.2001, darüber informiert, dass auf ihr Angebot leider kein Zuschlag erteilt werden könne, weil es nicht das wirtschaftlichste Angebot sei (§ 25 Nr. 3 Abs. 3 Satz 2 VOB/A). Mit einem Schreiben vom 17.10.2001 erläuterte die Auftraggeberin unter Berufung auf § 13 VgV, dass die mit dem Hauptangebot angebotenen Alternativen gewertet worden seien. Danach sei das Angebot der Antragstellerin nicht mehr das wirtschaftlichste gewesen.
Mit Telefax vom 29.10.2001 wies die Antragstellerin die Auftraggeberin darauf hin, dass sie die Verfahrensweise der Auftraggeberin, ursprünglich ausgeschriebene und auch gewertete Positionen jetzt nicht mehr bei der Wertung nicht zu berücksichtigen und stattdessen die dortigen Bedarfspositionen in die Wertung mit aufzunehmen, vergaberechtlich nicht für zulässig hält und deshalb nicht befürwortet. Bei der Vorschrift des § 107 Abs. 3 GWB handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Ein Bieter soll Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln. Die Rügepflicht des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist positive Kenntnis des Bieters von den Tatsachen. Kenntnis im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB ist dann gegeben, wenn ein Bieter oder Bewerber auf Grund des Verhaltens des Auftraggebers oder einer Festlegung in den Verdingungsunterlagen - ohne dies rechtlich fundiert begründen zu können - von einem Vergabefehler ausgeht. Diese positive Kenntnis hat die Antragstellerin erst auf Grund des Informationsschreibens der Auftraggeberin gem. § 13 VgV erlangt.
Der Nachprüfungsantrag ist begründet. Die Auftraggeberin hat gegen das Transparenzgebot aus § 97 Abs. 1 GWB verstoßen, indem sie entgegen §§ 9 Nr. 1, Nr. 3, Nr. 7, 25, 25a VOB/A die Angebotswertung sowohl hinsichtlich der Position "Edelstahl-Eckschutzschienen" als auch bei den Teilleistungen Türdrücker und Tür- und Wandpuffer sowie deren Montage für Wand- oder Türblätter nicht die ursprünglich ausgeschriebenen Fabrikate gewertet hat sondern andere Fabrikate, als sie im Leistungsverzeichnis vorgegeben hatte, was das Ergebnis der Wertung maßgeblich beeinflusst hat. Dadurch ist die Antragstellerin in ihren Rechten gem. § 97 Abs. 7 GWB verletzt.
Die Auftraggeberin hat sich auf der Grundlage des Prüfberichts und des Vergabevorschlages der von ihr beauftragten Arbeitsgemeinschaft der Architekten vom 13.07.2001 dafür entschieden, den Auftrag für die Position "Edelstahl-Eckschutzschienen" für das Fabrikat "Ogro" entschieden als auch bei den Teilleistungen Türdrücker und Tür- und Wandpuffer sowie deren Montage für Wand- oder Türblätter für das Fabrikat "KWS". Erst in der 2. Ergänzung zum Prüfbericht vom 13.07.2001, am 11.10.2001 stellt die beauftragte Arbeitsgemeinschaft der Architekten zunächst fest, dass die Antragstellerin das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hat, jedoch unter Bewertung der Alternativen das Angebot der Beigeladenen wirtschaftlicher ist.
Diese Alternativen waren auch Gegenstand des Leistungsverzeichnisses. Diesbezügliche Einheitspreise wurden abgefragt. Sie waren jedoch im Rahmen der ersten Angebotswertung des rechtskräftigen Beschlusses der Vergabekammer vom 17.09.2001 im Nachprüfungsverfahren 203-VgK-18/2001 nicht von der Auftraggeberin gewählt worden. Auf Grund des Transparenzgebotes gem. § 97 Abs. 1 GWB war die Auftraggeberin jedoch gehalten, ihrer Angebotswertung das Leistungsverzeichnis in unveränderter Form zu Grunde zu legen und an den einmal gewählten Positionen festzuhalten. Das in § 97 Abs. 1 GWB gesetzlich niedergelegte Transparenzgebot ist einer der tragenden Grundsätze des Vergaberechts. Der Grundsatz der Vergabe im transparenten Vergabeverfahren dient unmittelbar der Verwirklichung des Wettbewerbsgedankens. Ein echter Wettbewerb im Bereich des öffentlichen Auftragswesens kann nur entstehen, wenn durch Veröffentlichung und Bekanntmachung von Vorhaben öffentlicher Auftraggeber interessierte Unternehmer ausreichend Kenntnis von Bedingungen und den nachgefragten Leistungen erhalten. Die Transparenz des Verfahrens dient der Gleichbehandlung der Bieter und dem Schutz vor Willkür. Die Teilnahme- und Publizitätsvorschriften der EU-Vergaberichtlinien, die die Transparenz der öffentlichen Beschaffungsmärkte sicherstellen sollen, sind dementsprechend von besonderer Rechtsqualität. Sie sind mehr als formale Ordnungsprinzipien (vgl. Hailbronner in Byok/Jaeger, Vergaberecht, § 97 Rdn. 135).
Diesem Transparenzgebot trägt die Regelung in § 9 Nr. 1 VOB/A Rechnung, wonach die Leistung eindeutig und so erschöpfend zu beschreiben ist, dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen und ihre Preise sicher und ohne umfangreiche Vorarbeiten berechnen können. Gemäß § 9 Nr. 2 VOB/A darf dem Unternehmer kein ungewöhnliches Wagnis aufgebürdet werden für Umstände und Ereignisse, auf die er keinen Einfluss hat und deren Einwirkung auf die Preise und Fristen er im Voraus nicht schätzen kann. Präzisiert wird diese Vorgabe in § 9 Nr. 9 VOB/A. Danach ist die Leistung derart aufzugliedern, dass unter einer Ordnungszahl (Position) nur solche Leistungen aufgenommen werden, die nach ihrer technischen Beschaffenheit und für die Preisbildung als in sich gleichartig anzusehen sind. Das Vergabehandbuch für die Durchführung von Bauaufgaben des Bundes im Zuständigkeitsbereich der Finanzbauverwaltungen (VHB) bestimmt unter Nr. 4.1 unter anderem Folgendes:
"Wahl- und Bedarfspositionen dürfen nicht aufgenommen werden, um die Mängel einer unzureichenden Planung auszugleichen.
Sie sind als solche im Leistungsverzeichnis zu kennzeichnen. Damit ihre Preise richtig kalkuliert werden können, sind möglichst genaue Mengenansätze anzugeben. Die Spalte für den Gesamtbetrag dieser Position ist zu sperren, damit er nicht in die Angebotssumme einbezogen wird; hinsichtlich der Wertung siehe Nr. 1.6.3 der Richtlinie zu § 25 VOB/A.
Wahlpositionen für Leistungen, die statt einer im Leistungsverzeichnis vorgesehenen anderen Teilleistung ausgeführt werden sollen, sind nur vorzusehen, wenn nicht von vornherein feststeht, welche der beiden Leistungen ausgeführt werden sollen."
Bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes hatte sich die Auftraggeberin insoweit gebunden, als sie sich auf Grund des Prüfberichtes der von ihr beauftragten Arbeitsgemeinschaft der Architekten vom 13.07.2001 festgelegt hatte, welche Grundpositionen bzw. Wahlpositionen gewertet werden sollen. Bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots gem. § 25 Nr. 3 Abs. 3 VOB/A ist die Auftraggeberin daher an ihre ursprünglichen Wertungskriterien gebunden; d. h. wenn sie sich ursprünglich mal für die Wertung der Grundposition entschieden hat, kann sie im Nachgang nicht mehr bei einer weiteren Wertung auf die Alternativposition umschwenken. Der Ermessensspielraum der Vergabestelle bei der Wertungswiederholung ist allein auf die Neubewertung der zunächst fehlerhaft gewerteten Leistungen "Abgehängte Decken" und der Teilleistung "Rammschutzbleche/Edelstahlumfassungszargen" reduziert. Zutreffend weist die Antragstellerin auf den Beschluss des OLG Frankfurt vom 20.12.2001 - 11 Verg 1/00 - VergabeR 3/2001, 243, 250 ff. hin. Dort ist u.a. ausgeführt:
"Der Ermessensspielraum der Antragsgegnerin im weiteren Vergabeverfahren ist allein auf dieses Kriterium beschränkt ... Denn die Antragsgegnerin hat ihr Ermessen insoweit ausgeübt und dadurch eingeschränkt, dass sie entsprechend dem Vergabevorschlag das Angebot demjenigen von mehreren in die engere Wahl gelangten Bieter zu erteilen beabsichtigt, der ... das günstigste monetäre Angebot abgegeben hat ... Es besteht deshalb auch unter Berücksichtigung des weiten Ermessensspielraums der Vergabestelle kein Anlass und kein Recht der Antragsgegnerin, auf Grund des Nachprüfungsverfahrens hinter dem bereits erreichten Stand des Vergabeverfahrens zurückzugehen und das gesamte Bewertungsverfahren des § 25 VOB/A zu wiederholen. ... Die Anweisung, bestimmte Verfahrensabschnitte zu wiederholen, ergeht deshalb auf der Grundlage des bisherigen Verfahrens. Damit wäre es unvereinbar, wenn die Antragsgegnerin nunmehr die Angebote insgesamt neu bewerten und der Antragstellerin Einwendungen aus bereits abgeschlossenen Wertungsstufen (erstmals) entgegenhalten könnte. ... Der Zweck des Nachprüfungsverfahrens, einzelne Verstöße abzustellen, könnte in Frage gestellt werden, wenn die Vergabestelle auf Grund eines bestimmten, einzelnen Verstoßes berechtigt wäre, das gesamte Wertungsverfahren neu aufzurollen und völlig neue Gesichtspunkte einzuführen."
Unter Berücksichtigung der vorstehenden zutreffenden Ausführungen des OLG Frankfurt hat sich die Auftraggeberin bei der Wertung der Angebote insoweit gebunden. Eine Berücksichtigung bislang nicht zum Zuge gekommener Alternativpositionen ist beim wegen der Entscheidungen der Vergabekammer gebotenen erneuten Eintreten in die Angebotswertung nicht möglich. Andernfalls könnte eine Auftraggeberin über die Wahl der Alternativpositionen das Wertungsergebnis gezielt beeinflussen.
Soweit die Auftraggeberin ausführt, dass sie während des laufenden Vergabeverfahrens erkannt habe, dass die Gesamtkostensituation und die durch das vorangegangene Verfahren eingetretenen Verzögerung es erforderlich machen, den planenden Architekten den Auftrag zu geben, erneut Kosteneinsparungen zu überprüfen und wo möglich zu realisieren, hat dieser Punkt keine Auswirkungen auf die Wertung der Angebote. Die von der Auftraggeberin nach dem Beschluss der Vergabekammer angestellten Überlegungen zu weiteren Kosteneinsparungen sind zwar legitim, dürfen jedoch nicht für die Wertung der Angebote berücksichtigt werden.
Im Übrigen wirkt die von der Auftraggeberin beauftragte Arbeitsgemeinschaft der Architekten lediglich als Sachverständige bei der Vergabe der einzelnen Gewerke mit (§ 7 VOB/A). Die Entscheidung über die Vergabe trifft hingegen die Auftraggeberin allein. Zutreffend bemerkt das VHB zu § 7 VOB/A:
"Die Mitwirkung von Sachverständigen entbindet das Bauamt nicht, die Entscheidung in eigener Verantwortung zu treffen."
Der Vergabevorschlag der beauftragten Arbeitsgemeinschaft der Architekten war für die Auftraggeberin nicht bindend. Insoweit wäre sie berechtigt und ggf. sogar verpflichtet gewesen, von der am 11.10.2001 vorgeschlagenen Vergabe der von ihr beauftragten Arbeitsgemeinschaft der Architekten in der 2. Ergänzung zum Prüfbericht vom 13.07.2001 an die Beigeladene abzuweichen. Die Auftraggeberin war verpflichtet, ihre Entscheidung unter Beachtung der aus den Entscheidungsgründen ersichtlichen Rechtsauffassung der Vergabekammer vom 17.09.2001, Az. 203-VgK-18/2001 zu treffen.
Dagegen verletzt die Tatsache, dass die Auftraggeberin nicht beiden Bedarfspositionen 01.04.06.31 und 35 (Zulage für Türblatt mit Edelstahl) bei der 2. Ergänzung zum Prüfungsbericht gewertet hat, die Antragstellerin nicht in ihren Rechten. Diese beiden Bedarfspositionen waren von Seiten der Auftraggeberin bei der von ihr beauftragten Arbeitsgemeinschaft der Architekten im ursprünglichen Prüfbericht mit Vergabevorschlag auch nicht gewertet worden. Auch für das seinerzeit ursprünglich ausgeschriebene "Markus M5" waren die Positionen 01.04.06.12 und 15 (Zulage für Türblatt mit Edelstahl) nur als Wahlpositionen ausgeschrieben. Der Gesamtpreis für diese Position floss seinerzeit nicht in den Preisspiegel mit ein. Insoweit liegt hier eine Vergaberechtsverletzung aus der "Nichtwertung" dieser Bedarfspositionen nicht vor.
III.
Kosten
Die Kostenentscheidung erfolgt nach § 128 GWB. Es wird die Mindestgebühr von 5.000,-- DM bzw. 2.556,46 Euro gem. § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.
Die Auftraggeberin wird aufgefordert, den Betrag von 5.000,-- DM bzw. 2.556,46 Euro unter Angabe des Kassenzeichens xxxxxxxxxx auf folgendes Konto zu überweisen:
XXXXXXXXXX
Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit der Kosten der Antragstellerin folgt aus § 128 Abs. 4 Satz 2 GWB i.V.m. § 80 VwVfG.
Schulte
Lohmöller