Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 11.05.2023, Az.: 12 A 414/19
Abschiebungsandrohung; Abstandnehmen; Abwägung; Anknüpfungstatsache; Ausreiseaufforderung; Ausweisung; Bleibeinteresse; Einreise- und Aufenthaltsverbot; Erfolg; ermessensfehlerhaft; faktischer Inländer; Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung; Geldsendung; Gesamtschau; Moscheebesuche; Schlussfolgerung; Terrororganisation; Unterstützungshandlung; Versuch; Zurechenbar
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 11.05.2023
- Aktenzeichen
- 12 A 414/19
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2023, 29138
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2023:0511.12A414.19.00
Rechtsgrundlagen
- AufenthG § 11 Abs. 5a
- AufenthG § 11
- StGB § 129a Abs. 5
- StPO § 170 Abs. 2
- AufenthG § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
- AufenthG § 5 Abs. 4
- AufenthG § 50 Abs. 1
- AufenthG § 53 Abs. 1
- AufenthG § 54 Abs. 1 Nr. 2
- AufenthG § 55 Abs. 1 Nr. 2
- StGB § 89c Abs. 1 Satz 1
- EMRK Art. 8
Amtlicher Leitsatz
§ 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG setzt keinen Erfolg voraus und umfasst auch den Versuch. Eine Unterstützungshandlung muss nur abstrakt geeignet sein, sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der terroristischen Vereinigung auszuwirken, eines konkreten Erfolges in Form eines messbaren Nutzens der Handlung für die terroristische Vereinigung bedarf es nicht.
Tenor:
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung und begehrt die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis.
Der Kläger ist am 12.07.1994 in K. geboren. Die Beklagte geht davon aus, dass er türkischer Staatsangehörigkeit ist. Sein Vater stammt aus dem Libanon und hatte bei seiner Einreise angegeben, staatenlos zu sein. Da seine Eltern aufgrund einer Bleiberechtsregelung Aufenthaltsrechte besaßen, wurde dem Kläger erstmals am 26.08.1994 eine Aufenthaltsbefugnis erteilt, die anschließend fortlaufend bis zuletzt zum 22.11.2018 verlängert wurde, ab dem Jahr 2005 als Aufenthaltserlaubnis.
Im Juni 2013 erreichte der Kläger seinen Realschulabschluss. Anschließend absolvierte er ab dem 01.08.2013 erfolgreich eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann in K..
Im Mai 2014 stellte die Beklagte dem Kläger einen Reiseausweis für Ausländer mit der Begründung aus, es sei auf absehbare Zeit nicht gesichert, dass eine Nachregistrierung seiner Familie in den türkischen Registern gelingen werde. Er habe allerdings die Pflicht, sich mit seiner Familie weiterhin um eine Nachregistrierung zu bemühen.
Unter dem 05.11.2015 regte das Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen bei der Beklagten erstmals an, dem Kläger und seinem Bruder L. die Ausreise zu untersagen und ihnen ihre Reisedokumente zu entziehen. Zur Begründung führte das LKA Folgendes aus: Es bestehe der Verdacht, dass die Brüder durch Verantwortliche des Vereins "M. K. e.V." (N. K.) mit dem Ziel radikalisiert worden seien, sich im Ausland auf Seiten des sogenannten "Islamischen Staates" (IS) am bewaffneten Jihad zu beteiligen. Am 05.11.2015 habe eine namentlich bekannte Hinweisgeberin mitgeteilt, dass mehrere Personen aus K. die Absicht hätten, Deutschland demnächst in Richtung Syrien zu verlassen. Hierzu gehöre auch der Kläger. Er halte sich in letzter Zeit sehr häufig in den Räumlichkeiten des N. K. auf und lege seit längerer Zeit Geld für die Reise nach Syrien zurück. Seit dem Ramadan 2015 habe sich der Kläger im Aussehen und seinen Ansichten stark verändert. Bei den anderen ausreisewilligen Personen handele es sich um den Bruder L. O. und P. Q., den Schwager und zugleich Cousin des Klägers, der Deutschland mit seiner Ehefrau und den gemeinsamen drei Kindern verlassen wolle. Sollte dem Kläger die Ausreise nach Syrien gelingen, wären damit sowohl erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland tangiert, da aufgrund der Gesamtumstände mit ziemlicher Sicherheit davon auszugehen sei, dass er nach Syrien reise, um sich dem IS anzuschließen.
Die Beklagte untersagte dem Kläger daraufhin mit Bescheid vom 08.01.2016 die Ausreise aus dem Bundesgebiet bis zum 08.01.2017.
Am 17.02.2016 versuchte der Bruder des Klägers, L. O., auszureisen. Er wurde mit gefälschten belgischen Ausweispapieren an einem Grenzübergang nach Ungarn festgenommen.
Seit dem 02.06.2016 bezieht der Kläger öffentliche Leistungen.
Unter dem 25.01.2017 regte das LKA Niedersachsen gegenüber der Beklagten an, die aufenthaltsbeschränkenden Maßnahmen zu Lasten des Klägers erneut zu verfügen. Zur Begründung führte das LKA aus, dass keine den Kläger entlastenden Erkenntnisse vorlägen. Der Kläger bewege sich weiterhin im radikal-salafistischen Umfeld des N. K.. Zu den Mitgliedern des Vereins lägen Erkenntnisse vor, wonach diese zur Teilnahme am bewaffneten Jihad bzw. dessen Unterstützung nach Syrien oder in den Irak gereist seien oder diese Ausreisen gefördert oder unterstützt hätten. Auch sei der Kläger immer noch regelmäßiger Moscheegänger des N. K. und suche die Moschee, oft auch mehrfach am Tag, zum Beten auf. Darüber hinaus gehöre er einem Personenkreis an, der vom Vorstand des N. K. zu ausgewählten Besprechungsrunden eingeladen werde. Des Weiteren engagiere sich der Kläger als ein Gruppenadministrator einer WhatsApp-Gruppe, die häufig Kommentare mit radikalem Inhalt verfasse.
Mit Bescheid vom 24.02.2017 verlängerte die Beklagte dem Kläger daraufhin die Ausreiseuntersagung für ein weiteres Jahr bis zum 08.01.2018.
Mit Verfügung vom 07.03.2017 erließ das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport (Niedersächsisches Innenministerium) ein Vereinsverbot für den N. K. und löste den Verein auf. Das Verbot erfolgte, da sich der Verein gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet hatte und seine Tätigkeit Strafgesetzen zuwidergelaufen war. Insbesondere waren in dem Verein in konspirativer Art und Weise durch Indoktrination mit der salafistisch-jihadistischen Ideologie Personen zielgerichtet radikalisiert worden, um diese zur Ausreise in Kriegsgebiete nach Syrien und in den Irak und zum Anschluss an den IS zu motivieren. Hauptamtlicher Imam der Moschee war R., genannt S..
Am 15.08.2017 wurde der Bruder des Klägers, L. O., mit einem libanesischen Passersatzpapier von Ungarn in den Libanon abgeschoben. Seitdem lebt der Bruder im Libanon.
Unter dem 18.12.2017 regte das LKA Niedersachsen erneut an, die aufenthaltsbeschränkenden Maßnahmen zu Lasten des Klägers zu verlängern. Zur Begründung führte das LKA aus, seine Anregungen vom 05.11.2015 und 25.01.2017 hätten weiterhin Gültigkeit. Die bisherigen Ermittlungen würden weder belastende noch entlastende Erkenntnisse erbringen. Der Kläger habe mehrfach seinen Schwager P. Q. in der Justizvollzugsanstalt (JVA) T. besucht. Gegen P. Q. und weitere Personen habe am 26.09.2017 der Prozess unter anderem wegen des Verdachts der Werbung um Mitglieder oder Unterstützer für den IS vor dem Oberlandesgericht (OLG) T. begonnen. Der Kläger habe auch mehrfach mit dem als Gefährder eingestuften U. V. an der Verhandlung vor dem Landgericht W. gegen X. wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (Bau einer Bombe) teilgenommen. Während des Prozesses in T. sei er ebenfalls in der Nähe des Gerichts im Beisein bekannter Personen der islamistischen Szene in K. beobachtet worden. Der Kläger stehe nach wie vor in regem Kontakt mit dem radikal-salafistischen Umfeld des ehemaligen Vereins N. K.. Es würden gemeinsame Fahrten bis nach W. und Y. organisiert. Der Kontakt mit Gefährdern und relevanten Personen zeichne sich besonders dadurch aus, dass dieser über die religiösen Zusammenhänge hinausgehe.
Mit Bescheid vom 05.01.2018 verlängerte die Beklagte die Ausreiseuntersagung gegenüber dem Kläger für ein weiteres Jahr bis zum 08.01.2019.
Unter dem 09.05.2018 berichtete die Polizeiinspektion (PI) K. der Beklagten: Eine Ex-Lebensgefährtin des Klägers habe im Rahmen ihrer Vernehmung durch das LKA Niedersachsen im November 2015 angegeben, dass der Kläger von einem Leben im IS schwärme und im Verlaufe des letzten Jahres einen deutlichen Wesenswandel vollzogen habe. Er sei vorher ein westlich geprägter junger Mann gewesen, welcher mit Freunden feiern gegangen sei und Alkohol getrunken habe. Offenbar sei er jedoch durch seinen Bruder L. O. radikalisiert worden, welcher seinerseits wiederum stark von seinem Schwager P. Q. beeinflusst worden sei. Der Kläger habe sich ihr gegenüber offen als Salafist bezeichnet. Die Zeugin habe beschrieben, dass der Kläger "Ungläubige" verachte und ihr gegenüber Ausreiseabsichten geäußert habe. Er habe erklärt, im Kampf für den IS sterben und so die höchste Stufe im Paradies erreichen zu wollen. Weiter führte die PI aus, dass der Kläger mehrmals zweifelsfrei als Teilnehmer der sonntäglichen Fußballtreffs von Personen aus dem Umfeld des N. K. habe identifiziert werden können. Der Kläger bewege sich regelmäßig im Umfeld der überregionalen salafistischen Szene, was durch seine Teilnahmen an den erwähnten Fußballtreffs sowie mehrere Besuche von Gerichtsverhandlungen gegen Mitglieder der salafistischen Szene belegt sei. Am 17.08.2017 sei der Kläger im Vorfeld der Gerichtsverhandlung gegen X. im Nahbereich des Landgerichts W. und in Begleitung von Z. AA., AB. AC. und AD. AE. beobachtet worden. Letzterer sei eine Führungspersönlichkeit der salafistischen Szene Nordrhein-Westfalens. Am 20.10.2017 sei der Kläger erneut in einer Gruppe unter anderem mit den Brüdern AA., AD. AE. und U. V. als Prozessbesucher angetroffen worden. Am 15.11.2017 sei der Kläger gemeinsam mit Z. AA. in einem PKW in der AF. Innenstadt kontrolliert worden. Am selben Tag habe am OLG T. der 10. Prozesstag des Strafverfahrens gegen S. und P. Q. stattgefunden. Am 31.01.2018 sei der Kläger erneut in der Nähe des OLG T. und in Begleitung von AG. AH. festgestellt worden. Die Schwester des Klägers, AI. Q., sei mit P. Q. verheiratet, dessen Strafprozess gegenwärtig andauere. Wie auch ihr Ehemann werde AI. Q. als streng salafistisch beschrieben.
Mit Schreiben vom 20.08.2018 teilte das Niedersächsische Innenministerium folgende Erkenntnisse mit: Der Kläger sei im Zeitraum von Juni 2016 bis März 2018 (mit Schreiben vom 13.12.2018 korrigiert: 2017) achtmal Teilnehmer der Freitagsgebete im N. K. gewesen. Darüber hinaus habe er am Weihnachtsseminar vom 24.12. bis zum 27.12.2015 unter der Leitung S. s teilgenommen.
Nach vorangegangener Anhörung wies die Beklagte den Kläger mit Bescheid vom 17.12.2018 aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aus (1.), lehnte seinen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab (2.), forderte den Kläger zu einer freiwilligen Ausreise innerhalb von 30 Tagen auf und drohte ihm für den Fall, dass er die Ausreisefrist nicht einhält, die Abschiebung in die Türkei oder den Libanon an (3.). Weiterhin verfügte die Beklagte, dass das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 10 Jahre befristet wird (4.) und die ausgehändigte Aufenthaltserlaubnis sowie die Fiktionsbescheinigung vom Kläger innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides abzugeben sind (5.). Zur Begründung gab die Beklagte im Wesentlichen die ihr vom LKA Niedersachsen und der PI K. mitgeteilten Erkenntnisse wieder. Darüber hinaus führte sie Folgendes aus: In der Gesamtschau würden Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Kläger eine terroristische Vereinigung unterstütze oder zumindest unterstützt habe. Dass der Kläger von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen habe, sei nicht ersichtlich. Im Gegenteil habe auch die Abschiebung seines Bruders L. in den Libanon nicht dazu geführt, dass der Kläger seine Verhaltensweisen und Ansichten überdacht habe. Das daraus resultierende Ausweisungsinteresse wiege besonders schwer. Auch ein Bleibeinteresse wiege besonders schwer, da der Kläger im Bundesgebiet geboren und seitdem durchgehend im Besitz von Aufenthaltserlaubnissen gewesen sei. Weitere Bleibeinteressen lägen hingegen nicht vor. Zwar habe der Kläger einen anerkannten Schulabschluss erworben und zudem eine Ausbildung im Einzelhandel erfolgreich abgeschlossen. Er sei aber nicht wirtschaftlich oder sozial integriert, da er von seinem Arbeitgeber nicht in ein weiterführendes Beschäftigungsverhältnis übernommen worden sei. Stattdessen stehe er im Bezug öffentlicher Leistungen. Soweit ein Teil seiner Familie in Deutschland lebe, sei über engere familiäre Bindungen im Bundesgebiet nichts bekannt. Demgegenüber sei festzustellen, dass sich neben dem Bruder des Klägers noch weitere Verwandte im Libanon aufhielten. Hinsichtlich des Einreise- und Aufenthaltsverbots sei davon auszugehen, dass vom Kläger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe, weshalb eine Überschreitung der Regelfrist von 5 Jahren zulässig sei. Auch wenn ein Teil der Familie des Klägers in Deutschland lebe, wiege diese Gefahr weitaus schwerer. Die Befristung auf 10 Jahre sei auch sachgerecht, angemessen und verhältnismäßig.
Der Kläger hat am 17.01.2019 Klage erhoben.
Er trägt vor, die von der Beklagten angeführten Gründe seien zum Teil unzutreffend oder von Anfang an lediglich Unterstellungen in Blaue hinein. Sie seien ersichtlich nicht geeignet, die Ausweisung und den damit verbundenen Grundrechtseingriff zu rechtfertigen. Insbesondere die von der Beklagten angeführten Kontakte zu Personen, von denen die Beklagte behaupte, sie würden dem islamistischen Spektrum angehören, würden die Ausweisung nicht rechtfertigen. Er selbst habe sich nichts zu Schulden kommen lassen. Auch das von der Beklagten angeführte Zusammentreffen mit anderen Zuhörern des vor dem OLG T. geführten Staatsschutzverfahrens oder die Teilnahme an einem Fußballspiel könnten die angegriffene Verfügung weder einzeln noch in der Gesamtschau mit anderen Aspekten rechtfertigen.
Die Prozessvertreterin der Beklagten hat in der Verhandlung am 11.05.2023 die Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheides vom 17.12.2018 aufgehoben, soweit der Kläger aufgefordert worden war, seine Fiktionsbescheinigung abzugeben. Daraufhin haben die Beteiligten den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Der Kläger beantragt im Übrigen,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17.12.2018 zu verpflichten, seine Aufenthaltserlaubnis zu verlängern.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, aus den Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid werde hinlänglich erkennbar, dass der Kläger die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkenne und für diese darüber hinaus eine Gefahr darstelle. Der Kläger habe sich dem bewaffneten Jihad in Syrien anschließen wollen. Erkenntnisse, dass er von diesem Vorhaben zurückgetreten sei, lägen nicht vor. Vielmehr unterstreiche der fortwährende Kontakt des Klägers zu anderen Mitgliedern der islamistischen Szene dessen Entschluss für ein andauerndes staatsgefährdendes Handeln.
Während des Klageverfahrens hatte ein beim Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (BGH) geführtes Ermittlungsverfahren gegen den dort beschuldigten AJ. AK. wegen des Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in Bezug auf den Kläger Folgendes ergeben:
Der beschuldigte AK. rief am 02.02.2018 über seinen Telegram-Kanal zu einer Spendensammlung auf und bezeichnete den Aufruf als "Empfehlung einer neuen Stiftung "AL.", die noch "recht neu und daher noch ein sehr kleines Projekt von vertrauenswürdigen Geschwistern" sei. Im Spendenaufruf war ein Koranvers zitiert, der den bewaffneten Auszug in den Jihad thematisierte. Der Beschuldigte veröffentliche vier Sekunden nach dem Spendenaufruf ein Bild, das weitere Informationen enthielt und dem Aufruf und der "Stiftung" mutmaßlich einen offiziellen Charakter verleihen sollte. Tatsächlich stand hinter der "Stiftung" lediglich der Beschuldigte. Einen direkten Bezug zum IS wies der Spendenaufruf selbst nicht auf. Am 03.02.2018 folgte auf den Spendenaufruf auf dem Telegram-Kanal des Beschuldigten die Veröffentlichung des Videos eines Nasheeds. Das Nasheed war der Medienstelle AJNAD zuzuordnen, einer offiziellen Medienstelle des IS. Das Logo war auf der Miniaturansicht der Videodatei im Nachrichtenverlauf sowie beim Abspielen erkennbar. Am 05.02.2018 veröffentlichte der Beschuldigte den Spendenaufruf erneut und stellte 77 Minuten später zwei deutsch untertitelte und mit arabischen Nasheeds unterlegte Propagandavideos des IS mit Kampfhandlungen von IS-Kämpfern und der Enthauptung eines syrischen Soldaten ein. Im Anschluss an den Aufruf erhielt der Beschuldigte postalisch und via Paypal Geldsendungen. Eine postalische Geldsendung stammte vom Kläger. Dieser hatte per Einschreiben am 08.03.2018 in einem Briefumschlag, den er handschriftlich mit Adresse und Absender beschriftet hatte, 600 Euro in 50-Euroscheinen an den Beschuldigten AK. übersandt. Der Brief war von der Polizei geöffnet, die Scheine waren mit ihren Seriennummern erfasst und der Brief war alsdann wieder verschlossen an den Beschuldigten übersandt worden. Am 12.03.2018 veröffentlichte der Beschuldigte auf seinem Telegram-Kanal mit dem Text "Walhamdulillah erreichte uns eine großzügige Sadaqa in Höhe von 600,00 Euro" ein Foto der Geldscheine, auf dem die Seriennummer eines Scheines zu erkennen war. Der Schein konnte dem Brief des Klägers zugeordnet werden. Da der Beschuldigte vor der Geldübergabe festgenommen worden war, konnte er das mit der Spendensammlung eingenommene Geld keinem IS-Mitglied mehr übergeben.
Nach einem Vermerk des Generalbundesanwalts beim BGH vom 27.06.2019 war ein Ermittlungsverfahren gegen den Kläger durch die Generalbundesanwaltschaft nicht in Betracht gekommen, da die Ermittlungen keine belastbaren Anhaltspunkte ergeben hatten, dass der Kläger am Verbandsleben einer terroristischen Vereinigung teilgenommen oder eine fördernde Tätigkeit entfaltet hatte, das von ihm übersandte Geld dem IS nicht tatsächlich zugeflossen war und eine versuchte Unterstützung nicht strafbewehrt ist. Der Generalbundesanwalt beim BGH hatte die Ermittlungen gegen den Kläger daraufhin an die Generalstaatsanwaltschaft T. abgegeben, welche ihrerseits sodann gegen den Kläger wegen Terrorismusfinanzierung weiter ermittelt hatte. Am 17.12.2019 hatte die Polizei die Wohnung des Klägers durchsucht und mehrere elektronische Endgeräte (u.a. dessen Smartphone) sichergestellt. Anschließend hatte das LKA Niedersachsen das Handy des Klägers und die Bewegungen auf dem Girokonto des Klägers in dem Zeitraum vom 01.01.2018 bis zum 12.09.2019 ausgewertet. Mit Verfügung vom 02.11.2021 hatte die Generalstaatsanwaltschaft T. das Ermittlungsverfahren mit der Begründung eingestellt, dass kein hinreichender Tatverdacht gegen den Kläger wegen einer Straftat nach § 89c Abs. 1 Satz 1 StGB [Terrorismusfinanzierung] vorliege. Auch wenn der gesondert verfolgte AK. gleich zu Beginn vorgehabt haben sollte, mit dem gespendeten Geld den IS zu unterstützen, lasse sich diese Absicht nicht auch ohne Weiteres den Spendern und damit dem Kläger unterstellen.
Mit Urteil des OLG T. vom 24.02.2021 wurde S. wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und mit Terrorismusfinanzierung zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Der Schwager des Klägers, P. Q., wurde unter anderem wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in Tateinheit mit Beihilfe zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, mit Terrorismusfinanzierung sowie mit Anstiftung zu drei Fällen des Betruges zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 2 Wochen verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig.
Das Gericht hat am 15.03.2023 und 11.05.2023 mündlich verhandelt. In der Verhandlung am 11.05.2023 hat das Gericht die Schwester des Klägers. K., den ehemaligen Mitauszubildenden des Klägers AM. AN. und den Freund des Klägers. L. als Zeugen vernommen. Hinsichtlich der Zeugenaussagen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 11.05.2023 und wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Ermittlungsakten der Generalstaatsanwaltschaft T. Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.
Die Ausweisungsverfügung (1.), das Einreise- und Aufenthaltsverbot (2.), die Abschiebungsandrohung (3.) und die Aufforderung zur Abgabe der ausgehändigten Aufenthaltserlaubnis (4.) erweisen sich als rechtmäßig, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis oder die Erteilung einer anderen Aufenthaltserlaubnis (5.), § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
1. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig.
Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
a) Der Aufenthalt des Klägers stellt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar, weil der Kläger ein typisiertes besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erfüllt.
Nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse besonders schwer, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wovon unter anderem - und nur insoweit entscheidungserheblich - auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.
Der Begriff der Unterstützungshandlung, der § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zugrunde liegt, ist nach der Rechtsprechung des Eufach0000000005s weit auszulegen und anzuwenden, um damit auch der völkerrechtlich begründeten Zwecksetzung des Gesetzes gerecht zu werden, dem Terrorismus schon im Vorfeld die logistische Basis zu entziehen (BVerwG, Urt. vom 27.07.2017 - 1 C 28.16 -, juris Rn. 21f., BVerwGE 159, 270; Nds. OVG, Beschl. vom 14.10.2020 - 13 ME 278/20 -, juris Rn. 4; VGH München, Beschl. vom 17.06.2022 - 19 CS 19.1114 -, BeckRS 2022, 27404 Rn. 26). In objektiver Hinsicht werden alle Verhaltensweisen erfasst, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der terroristischen oder einer diese unterstützende Vereinigung auswirken. Darunter kann die Mitgliedschaft in der terroristischen oder in der unterstützenden Vereinigung ebenso zu verstehen sein wie eine Tätigkeit für eine solche Vereinigung ohne Mitgliedschaft. Auch die bloße Teilnahme an Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen kann eine Unterstützung in diesem Sinne darstellen, wenn sie geeignet ist, eine positive Außenwirkung im Hinblick auf die missbilligten Ziele zu entfalten. Dabei gilt für die Fälle des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ein abgesenkter Gefahrenmaßstab, der auch eine Vorfeldunterstützung des Terrorismus erfasst und keine von der Person ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr erfordert. Maßgeblich ist, inwieweit das festgestellte Verhalten des Einzelnen zu latenten Gefahren der Vorfeldunterstützung des Terrorismus nicht nur ganz unwesentlich oder geringfügig beiträgt und deshalb selbst potentiell als gefährlich erscheint. In subjektiver Hinsicht muss für den Ausländer das Bestreben oder die Zielrichtung des Handelns der den Terrorismus unterstützenden Vereinigung erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auf eine darüberhinausgehende innere Einstellung des Ausländers kommt es nicht an (BVerwG, Urt. vom 27.07.2017 - 1 C 28.16 -, juris Rn. 21f.; Nds. OVG, Beschl. vom 14.10.2020 - 13 ME 278/20 -, juris Rn. 4).
Notwendig ist das Vorliegen von Tatsachen, die in einer Gesamtschau eine große Wahrscheinlichkeit für die Unterstützung begründen, um die Schlussfolgerung zu rechtfertigen, dass der Ausländer eine Vereinigung, die den Terrorismus unterstützt, unterstützt oder unterstützt hat (vgl. VG Karlsruhe, Urt. vom 17.01.2023 - 8 K 702/21 -, juris Rn. 92 unter Bezugnahme auf BVerwG, Urt. vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 -, juris Rn. 12, und vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 -, juris Rn. 16; VGH Bad.-Württ., Beschl. vom 25.05.2022 - 12 S 3327/20 -, juris Rn. 9). Dabei gilt sowohl für das Tatbestandsmerkmal "Vereinigung, die den Terrorismus unterstützt" als auch für das Vorliegen von Indiztatsachen, die den Schluss auf eine Zugehörigkeit des Ausländers zu der Vereinigung oder ihre Unterstützung rechtfertigen, der normale Beweismaßstab der vollen gerichtlichen Überzeugung. Für die Frage, ob die festgestellten Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der betroffene Ausländer der Vereinigung tatsächlich angehört oder sie individuell unterstützt hat, gilt hingegen ein reduzierter Beweismaßstab und bedarf es nicht der vollen gerichtlichen Überzeugung (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.07.2013 - 1 C 9/12 -, BVerwGE 147, 261-278, Rn. 12, und vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 -, BVerwGE 141, 100 Rn. 16). Erforderlich ist dabei nicht, dass die Tatsachen keinen anderen Schluss als den der Tatbestandserfüllung zulassen, sie müssen nur nach vernünftiger Wertung diesen Schluss zulassen. Reine Vermutungen oder der bloße Verdacht einer Unterstützungshandlung genügen insoweit nicht (VGH Bad.-Württ., Beschl. vom 25.05.2022 - 12 S 3327/20 -, juris Rn. 10 unter Bezugnahme auf BVerwG, Urt. vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 -, juris Rn. 12, und vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 -, juris Rn. 16; Fleuß in Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Stand 01.04.2022, § 54 Rn. 73 f.). Es müssen jedenfalls hinreichend verwertbare und belegbare Tatsachen vorliegen, die die Schlussfolgerung im Sinne des Ausweisungstatbestands rechtfertigen (BayVGH, Beschl. vom 12.10.2009 - 10 CS 09.817 -, juris Rn. 22).
Aufgrund der bestandskräftigen Verbotsverfügung des Niedersächsischen Innenministeriums vom 07.03.2017 steht zur richterlichen Überzeugung fest, dass der N. K. eine Vereinigung war, die den Terrorismus unterstützt hat. Zugleich steht aufgrund der Verbotsverfügung des Bundesministeriums des Inneren und für Heimat vom 12.09.2014 fest, dass es sich bei dem IS um eine Terrororganisation handelt.
Der Kläger gefährdet die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, weil Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er den N. K. (dazu unter aa) und bb)) und den IS (dazu unter cc) und dd)) unterstützt hat, und er von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln keinen Abstand genommen hat (dazu unter ee)).
aa) Tatsachen rechtfertigen in ihrer Gesamtschau den Schluss, dass der Kläger den N. K. unterstützt hat.
Folgende Anknüpfungstatsachen stehen zur Überzeugung des Gerichts fest:
(1) Der Kläger hat die Moschee des N. K. bis zu ihrer Schließung wiederkehrend zum Beten aufgesucht.
So hat der Kläger zunächst die Behauptung des Niedersächsischen Innenministeriums in seinem Schreiben vom 20.08.2018, er habe die Moschee, oft mehrfach am Tag, zum Beten aufgesucht, und er sei in dem Zeitraum von Juni 2016 bis März 2017 achtmal Teilnehmer der Freitagsgebete im N. K. gewesen, in der Verhandlung am 15.03.2023 zugestanden, indem er gesagt hat, er sei ab und zu zum Freitagsgebet gegangen, es sei für ihn eine normale Moschee gewesen, in der auf Deutsch gebetet worden sei. Nach der Vorlage eines Bildberichts durch Vertreter des Niedersächsischen Innenministeriums zu den letzten 13 Tagen des Ramadan 2016 - in dem Jahr war der Fastenmonat Ramadan vom 06.06. bis zum 04.07.20216 - hat der Kläger in der Verhandlung außerdem eingeräumt, es könne gut so gewesen sein, dass er bei dem Ramadan - also über den gesamten Monat - regelmäßig in die Moschee gegangen sei. Zugestanden hat der Kläger in derselben Verhandlung zudem, S. aus den Freitagspredigten zu kennen.
(2) Der Kläger hat die Moschee des N. K. während der letzten 13 Tage des Ramadan 2016 täglich und teilweise mehrfach und nicht nur zum Gebet aufgesucht.
Nachdem die Vertreter des Niedersächsischen Innenministeriums in der Verhandlung am 15.03.2023 den Bildbericht zu den letzten 13 Tagen des Ramadan 2016 vorgelegt und dazu ausgeführt hatten, dass es sich bei den letzten 10 Tagen des Fastenmonats um den Itikaf, die Zeit des Rückzugs und der Absonderung der Gläubigen in der Moschee (vgl. FoDEX-Studie Nr. 10, 2022, Der "AP. K.", S. 52 Fn. 259) gehandelt habe, hatte der Kläger zwar erklärt, bei "diesen engen Zusammenkünften am Ramadan" sei er nie dabei gewesen. Diese Aussage ist jedoch durch einen weiteren Bildbericht des Niedersächsischen Innenministeriums, den die Beklagte zur Vorbereitung auf die Verhandlung am 11.05.2023 vorgelegt hatte, widerlegt. Ausweislich der Fotos ist der Kläger im Jahr 2016 während der letzten 13 Tage des Ramadan nicht nur täglich in der Moschee gewesen, sondern an mehreren Tagen auch mehrfach ein- und ausgegangen. Dazu hatte er zumindest am 26.06. und 27.06.2016 für den Itikaf Lebensmittel (Fladenbrote und Dosen sowie Pakete mit mutmaßlich Pizza) zum Fastenbrechen in die Moschee mitgebracht. Auf Vorhalt dieser umfänglicheren Fotodokumentation in der Verhandlung am 11.05.2023 hat der Kläger dann erklärt, dass er wohl öfters zum Fastenbrechen in die N. Moschee gegangen sei, Leute vor der Tür getroffen und beim Reinschleppen von Sachen zum Fastenbrechen geholfen habe. Von seinem Schwager P. Q. sei er mitgenommen worden zu dem langen freiwilligen Gebet nach dem Fastenbrechen. Schließlich hat der Kläger eingeräumt, dass er dort nicht nur zum gemeinsamen Gebet gewesen war, sondern dort auch mit anderen zusammengesessen und sich unterhalten hatte. Ausweislich eines von den Vertretern des Niedersächsischen Innenministeriums in der Verhandlung vom 11.05.2023 vorgelegten Flyers war vom N. K. im Jahr 2016 zu "10 Tagen "Itikaf" mit Scheikh S." extra eingeladen worden. Es war mit gemeinsamen Gebeten und Unterricht zum Koran und zu wichtigen Büchern der Aqidah sowie mit ausreichenden Schlafmöglichkeiten und kostenloser Verpflegung geworben worden.
(3) Auch die Angabe des Niedersächsischen Innenministeriums in seinem Schreiben vom 20.08.2018, der Kläger habe "am Weihnachtsseminar vom 24.12. - 27.12.2015 unter der Leitung S. s" teilgenommen, hat der Kläger in der Verhandlung am 15.03.2023 zugestanden und seine Teilnahme an zwei Tagen hintereinander bestätigt.
(4) In der Gesamtschau der Besuche der Moschee zu Freitagsgebeten und Predigten von S., der täglichen Besuche der Moschee zum Itikaf 2016 nebst der Versorgung der Gläubigen mit Essen zum Fastenbrechen und der Teilnahme an dem Weihnachtsseminar 2015 ergibt sich, dass der Kläger den N. K. bis zu dessen Verbot nicht nur geringfügig unterstützt hat.
Die bestärkende Wirkung, die wiederholte Moscheebesuche zu unterschiedlichen Anlässen für salafistische Vereinigungen haben, ist nicht zu unterschätzen. Die Rekrutierung und Indoktrinierung von Anhängern wird nicht nur vereinfacht, sondern vielfach erst ermöglicht, wenn derartige Vereinigungen sich als gemeinschaftsstiftende Orte darstellen können und so zu Anlaufstellen für andere Muslime werden. Je mehr Personen sich in diesen Gemeindezentren aufhalten, umso einladender wirken sie auf Außenstehende (Nds. OVG, Beschl. vom 14.10.2020 - 13 ME 278/20 -, juris Rn. 7; vgl. auch Bauer in Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 54 Rn. 43). Dienen Veranstaltungen einer Vereinigung, die den Terrorismus unterstützt, erkennbar dazu, nicht nur einzelne Meinungen kundzutun, sondern soll durch die - auch massenhafte - Teilnahme jedenfalls auch die Vereinigung selbst vorbehaltlos und unter Inkaufnahme des Anscheins der Billigung ihrer terroristischen Bestrebungen gefördert werden, dann liegt ein potenziell gefährliches Unterstützen auch in der Teilnahme. Ebenso ist es einzuordnen, wenn bei einer wertenden Gesamtschau feststeht, dass der Ausländer auch als Nichtmitglied in einer inneren Nähe und Verbundenheit zu der Vereinigung steht, die er durch sein Engagement als ständiger (passiver) Teilnehmer zum Ausdruck bringt, und damit deren Stellung in der Gesellschaft (vor allem unter Landsleuten bzw. Gläubigen gleicher Religion) begünstigend beeinflusst, ihre Aktionsmöglichkeiten und eventuell auch ihr Rekrutierungsfeld erweitert und dadurch zu einer Stärkung ihres latenten Gefahrenpotentials beiträgt (VGH Bad.-Württ., Urt. vom 13.01.2016 - 11 S 889/15 -, juris Rn. 83).
So hatte auch die Anwesenheit des Klägers in der Moschee des N. K. zu den verschiedenen Anlässen im Hinblick auf die Ziele des N. K., den IS zu unterstützen, eine positive Auswirkung. Der N. K. hat durch die Teilnahme von Personen wie dem Kläger an Freitagsgebeten und Angeboten zum Itikaf sowie Seminaren auch diejenigen erreicht, die sich schließlich aktiv dem IS angeschlossen haben und beispielsweise nach einem Anwerben ausgereist sind, um für den IS in Syrien oder im Irak zu kämpfen oder im Bundesgebiet Terroranschläge zu verüben. Darüber hinaus hat der Verein aufgrund des Zulaufs durch Personen wie dem Kläger auch diejenigen in ihren Entschlüssen bestärken können, die bereits einen Entschluss zur Ausreise oder zu einem Anschlag gefasst hatten. So wurde in den Seminaren aktiv für die Ausreise zum IS und die Teilnahme am Jihad geworben (Verbotsverfügung S. 14). Und im Anschluss an konspirative Besuche in der N. -Moschee und der dort abgehaltenen Seminare sind nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes insgesamt mindestens 15 Personen nach Syrien oder in den Irak ausgereist (Verbotsverfügung Seite 56f.). Das Gericht hat im Übrigen bereits in einem vorangegangenen Klageverfahren die Teilnahme an dem von S. geleiteten Osterseminar 2016 als Unterstützungshandlung, die den Tatbestand des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erfüllt, angesehen (vgl. VG Hannover, Urt. vom 04.10.2022 - 12 A 4490/20 -, juris Rn. 49 ff.; vgl. auch Nds. OVG, Beschl. vom 14.10.2020 - 13 ME 278/20 -, juris Rn. 8).
bb) Dem Kläger sind die Bestrebungen und die Zielrichtung des Handelns des N. K. als einer den Terrorismus unterstützenden Vereinigung auch zurechenbar, weil sie für ihn erkennbar waren.
Zwar hat der Kläger in der Verhandlung am 15.03.2023 behauptet, er habe bei den Freitagsgebeten nichts gemerkt, es sei bei den Predigten nichts Verfängliches gesagt worden, er könne sich an die Inhalte des Weihnachtsseminars nicht mehr erinnern und habe den Text des arabischen Nasheeds, das gesungen worden sei, nicht verstanden. Zumindest hinsichtlich seiner Teilnahme an dem Seminar wertet das Gericht die Angaben des Klägers jedoch als Schutzbehauptung. Das Gericht ist davon überzeugt, dass für Seminarteilnehmer die Bestrebungen und die Zielrichtung des N. K. erkennbar waren (vgl. Urteil der Kammer vom 04.10.2022 - 12 A 4490/20 -, der Kläger in dem Verfahren war Teilnehmer des Osterseminars 2016). Die Radikalisierung innerhalb des N. K. ergab sich insbesondere im Zusammenhang mit den von S. durchgeführten Islamseminaren (Verbotsverfügung S. 21; FoDEX-Studie Nr. 10, 2022, Der "AP. K.", S. 50), weshalb sie auch für den Kläger bei seiner Teilnahme an dem Weihnachtsseminar 2015 in der N. -Moschee erkennbar gewesen sein muss. Als Teilnehmer des Seminars können dem Kläger die Inhalte und die Aussagen S. s nicht entgangen sein. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Kläger nicht mitbekommen haben will, wie an alle Teilnehmer unter Androhung von Gewalt ("die Knochen brechen") die Anweisung erteilt worden war, keine Ton- und/oder Bildaufzeichnungen anzufertigen und zu dem Aufruf, Spione zu melden, geäußert worden war, dass diese die Moschee nicht lebend verlassen würden (Verbotsverfügung S. 21). Selbst wenn der Kläger Arabisch nicht besonders gut beherrscht, muss er darüber hinaus doch erkannt haben, dass es sich bei dem gesungenen Nasheed um ein Kampflied für die Kämpfer des IS gehandelt hat. Auch nach Auffassung des Eufach0000000005s ist durch eine Teilnahme an einem von S. geleiteten Seminar eine Zugehörigkeit sämtlicher Besucher zur salafistisch-jihadistischen Szene in Deutschland belegt (Urt. vom 16.01.2018 - 1 VR 12.17 -, juris Rn. 31).
Die jihadistische Ausrichtung des N. K. wurde von den in der Moschee des Vereins auftretenden Predigern getragen, die alle als Vertreter des salafistisch-jihadistischen Spektrums zu betrachten sind (Verbotsverfügung S. 14). Diese Personen nutzten ihre Predigten, um ihre radikalen Ansichten weiterzugeben und die Moscheebesucher zu radikalisieren (Verbotsverfügung S. 14). So heißt es in der Verbotsverfügung zu dem hauptamtlichen Imam der Moschee S., er habe durch seine Predigten sowie in Gesprächen junge Muslime zu Ausreisen in den Jihad bewegt und habe durch seine ständige Präsenz in der Moschee und das konstante Halten von Vorträgen und Predigten entscheidenden Einfluss auf Ausreisewillige gehabt (Verfügung S. 15). Auch im Rahmen der regulären Predigten von S. sei seine jihadistisch-salafistische Ideologie und seine klare Abgrenzung zu den Ungläubigen sowie teilweise die Verherrlichung des Jihads deutlich geworden (Verbotsverfügung S. 24).
Darüber hinaus ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger dem N. K. sehr viel mehr verbunden war, als es sich in den zugestandenen Besuchen der Moschee widerspiegelt. Der Kläger bewegt sich seit langer Zeit in zwei Freundeskreisen, von denen sich der eine aus Personen zusammensetzt, die eng mit dem N. K. verbunden waren. So war zunächst sein Schwager und Cousin P. Q., der Ehemann seiner Schwester AI., zum Zeitpunkt des Verbots des N. K. aktives Mitglied des Vereins und darüber hinaus derart in den Verein involviert, dass er vom OLG T. mit Urteil vom 24.02.2021 wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in Tateinheit mit Beihilfe zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, mit Terrorismusfinanzierung sowie mit Anstiftung zu drei Fällen des Betruges zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 2 Wochen verurteilt worden ist. Soweit der Kläger zu seinem Schwager in der Verhandlung am 15.03.2023 angegeben hat, er habe nicht gewusst, welche Funktion dieser im N. K. wahrgenommen habe, überzeugt dies nicht, da sich aus den Angaben des Klägers ergibt, dass er mit seinem Schwager offensichtlich eng verbunden war. So hat der Kläger in der Verhandlung am 15.03.2023 ausgeführt, er habe ihn in der Haft besucht, da er ihn gemocht habe und sie als jüngere Kinder immer zusammen gespielt hätten. Zudem hat er in der Verhandlung am 11.05.2023 zum Ramadan im Jahr 2016 angegeben, sein Schwager und seine Schwester hätten in der Nähe gewohnt, weshalb sie oft gemeinsam das Fasten gebrochen hätten. Sein Schwager habe ihn danach mitgenommen zu den langen freiwilligen Gebeten nach dem Fastenbrechen. Auch hat der Kläger nach eigenen Angaben in der Verhandlung am 11.05.2023 gewusst, dass P. Q. während des Itikafs in der Moschee übernachtet hatte, da er ihm dafür Sachen vorbeigebracht hatte. Neben Q. gehörten zum Zeitpunkt des Verbots des N. K. auch der Jugendfreund des Klägers AB. AC. sowie die vom Kläger in den Verhandlungen am 15.03.2023 und 11.05.2023 benannten Freunde AQ., AR. und AS. AT., AU. AV. sowie Z. und AW. AA. zu den aktiven Vereinsmitgliedern. Die Erklärungen des Klägers in der Verhandlung am 11.05.2023, die Freunde hätten teilweise gar nicht gewusst, dass sie im N. K. als aktive Mitglieder geführt worden seien, sie hätten sich nur in eine Liste eingetragen, um den Vorstand wählen zu können, und er habe nie mitbekommen, dass die Brüder AT. irgendwie radikal gewesen seien, sie seien ihm ganz harmlos erschienen und sie hätten sich über normale Sachen wie Animes und Ähnliches unterhalten, stellen nach dem Gesamteindruck der mündlichen Verhandlung Schutzbehauptungen dar. AQ. AT. war zum Zeitpunkt des Vereinsverbots sogar Vorstandsmitglied und Jugendsprecher des N. K.. Er war in die logistischen Vorbereitungen für die Ausreisen zweier Personen zum Zwecke der Teilnahme am Jihad involviert, woraus der Schluss gezogen werden kann, dass er verfassungsfeindliche Ansichten besitzt. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung wurden auf zwei Notebooks Propagandamaterial des IS sowie Enthauptungsvideos festgestellt. Auf seinem Mobiltelefon fand sich ein gewaltverherrlichendes Video über Massenhinrichtungen des IS (Verbotsverfügung S. 36). AU. AV. war ausweislich der Ermittlungsakten der Generalstaatsanwaltschaft T. der Kontaktmann des N. K. zu dem Attentäter des Anschlags auf den Berliner Weihnachtsmarkt am 19.12.2016, Anis Amri (vgl. auch Verbotsverfügung S. 38). Dass AV. salafistisch-jihadistischen Ansichten vertritt, ergibt sich unter anderem daraus, dass er auf facebook Beiträge von S. und AX. geteilt hatte (Verbotsverfügung S. 38). Auch Z. AA. zeigte auf facebook Sympathien für den Salafismus und den IS (Verbotsverfügung S. 39). Sowohl AB. AC. als auch AW. AA. ließen ausweislich des Schreibens der PI K. vom 02.05.2023 nach ihren optischen Erscheinungsbildern im Übrigen keine Zweifel an ihrer Zugehörigkeit zur salafistischen Szene.
Eine enge Verbindung des Klägers zum N. K. lässt sich darüber hinaus an einer von ihm im nahen zeitlichen Zusammenhang mit der Schließung der N. -Moschee versandten Whatsapp-Nachricht festmachen. Die Auswertung des sichergestellten Handys des Klägers hat ausweislich des Auswerteberichts des LKA Niedersachsen vom 31.05.2021 unter anderem ergeben, dass sich auf dem Smartphone des Klägers eine Whatsapp-Gruppe "AY." mit 162 Teilnehmern befand. Der Kläger hatte am 14.03.2017 in dem Chat die weiteren Teilnehmer aufgefordert, sich zu erkundigen, ob bei den "Geschwistern" alles in Ordnung sei ("Fragt mal in shaa Allah rum ob bei jedem unserer Geschwister alles oke ist zu denen ihr Kontakt habt ... Während derer Razzien weiß man nie was die mit einem machen diese Hinterhältigen!!"). Die Angabe des Klägers in der Verhandlung am 15.03.2023, er sei im Zusammenhang mit dem N. K. in keiner Whatsapp-Gruppe gewesen, ist damit im Übrigen widerlegt.
cc) Weiterhin liegt mit der Geldsendung des Klägers vom 08.03.2018 an AJ. AK. eine Tatsache vor, die die Schlussfolgerung rechtfertigt, dass der Kläger auch den IS unterstützt hat.
Dabei steht der Annahme der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung grundsätzlich nicht entgegen, dass das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden war, nachdem der Generalbundesanwalt beim BGH die Geldsendung nur als versuchte und damit nicht strafbewehrte Unterstützung einer terroristischen Vereinigung eingeordnet hatte, weil das Geld dem IS noch nicht zugeflossen war, und die Generalstaatsanwaltschaft T. zudem den Strafvorwurf der Terrorismusfinanzierung mit der Begründung verneint hatte, dass die Absicht des AJ. AK., mit dem ihm zugesandten Geld den IS zu unterstützen, nicht ohne weiteres dem Kläger unterstellt werden könne. Nach der Rechtsprechung des Eufach0000000005s ist für die Annahme eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht Voraussetzung, dass die Schwelle der Strafbarkeit überschritten wird, da die Vorschrift der präventiven Gefahrenabwehr dient (BVerwG, Urt. vom 27.07.2017 - 1 C 28.16 -, juris Rn. 19; vgl. auch Bauer in Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 54 Rn. 30).
Die Unterstützungsbegriffe im Ausweisungsrecht - und zwar sowohl derjenige der Unterstützung des Terrorismus durch die Vereinigung als auch der davon zu unterscheidende Begriff der individuellen Unterstützung der Vereinigung durch den Ausländer - sind nicht deckungsgleich mit dem strafrechtlichen Begriff des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung in § 129a Abs. 5 StGB (vgl. BVerwG, Urt. vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 -, juris Rn. 20, 21). Anders als die Strafvorschrift des § 129a Abs. 5 StGB setzt § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG keinen Erfolg voraus und umfasst auch den Versuch. So muss schon nach dem Wortlaut des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG - "wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er [der Ausländer] ...eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat" - die Unterstützungshandlung nur abstrakt geeignet sein, sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der terroristischen Vereinigung auszuwirken, eines konkreten Erfolges in Form eines messbaren Nutzens der Handlung für die terroristische Vereinigung bedarf es nicht. Auch nach dem Zweck der Ausweisungsnorm, zukünftige Gefahren abzuwehren, ist eine Differenzierung zwischen vollendeter und versuchter Unterstützung untunlich. Denn aus der Unterstützungshandlung wird eine Wiederholungsgefahr abgeleitet. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Person erneut entsprechend handelt, ist auch dann nicht geringer, wenn der beabsichtigte Erfolg nicht eingetreten ist. Schließlich entstünde im Falle finanzieller Zuwendungen an eine terroristische Vereinigung, die nach dem Willen des Gesetzgebers dem Tatbestand des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG unterfallen sollen (BT-Drs. 14/8009, 6; vgl. BayVGH, Urt. vom 27.10.2017 - 10 B 16.1252 -, juris Rn. 50), mit einem anderen Begriffsverständnis ein Wertungswiderspruch. Würde die Verwirklichung des ausweisungsrechtlichen Unterstützungstatbestands einen konkreten Erfolg voraussetzen, würden Geldsendungen, die - wie im Falle der Verhaftung des AK. - die terroristische Vereinigung nicht erreichen, dem Tatbestand des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht unterfallen, obwohl sie nach § 89c Abs. 1 Satz 1 StGB als Terrorismusfinanzierung bereits strafbar sind, weil dafür das bestimmungsgemäße Abschicken des Geldes genügt (vgl. Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, 30. Aufl. 2019, StGB § 89c Rn. 3 und die Einstellungsverfügung der Generalstaatsanwaltschaft T. vom 02.11.2021).
Danach ist auch die Geldsendung des Klägers als Unterstützungshandlung zu bewerten. Der Kläger hatte mit der Versendung der 600 Euro von seiner Seite alles getan, um den IS über den Vermittler AJ. AK. finanziell zu unterstützen. Der Kläger hatte die Geldsendung zur Post gebracht und mittels Einschreiben an den Vermittler versandt. Dieser hatte das Geld auch erhalten und sich auf der Internetseite des Spendenaufrufs nach außen sichtbar für die großzügige Spende bedankt.
dd) Der Vorsatz des Vermittlers AJ. AK., den IS mit Spenden zu unterstützen, war für den Kläger auch erkennbar und ihm zurechenbar.
Ausweislich der Anklageschrift des Generalbundesanwalts beim BGH vom 26.10.2018 hatte der dort angeschuldigte AJ. AK. über die von ihm betriebene Medienstelle AZ. über verschiedene Medien wie Telegram, Youtube und Facebook Propaganda des IS einem deutschen Adressatenkreis zur Verfügung gestellt, durch die Veröffentlichung von ihm bearbeiteter und kommentierter IS-Propagandavideos die Abonnenten seiner Kanäle aufgerufen, sich in das Gebiet des IS in Syrien und Irak zu begeben und sich dort mitgliedschaftlich in die Organisation des IS einzufügen. Zudem hatte er die Abonnenten seiner Kanäle zu Spendengeldzahlungen aufgefordert. Bei dem Spendenaufruf über seinen Telegram-Kanal am 02.02.2018 hatte er beabsichtigt, bei den Abonnenten seines Kanals die Bereitschaft zu wecken, den IS direkt oder über eines seiner Mitglieder zu fördern.
Aufgrund des im Spendenaufruf zitierten Koranverses und des einen Tag später auf dem Telegram-Kanal veröffentlichten Videos eines Nasheeds mit dem Logo der Medienstelle des IS sowie des erneuten Spendenaufrufs in Verbindung mit zwei Propagandavideos des IS konnten die Abonnenten des Telegram-Kanals die Verbindung des Spendenaufrufs mit dem IS erkennen. Auch der Generalbundesanwalt beim BGH ist ersichtlich davon ausgegangen, dass für die Abonnenten die Unterstützung des IS erkennbar war, da er den Angeschuldigten AK. für das Spendensammeln angeklagt hat.
Im vorliegenden Verfahren ist das Gericht nach dem Gesamteindruck, den es vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, davon überzeugt, dass der Kläger entweder als Abonnent des Telegram-Kanals den Spendenaufruf selbst verfolgt hatte oder aber aus seinem Freundeskreis heraus über den Spendenaufruf zugunsten des IS informiert worden war. Insbesondere aufgrund der Verhandlung am 11.05.2023 hat das Gericht weitergehende Erkenntnisse als die Generalstaatsanwaltschaft in T., in deren Ermittlungsverfahren der Kläger zu keiner Zeit vernommen worden war. So hat der Kläger in der Verhandlung vom 11.05.2023 nicht ausgeschlossen, dass er auch Abonnent des Telegram-Kanals war. Seine Behauptung, der Geldbetrag der 600 Euro sei von mehreren Leuten zusammengelegt worden und er habe etwas hinzugegeben und das Geld sodann verschickt, mag noch der Wahrheit entsprechen. Als reine Schutzbehauptung wertet das Gericht jedoch die Erklärung des Klägers, das Geld sei in seinen Augen für ein Brunnenprojekt bestimmt gewesen. So ist der Vortrag schon in sich nicht schlüssig, wenn der Kläger sagt, es sei um den Bau von Brunnen gegangen und an den Brunnen hätten später die Namen der Spender stehen sollen. Der von ihm versandte Brief trug als Absender nur seinen eigenen Namen und enthielt auch im Umschlag keine Angaben zu den übrigen vermeintlichen Spendern. Unglaubhaft sind die Angaben des Klägers in der Verhandlung auch insoweit, als er behauptet hatte, er habe den Umschlag schon mit der Adresse darauf von jemanden erhalten. Nachdem ihm das Gericht vorgehalten hatte, dass die Anschrift offenkundig von ihm notiert worden war, hatte sich der Kläger korrigiert, dass er wohl einen gesonderten Zettel mit der Adresse bekommen habe. Nicht plausibel hat der Kläger schließlich machen können, warum die Spenden für einen Brunnenbau von mehreren Personen gesammelt und von ihm dann ohne jegliches Anschreiben versandt worden sein sollen.
ee) Der Kläger hat von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln nicht erkennbar und glaubhaft Abstand genommen.
Ein solches Abstandnehmen, für das der Ausländer die Darlegungs- und Beweislast trägt, setzt voraus, dass äußerlich feststellbare Umstände vorliegen, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Ausländer seine innere Einstellung verändert hat und auf Grund dessen künftig von ihm keine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland mehr ausgeht. Das Erfordernis der Veränderung der inneren Einstellung bedingt es, dass der Ausländer in jedem Fall einräumen muss oder zumindest nicht bestreiten darf, in der Vergangenheit durch sein Handeln die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet zu haben (BVerwG, Beschl. vom 25.04.2018 - 1 B 11.18 -, juris Rn. 12, unter Bezugnahme auf BVerwG, Urt. vom 20.03.2012 - 5 C 1.11 - BVerwGE 142, 132 Rn. 47 zu § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG). Ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist nur dann zu verneinen, wenn im konkreten Fall besondere Umstände vorliegen, die der gesetzlichen Festlegung einer Gefahr widersprechen oder die Gefahr beseitigen; hierfür reicht ein rein passives Verhalten nicht aus, stets sind eindeutige Erklärungen oder Verhaltensweisen zu verlangen, die eine erkennbare Distanzierung aus innerer Überzeugung glaubhaft zum Ausdruck bringen (BVerwG, Urt. vom 25.07.2017 - 1 C 12.16 -, juris Rn. 21).
Hier hat der Kläger zwar in den Verhandlungen am 15.03.2023 und 11.05.2023 die oben angeführten Anknüpfungstatsachen eingeräumt. Er hat sie aber teilweise erst dann und auch jeweils nur soweit zugestanden, als ihm das Gericht die Tatsachen vorgehalten hat. So hatte er in der Verhandlung am 15.03.2023 zunächst behauptet, er sei lediglich zu Freitagsgebeten in der N. -Moschee gewesen und die Anzahl der Besuche habe man "an der Hand abzählen" können. Als ihm das Gericht sodann ein Foto von einem Moscheebesuch am 28.06.2016 (einem Dienstag) vorgehalten hat, hat er gemeint, es könne sein, dass er seinem Schwager an dem Tag etwas vorbeigebracht gehabt habe. Erst als die Vertreter des Niedersächsischen Innenministeriums den Bildbericht mit Aufnahmen von mehreren Tagen aus dem Ramadan 2016 in die Verhandlung eingeführt hatten, hat er mitgeteilt, es möge sein, dass er bei dem Ramadan öfter für kurze Gebete dagewesen sei. Als das Gericht dem Kläger in der Verhandlung am 11.05.2023 schließlich unter Hinweis auf den weiteren Bildbericht des Niedersächsischen Innenministeriums, den die Beklagte zur Vorbereitung auf die Verhandlung vorgelegt hatte, vorgehalten hat, dass er die Moschee in den letzten 13 Tagen des Ramadan 2016 täglich und teilweise sogar mehrfach am Tag und in der Nacht besucht und Lebensmittel mitgebracht hatte, hat er zugegeben, sich dort nicht nur zu Gebeten, sondern auch zum Fastenbrechen und zu gemeinsamen Unterhaltungen aufgehalten zu haben.
Auch in Bezug auf zwei Fahrten am 17.08.2017 und 20.10.2017 zu Gerichtsverhandlungen in einem Staatsschutzverfahren gegen X. am Landgericht W. hat der Kläger erst nur eine Fahrt und nur auf Vorhalt auch die zweite Fahrt eingeräumt. Seine Aktivität in einer WhatsApp-Gruppe mit Bezug zum N. K. hat er in der Verhandlung am 15.03.2023 zumindest heruntergespielt (als eine Gruppe von jungen Muslimen, die nichts mit dem N. zu tun gehabt hätten, der er kaum gefolgt sei und sie nach einigen Wochen wieder verlassen habe). Erst in der Verhandlung am 11.05.2023 hat er zugestanden, in der WhatsApp-Gruppe "AY." gewesen zu sein und sich dort zur Razzia im N. K. geäußert und zum Fasten aufgerufen zu haben, nachdem das Gericht ihn mit dem Ergebnis der Auswertung seines Handys im Ermittlungsverfahren der Generalstaatsanwaltschaft T. konfrontiert hatte.
Daneben hat der Kläger auch nicht anerkannt, dass er mit seinem Handeln den N. K. und den IS unterstützt hat. Vielmehr hat er lediglich ins Feld geführt, er sei naiv gewesen und es habe sich um Missverständnisse gehandelt. Auch wenn der Kläger möglicherweise nicht sämtliche Überzeugungen der Hauptakteure des N. K. und des IS teilt und er lediglich ein Mitläufer sein sollte, wie seine Schwester, die Zeugin. K., in der Verhandlung am 11.05.2023 bekundet hat, stellt sein Verhalten dennoch eine Unterstützung und Gefährdung dar.
Auch weitere Äußerungen des Klägers lassen keine Auseinandersetzung und nachvollziehbare Abkehr erkennen. Zwar hat der Kläger in der Verhandlung am 15.03.2023 bekundet, er lehne den islamistischen Terror und die Kriege, die "da unten" geführt würden, absolut ab. Auf die Frage, ob er das Ziel oder die Methoden des IS ablehne, hat er aber lediglich ausgeführt, dass er Kriege für einen falschen Weg und das Ziel des IS, einen islamistischen Staat einzurichten, für sinnlos halte, weil sich dort schon lauter von der Scharia geprägte Staaten befänden. Eine kritische Haltung beispielsweise zum Völkermord an den Yeziden und den zahlreichen weiteren Verbrechen, die der IS begangen hat, lässt sich dem nicht entnehmen. Der Kläger hat keinerlei Bedauern darüber geäußert, ein derartiges Terrorregime unterstützt zu haben, sondern lediglich die negativen Konsequenzen der behördlichen Maßnahmen für seine Familie und persönliche Lebensplanung beklagt. Auch zu der gescheiterten Ausreise seines Bruders L. zum IS hat er nur seine Empörung darüber zum Ausdruck gebracht, dass der Bruder einfach gegangen sei und die Familie im Stich gelassen habe, nicht aber darüber, dass dieser sich dem IS hatte anschließen wollen. Soweit der Kläger in der Verhandlung am 15.03.2023 behauptet hat, sich in letzter Zeit nicht mehr mit Angehörigen der islamistischen Szene zu treffen, hat er als Grund dafür auch nicht inhaltliche Differenzen, sondern die Corona-Zeit angeführt. Das Argument des Klägers, der Insider BA. BB. habe ihn mit seiner Aussage gegenüber der Beklagten entlastet, trägt ebenfalls nicht. Zwar hatte BB. in seiner Befragung am 23.09.2020 zum Kläger angegeben, dieser habe keinen Ausreisewillen gehabt und sei kein IS-Anhänger, sondern heuchele die Religion. Zuvor hatte er ihn aber auch als Besucher der N. -Moschee und "Sympathisant vom IS, ohne Anhänger von S. zu sein" bezeichnet.
Da der Kläger nach alledem nicht glaubhaft Abstand genommen hat, ist das Ausweisungsinteresse auch gegenwärtig noch aktuell und besteht eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (vgl. zur gesetzlichen Konzeption VGH Bad.-Württ., Beschl. vom 19.07.2019 - 11 S 1631/19 -, juris Rn. 27).
b) Die nach § 53 Abs. 1 AufenthG erforderliche Abwägung der öffentlichen Interessen an einer Ausreise des Klägers mit dessen Interessen an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass die öffentlichen Interessen überwiegen.
Bei dieser - nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen und damit gerichtlich voll überprüfbaren Ausweisungsentscheidung vorzunehmenden - Abwägung sind gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Dabei wird den einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Die gesetzlich typisierten Interessen können jedoch im Einzelfall mehr oder weniger Gewicht entfalten. Daher entbindet auch das Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nicht von der Notwendigkeit der in § 53 Abs. 1 AufenthG vorgeschriebenen umfassenden Interessenabwägung (BVerwG, Urt. vom 27.07.2017 - 1 C 28.16 -, juris Rn. 39). Die in den §§ 54, 55 AufenthG beispielhaft angeführten Interessen schließen im Übrigen die Berücksichtigung weiterer Bleibe- oder Ausweisungsinteressen im Rahmen der nach § 53 Abs. 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung nicht aus.
Die Bleibeinteressen des Klägers wiegen das öffentliche Interesse an seiner Ausreise nicht auf.
Der Kläger kann kein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG für sich geltend machen. Nach dieser Vorschrift wiegt das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 besonders schwer, wenn der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat.
Zwar ist der Kläger im Bundesgebiet geboren, er erfüllt jedoch die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen nicht. Weder war er zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung (vgl. Fleuß in BeckOK AuslR, Stand 01.01.2023, AufenthG § 55 Rn. 21; Neidhardt in HTK-AuslR, Stand 03.02.2022, § 55 AufenthG zu Abs. 1 Nr. 2 Rn. 4) im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis noch hielt er sich zu diesem Zeitpunkt seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Nach ganz überwiegender Ansicht in Rechtsprechung und Kommentarliteratur genügt für das Tatbestandsmerkmal des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis nicht, dass der Ausländer rechtzeitig die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis beantragt hat und diese infolgedessen gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG als fortbestehend gilt (vgl. OVG Saarl., Beschl. vom 13.05.2019 - 2 B 308/18 -, juris Rn. 29; BayVGH, Beschl. vom 03.04.2019 - 10 C 18.2425 -, juris Rn. 10; OVG Rheinl.-Pf., Beschl. vom 23.10.2018 - 7 A 10866/18 -, juris Rn. 29; Neidhardt in HTK-AuslR, Stand 03.02.2022, § 55 AufenthG zu Abs. 1 Nr. 2 Rn. 5; Fleuß in BeckOK AuslR, Stand 01.01.2023, AufenthG § 55 Rn. 21; Bauer in Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Auflage 2020, § 55 Rn. 6). Das Tatbestandsmerkmal des rechtmäßigen Aufenthalts seit fünf Jahren setzt zudem voraus, dass dieser Aufenthalt unmittelbar bis zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung reichen muss. Ein fünfjähriger rechtmäßiger Aufenthalt irgendwann in der Vergangenheit genügt dafür nicht (OVG Berlin-BB, Urt. vom 26.07.2022 - OVG 2 B 2/20 -, juris Rn. 41; Bauer in Bergmann/Dienelt, AuslR, 14. Aufl. 2022, AufenthG § 55 Rn. 6; Cziersky-Reis in NK-AuslR, 2. Aufl. 2016, AufenthG § 55 Rn. 9ff.). Aus § 55 Abs. 3 AufenthG ergibt sich darüber hinaus, dass Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG nur dann als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne des § 55 Abs. 1 AufenthG berücksichtigt werden, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels später entsprochen wurde.
Die Aufenthaltserlaubnis des Klägers war zuletzt bis zum 22.11.2018 befristet und danach nicht mehr verlängert worden. Dass der Kläger offenbar rechtzeitig die Verlängerung seines Aufenthaltstitels beantragt hatte - in den Vorgängen findet sich kein schriftlicher Antrag, in ihrem Bescheid führt die Beklagte aber aus, dass der Kläger aufgrund eines Telefonats am 19.11.2018 mündlich den Antrag gestellt habe - und seine Aufenthaltserlaubnis zum Zeitpunkt der Ausweisung damit nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG als fortbestehend galt, genügt nach den vorstehenden Ausführungen nicht.
Ob der Kläger als sogenannter "faktischer Inländer" anzusehen ist, kann offen bleiben (vgl. zu dem Begriff des "faktischen Inländers" BVerfG, Beschl. vom 19.10.2016 - 2 BvR 1943/16-, juris Rn. 19; Beschl. vom 25.08.2020 - 2 BvR 640/20 -, juris Rn. 24; BVerwG, Urt. vom 16.07.2002 - 1 C 8.02 -, BVerwGE 116, 378, juris Rn. 23; BayVGH, Beschl. vom 10.02.2022 - 19 ZB 21.2650 -, juris Rn. 33). Es erscheint zweifelhaft, ob eine Person, die wegen Terrorismusunterstützung ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erfüllt, indem sie "die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet", als ein in eben diese freiheitliche demokratische Grundordnung integrierter "faktischer Inländer" angesehen werden kann (ablehnend VG Gelsenkirchen, Beschl. vom 11.03.2021 - 11 L 202/21 -, juris Rn. 76; nicht problematisiert haben dies allerdings VG München, Beschl. vom 14.12.2016 - M 12 S 16.5400 -, juris Rn. 50-56; VG Augsburg, Urt. vom 21.04.2015 - Au 1 K 14.1546 -, juris Rn. 49).
Unabhängig von der Verwendung des Begriffs des "faktischen Inländers" sind in die Abwägung nach § 53 Abs. 2 AufenthG die von Art. 8 EMRK geschützten Belange auf Achtung des Privatlebens entsprechend ihrem Gewicht einzustellen (so auch OVG Bremen, Urt. vom 15.12.2021 - 2 LC 269/21 -, juris Rn. 61ff.) und ist insoweit zu berücksichtigen, inwieweit der Kläger in Deutschland integriert ("verwurzelt") ist und in einem anderen Land die Möglichkeit der Integration haben wird. Bei der Ausweisung eines in Deutschland geborenen Ausländers ist im Rahmen der Abwägung der besonderen Härte, die die Ausweisung für diese Personengruppe darstellt, in angemessenem Umfang Rechnung zu tragen (BVerfG, Beschl. vom 19.10.2016 - 2 BvR 1943/16 -, juris Rn. 19; BayVGH, Beschl. vom 10.02.2022 - 19 ZB 21.2650 -, juris Rn. 33).
Danach muss den von Art. 8 EMRK geschützten Belangen ein erhebliches Gewicht beigemessen werden. Der Kläger ist im Bundesgebiet geboren und lebt seit fast 29 Jahren ununterbrochen hier. Auch seine Eltern und seine Schwestern leben im Bundesgebiet und in der Nähe des Klägers in K.. Zumindest zu seiner Schwester. hat der Kläger nach deren Zeugenaussage eine enge Bindung. Der Kläger hat die Realschule mit Abschluss verlassen und anschließend eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann erfolgreich abgeschlossen. Auch ist er nicht vorbestraft. Zudem hat der Kläger, auch wenn diese Verbindung noch nicht durch Art. 6 GG geschützt ist, eine langjährige Freundin mit einem sicheren Aufenthaltsrecht und offensichtlich auch gefestigte soziale Kontakte in der Familie seiner Freundin sowie darüber hinaus mit seinem festen Freundeskreis ohne Bezug zum N. K. auch abwägungsrelevante soziale Kontakte. Letzteres hat die Aussage des Zeugen AO. ergeben. Daneben ist in den Blick zu nehmen, dass den Kläger mit der Türkei wohl lediglich das formale Band der der Staatsangehörigkeit verbindet, da er dort nie gelebt hat, die Sprache nicht spricht und keine Verwandten dort hat. Eine Integration in den Libanon wäre für den Kläger mit großen Schwierigkeiten verbunden, da er dort ebenfalls noch nicht gelebt hat. Allerdings käme ihm dabei zugute, dass er ein junger, gesunder, lern- und arbeitsfähiger Mann ist, der zumindest Grundkenntnisse der arabischen Sprache hat. Zudem ist er durch das Aufwachsen in einer aus dem Libanon stammenden Familie jedenfalls ansatzweise mit den kulturellen Gepflogenheiten vertraut und leben neben seinem Bruder L. nach seinem eigenen Vortrag noch mehrere Onkel und Tanten von ihm im Libanon, die ihm zumindest als erste Anlaufstelle dienen könnten. Den für den Kläger sprechenden Umständen kommt im Ergebnis jedoch kein ausschlaggebendes Gewicht zu. Auch in der Gesamtschau überwiegen die Umstände, die für den Kläger sprechen, nicht. So ist gegen die Interessen des Klägers abzuwiegen, dass er seit dem Abschluss seiner Ausbildung Mitte des Jahres 2016 nur noch vereinzelt gearbeitet und überwiegend öffentliche Leistungen bezogen hat (Leistungsbezug seit 02.06.2016 mit Bescheid des Jobcenters belegt, Zeitraum vom 01.01.2018 bis zum 12.09.2019 durch die Girokontoauswertung belegt, Zeitraum vom 01.11.2020 bis zum 30.04.2022 durch Bescheide des Jobcenters vom 03.11.2020 und 27.04.2021 belegt). Maßgeblich zu gewichten ist aber vor allem das Risiko, dass der Kläger auch zukünftig wieder eine terroristische Vereinigung unterstützt und damit höchste Rechtsgüter gefährdet. Auch wenn der N. K. als Verein verboten und aufgelöst worden ist, besteht weiterhin die Gefahr, dass der Kläger salafistisch-jihadistische Bestrebungen und im Besonderen den IS unterstützt, beispielsweise durch - weitere - Geldsendungen. Dieses Risiko stuft das Gericht als hoch ein, da der Kläger weder die mit seiner Unterstützung des N. K. und des IS verbundene Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eingeräumt noch von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen hat und darüber hinaus weiterhin mit Personen verkehrt, die salafistisch-jihadistische Ansichten vertreten:
Der Kläger steht weiterhin in Verbindung zu den von ihm in den Verhandlungen vom 15.03.2023 und 11.05.2023 benannten Freunden, die ihrerseits eng mit dem N. K. verbunden waren und nach den Berichten der PI K. auch nach dem Verbot des Vereins als Mitglieder der überörtlichen salafistischen Szene gelten und hält außerdem auch Kontakt zu weiteren Anhängern eines jihadistischen Salafismus.
So ist der Kläger am 17.08.2017 und 20.10.2017 im Vorfeld der Gerichtsverhandlungen in dem Staatsschutzverfahren gegen X. im Nahbereich des Landgerichts W. in Begleitung unter anderem von AB. AC., den Brüdern AA., U. V. und AD. AE. beobachtet worden. BC. war wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (Bau einer Bombe) angeklagt und ist zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. V. gehörte ebenfalls zu den regelmäßigen Besuchern der Moschee des N. K. und galt als eine der Personen, die zum Zeitpunkt der Verbotsverfügung ihre Ausreise nach Syrien oder in den Irak geplant hatten (Verbotsverfügung S. 59), weshalb die Beklagte ausweislich der Ermittlungsakten der Generalstaatsanwaltschaft T. gegen ihn ein Ausreiseverbot und einen Passentzug verfügt hatte. Bei AE. handelt es sich nach Erkenntnissen der PI K. um eine Führungspersönlichkeit der salafistischen Szene Nordrhein-Westfalens. Soweit der Kläger die Fahrten nach W. in der Verhandlung am 15.03.2023 mit der Erklärung zugestanden hat, dass es nur eine Mitfahrgelegenheit gewesen und dumm gewesen sei, mitzufahren, weil er den Angeklagten BC. gar nicht gekannt habe, hat er nicht nachvollziehbar dargelegt, warum er bei den Fahrten überhaupt dabei gewesen ist.
Am 15.11.2017 und am 31.01.2018 ist der Kläger jeweils in der AF. Innenstadt von der Polizei kontrolliert worden, als er mit Z. AA. bzw. AG. AH. unterwegs war. An beiden Tagen fanden am OLG T. Prozesstage in dem Staatsschutzverfahren gegen S. und den Schwager des Klägers, P. Q., statt. Insoweit hat der Kläger in der Verhandlung am 15.03.2023 zumindest zugestanden, einmal in T. gewesen zu sein. Nach seinen eigenen Angaben wollte er tatsächlich zu der Strafverhandlung gegen S. und Q., hatte an der Verhandlung dann allerdings nicht teilgenommen, weil er nicht hineingelassen worden war.
Nach dem Schreiben der PI K. vom 11.08.2020 ist der Kläger darüber hinaus seit spätestens 2017 mehrfach als Teilnehmer regelmäßig stattfindender Treffen der überörtlichen salafistischen Szene festgestellt worden. Neben dem Jugendfreund des Klägers AB. AC. waren Teilnehmer dieser Treffen AG. AH., BD. BE. und BF. BG.. Bei AG. AH. handelt es sich um ein Gründungsmitglied des N., der 2016 zusammen mit seiner Lebensgefährtin seine Ausreise nach Syrien oder in den Irak geplant hatte, um sich am Jihad zu beteiligen, und deshalb mit passentziehenden Maßnahmen belegt worden war (vgl. die Verbotsverfügung des Niedersächsischen Innenministeriums S. 40 und 59 und das Urteil des erkennenden Gerichts vom 21.07.2016 - 10A 937/16 -, in dem sich AH. erfolglos gegen diese ordnungsbehördlichen Maßnahmen gewandt hatte). Seine Internetaktivität zeigte zum Zeitpunkt des Vereinsverbots eine jihadistische Ideologie, die nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar war; insbesondere war eine Sympathisierung mit dem IS erkennbar. So hatte er auf seinem facebook-Profil Bilder und ein Video mit dem Emblem des IS hochgeladen und das Video mit dem Kommentar "So muss ein Muslim kämpfen können" versehen (Verbotsverfügung S. 40). BD. BE. war ein ehemaliger 2. Vorsitzender des N. K. und neben S. der Hauptprediger der Moschee. Er galt als Radikalisierer und wurde von Besuchern des N. K. als "geistiger Brandstifter" eingeschätzt. Außerdem war er für den Jugendunterricht in dem Verein zuständig und organisierte die von S. gehaltenen Seminare (vgl. die Verbotsverfügung S. 29). Zu dem Vorhalt dieser Treffen hatte der Kläger in der Verhandlung am 15.03.2023 erklärt, sie hätten nur sporadisch mal zusammen gegessen, zum Beispiel in BH.. Der Kontakt sei über AB. AC. zustande gekommen, die Leute seien mit seinem Schwager befreundet. Seit der Corona-Zeit treffe er sich nicht mehr mit ihnen. Diese Angaben stellen sich als Schutzbehauptungen dar, nachdem die PI K. unter dem 02.05.2023 im Einzelnen ausgeführt hat, dass der Kläger auch noch nach Ausbruch der Pandemie fortgesetzt bei Treffen der salafistischen Szene festgestellt worden ist:
"So konnte zunächst zur Zeit des Ramadans 2020 festgestellt werden, dass. K. [der Kläger] sich an mehreren Abenden mit zentralen Akteuren der salafistischen Szene zum Fastenbrechen traf, darunter auch die bereits erwähnten Personen AB. AC., AW. AA. und BF. BG.. Am 11.12.2020 wurde Herr O. ferner zur Zeit des muslimischen Freitagsgebets als Beifahrer im Pkw des AS. AT. festgestellt. Das Fahrzeug fuhr unmittelbar nach dem Pkw des AR. AT. auf den Hof der Wohnkomplexes in der BI. Straße 22 A in K.. Im Weiteren konnte hierbei festgestellt werden, dass. K. sowie AS. und AR. AT. sich dort mit mehreren weiteren Akteuren der salafistischen Szene, darunter auch AG. AH., für etwa eine halbe Stunde trafen und dort mutmaßlich das muslimische Freitagsgebet verrichteten. Ermittlungen ergaben, dass in dem dortigen Gebäudekomplex eine von AR. AT. angemietete Wohnung zu dieser Zeit regelmäßig für konspirative Treffen der salafistischen Szene frequentiert wurde. ... Des Weiteren wurde Herr O. erneut am 16.04.2021 sowie am 23.04.2021 jeweils freitagmittags zweifelsfrei als Teilnehmer von Treffen der hiesigen salafistischen Szene festgestellt. Fortlaufende Ermittlungen haben in den vergangenen Jahren ergeben, dass es sich bei den Teilnehmern dieser konspirativ an wechselnden Örtlichkeiten stattfindenden freitäglichen Treffen um die Kernklientel der ortsansässigen salafistischen Szene handelt."
Auf Vorhalt dieser Angaben hat der Kläger in der Verhandlung am 11.05.2023 weitere Treffen zugestanden, indem er zu den Treffen am 16.04. und 23.04.2021 angegeben hat, dass diese stattgefunden haben könnten, auch wenn er sich nicht mehr konkret erinnern könne. Zu den genannten Teilnehmern der Treffen hat der Kläger erklärt, dass das alles Freunde seien, die er schon vor der N. -Zeit gehabt habe und denen er nicht einfach habe sagen können, dass er nichts mehr mit ihnen zu tun haben wolle. Damit hat er seine Verbundenheit mit diesem Personenkreis deutlich zum Ausdruck gebracht.
Mit AB. AC. und Z. AA. hat der Kläger darüber hinaus am 22.08.2018 und zu anderen Terminen den inhaftierten Salafisten BJ. BK. in der JVA T. besucht. Diese Angaben der PI K. vom 02.05.2023 und 08.05.2023 gegenüber dem Gericht hat der Kläger in der Verhandlung am 11.05.2023 bestätigt. BJ. BK. ist vom OLG T. am 21.01.2017 wegen Nichtanzeige geplanter Straftaten zu einer Haftstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden, weil er von dem am 26.02.2016 am Hauptbahnhof BL. erfolgten Messerangriff auf einen Bundespolizisten im Vorhinein gewusst und ihn befürwortet hatte. Der Kläger hat auch die Verbindung zu BK. versucht zu bagatellisieren, indem er den Verurteilten in der Verhandlung als "sehr netten Jungen" bezeichnet hat, der ihm gegenüber bestritten habe, von dem Messerangriff gewusst zu haben. Es habe sich um einen engen Freund seines Bruders gehandelt und der Kontakt zu dem Verurteilten habe sich schon in der Moschee wieder intensiviert gehabt.
Zudem hatte die Polizei den Kläger zusammen mit BF. BG. am 14.11.2019 am Flughafen BM. festgestellt, als sie die aus der Türkei nach Deutschland abgeschobene Familie (AW.) AA. abgeholt haben. Der Kläger hat den im Schreiben der PI K. vom 11.08.2020 angeführten Sachverhalt in der Verhandlung am 15.03.2023 eingeräumt und angegeben, der Schwager von AW. AA. habe ihn darum gebeten, es sei nur darum gegangen, dass die Kinder der Familie gut abgeholt würden. Er habe das irgendwie nicht so eingeschätzt, dass BG. der Islamistenszene angehöre. Auch diese Einschätzung bewertet das Gericht als Schutzbehauptung, zumal die PI K. in ihrem Schreiben vom 02.05.2023 angegeben hat, dass auch BG. schon optisch der salafistischen Szene zugeordnet werden könne, und der Kläger ihn nur unter seinem islamistischen Beinamen Abu BN. kennt. Bei BG. handelt es sich um einen inzwischen bestandskräftig ausgewiesenen und ausgereisten irakischen Staatsangehörigen, dessen Ausweisung - wie beim Kläger - mit dem Unterstützen des N. K. als einer Vereinigung, die ihrerseits den IS unterstützt hat, begründet worden war.
Für die Annahme, dass der Kläger weiterhin in Verbindung zu Anhängern eines jihadistischen Salafismus steht, spricht auch der bei der Auswertung des Smartphones des Klägers durch das LKA Niedersachsen festgestellte Umstand, dass der Kläger am 30.03.2018 einen Spendenaufruf an den Kontakt BO. geschickt hatte, der in Arabisch begann und dann ins Deutsche wechselte: "Assalamu alaykum wa rahmatuLLAHI wa barakatu (laut Google-Übersetzung: Friede sei mit dir und seine Barmherzigkeit und sein Segen.) Wir haben wieder einen neuen Monat das bedeutet, dass wir für die Familien der gefangenen Brüder aus K. erneut einkaufen gehen müssen. Hierbei bitte wir euch wieder um Spenden, um diesen Einkauf tätigen zu können. So strengt auch an ya muslimin und hoffet auf die Belohnung am Tage wo es kein entrinnen gibt. "Gefangene zu befreien ist eine der größten Pflichten und Geld auf diesem Weg auszugeben ist einer der größten Möglichkeiten Allah näher zu kommen."" Soweit der Kläger zu diesem Spendenaufruf in der Verhandlung am 11.05.2023 angegeben hat, der Text sei ihm zugeleitet worden und er habe ihn lediglich weitergeleitet, hat der Kläger seine Verbindungen zum islamistischen Anhängerkreis nicht relativiert, sondern vielmehr bestätigt. Außerdem fanden sich Bilder mit Symbolen oder Namen von salafistisch-jihadistischen Vereinen und Organisationen wie beispielsweise "Al Asraa" auf dem Smartphone. "Al Asraa" ist ein Netzwerk, das Anwälte an angeklagte Jihadisten vermittelt, Spenden sammelt und Briefe an die "Brüder und Schwestern" in den Gefängnissen schickt (Lechtape vom 24.10.2016, Vom Knast in den Dschihad, www.handelsblatt.com/politik/deutsland/terrorismus-die-terroristen-im-gefaengnis-sind-vernetzt). Der Kläger hatte von seinem Handy selbst Spendenaufrufe im Zusammenhang mit "Al Asraa" verbreitet. Soweit er dazu in der Verhandlung am 11.05.2023 angegeben hat, er habe diese Spendenaufrufe verbreitet, weil "Al Asraa" eine größere Reichweite gehabt habe als er allein sie gehabt hätte, verdeutlicht dies seine fehlende innere Distanz zu diesem Netzwerk. Mit Spenden an "Al Asraa" wurden nicht nur der Schwager des Klägers, P. Q., und dessen Familie unterstützt, sondern auch andere inhaftierte Jihadisten. Darüber hinaus befand sich eine Nachricht von BP. AE. auf dem Handy. In der Nachricht hatte AE. offensichtlich in eine Gruppe oder zumindest an eine größere Zahl von Empfängern am 31.05.2019 geschrieben, "wir möchten euch dringend um Dua´a für unseren inhaftierten Bruder P. aus K. bitten!!! ..." Darunter ist eine Bilddatei abgebildet mit dem Text "Denke an deinen Bruder in Gefangenschaft S. Macht Dua´a in sha Allah".
Weiterhin hat die Auswertung der Girokontobewegungen des Klägers nach dem Bericht des LKA Niedersachsen vom 24.03.2020 für den Zeitraum vom 01.01.2018 bis zum 12.09.2019 unter anderem ergeben, dass der Kläger einen Dauerauftrag in Höhe von je 50 Euro monatlich an einen BQ. BR. eingerichtet hatte. Bei der Person handelt es sich um BQ. BS. BT., auch bekannt als Abu BU. (vgl. Bauknecht, Salafismus in Deutschland, Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de), der in Deutschland geboren und im Bundesgebiet vielfach staatsschutzpolizeilich aufgefallen ist. Er gilt als einer der Hauptakteure des mittlerweile verbotenen salafistischen Vereins "BV." und hatte Verbindungen auch zu weiteren salafistischen Vereinigungen, unter anderem zum N. K. und zu "BW. e.V.". Derzeit lebt BT. in Großbritannien. Soweit der Kläger in der Verhandlung am 11.05.2023 dazu angegeben hat, die monatlichen Spenden seien für ein Waisenhaus gewesen, wertet das Gericht auch diese Aussage als Schutzbehauptung. Der Kläger hat nicht plausibel darlegen können, wie er von seinen knappen monatlichen Sozialleistungen, die er seit Mitte 2016 bezogen hat, 50 Euro als Dauerauftrag hat spenden können. Die Behauptung, der Betrag habe ihm nicht wehgetan, da er damals noch zuhause gewohnt und gelegentlich auch Geld von seinem Vater erhalten habe, ist zumindest insoweit unzutreffend, als er bereits im Jahr 2017 in seine eigene Wohnung in der BX. 9 gezogen war. Zu seinem Geldbedarf muss er sich zudem entgegenhalten lassen, dass er in der Verhandlung am 15.03.2023 noch mitgeteilt hatte, während seiner Ausbildung - seinerzeit wohnte der Kläger noch bei seinen Eltern - habe er kein Geld zurücklegen können, weil die 500 Euro Ausbildungsgehalt nach zwei Wochenenden weg gewesen seien.
2. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot, welches die Beklagte in ihrem Bescheid vom 17.12.2018 auf 10 Jahre befristet hat, hat Bestand, da es sich als rechtswidrig, aber nicht rechtsverletzend darstellt.
Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist im Falle der Ausweisung gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen und ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen; die Frist beginnt mit der Ausreise (§ 11 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 AufenthG). Gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wird über die Länge der Frist nach Ermessen entschieden.
Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 17.12.2018 galt § 11 AufenthG als Ermächtigungsgrundlage für das Einreise- und Aufenthaltsverbot allerdings noch in anderer Fassung (vom 20.10.2015, gültig bis 20.08.2019), weshalb die Beklagte entsprechend § 11 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 AufenthG a.F. das Einreise- und Aufenthaltsverbot nur befristet und nicht auch angeordnet hatte. Die fehlende Anordnung führt jedoch nicht zur Rechtswidrigkeit der Befristungsentscheidung, da nach der Rechtsprechung des Eufach0000000005s eine reine Befristungsentscheidung als Anordnung eines befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots ausgelegt werden kann, um so unionsrechtlichen Vorgaben zu entsprechen (vgl. BVerwG, Urt. vom 21.08.2018 - 1 C 21.17 -, juris Rn. 25f.).
Für die Entscheidung zur Länge der Frist hatte die Beklagte auf § 11 Abs. 3 AufenthG a.F. abgestellt. Danach durfte die Frist fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden war oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausging (Satz 2). Diese Frist sollte zehn Jahre nicht überschreiten (Satz 3).
Die Beklagte hatte ihre Ermessensentscheidung dahingehend begründet, dass eine Überschreitung der Regelfrist von 5 Jahren zulässig sei, weil vom Kläger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe. Es bestehe noch fortwährend die Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus durch den Kläger, da nicht erkennbar sei, dass sich der Kläger von der radikal-salafistischen Einstellung abgekehrt habe.
Da der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung auch der Fristbestimmung für das Einreise- und Aufenthaltsverbot allerdings die letzte mündliche Verhandlung ist (BVerwG, Urt. vom 25.01.2018 - 1 C 7.14 -, juris Rn. 11 und Urt. vom 22.02.2017 - 1 C 27.16 -, BVerwGE 157, 356-366 und juris Rn. 23), ist die von der Beklagten bestimmte Frist nunmehr an § 11 Abs. 5a AufenthG zu messen. Danach soll die Frist 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer - unter anderem - zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Dabei lässt sich dem mit § 11 Abs. 5a AufenthG (teil-)identischen Wortlaut der Vorschrift des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entnehmen, dass eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland von einem Ausländer ausgeht, der den Tatbestand des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses der Terrorismusunterstützung erfüllt (so VG Gelsenkirchen, Beschl. vom 11.03.2021 - 11 L 202/21 -, juris Rn. 80; im Ergebnis auch VG Würzburg, Urt. vom 26.07.2021 - W 7 K 20.612 -, juris Rn. 76; Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand Juli 2020, § 11 Rn. 106; Zeitler in HTK-AuslR, Stand 21.08.2019, § 11 Abs. 5a AufenthG Rn. 10; anders nur VG Magdeburg, Urt. vom 14.12.2020 - 8 A 243/19 -, juris Rn. 101). Die Formulierung "soll" in § 11 Abs. 5a Satz 1 AufenthG kennzeichnet dabei eine Bindung der Behörde an die gesetzlich vorgesehene Rechtsfolge für den Regelfall und lässt lediglich eine Berücksichtigung besonderer Umstände des Einzelfalles zu (vgl. VG Würzburg, Urt. vom 26.07.2021 - W 7 K 20.612 -, juris Rn. 76 m.w.N.).
Danach stellt sich die Fristbestimmung von 10 Jahren als ermessensfehlerhaft da. Die Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot müsste 20 Jahre betragen, weil Anhaltspunkte für die Annahme einer Ausnahme von der Regel nicht erkennbar sind. Eine Aufhebung der - zu kurzen - Fristbestimmung kommt allerdings nicht in Betracht, da sie den Kläger nicht in subjektiven Rechten verletzt.
3. Die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung sind rechtmäßig.
Der Kläger ist nach § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig, da sein Aufenthaltstitel, der aufgrund seines offenbar mündlich gestellten Verlängerungsantrags gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG als fortbestehend galt, gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG mit der Ausweisung erloschen ist. Die Frist von 30 Tagen ist die längste, die in § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorgesehen ist. Unbedenklich ist auch das Nennen von zwei möglichen Zielstaaten einer Abschiebung. Gemäß § 59 Abs. 2 Satz 1 AufenthG soll in der Androhung der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll.
Die Androhung der Abschiebung des Klägers in die Türkei oder den Libanon stellt sich auch nicht deshalb als rechtswidrig dar, weil der Kläger vorgetragen hat, dass ihm eine Nachregistrierung in den türkischen Registern nicht möglich sei, da seine dort registrierte Großmutter inzwischen verstorben sei, und dass aus seiner Familie niemand libanesischer Staatsangehörigkeit sei, weil die Familie von dem Einbürgerungsdekret von 1995 keinen Gebrauch gemacht habe.
Seine - aus Sicht des Klägers - ungeklärte Staatsangehörigkeit führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Zielstaatsbestimmungen. Die Klärung, ob der Kläger in den einen oder anderen - oder einen dritten, nicht genannten - Staat abgeschoben werden kann, hat im Vollstreckungsverfahren zu erfolgen, wenn es um die Verwirklichung der Abschiebungsandrohung gehen wird (vgl. VG Frankfurt a.M., Beschl. vom 19.06.2020 - 5 L 1533/20.F.A -, juris Rn. 5). Eine vorherige Prüfung der (abstrakten oder konkreten) Übernahmeverpflichtung bzw. Übernahmebereitschaft eines bezeichneten Zielstaates ist zum Zeitpunkt des Erlasses einer Abschiebungsandrohung nicht erforderlich; deren Unterlassen macht die Abschiebungsandrohung nicht rechtswidrig. Eine fehlende Übernahmebereitschaft führt zwar regelmäßig zu einer tatsächlichen Unmöglichkeit der Abschiebung im Sinne des § 60a Abs. 2 AufenthG und löst damit zugleich einen Duldungsanspruch aus; eine Duldung steht aber gemäß § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG dem Erlass einer Abschiebungsandrohung gerade nicht entgegen. Etwas anderes gilt lediglich dann, wenn kein Anhaltspunkt für eine künftige Übernahmebereitschaft besteht (Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand September 2022, § 59 Rn. 81).
Zumindest hinsichtlich des Libanon ergeben sich aber Anhaltspunkte für eine künftige Übernahmebereitschaft, da der Kläger nach eigenem Bekunden Verwandte hat, die dort leben. Neben seinem Bruder, der nach den Angaben des Klägers allerdings über keine Ausweispapiere verfügt, sind auch Onkel und Tanten im Libanon ansässig. Sein Bruder konnte im Jahr 2017 in den Libanon abgeschoben werden und ein Onkel ist nach den Angaben des Beistands des Klägers in der Verhandlung am 11.05.2023 bereits vor längerer Zeit freiwillig in den Libanon ausgereist und lebt seither dort.
4. Die Aufforderung an den Kläger, die ihm ausgehändigte Aufenthaltserlaubnis innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides bei der Beklagten abzugeben, ist rechtmäßig.
Sie hat ihre Rechtsgrundlage zwar nicht in § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Danach ist ein Ausländer verpflichtet, seinen Aufenthaltstitel den mit dem Vollzug des Ausländerrechts betrauten Behörden vorzulegen, auszuhändigen und vorübergehend zu überlassen, soweit dies zur Durchführung oder Sicherung von Maßnahmen nach dem Aufenthaltsgesetz erforderlich ist. Weder hat die Beklagte dazu ausgeführt, dass die Abgabe der - noch dazu abgelaufenen - Aufenthaltserlaubnis für die Durchführung oder Sicherung von Maßnahmen erforderlich ist, noch ist dies ersichtlich.
Die Beklagte hat ihr Abgabeverlangen jedoch rechtmäßig auf § 52 Satz 1 VwVfG gestützt. Danach kann die Behörde, wenn ein Verwaltungsakt unanfechtbar widerrufen oder zurückgenommen ist oder seine Wirksamkeit aus einem anderen Grund nicht oder nicht mehr gegeben ist, die aufgrund dieses Verwaltungsaktes erteilten Urkunden oder Sachen, die zum Nachweis der Rechte aus dem Verwaltungsakt oder zu deren Ausübung bestimmt sind, zurückfordern.
Die Voraussetzungen für eine auf § 52 Satz 1 VwVfG gestützte Aufforderung sind erfüllt. Die Aufenthaltserlaubnis des Klägers war bis zum 22.11.2018 befristet und diese Frist war bei Erlass des Bescheides am 17.12.2018 abgelaufen, weshalb die Wirksamkeit der Aufenthaltserlaubnis nicht mehr gegeben war. Zudem hatte die Beklagte die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis mit dem Bescheid vom 17.12.2018 abgelehnt. § 52 VwVfG gilt auch für alle Fälle der Beendigung der Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes, worunter unter anderem der Ablauf einer Frist im Falle der Befristung fällt (Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Aufl. 2018, § 52 Rn. 2; Falkenbach in BeckOK, VwVfG, Stand 01.01.2023, § 52 Rn. 7; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 52 Rn. 20). Anders als in den Fällen des Widerrufs oder der Rücknahme eines Verwaltungsakts ist es bei allen übrigen Fällen der Unwirksamkeit von Verwaltungsakten nicht erforderlich, dass das Schicksal des Verwaltungsakts abschließend geklärt ist (Falkenbach in BeckOK, VwVfG, Stand 01.01.2023, § 52 Rn. 8; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 52 Rn. 13; OVG NRW, Urt. vom 15.05.1990 - 5 A 1692/89 -, beck-online); das Tatbestandsmerkmal der Unanfechtbarkeit betrifft nur die Fälle der Aufhebung nach §§ 48 und 49 VwVfG.
Ermessensfehler hinsichtlich der Entscheidung der Beklagten, den Kläger zur Abgabe der Aufenthaltserlaubnis aufzufordern, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
5. Der Kläger hat schließlich keinen Anspruch auf eine Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis. Auch einen Anspruch auf Erteilung einer anderen Aufenthaltserlaubnis hat er nicht.
Der Kläger besaß in der Vergangenheit eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG. Einer Verlängerung dieser Aufenthaltserlaubnis steht ebenso wie der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG die sogenannte Titelerteilungssperre des § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG entgegen.
Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG darf sich ein Ausländer, gegen den ein Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen worden ist, weder im Bundesgebiet aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach dem Aufenthaltsgesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden. Danach ist es für einen Zeitraum von 10 Jahren nach erfolgter Ausreise für den Kläger ausgeschlossen, eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten.
Darüber hinaus kann dem Kläger weder eine Aufenthaltserlaubnis verlängert noch erteilt werden, da er das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG verwirklicht. Gemäß § 5 Abs. 4 AufenthG ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels in einem solchen Fall zwingend zu versagen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, soweit die Klage des Klägers unbegründet ist, und aus § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben. Dass der Kläger die Kosten des Verfahrens auch hinsichtlich des erledigten Teils trägt, entspricht mit Blick auf den Rechtsgedanken des § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO der Billigkeit. Nach § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO können einem Beteiligten die Kosten des Verfahrens ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.