Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 06.02.2001, Az.: 203-VgK-12/2000
Beendigung des Vergabeverfahrens vor Stellung des Nachprüfungsantrags; Zugänglichkeit eines Vergabeverfahrens für eine Fortsetzungsfeststellung bei verspäteter Stellung des Nachprüfungsantrags; Gemeinschaftsrechtliches Gebot effektiver Überprüfbarkeit der Zuschlagserteilung; Besondere Beweisschwierigkeiten des übergangenen Bieters im zivilrechtlichen Schadensersatzprozess auf Grund der Geheimhaltungspflicht nach Zuschlagserteilung; Erfordernis qualifizierten Rechtsschutzinteresses
Bibliographie
- Gericht
- VK Lüneburg
- Datum
- 06.02.2001
- Aktenzeichen
- 203-VgK-12/2000
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 29042
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 107 GWB
- § 114 Abs. 2 S. 2 GWB, analog
- § 13 VgV
- § 23 VgV
Verfahrensgegenstand
Ausschreibung des Investorenwettbewerbs für den "..." in ...
In dem Nachprüfungsverfahren
hat die Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg
durch
den Vorsitzenden ORR Gause,
den hauptamtlichen Beisitzer Dipl.-Ing. Tyrra und
den ehrenamtlichen Beisitzer Dr. Pade
gem. § 112 Abs. 1 Satz 2 GWB
ohne mündliche Verhandlung
beschlossen:
Tenor:
Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
Die Kosten werden auf 5.000,-- DM festgesetzt.
Gründe
I.
Die Auftraggeberin hat mit Bekanntmachung vom 15.04.2000, veröffentlicht in der ... vom 15.04.2000 einen Investorenwettbewerb für den Neubau einer ... "ausgelobt". Mit der Vorbereitung und Durchführung des Auslobungsverfahrens hat die Auftraggeberin die ..., Geschäftsstelle ..., beauftragt. Das für die ausgelobte Baumaßnahme vorgesehene Grundstück wie auch die auf diesem Grundstück befindliche ... befinden sich im Eigentum der Auftraggeberin. Nach der Bekanntmachung sollte auf der ... ein Neubau in historischem Umfeld für die ... errichtet werden. Für die Neubaumaßnahme hat in 1999 ein Architektenwettbewerb stattgefunden. Der 1. Preisträger, das Büro ... und ..., ..., wurde von der Auftraggeberin mit der Entwurfs- und Genehmigungsplanung beauftragt. In der Bekanntmachung heißt es:
"Dem Investor wird an dem Grundstück ein Erbbaurecht bestellt. Die weitere Bearbeitung und Durchführung der Baumaßnahme einschließlich der Außenanlagen und Sanierung der vorhandenen ... obliegt dem Investor. Die Stadt ... mietet das Objekt nach Fertigstellung für 22,5 Jahre an, danach ist ein Ankauf vorgesehen. Der Innenausbau des primären ... sowie die vollständigen Elt-Installationen werden von den ... GmbH bauseits vorgenommen."
Die Bewerber wurden in der Bekanntmachung aufgefordert, ihre schriftliche Bewerbung bis zum 05.05.2000 an den Auslober zu richten. Die Bekanntmachung schließt unter 5. wie folgt:
"Terminübersicht und Ablauf des Verfahrens
- Bewerbungsfrist 05.05.2000
- Versand der Unterlagen 17.05.2000
- Abgabe der Angebote 23.06.2000
- Vergabe bis 24.07.2000
- Baubeginn Abbruch 20.08.2000
- Baubeginn Neubau 20.08.2000
- Fertigstellung des Bauvorhabens einschl. Ausbau ... 31.10.2000"
Die Antragstellerin erhielt mit Schreiben vom 19.05.2000 die Auslobungsunterlagen für das streitbefangene Bauvorhaben. Die von der Auftraggeberin ... wies in diesem Schreiben die Antragstellerin darauf hin, dass die Auftraggeberin Angaben zum Restkaufpreis nach 15 bzw. 22,5 Jahren erwartet. Die Vorlaufkosten (Wettbewerb Planungsleistungen, Baugenehmigungsgebühren, Baubetreuung u.a.) seien mit ca. 600.000,-- DM brutto ermittelt worden. Der endgültige Betrag werde zum Vertragsabschluss vorgelegt. Die gesamte Elektroplanung erfolge durch die .... Für die Standardausstattung Elektro sei vom Investor die Summe von 525.000,-- DM brutto einzukalkulieren. Den Auslobungsunterlagen war das Muster eines Mietvertrages zwischen einem künftigen Investor als Vermieterin und der Auftraggeberin als Mieterin beigefügt. Unter § 6 dieses Vertragsentwurfs heißt es:
"Mietzins
Ab Beginn des Mietverhältnisses hat die Mieterin eine Monatsmiete von 48.000,-- DM zu zahlen"
Gemäß § 5 dieses Vertragsentwurfs sollte die Mietvertragslaufzeit mit dem 01.11.2001 beginnen. Das Mietverhältnis sollte auf die Dauer von 15 Jahren oder 22,5 Jahren abgeschlossen werden.
Die Antragstellerin hat am 23.06.2000 per Telefax ein Angebot abgegeben. Dieses Angebot ging der Antragstellerin noch einmal am 26.06.2000 per Einschreiben zu. Die Öffnung der Angebote fand am 26.06.2000 um 16.15 Uhr statt. Ausweislich des der Vergabekammer vorliegenden Protokolls vom gleichen Tage lagen vier Angebote vor, darunter das Angebot der Antragstellerin. Die Vergabeakte enthält einen Vermerk vom 13.07.2000 betreffend die Wertung des Angebots der Antragstellerin. Darin wird festgestellt, dass nach Erörterung mit dem Fachbereich Recht der Auftraggeberin dieses Angebot von der Wertung ausgeschlossen werden müsse, da es am Submissionstermin nicht im verschlossenen Umschlag, sondern lediglich per Telefax vorgelegen habe. Das im verschlossenen Umschlag (Einschreiben) eingegangene Angebot sei verspätet eingegangen (24.07.2000), so dass die Antragstellerin nicht mehr am weiteren Wertungsverfahren teilnehme. Der Antragstellerin wurde auf ihre telefonische Nachfrage am 15.08.2000 mitgeteilt, dass sie vom Wettbewerb ausgeschlossen werde. Auf eine weitere Anfrage am 22.08.2000 erhielt die Antragstellerin mit Schreiben vom 30.08.2000 eine Kopie des Protokolls über die Öffnung der Angebote zum streitbefangenen Investorenwettbewerb verbunden mit dem Hinweis, dass die Angebote in einem verschlossenen Umschlag bis zum 23.06.2000, 16.00 Uhr, bei der Auftraggeberin einzureichen waren. Mit Schreiben vom 08.09.2000 erklärte die Antragstellerin gegenüber der Auftraggeberin, dass der Ausschluss zu Unrecht erfolgt sei, verbunden mit dem Hinweis, dass die zuständige Vergabeprüfstelle zur Beschwerdeeinlegung angerufen werde. Gleichzeitig bat die Antragstellerin die Auftraggeberin kurzfristig um die Adresse der zuständigen Vergabeprüfstelle, da diese in den Ausschreibungsunterlagen nicht enthalten gewesen sei.
Mit Schreiben vom 12.09.2000, eingegangen per Telefax am 13.09.2000, hat die Antragstellerin die Vergabekammer angerufen. Sie macht geltend, dass ihr Angebot zu Unrecht von der Wertung ausgeschlossen worden sei. Ferner rügt sie, dass sie nicht spätestens 10 Tage vor Erteilung des Zuschlags an einen Mitbewerber unaufgefordert von dem Ausschluss mit entsprechender Begründung unterrichtet wurde. Der in der Ausschreibung vorgegebene Abgabetermin, 23.06.2000, 16.00 Uhr, sei nicht maßgeblich. Nach § 22 Nr. 6 Abs. 1 VOB/A sei es möglich, auch ein Angebot zu berücksichtigen, das bei Öffnung des 1. Angebots aus vom Bieter nicht zu vertretenden Gründen dem Verhandlungsleiter nicht vorgelegen hat, wenn dieses Angebot nachweislich vor Ablauf der Angebotsfrist dem Auftraggeber zugegangen ist. Daher könne nach Auffassung der Antragstellerin auch ein Angebot nicht ausgeschlossen werden, das zwar die nach den Bewerbungsbedingungen vorgesehene Abgabefrist versäumt hat, aber nach den einschlägigen Ausschreibungs- und Vergabebestimmungen der VOB/A rechtzeitig zum Eröffnungstermin in der gebotenen Form vorgelegen hat.
Die Antragstellerin beantragt:
Es ist festzustellen, ob und inwieweit der Ausschluss des Angebots der Firma ... von der Prüfung und Wertung eine Rechtsverletzung darstellt, die möglicherweise zur Folge hat, dass das im Sinne des § 25 Nr. 3 Abs. 3 VOB/A günstigste Angebot bei der Auftragsvergabe unberücksichtigt geblieben ist.
Die Auftraggeberin hat keinen Antrag gestellt. Sie weist darauf hin, dass das Architekturbüro ... im März 2000 eine Kostenberechnung erstellt habe, die Grundlage für die Ausschreibung vom 15.04.2000 gewesen sei. Die Kostenberechnung enthalte rund 6.652.000,-- DM, die sie für die Ermittlung des Schwellenwerts berücksichtigt habe. Da der Auftragswert deutlich unter 5 Mio. ECU liege, sei der streitbefangene Auftrag nicht europaweit auszuschreiben gewesen. Ferner hat die Auftraggeberin der Vergabekammer durch den Notar ..., ..., die Abschrift eines Erbbaurechtsvertrages (Nr.xy der Urkundenrolle für 2000 des Notars ...) vom 08.08.2000 betreffend das Grundstück ... für die streitbefangene Baumaßnahme vorgelegt sowie als Anlage zur notariellen Verhandlung einen unter gleichem Datum unterschriebenen Mietvertrag auf der Grundlage der in den Auslobungsunterlagen enthaltenen Vertragsentwürfe. Als Erbbauberechtigte bzw. Vermieterin geht aus den Verträgen die Firma ..., ... vertreten durch die ...x, diese wiederum vertreten durch den allein vertretungsberechtigten Geschäftsführer ..., hervor.
Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die der Vergabekammer vorliegende Vergabeakte Bezug genommen.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist unzulässig. Er war auch in der Form des von der Antragstellerin gestellten Feststellungsantrags gem. § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB zu verwerfen, da die Antragstellerin die Vergabekammer erst am 13.09.2000 und damit deutlich nach Erteilung des Zuschlags im streitbefangenen Vergabeverfahren, der spätestens durch Abschluss des notariellen Erbbaurechtsvertrages und des Mietvertrages am 08.08.2000 erfolgte, angerufen hat.
Bei der Auftraggeberin handelt es sich um eine Gebietskörperschaft und damit um einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB. Entgegen der Auffassung der Auftraggeberin übersteigt der streitbefangene Auftrag auch den für eine europaweite Ausschreibung und damit für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gem. § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. Zwar hatte der Gesetzgeber im Zeitpunkt der Anrufung der Vergabekammer durch die Antragstellerin noch nicht von seiner Ermächtigungsgrundlage in § 127 Nr. 1 GWB zum Erlass einer Rechtsverordnung zur Umsetzung der Schwellenwerte für eine EU-weite Ausschreibung Gebrauch gemacht. Die neue Vergabeverordnung ist erst zum 01.02.2001 in Kraft getreten. § 100 GWB war aber bis dahin richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass die Schwellenwerte unmittelbar durch die EG-Richtlinien bestimmt sind. Bei dem streitbefangenen Auftrag handelt es sich um einen Bauleasingvertrag gem. § 1 a Nr. 6 VOB/A, für den der Schwellenwert von 5 Mio. EURO maßgeblich ist. Ausweislich des § 10 des vorliegenden Erbbaurechtsvertrages vom 08.08.2000 beträgt allein die Entschädigung, die die Auftraggeberin der erbbauberechtigten Bieterin, die den Zuschlag erhalten hat, nach Erlöschen des Erbbaurechts nach 15 Jahren zu zahlen hat, 7 Mio. DM. Diese am Ende der Vertragslaufzeit zu entrichtende Summe ist jedoch nicht allein bei der Wertermittlung eines im Wege des Bauleasings vergebenden Bauauftrages zu Grunde zu legen, da es sich hierbei nur um den Restbauwert handelt. Vielmehr musste die Auftraggeberin auch den von ihr während der gesamten Vertragslaufzeit zu entrichtenden Mietzins als "Leasinggebühr" berücksichtigen, da die Höhe der Leasinggebühr im Wesentlichen ebenfalls durch die Höhe der Baukosten beeinflusst wird. Über die Entrichtung der Leasinggebühr über die gesamte Vertragslaufzeit und die Zahlung des Restkaufpreises wird der Gesamtauftragswert der baulichen Anlage im Sinne des § 1 a Nr. 1 Abs. 1 VOB/A beglichen. Die Höhe des Mietzinses war der Auftraggeberin bereits im Zeitpunkt der Ausschreibung bekannt. Ausweislich des von ihr den Bewerbern mit den Auslobungsunterlagen zur Verfügung gestellten Mustermietvertrages sollte dieser bei einer Laufzeit von mindestens 15 Jahren gem. §§ 5, 6 des Vertragsentwurfs 48.000,-- DM pro Monat, mithin 8.640.000,-- DM über die gesamte Mindestvertragslaufzeit betragen. Die von der Auftraggeberin für die Ermittlung des Schwellenwerts zu Grunde gelegte Kostenberechnung des Architekturbüros ... vom März 2000, die von einem Wert des Auftrags von lediglich 6.652.000,-- DM ausging, war daher von vornherein unrealistisch. Der Wert des streitbefangenen Bauleasingvertrages liegt somit deutlich über dem maßgeblichen Schwellenwert von 5 Mio. EURO.
Die Antragstellerin ist auch antragsbefugt im Sinne des § 107 Abs. 2 GWB, da sie als Bieterin ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung von Rechten durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, indem sie behauptet, ihr Angebot sei zu Unrecht von der Wertung ausgeschlossen worden. Voraussetzung für die Antragsbefugnis gem. § 107 Abs. 2 GWB ist weiterhin, dass das antragstellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. Boesen, Vergaberecht, 1. Auflage, § 107 Rdn. 52). Die Antragstellerin hat ein entsprechendes Rechtsschutzbedürfnis ohne weiteres dargelegt, da sie zumindest nach dem Protokoll über die Öffnung der Angebote vom 26.06.2000 mit einem Restkaufpreis von 6.940.198,80 DM für die Laufzeit von 15 Jahren das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hat. Die Firma ... GmbH & Co. KG i. G., die den Zuschlag tatsächlich erhalten hat, war ausweislich des Protokolls vom 26.06.2000 noch gar nicht mit einem eigenen Angebot vertreten gewesen. Gemäß § 10 des vorliegenden Erbbaurechtsvertrages vom 08.08.2000 (Nr. xyder Urkundenrolle für 2000 des Notars ...) wurde dort eine Entschädigung von 7 Mio. DM nach Ablauf von 15 Jahren vereinbart. Vertreten mit einem Angebot in dieser Höhe war die unter gleicher Adresse firmierende ....... Die Antragstellerin hat damit schlüssig dargelegt, dass sie im Falle einer Wertung ihres Angebots gute Aussichten auf den Zuschlag gehabt hätte.
Das streitbefangene Vergabeverfahren ist jedoch gleichwohl weder einer Nachprüfung gem. § 107 GWB noch einer Fortsetzungsfeststellung gem. § 114 Abs. 2 GWB darüber, ob eine Rechtsverletzung vorgelegen hat, durch die Vergabekammer zugänglich, weil das Vergabeverfahren bereits durch Zuschlagserteilung am 08.08.2000 und damit deutlich vor Stellung des Nachprüfungsantrages mit Telefax vom 13.09.2000 beendet wurde. Das streitbefangene Vergabeverfahren war damit eindeutig bereits deutlich vor Antragstellung beendet. Damit ist es einer Nachprüfung gem. § 107 GWB nicht zugänglich, da ein bereits erteilter Zuschlag gem. § 114 Abs. 2 Satz 1 GWB nicht aufgehoben werden kann. Die Frage, ob das Vergabeverfahren bei einer derartig verspäteten Antragstellung noch wenigstens einer Fortsetzungsfeststellung gem. § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB darüber, ob eine Rechtsverletzung vorgelegen hat, durch die Vergabekammer unterliegt, ist in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten:
Gemäß § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB stellt die Vergabekammer dann, wenn sich das Nachprüfungsverfahren durch Erteilung des Zuschlags, durch Aufhebung oder durch Einstellung des Vergabeverfahrens oder in sonstiger Weise erledigt, auf Antrag eines Beteiligten fest, ob eine Rechtsverletzung vorgelegen hat. Die Vergabesenate des OLG Düsseldorf (vgl. Entscheidung v. 13.04.1999, BauR 7/99, S. 751 ff., 757) und des Bayr. ObLG (vgl. Beschluss v. 07.10.1999, Az.: Verg 3/99) vertreten die Auffassung, dass in den Fällen, in denen der Nachprüfungsantrag erst nach Zuschlagserteilung gestellt wurde, auch eine Fortsetzungsfeststellung nicht mehr zulässig ist. Dies wird zum einen mit dem ausdrücklichen Wortlaut des § 114 Abs. 2 GWB begründet, wonach ein derartiger Feststellungsantrag nur dann zulässig ist, wenn sich das Nachprüfungsverfahren (nicht etwa das Vergabeverfahren) durch Erteilung des Zuschlags, durch Aufhebung oder durch Einstellung des Vergabeverfahrens in sonstiger Weise erledigt hat. Diese Verfahrensänderung von einem Nachprüfungsverfahren auf ein Feststellungsverfahren setzt danach immer voraus, dass vor dem erledigenden Ereignis ein Nachprüfungsverfahren mittels eines zulässigen Antrages eingeleitet wurde. Eine solche Erledigung ist etwa denkbar, wenn in einem Vergabeverfahren der Zuschlag zwar nach Antragstellung gem. §§ 107, 108 GWB, aber vor Zustellung des Antrages an den Auftraggeber durch die Vergabekammer gem. § 110 Abs. 2 GWB erfolgt. In solchen Fällen besteht unstreitig im Hinblick auf die Bindungswirkung einer Vergabekammerentscheidung für evtl. Schadensersatzprozesse (Sekundärrechtsschutz) in der Regel ein Rechtsschutzinteresse des Antragstellers an der Feststellung der Rechtmäßigkeit oder der Rechtswidrigkeit des Vergabeverfahrens fort (BT-Drucksache 13/9340, S. 19; Begründung zu § 124 GWB i.d.F. des Entwurfs des Vergaberechtsänderungsgesetzes vom 03.12.1997 = § 114 der Neufassung des GWB vom 26.08.1998, BGBl. I Nr. 59 vom 02.09.1998, S. 2546 ff.). Ein solcher Antrag entspricht somit dem einer Fortsetzungsfeststellungsklage gem. § 117 Abs. 1 Satz 4 VwGO. Nach Auffassung der o. g. Vergabesenate wird damit inzidenter ausgeschlossen, dass ein Feststellungsantrag auch dann zulässig sei, wenn der Zuschlag bereits erteilt worden sei. Aus der Konsequenz, dass ein Bieter in diesen Fällen keinen Anspruch darauf hat, dass die Kammer eine Rechtsverletzung feststellt, um einen evtl. Schadensersatzanspruch zu präjudizieren, ergibt sich nach Auffassung dieser Vergabesenate kein lückenhafter Rechtsschutz. In diesen Fällen sei vielmehr unmittelbar der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben. Dem steht nach dieser Auffassung auch nicht das Urteil des EuGH vom 28.10.1999 - Rs. C-81/98 ("Alcatel") entgegen, weil dort nur festgestellt wird, dass es nach der EG-Rechtsmittelrichtlinie möglich sein muss, die Zuschlagserteilung effektiv überprüfen lassen zu können. Dagegen werden dort bestimmte Überprüfungskonzepte nicht festgelegt. Das nationale Vergaberecht, das solche effektiven Überprüfungsmöglichkeiten nicht vorsehe, sei zwar insoweit mit der Rechtsmittelrichtlinie unvereinbar, allerdings sei die Rechtsmittelrichtlinie nicht unmittelbar anwendbar mit der Folge, dass der Rechtsmittellinie entgegenstehendes nationales Recht weiter anwendbar sei, der Betroffene jedoch vor den nationalen Gerichten Schadensersatz gegen den Mitgliedsstaat wegen fehlerhafter Richtlinienumsetzung geltend machen könne. Diese Entscheidung des EuGH bestätigt, dass der nationale Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten hat, effektiven Rechtsschutz in Übereinstimmung mit der EG-Rechtsmittelrichtlinie zu gewährleisten.
Abweichend davon hat das Oberlandesgericht Rostock in seinem Beschluss vom 20.03.2000, Az. 17 W 5/99, die Auffassung vertreten, eine die EG-Vergaberichtlinie und Nachprüfungsrichtlinie berücksichtigende Auslegung des § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB verlange, einen Feststellungsantrag auch noch nach Zuschlag zuzulassen, jedenfalls dann, wenn - wie in dem dort zu Grunde liegenden Fall - dem Bieter keine ausreichende Möglichkeit eingeräumt worden ist, den Zuschlag zu verhindern. Ein solcher Bieter könne ein besonderes Interesse daran haben, die Rechtswidrigkeit des Vergabeverfahrens von der Vergabekammer klären zu lassen und nicht von einem Zivilgericht. Ins Gewicht falle vor allem, dass für den übergangenen Bieter besondere Beweisschwierigkeiten im zivilrechtlichen Schadensersatzprozess auftreten können, da sensible Betriebsinterna, technische Darlegungen, Preisangaben u.Ä. in Angeboten der Bieter nach Zuschlagserteilung der Geheimhaltungspflicht unterliegen und deshalb nicht ohne weiteres im Prozess eingeführt werden können. Auch verhelfe das Verfahren vor den Vergabekammern mit seinen eingeschränkten Rechtsmöglichkeiten zu einem schnelleren Rechtsschutz.
Eine Klärung dieser von den Vergabesenaten unterschiedlich gehandhabten Auslegung des § 114 Abs. 2 Satz 2 durch Vorlage beim Bundesgerichtshof gem. § 124 Abs. 2 Satz 1 GWB erfolgte bislang nicht. Sie dürfte sich in künftigen, ab 01.02.2001 erstmalig anhängigen Nachprüfungsverfahren auch nicht mehr stellen, da § 13 der neu in Kraft getretenen Vergabeverordnung den Auftraggeber verpflichtet, die Bieter, deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollen, 14 Kalendertage vor Vertragsabschluss über den Namen des Bieters, dessen Angebot angenommen werden soll, und über den Grund der vorgesehenen Nichtberücksichtigung ihres Angebotes informieren muss. Für den hier zu entscheidenden Fall gilt die neue Vergabeverordnung und damit die Informationspflicht gem. § 13 VgV vom 09.01.2001 allerdings nicht. Gemäß der Übergangsbestimmung des § 23 VgV werden bereits begonnene Vergabeverfahren nach dem Recht, das zum Zeitpunkt des Beginns des Verfahrens galt, beendet.
Anlass für die Aufnahme der Informationspflicht in die neue VgV war die Rechtsprechung der 1. Vergabekammer des Bundes. Diese hat schon für die bisherige Rechtslage (vgl. Beschluss v. 17.11.1999, VK 1-17/99) die Auffassung vertreten, dass ein Feststellungsantrag, der erst nach Zuschlagserteilung bei der Vergabekammer eingeht, zwar grundsätzlich unzulässig sei. Ausnahmsweise hält sie aus verfassungsrechtlichen Gründen jedoch eine analoge Anwendung des § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB in den Fällen für möglich, in denen die unterlegenen Bieter nicht mindestens 10 Tage vor Zuschlagserteilung durch den Auftraggeber von der bevorstehenden Zuschlagserteilung informiert wurden und ihnen damit die rechtzeitige Anrufung der Vergabekammer und damit der Rechtsschutz nach §§ 97 ff. GWB erschwert wurde. Voraussetzung für eine derartige analoge Anwendung ist nach Auffassung der 1. Vergabekammer des Bundes aber, dass sich das Feststellungsinteresse eines Antragstellers nicht darin erschöpfen darf, einen etwaigen Schadensersatz vorbereiten zu wollen. Hinzu kommen muss ein qualifiziertes Interesse an der Feststellung eines Verstoßes gegen die Pflicht zur Vorabinformation nicht berücksichtigter Bieter und die Unmöglichkeit, diesen Verstoß im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens geltend zu machen. Der Bieter muss daher gegenüber dem Auftraggeber das Interesse an der Vorabinformation deutlich machen. Vor allen Dingen muss er aber einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer stellen, sobald er einen Anhaltspunkt dafür hat, dass der öffentliche Auftraggeber gegen die aufgestellte Verpflichtung zur Vorabinformation der nicht berücksichtigten Bieter verstoßen wird. Der Bieter kann daher auch nach dieser Auffassung nicht beliebig lange mit der Anrufung der Vergabekammer warten. Er muss vielmehr immer damit rechnen, dass der Zuschlag spätestens am Tag vor dem Zeitpunkt des Beginns der Ausführungsfrist, oder wenn eine solche Frist in der Bekanntmachung nicht gesetzt wurde, spätestens einen Tag vor Ablauf der Bindefrist erteilt wird.
Die Vergabekammer Lüneburg schließt sich dieser Auffassung, wie schon in ihrem Beschluss vom 27.10.2000 - 203-VgK-13/1999 - unter Modifizierung ihrer noch in ihrem Beschluss vom 28.05.1999 - 203-VgK-2/1999 - vertretenen Auffassung - an. In den Fällen, in denen die rechtzeitige Anrufung der Vergabekammer durch Unterlassen einer rechtzeitigen Information der unterlegenen Bieter durch den Auftraggeber vereitelt wurde, gebietet die verfassungsrechtliche Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG wie auch der Sinn und Zweck des mit dem Vergaberechtsänderungsgesetz erstmalig eingeführten Primärrechtsschutzes im Vergabewesen eine analoge Anwendung des § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass sich der Bieter aufmerksam um Primärrechtsschutz bemüht hat. Er muss daher, wenn er 10 Tage vor Beginn einer in der Bekanntmachung oder den Verdingungsunterlagen gesetzten Ausführungsfrist, oder wenn eine solche Frist nicht gesetzt wurde, 10 Tage vor Ablauf der Bindefrist keine Mitteilung erhält und damit klar erkennbar ist, dass die Vergabestelle ihrer Informationspflicht nicht nachkommen wird, ein Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer beantragen.
Diese Voraussetzungen hat die Antragstellerin indessen nicht erfüllt. Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs und der Voraussetzungen hat die Antragstellerin im vorliegenden Fall kein Feststellungsinteresse und damit nicht das erforderliche Rechtsschutzinteresse im Sinne des §§ 114 Abs. 2 Satz 2 GWB. Es kann dahinstehen, ob die Antragstellerin, die erstmalig am 15.08.2000 erfahren hat, dass sie vom Wettbewerb ausgeschlossen wurde und auf eine weitere Anfrage vom 22.08.2000 am 30.08.2000 das Protokoll der Eröffnung der Angebote zugesandt bekommen hat, ihr Rügeschreiben vom 08.09.2000 noch unverzüglich nach positiver Kenntnis der von ihr geltend gemachten vermeintlichen Vergaberechtsverstöße diese gegenüber der Auftraggeberin im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB gerügt hat. Auf jeden Fall erfolgte die Anrufung der Vergabekammer mit Schriftsatz vom 12.09.2000, eingegangen per Telefax am 13.09.2000, zu spät. Die Antragstellerin wusste bereits aus der Bekanntmachung vom 15.04.2000 detailliert, welche Termine die Auftraggeberin für den Beginn des streitbefangenen Bauvorhabens gesetzt hatte. Sowohl für den vorgesehenen Teilabbruch des vorhandenen Gebäudes wie auch für den Neubau wurde ausdrücklich als Baubeginn der 20.08.2000 in der Bekanntmachung festgelegt. Die Auftraggeberin hatte darüber hinaus den Zuschlagstermin, nämlich spätestens 24.07.2000, bekannt gegeben. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin erfolgte daher nicht nur nach Zuschlagserteilung, sondern auch erst nach der der Antragstellerin bekannten Frist der Ausführung. Somit hatte die Antragstellerin im Zeitpunkt der Antragstellung bereits ihr gem. §§ 107, 114 Abs. 2 Satz 2 GWB erforderliches Feststellungsinteresse verwirkt. Der Nachprüfungsantrag war daher als unzulässig zu verwerfen.
Einer Entscheidung, ob der Nachprüfungsantrag darüber hinaus auch unbegründet wäre, weil die Auftraggeberin das zunächst nur per Fax innerhalb der Angebotsfrist bis 23.06.2000 vorgelegte Angebot der Antragstellerin möglicherweise zu Recht von der Angebotswertung ausgeschlossen hat, bedarf es daher nicht.
III.
Kosten
Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 Abs. 1 GWB i.V.m. § 16 VwKostG. Es wird die Mindestgebühr in Höhe von 5.000,-- DM bzw. 2.556,46 EURO gem. § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.
Die Zahlung der Gebühr hat sich durch den von der Antragstellerin bereits geleisteten
Kostenvorschuss in gleicher Höhe erledigt.
Tyrra
Dr. Pade