Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 01.06.2016, Az.: S 22 AS 284/13

Höhe der abzusetzenden Freibeträge vom Einkommen beim Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes

Bibliographie

Gericht
SG Osnabrück
Datum
01.06.2016
Aktenzeichen
S 22 AS 284/13
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 21021
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGOSNAB:2016:0601.S22AS284.13.0A

Fundstelle

  • NZS 2016, 714

Tenor:

Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 27. April 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 2013 verurteilt, den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II im Zeitraum 01. Mai - 31. Juli 2012 unter Berücksichtigung eines Freibetrages in Höhe von 175,00 Euro auf Einkünfte aus Bundesfreiwilligendienst zu gewähren und nachzuzahlen. Die Berufung wird zugelassen. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger.

Tatbestand

Streitig ist die Höhe der abzusetzenden Freibeträge vom Einkommen des Klägers zu 1. Im Zeitraum von Mai bis einschließlich Juli 2012.

Mit Bescheid vom 24. Juli 2012 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum Mai bis einschließlich Juli 2012. Die Bewilligung erfolgte vorläufig. Der Kläger zu 1. erhielt in diesem Zeitraum Einkommen aus Aufwandsentschädigung des Bundesfreiwilligendienstes in Höhe von monatlich 210,26 Euro sowie zusätzlich Einnahmen aus abhängiger Beschäftigung in einem Gastronomiebetrieb. Der Beklagte behandelte das Einkommen einheitlich als Erwerbseinkommen und setzte entsprechende Freibeträge ab.

Hiergegen erhoben die Kläger am 07. Mai 2012 Widerspruch. Das Einkommen aus Aufwandsentschädigung des Bundesfreiwilligendienstes könne nicht angerechnet werden. Es handele sich um eine Aufwandsentschädigung für ein Ehrenamt. Darüber hinaus sei das vorläufig festgesetzte Erwerbseinkommen zu hoch angesetzt. Ferner seien die Unterkunftskosten zu berücksichtigen. Die zum 01. April 2012 ausgesprochene Kündigung sei widerrufen worden. Darüber hinaus sei auch ohne Vorliegen eines Mietvertrages eine Nutzungsentschädigung gem. den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu zahlen. Die Unterkunftskosten seien zu berücksichtigen.

Im weiteren Verlauf des Verfahrens berücksichtigte der Beklagte jeweils im Nachhinein, nach Ablauf des jeweiligen Monates die Kosten der Unterkunft als Bedarf der Kläger.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 2013 zurückgewiesen. Die Prognose des monatlichen Einkommens in Höhe von 250,00 Euro sei nicht zu beanstanden. In den Wintermonaten, in denen in der Gastronomie nicht so viel Arbeit anfalle, habe der Kläger zu 1. 165,00 Euro monatlich verdient. Bei einem zu erwartenden Mehreinsatz in den Sommermonaten sei die Prognose nicht zu beanstanden. Die Absetzung der Freibeträge beruhe auf den Vorschriften der Arbeitslosengeld II/ Sozialgeld-Verordnung (ALG II-V).

Hiergengen haben die Kläger mit Schriftsatz vom 19. März 2013 beim Sozialgericht Osnabrück am gleichen Tage eingegangen Klage erhoben. Die Absetzung der Freibeträge sei nicht korrekt erfolgt. Bei den Einkünften aus Bundesfreiwilligendienst handele es sich um eine ehrenamtliche Tätigkeit. Ein entsprechender Freibetrag sei zu berücksichtigen.

Mit endgültigem Bescheid vom 18. Mai 2015 setzte der Beklagte die Leistungen für den Zeitraum Mai 2012 bis einschließlich Juli 2012 fest. In den Monaten Mai 2012 berücksichtigte der Beklagte 362,00 Euro Bedarfe für Kosten der Unterkunft und Heizung sowie 370,26 Euro Einkommen aus nichtselbstständiger Tätigkeit abzüglich eines Freibetrages in Höhe von insgesamt 154,05 Euro. Im Monat Juni 2012 berücksichtigte der Beklagte 480,76 Euro an Kosten der Unterkunft und Heizung sowie 197,66 Euro Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit abzüglich eines Freibetrages von 119,53 Euro. Im Monat Juli 2012 berücksichtigte der Beklagte 362,00 Euro an Kosten der Unterkunft und Heizung sowie Einkommen aus nichtselbstständiger Tätigkeit in Höhe von 309,66 Euro abzüglich eines Freibetrages in Höhe von 141,93 Euro.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 27. April 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 2013 zu verurteilen, den Klägern Leistungen nach Maßgabe des SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte verweist auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

Die Verwaltungsvorgänge des Beklagten lagen dem Gericht bei der Entscheidung vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf diese sowie auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihre Zustimmung hierzu erklärt haben.

Die gem. § 54 Abs. 1 und 4 SGG zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Verwaltungsakt ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten.

Die Kläger haben Anspruch auf Berücksichtigung eines höheren Freibetrages auf das Einkommen aus Bundesfreiwilligendienst des Klägers zu 1. im Zeitraum Mai bis einschließlich Juli 2012 und damit auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II.

Streitgegenständlich ist der Bescheid vom 27. April 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 2013 in der Fassung der endgültigen Festsetzung vom 18. Mai 2015. Soweit der endgültige Bescheid vom 18. Mai 2015 nicht im Tenor erwähnt wird, handelt es sich insoweit um ein Versehen. Der Beklagte hat auch in diesem Bescheid keinen besonderen Freibetrag aus Einkünften aus Bundesfreiwilligendienst berücksichtigt. Die gerichtliche Entscheidung betraf jedoch gerade dies.

Der Beklagte hat die Bedarfe der Kläger in den Monaten Mai bis einschließlich Juli 2012 korrekt im Bescheid vom 18. Mai 2015 berücksichtigt. Insoweit nimmt die Kammer nach eigener Prüfng Bezug auf diese Entscheidung.

Sowohl die Einkünfte aus Bundesfreiwilligendienst als auch die Einkünfte aus Erwerbstätigkeit sind Einkommen in Sinne des § 11 SGB II. Bei den Einkünften aus Bundesfreiwilligendienst handelt es sich nicht um nicht zu berücksichtigendes Einkommen im Sinne des § 11a SGB II. Insbesondere handelt es sich nicht zweckbestimmte Einnahmen (vgl. Thüringer LSG, Urteil vom 23.09.2015, L 4 AS 17/15, insbesondere Rdn.: 36, zitiert nach ) oder Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege (Thüringer LSG, a.a.O.).

Die Absetzbeträge vom Einkommen aus Erwerbstätigkeit richten sich nach § 11b. Vorliegend richten sich die Absetzbeträge nach § 11b Abs. 2 SGB II, da der Kläger zu 1. im streitbefangenen Zeitraum Einkünfte von unter 400,00 Euro aus Erwerbstätigkeit erwirtschaftet hat.

Das Thüringische LSG hat in seinem Urteil vom 23.09.2015, L 4 AS 17/15 Folgendes ausgeführt, dem sich die erkennende Kammer nach eigener Prüfung anschließt:

Die Absetzbeträge vom Bundesfreiwilligendienst richten sich nach § 1 Abs. 7 Satz 1 ALG II-V. Danach sind von Einkünften aus Bundesfreiwilligendienst im Jahre 2012 175,00 Euro als Freibetrag abzusetzen. Mit der Verabschiedung des Bundesfreiwilligendienstgesetztes (BFDG) wurde zeitgleich § 1 Abs. 1 Nr. 13 ALG II-V mit Wirkung zum 03. Mai 2011 dahingehend geändert, dass außer den in § 11a SGB II genannten Einnahmen vom Taschengeld nach § 2 Nr. 4 BFDG ein Betrag in Höhe von 60,00 Euro nicht als Einkommen zu berücksichtigen ist. Hiermit wurde die seit dem 01. Januar 2009 geltende Regelung für den Jugendfreiwilligendienst auf den Bundesfreiwilligendienst ausgedehnt. Der Freibetrag bestand neben den gesetzlichen Absetzbeträgen nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3-5 SGB II. Einen Ausschluss der Anwendbarkeit der Regelung des § 1 Abs. 1 Nr. 13 ALG II-V weiter neben ausgeübter Erwerbstätigkeit enthielt die ALG II-V nicht. Nach der Begründung des Entwurfs zur 6. Verordnung zur Änderung der Arbeitslosengeld II/ Sozialgeld-Verordnung ersetzten die am 01. Januar 2012 in Kraft getretenen Regelungen des § 1 Abs. 7 ALG II-V die bisherigen Absetzbeträge nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3-5 SGB II und nach § 1 Abs. 1 Nr. 13 ALG II-V. Die Neuregelung erfolgte, da sich die bisher im Einzelfall festzustellenden Absetzbeträge nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3-5 SGB II in der Praxis als zu Verwaltungsaufwändig und bürokratisch bewiesen hatten. Mit der Neuregelung entfiel die Verwaltungsaufwändige Summierung von Taschengeld, Versicherungspauschale und der mit dem Freiwilligendienst verbundenen notwendigen Ausgaben. Eine beabsichtigte Einschränkung des finanziellen Vorteils gegenüber der Vorgängerregelung des § 1 Abs. 1 Nr. 13 ALG II-V lässt sich der Begründung zum Verordnungsentwurf nicht entnehmen. Vielmehr stellt nach der Begründung Satz 2 der Vorschrift sicher, dass durch die Pauschalierung keine Schlechterstellung im Vergleich zur bisherigen Rechtslage eintritt.

Die Kammer ist der Auffassung, dass vorliegend nicht der allgemeine Grundfreibetrag aus Erwerbstätigkeit von 100,00 Euro lediglich auf 175,00 beziehungsweise aktuell 200,00 Euro heraufzusetzen ist. Hierbei bliebe unberücksichtigt, dass die allgemeinen Freibeträge nicht ausschließlich einem Anreiz zur Aufnahme einer Tätigkeit dienen, sondern ebenfalls die notwendigen Ausgaben, die mit der Erzielung des Einkommens unabhängig von der Art verbunden sind, auch vom Leistungsempfänger getragen werden können. Es wäre denkbar, dass der Leistungsempfänger aufgrund zweier verschiedener Einkommensarten und damit verbundenen verschiedenen Einsatzorten deutlich höhere Ausgaben gem. § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 - 5 SGB II geltend machen könnte. Dies könnte jedoch aufgrund der zu geringen Gesamthöhe aufgrund der weiteren Vorschriften des § 11b SGB II nicht möglich sein. So wäre denkbar und ist vorliegend auch der Fall, dass das Einkommen aus Erwerbstätigkeit zusammen mit dem Einkommen aus Bundesfreiwilligendienst unter 400,00 Euro liegen. Würde andererseits das Einkommen insgesamt derartig hoch sein, dass die Absetzbeträge geltend gemacht werden könnten, würde die Zweckrichtung der Vereinfachung der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II sowohl für Leistungsträger als auch für Leistungsempfänger konterkariert werden, indem Leistungsempfänger ihre Ausgaben nachweisen müssten und der Leistungsträger diese entsprechend berechnen müsste.

Darüber hinaus würde § 7 Abs. 7 Satz 4 ALG II-V dazu führen, dass von Einkünften aus Bundesfreiwilligendienst überhaupt keine Absetzbeträge geltend gemacht werden könnten. Gem. § 11b Abs. 2 ist der allgemeine Betrag von 100,00 Euro monatlich von Einkünften aus Erwerbstätigkeit abzusetzen. Auch die weiteren Absetzbeträge gem. § 11b Abs. 3 sind lediglich vom Einkommen aus Erwerbstätigkeit abzusetzen. Die Einkünfte aus Bundesfreiwilligendienst sind jedoch keine Einkünfte aus Erwerbstätigkeit (s.o.). Nach der Zweckrichtung des Bundesfreiwilligendienstes ist dieser ein Ehrenamt. § 1 BFDG führt aus, dass sich im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes Personen für das Allgemeinwohl, insbesondere im sozialen, ökologischen und kulturellen Bereich, sowie im Bereich des Sports, der Integration und des Zivil- und Katastrophenschutzes engagieren. Dies wird auch dadurch bestätigt, dass Tätigkeiten im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes nicht an Mindestlöhne gebunden sind. Es handelt sich dabei nicht um eine geringfügige oder sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Die Einkünfte sind bis zu einem gewissen Lebensalter auch steuerlich privilegiert. Eine Absetzung von Freibeträgen für Erwerbstätigkeit scheidet daher aus (vgl. Thüringer LSG, Urteil vom 23. September 2015, L 4 AS 17/15, Rdn. 49, zitiert nach ).

Aufgrund des oben genannten ist § 1 Abs. 7 Satz 4 ALG II-V nicht anzuwenden. Die Kammer ist der Überzeugung, dass hier eine Benachteiligung derjenigen erfolgt, die eine dem Ehrenamt vergleichbare Tätigkeit im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes ausüben, im Vergleich zu denjenigen, die eine als Ehrenamt deklarierte Tätigkeit ausüben. Dies ist mit der Zweckrichtung des Bundesfreiwilligendienstes nicht vereinbar. Die Kammer ist der Überzeugung, dass sowohl ehrenamtliche Tätigkeiten als auch solche im Bundesfreiwilligendienst gleich zu fördern sind. Da es sich bei der ALG II-V lediglich um eine Verordnung handelt, steht der Kammer auch eine entsprechende Verwerfungskompetenz zu (vgl. BSG, Urteil vom 24.11.1998, B 1 A 1/96 R, Rdn. 14).

Die Absetzbeträge für Erwerbstätigkeit und Einkünfte aus ehrenamtlicher Tätigkeit bzw. auch aus Freiwilligendienst sind für jede Tätigkeit gesondert anzusetzen und können nebeneinander Anwendung finden (vgl. BSG Urteil, vom 28. Oktober 2014, B 14 AS 61/13 R).

Vorliegend bedeutet dies, dass im Monat Mai 2012 von den Einkünften aus Bundesfreiwilligendienst in Höhe von 210,26 Euro ein Betrag von 175,00 Euro abzusetzen ist. Auf den Bedarf sind anzurechnen 35,26 Euro. Darüber hinaus ist vom Erwerbseinkommen in Höhe von 160,00 Euro ein Betrag in Höhe von insgesamt 112,00 Euro abzusetzen. Auf den Bedarf sind folglich weitere 48,00 Euro anzurechnen. Ebenso ist für die weiteren Monate des Bewilligungszeitraumes zu verfahren.

Der Urteilstenor ist aufgrund des Vorgenannten dahingehend auszulegen, dass mit der Verurteilung auch die endgültige Festsetzung vom 18. Mai 2015 geändert werden sollte (vgl. zur Auslegung des Tenors Bolay in DK., SGG, 4. Auflage, § 136 Rdn. 9). Die versehentliche Unvollständigkeit hat keine Auswirkungen auf die Entscheidung. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes sind in Fällen des unvollständigen Tenors die Urteilsgründe heranzuziehen. Soweit sich aus ihnen ergibt welche Entscheidung getroffen werden sollte besteht die Möglichkeit des Antrages zur Urteilsberichtigung gem. § 140 SGG (vgl. BSG Beschluss vom 13.04.2000, AZ B 7 AL 222/99B).

Die Berufung war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und noch ungeklärt ist (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und orientiert sich am Ausgang des Verfahrens.