Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 10.05.2016, Az.: S 33 AS 470/13

Bibliographie

Gericht
SG Osnabrück
Datum
10.05.2016
Aktenzeichen
S 33 AS 470/13
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 43027
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Mit einem monatlichen Einkommen von 200,00 Euro besteht eine Anknüpfung zum deutschen Arbeitsmarkt. Der Anknüpfung steht die Nichtanmeldung der geringfügigen Beschäftigung nicht entgegen.

Tenor:

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 14.Feburar 2013 in der Fassung des Widerspruchbescheides vom 26. April 2013 verurteilt, dem Kläger im Zeitraum 01. Oktober 2012 bis 30. November 2012 Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII zu gewähren und nachzuzahlen und im Zeitraum 01. Dezember 2012 bis einschließlich 31. Dezember 2013 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren und nachzuzahlen.

Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Streitig sind Leistungen der Grundsicherung im Zeitraum Oktober 2012 bis einschließlich Dezember 2013.

Der am A. geborene Kläger, polnischer Staatsangehöriger, war ab dem 06. Januar 2011 behördlich in der Bundesrepublik Deutschland gemeldet. Im Zeitraum vom 22. Dezember 2011 bis einschließlich 08. August 2012 hatte der Kläger ein Gewerbe angemeldet. Gegenstand des Gewerbes waren verschiedene Hausmeistertätigkeiten.

Am 29. Oktober 2012 ging bei der Gemeinde A-Stadt ein Schreiben eines Mitarbeiters des Beklagten im Fachdienst II Soziales, Betreuungsstelle, ein. Es wurde um Prüfung gebeten, ob Grundsicherungsleistungen für den Kläger möglich sind. Darüber hinaus wurde um Prüfung gebeten, ob Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vorrangig seien. Mit Schriftsatz vom 20. November 2012 übersandte der Beklagte dem Kläger direkt Antragsunterlagen.

Mit Beschluss des Amtsgerichts B. vom 28. November 2012 wurde Herr C. zum Betreuer des Klägers bestellt. Die Aufgabenkreise umfassten Sorge für die Gesundheit, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge sowie Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten.

Am 20. Dezember 2012 wurde dem Beklagten mitgeteilt, dass der Kläger seinen Vater pflegen würde und dafür monatlich 200,00 Euro erhalten würde. Die Pflege bedürfe einer monatlichen Aufwendung von mehr als 20 Stunden. Mit Schreiben vom 18. Januar 2013 wurde dem Beklagten mitgeteilt, dass die Pflege des Vaters seit dem Zuzug des Klägers in die Bundesrepublik Deutschland erfolge, jedoch erst seit Dezember 2012 mit monatlich 200,00 Euro vergütet werde. Eine Anmeldung der geringfügigen Beschäftigung sei nicht erfolgt.

Mit Bescheid vom 14. Februar 2013 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. Das Aufenthaltsrecht des Klägers ergebe sich allein aus dem Zwecke der Arbeitssuche. Es liege ein Leistungsausschluss vor.

Hiergegen erhob der Kläger am 28. Februar 2013 Widerspruch. Der Vater sei Deutscher Staatsbürger. Der Leistungsausschluss gelte nicht für Angehörige von Deutschen. Darüber hinaus seien Unionsbürger mit Inländern gleich zu behandeln.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26. April 2013 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger könne sein Aufenthaltsrecht nicht als Familienangehöriger eines deutschen Staatsbürgers ableiten. Dies gelte für Verwandte in gerader absteigender Linie wie Kinder nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Der Kläger sei älter als 18. Die häusliche Pflege, die der Kläger für seinen Vater leiste, sei nicht als geringfügige Beschäftigung angemeldet. Eine Anknüpfung an den deutschen Arbeitsmarkt bestehe nicht.

Hiergegen richtet sich die mit Schriftsatz vom 27. Mai 2013 beim Sozialgericht Osnabrück am gleichen Tage eingegangene Klage.

Der Beklagte gewährte dem Kläger ab dem 01. Januar 2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Dies erfolgte aufgrund der Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung. Der Vater des Klägers verstarb am 25. November 2013.

Der Kläger trägt vor, dass aufgrund der erbrachten Pflegeleistungen und der dafür erhaltenen Bezahlung ein Anknüpfungspunkt zum deutschen Arbeitsmarkt bestünde. Es seien Ansprüche nach dem SGB II gegeben.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 14. Februar 2013 in Form des Widerspruchsbescheides vom 26. April 2013 aufzuheben und dem Kläger ab Antragstellung bis zum 31. Dezember 2013 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Pflegeleistung für den Vater des Klägers sei kein Anknüpfungspunkt an den deutschen Arbeitsmarkt. Es bestehe keine Anmeldung als geringfügige Beschäftigung. Daher sei es lediglich als familiäre Unterstützung und nicht als Beschäftigung anzusehen. Eine Leistungsgewährung nach dem SGB XII komme nicht in Betracht. Die Grundsicherung nach dem SGB XII sei keine Auffangnorm.

Die Verwaltungsvorgänge des Beklagten lagen dem Gericht bei der Entscheidung vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf diese sowie auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihre Zustimmung hierzu erklärt haben.

Die gemäß § 54 Abs. 1 und 4 SGG zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Verwaltungsakt ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat in den Monaten Oktober und November 2012 Anspruch auf Leistungen des 3. Kapitels nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) (hierzu unter 2.). Im Zeitraum Dezember 2012 bis einschließlich Dezember 2013 hat der Kläger Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II (hierzu unter 1.).

1. Der Kläger hat Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Zeitraum Dezember 2012 bis einschließlich Dezember 2013. Er unterliegt nicht dem Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II. Das Aufenthaltsrecht des Klägers ergibt sich nicht alleine aus dem Zweck der Arbeitssuche. Der Kläger ist als Arbeitnehmer anzusehen.

Gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II sind ausgenommen von den Leistungen nach dem SGB II Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Anspruch auf aufstockende SGB II-Leistungen haben jedoch Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die sich als Arbeitnehmer einschließlich geringfügig Beschäftigter oder Selbstständige in Deutschland aufhalten (Radüge in JurisPK SGB II, Stand: 14.03.2016, § 7, Rd.-Nr. 95). Als Arbeitnehmer sind diejenigen Personen anzusehen, die eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausüben mit Ausnahme derjenigen Arbeitnehmer, deren Tätigkeit einen so geringen Umfang hat, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellt (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2010, B 14 AS 23/10 R, Rd.-Nr. 18, zitiert nach Juris). Nach Überzeugung der Kammer sind das Einkommen und damit auch die Tätigkeit des Klägers zwar nicht bedarfsdeckend, jedoch nicht völlig untergeordnet und unwesentlich. Der Kläger pflegte im streitbefangenen Zeitraum seinen Vater und erhielt dafür eine Vergütung in Höhe von 200,00 Euro monatlich. Nach Auffassung der Kammer ist zumindest bei einem Einkommen von 200,00 Euro monatlich nicht mehr von einer völlig untergeordneten und unwesentlichen Tätigkeit auszugehen. Bei einem Einkommen von 200,00 Euro monatlich verbliebe es bei einem anrechenbaren Einkommen in Höhe von 80,00 Euro monatlich. Damit konnte der Kläger zumindest teilweise seinen Lebensunterhalt selbst durch Erwerbstätigkeit bestreiten.

Dem steht ebenfalls nicht entgegen, dass hier ein Näheverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber besteht. Das Verwandtschaftsverhältnis steht einem Arbeitsverhältnis nicht entgegen. Dem Kläger war es möglich, mit seinem Vater einen Arbeitsvertrag zu schließen. Die Kammer verkennt nicht, dass die Dienstleistung sehr haushaltsnah erbracht worden ist. Auch dies steht jedoch der Arbeitnehmertätigkeit nach Auffassung der Kammer nicht entgegen. Der Vater des Klägers hätte auch eine fremde Person als Helfer in der Pflege beschäftigen können.

Die Tatsache, dass der Vater des Klägers die Tätigkeit nie als geringfügige Beschäftigung angemeldet hat, steht der Arbeitnehmereigenschaft des Klägers nicht entgegen. Die Tatsache, ob der Arbeitgeber eine Beschäftigung ordnungsgemäß anmeldet und ggfls. Sozialversicherungsbeiträge abführt kann dem Arbeitnehmer nicht zu Lasten gelegt werden. Der Arbeitnehmer hat regelmäßig keinen Einfluss auf das entsprechende Verhalten des Arbeitgebers. Insbesondere kann der Arbeitnehmer die Anmeldung nicht selbstständig durchführen. Auch eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit wird nicht deswegen zu keiner Erwerbstätigkeit, weil der Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge nicht ordnungsgemäß abführt.

Trotz des Versterbens des Vaters des Klägers im November 2013 und dem damit entfallenden Einkommen im Monat Dezember 2013 kann sich der Kläger im Monat Dezember 2013 nach Überzeugung der Kammer weiterhin auf die Arbeitnehmereigenschaft berufen. Gemäß § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) bleibt das Recht nach Abs. 1 der genannten Vorschrift für Arbeitnehmer und selbstständig Erwerbstätige unberührt bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer selbständigen Tätigkeit in Folge von Umständen, auf die der Selbstständige keinen Einfluss hatte. Die Arbeitslosigkeit nach dem Versterben des Vaters des Klägers ist für den Kläger unfreiwillig. Hätte der Vater weiter gelebt, hätte der Kläger für diesen weiter gearbeitet.

Der Kläger hat folglich im genannten Zeitraum dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II unter Berücksichtigung von Einkommen. Das Gericht konnte gemäß § 130 Abs. 1 S. 1 dem Grunde nach zur Leistung verurteilen, da ein Rechtsanspruch auf die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes besteht.

2. In den Monaten Oktober und November 2012 hat der Kläger Anspruch auf Leistungen des 3. Kapitels des SGB XII. In diesem Zeitraum greift der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II, da der Kläger sich in diesem Zeitraum nicht auf den Status eines Arbeitnehmers berufen kann.

Nach § 19 Abs. 1 SGB XII ist Personen Hilfe zum Lebensunterhalt zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten können. Dies war beim Kläger im Zeitraum Oktober und November 2012 der Fall. In diesem Zeitraum verfügte er über keinerlei Einkommen. Der Beklagte hatte als Optionskommune ebenfalls Kenntnis ab Oktober 2012 über die Hilfebedürftigkeit des Klägers. Das Schreiben, das bei der Gemeinde A-Stadt am 29. Oktober 2012 einging, verdeutlicht, dass der Kläger bedürftig im Sinne des Gesetzes gewesen ist. Der Beklagte hat folglich ab diesem Zeitpunkt Kenntnis. Darüber hinaus ist das Schreiben aus Oktober 2012 auch als Antrag auf Leistungen der Grundsicherung jeglicher Art bzw. auch der Hilfe zum Lebensunterhalt zu sehen.

Der Kläger war nicht nach § 21 S. 1 SGB XII von der Hilfe zum Lebensunterhalt ausgeschlossen. § 21 S. 1 SGB XII bestimmt, dass Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt erhalten. Der Kläger war in den Monaten Oktober und November 2012 nicht leistungsberechtigt nach dem SGB II, da er den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II unterfiel.

Der Kläger hatte Anspruch auf Ermessensleistungen nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII. Nach dieser Vorschrift kann Sozialhilfe geleistet werden, wenn dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Das Ermessen des Sozialhilfeträgers ist in einem Fall, in dem sich der Aufenthalt verfestigt hat, auf Null reduziert. Die Verfestigung des Aufenthaltes ist regelmäßig ab einem 6-monatigem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland anzunehmen (BSG, Urteil vom 03. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R, Rd.-Nr. 53, zitiert nach Juris). Im Monat Oktober 2012 war der Kläger bereits seit fast zwei Jahren in der Bundesrepublik Deutschland aufhältig. Das Ermessen in Bezug auf die Gewährung der Leistungen der Sozialhilfe war folglich auf Null reduziert. Der Beklagte war zur Leistung nach dem SGB XII in den beiden Monaten zu verurteilen. Auch vorliegend konnte das Gericht zur Leistung dem Grunde nach gemäß § 130 Abs. 1 SGG verurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und orientiert sich am Ausgang des Verfahrens.