Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 31.05.2023, Az.: 12 B 1786/23

Fiktionswirkung; rechtmäßiger Aufenthalt; Ukraine; Ukrainekrieg; Ukrainischer Staatsangehöriger: Auslegung des Begriffs "vorübergehend" in § 2 Abs. 2 Satz 1 UkraineAufenthÜV; Fiktionswirkung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
31.05.2023
Aktenzeichen
12 B 1786/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 19830
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2023:0531.12B1786.23.00

Amtlicher Leitsatz

Ein Aufenthalt außerhalb der Ukraine ist jedenfalls dann nicht mehr vorübergehend im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung (UkraineAufenthÜV), wenn dieser Aufenthalt am 24.2.2022 bereits länger als 90 Tage gedauert hat.

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500 € festgesetzt.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Ablehnung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG.

Der 1999 geborene Antragsteller ist ukrainischer Staatsangehöriger. Er war im Besitz eines nationalen polnischen Visums des Typs D, das vom 29.4.2021 bis zum 31.12.2021 gültig war. Im Reisepass des Antragstellers befinden sich Sichtvermerke polnischer Behörden vom 11.5.2021, vom 21.7.2021 und vom 17.9.2021. Am Tag des Beginns der russischen Invasion in der Ukraine, dem 24.2.2022, hielt sich der Antragsteller in Polen auf. Er reiste am 10.11.2022 in das Bundesgebiet ein.

Am 15.12.2022 beantragte der Antragsteller die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Unter dem 21.12.2022 hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller zur beabsichtigten Ablehnung seines Antrags an.

Mit Bescheid vom 3.2.2023, zugestellt am 17.2.2023, lehnte die Antragsgegnerin den Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Abs. 1 AufenthG ab (Ziff. 1), drohte ihm die Abschiebung in die Ukraine an (Ziff. 2) und befristete die Wirkungen der Abschiebung auf 24 Monate (Ziff. 3). Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, die Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 1 des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 (im Folgenden Durchführungsbeschluss), wonach ukrainischen Staatsangehörigen vorübergehender Schutz zu gewähren sei, lägen im Falle des Antragstellers nicht vor, da er sich am 24.2.2022 nicht in der Ukraine, sondern in Polen aufgehalten habe. Gleichzeitig sicherte die Antragsgegnerin dem Antragsteller zu, seinen Aufenthalt bis zum Ende der russischen Invasion in der Ukraine zu dulden.

Der Antragsteller hat gegen diesen Bescheid am 6.3.2023 Klage erhoben und den vorliegenden Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt.

Er macht geltend, einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Abs. 1 AufenthG zu haben. Er habe sowohl im Jahr 2021 als auch am Stichtag 24.2.2022 seinen Wohnsitz in der Ukraine gehabt und sich nur vorübergehend zu Erwerbszwecken in Polen aufgehalten. Von einer Ausreise vor Ablauf des polnischen Visums Ende 2021 habe er wegen der sich mehrenden Anzeichen für eine russische Invasion vorübergehend Abstand genommen. Wegen des nur vorübergehenden Charakters seines Aufenthalts in Polen sei er Begünstigter nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a des Durchführungsbeschlusses. Jedenfalls bestehe nach deutscher Weisungslage ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG. Mit Hinweisen des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (im Folgenden BMI) vom 14.3.2022 mit Ergänzungen vom 14.4.2022 und vom 5.9.2022 habe die Bundesrepublik Deutschland von der Option des Art. 2 Abs. 3 des Durchführungsbeschlusses Gebrauch gemacht, die Richtlinie 2001/55/EG (Massenzustrom-Richtlinie) auch auf andere Personen anzuwenden. Der vorübergehende Schutz solle nach dieser Weisungslage auch auf Personen ausgedehnt werden, die sich kurz vor dem 24.2.2022 im Gebiet der EU befunden hätten und wegen des bewaffneten Konflikts nicht in die Ukraine hätten zurückkehren können. Er erfülle den hierfür maßgeblichen Zeitraum von bis zu 90 Tagen, da er sich erst nach Ablauf seines Visums am 1.1.2022 entschieden habe, nicht in die Ukraine zurückzukehren. Darüber hinaus erstrecke die Ziffer 3 der Hinweise des BMI die Geltung des Durchführungsbeschlusses auch auf andere ukrainische Staatsangehörige, die sich geduldet im Bundesgebiet aufhielten. Mit der Zusicherung, ihn auf unbestimmte Zeit nicht in die Ukraine abzuschieben, handele die Antragsgegnerin widersprüchlich, wenn sie gleichzeitig eine Abschiebungsandrohung verfüge. Selbst wenn die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 AufenthG nicht infrage käme, hätte eine Abschiebung in die Ukraine nicht angedroht werden dürfen, sondern nach Beteiligung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ein Abschiebungsverbot erlassen werden müssen. Hilfsweise bestehe ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG wegen der Duldung. Schließlich sei das verhängte Einreise- und Aufenthaltsverbot rechtswidrig bzw. auf Null zu reduzieren. Nach den Hinweisen des BMI vom 5.9.2022 seien Einreise- und Aufenthaltsverbote gegenüber ukrainischen Staatsangehörigen auf Antrag aufzuheben.

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 3.2.2023 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie verteidigt ihre ablehnende Entscheidung. Die vom Antragsteller zitierten Hinweise des BMI würden auf den Aufenthalt und nicht auf den Wohnsitz in der Ukraine abstellen. Eine Ausdehnung auf den Wohnsitz widerspreche auch der Intention der Hinweise, denn wer sich nicht in einem Kriegsgebiet, sondern in der EU aufhalte, sei nicht schutzbedürftig. Der Antragsteller könne auch nicht von der 90-Tage-Regelung profitieren. Dazu hätte er nach dem 24.11.2021 in die EU einreisen müssen. Seine letzte Einreise sei jedoch am 17.9.2021 erfolgt. Die Duldungszusicherung stehe auch nicht im Widerspruch zur Abschiebungsandrohung, was § 59 Abs. 3 AufenthG klarstelle. Zwar sei die Abschiebung derzeit unmöglich, dies stehe aber der Unmöglichkeit der Ausreise nicht gleich, so dass kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG bestehe. Schließlich stehe Ziffer 3 der Hinweise des BMI vom 5.9.2022 dem Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht entgegen, da der Zweck der Regelung lediglich darin bestehe, durch die Aufhebung bestehender Einreise- und Aufenthaltsverbote eine Schutzgewährung nach § 24 AufenthG zu ermöglichen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hat keinen Erfolg.

1.

Soweit sich der Antragsteller gegen die Ablehnung seines Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG wendet, ist der gestellte Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO unstatthaft. Die Statthaftigkeit eines solchen Antrages setzt voraus, dass die Ablehnung eines Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis die Beendigung einer gesetzlichen Erlaubnis- oder Duldungsfiktion nach § 81 Abs. 3 AufenthG oder einer Fiktion des Fortbestandes des bisherigen Aufenthaltstitels nach § 81 Abs. 4 AufenthG bewirkt hat. Nur dann kann eine gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht entfallen lassen (vgl. z.B. VG Hannover, Beschl. v. 20.06.2022 - 12 B 1698/22 -, n.v.). Im Fall des Antragstellers ist aber keine Fiktionswirkung eingetreten.

Zwar gilt gemäß § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Aufenthalt eines Ausländers, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen, bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis als erlaubt. Der Antragsteller befand sich zum Zeitpunkt der Antragstellung am 15.12.2022 aber nicht rechtmäßig im Bundesgebiet. Hierfür hätte er gemäß § 4 Abs. 1 AufenthG eines Aufenthaltstitels bedurft. Auf § 2 der Verordnung zur vorübergehenden Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels von anlässlich des Krieges in der Ukraine eingereisten Personen (Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung, im Folgenden: UkraineAufenthÜV) in der zum Zeitpunkt der Antragstellung maßgeblichen Fassung der Dritten Verordnung zur Änderung der Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung vom 28.11.2022 (BAnz AT 30.11.2022 V1; zur Maßgeblichkeit des Zeitpunktes der Antragstellung vgl. VG Osnabrück, Beschl. v. 12.10.2022 - 7 B 33/22 -, V.n.b., BA S. 6) kann sich der Antragsteller nicht mit Erfolg berufen. Weder nach § 2 Abs. 1 noch nach § 2 Abs. 2 UkraineAufenthÜV war der Aufenthalt des Antragstellers rechtmäßig.

Nach § 2 Abs. 1 UkraineAufenthÜV sind Ausländer, die sich am 24.2.2022 in der Ukraine aufgehalten haben und die bis zum Außerkrafttreten dieser Verordnung in das Bundesgebiet eingereist sind, ohne den für einen langfristigen Aufenthalt erforderlichen Aufenthaltstitel zu besitzen, vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit. Der Antragsteller befand sich am 24.2.2022 aber unstreitig nicht in der Ukraine, sondern in Polen.

Nach § 2 Abs. 2 UkraineAufenthÜV sind ukrainische Staatsangehörige, die am 24.2.2022 einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Ukraine hatten, aber die sich zu diesem Zeitpunkt vorübergehend nicht in der Ukraine aufgehalten haben, und die bis zum 31.5.2023 in das Bundesgebiet eingereist sind, ohne den für einen langfristigen Aufenthalt im Bundesgebiet erforderlichen Aufenthaltstitel zu besitzen, für einen Zeitraum von 90 Tagen ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Einreise in das Bundesgebiet vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit. Fraglich, aber nicht entscheidungserheblich ist bereits, ob der Antragsteller im Zeitpunkt seiner Antragstellung noch einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Ukraine in diesem Sinne hatte. Jedenfalls hielt er sich am 24.2.2022 nicht lediglich vorübergehend nicht in der Ukraine auf.

Ein Aufenthalt außerhalb der Ukraine ist jedenfalls dann nicht mehr vorübergehend im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 UkraineAufenthÜV, wenn dieser Aufenthalt am 24.2.2022 bereits länger als 90 Tage gedauert hat.

Der Begriff "vorübergehend" ist in der UkraineAufenthÜV nicht definiert und bedarf der Auslegung. Nach dem Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache (dwds.de) bedeutet "vorübergehend": "von begrenzter Dauer", "zeitweilig", "nicht ständig". Dies spricht dafür, Aufenthalte ohne absehbares baldiges Ende nicht als vorübergehend anzusehen. Eine exakte zeitliche Grenze folgt allerdings weder aus dem Wortlaut noch aus dem Wortsinn. Sie ergibt sich jedoch aus der Systematik der UkraineAufenthÜV. Die Verordnung verwendet den Begriff "vorübergehend" auch in § 1: "Diese Verordnung regelt anlässlich des Krieges in der Ukraine infolge des Überfalls der Russischen Föderation vom 24. Februar 2022 die vorübergehende Befreiung von bestimmten Ausländern vom Erfordernis des Besitzes eines Aufenthaltstitels und ermöglicht diesen die Einholung des für einen langfristigen Aufenthalt erforderlichen Aufenthaltstitels im Bundesgebiet." (Hervorhebung nur hier). Als Rechtsfolge sieht die UkraineAufenthÜV eine Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels für 90 Tage ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Einreise in das Bundesgebiet vor. Dies spricht dafür, den Begriff "vorübergehend" auch in § 2 Abs. 2 UkraineAufenthÜV entsprechend zu definieren und einen über 90 Tage hinausgehenden Aufenthalt außerhalb der Ukraine nicht mehr als vorübergehend anzusehen. Die gleiche zeitliche Begrenzung sieht im Übrigen auch § 6 Abs. 3 Satz 1 AufenthG vor, der für längerfristige Aufenthalte, die die Dauer von 90 Tagen je Zeitraum (§ 6 Abs. 2 AufenthG) überschreiten, die Pflicht zur Einholung eines nationalen Visums vorsieht.

Schließlich entspricht es auch dem erkennbaren Willen des Verordnungsgebers, nicht alle ukrainischen Staatsangehörigen zeitweise vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels zu befreien, sondern nur diejenigen, die möglicherweise nach § 24 Abs. 1 AufenthG in der Bundesrepublik Deutschland - und nicht in einem anderen Mitgliedstaat - schutzberechtigt sind. Auch wenn ukrainische Staatsangehörige grundsätzlich umfassend von der Massenzustrom-Richtlinie profitieren sollen, so gilt diese jedoch nicht für Personen, die sich bereits seit längerer Zeit in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten, wie die Mitteilung der Kommission zur Umsetzung des Durchführungsbeschlusses 2022/382 (2022 C 126 I/01) klarstellt. Danach haben folgende "Kategorien von Vertriebenen [...] im Prinzip keinen Anspruch auf vorübergehenden Schutz der Richtlinie 2001/55/EG oder angemessenen Schutz nach nationalem Recht: (1) Ukrainische Staatsangehörige mit Wohnsitz in der Ukraine, die vor dem 24. Februar 2022 aus der Ukraine vertrieben wurden oder sich vor diesem Datum außerhalb der Ukraine befanden, beispielsweise aufgrund eines Arbeits- oder Studienaufenthalts, von Urlaub, eines Familienbesuchs oder Aufenthalt aus gesundheitlichen Gründen oder anderer Gründe". Dies trifft auch auf den Antragsteller zu. Zwar können die Mitgliedsstaaten nach Art. 2 Abs. 3 des Durchführungsbeschlusses "diesen Beschluss auch auf andere Personen, insbesondere Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine anwenden, die sich rechtmäßig in der Ukraine aufhielten und nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren können". Nach Erwägungsgrund Nr. 14 zum Durchführungsbeschluss werden die Mitgliedsstaaten im Zusammenhang mit der vorgenannten Gruppe, sich außerhalb der Ukraine aufhaltender ukrainischer Staatsangehöriger, dazu "ermutigt". Gleichwohl gibt es hierfür keine unionsrechtliche Verpflichtung. Zwar sollen nach Ziffer 5 der Hinweise des BMI vom 5.9.2022 auch Personen schutzberechtigt sein, "die nicht lange vor dem 24. Februar 2022, als die Spannungen zunahmen, aus der Ukraine geflohen sind oder die sich kurz vor dem 24. Februar 2022 (z. B. im Urlaub oder zur Arbeit) im Gebiet der EU oder in einem Drittstaat befunden haben und die infolge des bewaffneten Konflikts nicht in die Ukraine zurückkehren können. Als Zeitraum, der nicht lange vor dem 24. Februar 2022 liegt, soll ein Zeitraum von höchstens bis zu 90 Tage angenommen werden [...]". Der Antragsteller fällt mit seinem ca. fünfmonatigen Aufenthalt in Polen nicht in den Anwendungsbereich dieser Regelung. Hiernach kommt es nicht auf den Zeitpunkt seiner Entscheidung, in der EU bleiben zu wollen, sondern auf den Zeitpunkt der Ausreise an, da die Formulierung der Hinweise an den Fluchtzeitpunkt anknüpft und dies auch der Verwaltungsvereinfachung dient. Käme es dagegen, wie vom Antragsteller vorgetragen, auf den Entschlusszeitpunkt an, wäre die Beschränkung sowohl in den Hinweisen des BMI als auch in § 2 Abs. 2 Satz 1 UkraineAufenthÜV hinfällig, da dies als innere Tatsache nicht verlässlich überprüfbar wäre. Letztlich würde dies dazu führen, dass alle ukrainischen Staatsangehörigen Schutz nach § 24 AufenthG bzw. eine Einreise ohne Aufenthaltstitel beanspruchen könnten, was aber dem erkennbar nach bestimmten Zeiträumen differenzierenden Willen des Verordnungsgebers entgegenstünde. Insofern spricht auch der durch die Hinweise des BMI erweiterte Anwendungsbereich der Massenzustrom-Richtlinie dagegen, eine länger als 90 Tage zurückliegende Ausreise aus der Ukraine noch als vorübergehend anzusehen.

Da der Antragsteller am 24.2.2022 bereits rund fünf Monate in Polen gelebt hatte, ohne zwischenzeitlich in die Ukraine zurückgekehrt zu sein, war er im maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung nicht vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit.

Schließlich begründet der Umstand, dass die Antragsgegnerin dem Antragsteller eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5, Abs. 3 Satz 1 AufenthG erteilt hat, keine Fiktionswirkung. Die Fiktionsbescheinigung hat rein deklaratorische Wirkung; rechtliche Wirkungen können aus ihr nicht abgeleitet werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 3.6.1997 - 1 C 7/96 -, juris Rn. 27; Kluth, in: BeckOK, Ausländerrecht, 35. Ed., Stand: 1.10.2022, § 81 Rn. 44 m.w.N.). Eine rechtsbegründende Wirkung der Fiktionsbescheinigung als Verwaltungsakt käme allenfalls in den Fällen der Anordnung der Fortgeltungswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG in Betracht (vgl. Samel, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, AufenthG § 81 Rn. 27). Da es sich hier jedoch nicht um einen Antrag auf Verlängerung, sondern auf erstmalige Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis handelte und die Antragsgegnerin die Fortgeltungswirkung auch nicht verfügt hat, liegt diese Ausnahme nicht vor.

Eine andere Grundlage für einen rechtmäßigen Aufenthalt ist nicht ersichtlich.

Das Gericht hat davon abgesehen, den Antragsteller auf die Unzulässigkeit des Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO hinzuweisen, weil auch ein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO aus den nachfolgenden Gründen keinen Erfolg gehabt hätte.

2.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass ihm ein Anspruch auf die begehrte Handlung zusteht (Anordnungsanspruch) und dass die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines seiner Rechte vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Anordnungsgrund).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Der Antragsteller hat bereits keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, da ihm ausweislich der Zusicherung der Antragsgegnerin, ihn bis zum Ende der russischen Invasion in der Ukraine in der Bundesrepublik Deutschland zu dulden, keine Abschiebung droht. Ob ihm ein Anspruch auf eine Verfahrensduldung während der Prüfung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zusteht, kann daher offen bleiben.

3.

Soweit sich der Antragsteller gegen die Abschiebungsandrohung wendet, ist sein Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO statthaft, weil die Abschiebungsandrohung als besonderes ausländerrechtliches Zwangsmittel gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i.V.m. § 64 Abs. 4 NPOG sofort vollziehbar ist. Der Antrag ist jedoch unbegründet, da die Abschiebungsandrohung nach summarischer Prüfung rechtmäßig ist. Die Voraussetzungen der §§ 58, 59 AufenthG sind erfüllt. Der Antragsteller ist nach § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig, da er die erforderliche Aufenthaltserlaubnis nicht besitzt. Auf die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht kommt es nicht an (Nds. OVG, Beschl. v. 28.1.2021 - 13 ME 355/20 -, juris Rn. 15 m.w.N.). Die dem Antragsteller gesetzte Ausreisefrist von 25 Tagen seit Zustellung des Bescheides ist nicht zu beanstanden (vgl. § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG).

Die Zielstaatsbestimmung findet ihre Rechtsgrundlage in § 59 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Hinsichtlich der geltend gemachten zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote bezüglich der Ukraine ist der Antragsteller auf das Asylverfahren vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu verweisen, da er sich auch auf Gefahren beruft, die ihrer Art nach objektiv geeignet wären, subsidiären Schutz zu begründen (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.2.2022 - 1 C 6/21 -, juris Rn. 34). Es steht nicht zur Disposition des Antragstellers, einen materiellen Anspruch auf Flüchtlingsschutz oder subsidiären Schutz auf der Grundlage ausländerrechtlicher Vorschriften gegenüber der Ausländerbehörde geltend zu machen (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.2.2019 - 1 C 30/17 -, juris Rn. 22; BVerwG, Urt. v. 3.3.2006 - 1 B 126/05 -, juris Rn. 3). Dies gilt auch, soweit er dieses Begehren von ausländerrechtlichen Fragestellungen abhängig macht. Auf die verfahrensmäßige Einkleidung des materiell geltend gemachten Schutzbegehrens kommt es nicht an (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 28.5.2008 - 13 S 136/08 -, juris Rn. 25; zum Vorstehenden Nds. OVG, Beschl. v. 20.4.2015 - 13 LA 157/14 - juris Rn. 10). Im Übrigen stünden solche Umstände aufgrund von § 59 Abs. 3 AufenthG dem Erlass der Abschiebungsandrohung auch bei Vorliegen nicht entgegen. Das Gleiche gilt nach dem Wortlaut des § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG auch für die - von der Antragsgegnerin angenommene und zugesicherte - vorübergehende Aussetzung der Abschiebung.

4.

Soweit sich der Antragsteller gegen die Befristung der Wirkung der Abschiebung auf 24 Monate wendet, ist sein Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO statthaft. In der behördlichen Befristung eines vermeintlich kraft Gesetzes eintretenden Einreise- und Aufenthaltsverbots ist zugleich die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots von bestimmter Dauer zu sehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 6.5.2020 - 1 C 14.19 -, juris Rn. 12; Nds. OVG, Beschl. v. 5.8.2022 - 13 LA 143/22 -, V.n.b.). Die Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots werden in der Rechtsprechung als einheitlicher Verwaltungsakt angesehen, der gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 6.5.2020 - 13 LB 190/19 -, juris Ls. 2 u. Rn. 54; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 13.11.2019 - 11 S 2996/19 -, juris Ls. 1 u. Rn. 41 ff.).

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist jedoch unbegründet, weil das auf 24 Monate befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot voraussichtlich rechtmäßig ist. Ein abschiebungsbedingtes Einreise- und Aufenthaltsverbot kann ermessensfehlerfrei auf die Dauer von 24 Monate befristet werden, wenn - wie hier - Umstände, die das gefahrenabwehrrechtlich geprägte Interesse an einem Fernhalten des Ausländers vom Bundesgebiet erhöhen, ebenso wenig erkennbar sind wie Umstände, die geeignet sind, das Gewicht dieses öffentlichen Interesses zu mindern (BVerwG, Urt. v. 7.9.2021 - 1 C 47/20 -, juris Rn. 18 für die Dauer von 30 Monaten). Ermessensfehler sind daher nicht ersichtlich.

Der Antragsteller dringt demgegenüber nicht durch, wenn er auf die Hinweise des BMI vom 5.9.2022 unter Ziffer 3 (S. 6) verweist, wonach es heißt: "Bei ukrainischen Staatsangehörigen, die einem Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG unterliegen, ist auf Antrag dessen Aufhebung zu prüfen (vgl. § 11 Absatz 4 S. 1f. AufenthG)". Zum einen ergibt sich hieraus nicht, dass das Einreise- und Aufenthaltsverbot in jedem Fall aufzuheben bzw. von dessen Erlass abzusehen ist. Zum anderen steht dieser Hinweis im Kontext der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen an ukrainische Staatsangehörige, die sich bereits mit einem Aufenthaltstitel oder geduldet im Bundesgebiet aufhalten. Die Prüfung, ob ein Einreise- und Aufenthaltsverbot aufzuheben ist, dient in diesem Falle dem Zweck, eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Abs. 1 AufenthG zu ermöglichen. Der Hinweis des BMI steht aber dem Erlass eines Einreise- und Aufenthaltsverbots, dessen Wirksamkeit ohnehin erst mit der Abschiebung eintritt, nicht entgegen.

5.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwertes folgt aus § 53 Abs. 2 GKG i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG und orientiert sich an Nr. 8.1 und Nr. 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NordÖR 2014, 11). Anzusetzen ist die Hälfte des Hauptsachestreitwertes.

6.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist nicht begründet. Prozesskostenhilfe erhält gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Vorliegend bietet die Rechtsverfolgung aus den vorgenannten Gründen auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Prozesskostenhilfe (vgl. zu im Hauptsacheverfahren einerseits und im Prozesskostenhilfeverfahren andererseits anzulegenden unterschiedlichen Maßstäben: BVerfG, Beschl. v. 8.7.2016 - 2 BvR 2231/13 -, juris Rn. 10 ff. m.w.N.) keine hinreichenden Erfolgsaussichten.