Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 09.03.2016, Az.: S 34 KR 246/14

Bewilligung einer Langfristgenehmigung für manuelle Therapie und Krankengymnastik nach pflichtgemäßem Ermessen

Bibliographie

Gericht
SG Osnabrück
Datum
09.03.2016
Aktenzeichen
S 34 KR 246/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 30435
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGOSNAB:2016:0309.S34KR246.14.0A

Tenor:

  1. 1.

    Der Bescheid vom 15. Februar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juli 2014 wird aufgehoben.

  2. 2.

    Die Beklagte wird verpflichtet, eine Langfristgenehmigung für manuelle Therapie ab dem 16. Januar 2014 zu erteilen. Ob sie eine Befristung ausspricht, hat sie nach pflichtgemäßer Ermessensausübung zu entscheiden. Die Befristung darf in diesem Falle frühestens ab dem 9. März 2016 ausgesprochen werden.

  3. 3.

    Die Beklagte wird verpflichtet, den Antrag auf Langfristverordnung für Krankengymnastik vom 16. Januar 2014 zu bescheiden.

  4. 4.

    Es wird festgestellt, dass die Frist für die Bescheidung des Antrages auf Langfristverordnung für Krankengymnastik am 13. Februar 2014 ablief.

  5. 5.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

  6. 6.

    Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zur Hälfte zu erstatten.

  7. 7.

    Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Bewilligung einer Langfristgenehmigung für manuelle Therapie und Krankengymnastik.

Bei der Klägerin besteht eine angeborene Störung mit Harnblasenektrophie mit Störung des Beckenringschlusses und Hüftdysplasie beidseits. Es wurden deswegen mehrere Operationen durchgeführt. Dr. A. begründete unter dem 13. Januar 2014 eine Langfristgenehmigung für manuelle Therapie. Die entsprechende Verordnung datiert auf den 15. Januar 2014. Unter dem 16. Januar 2014 beantragte die Klägerin unter Bezugnahme und Beifügung dieser Unterlagen eine Langfristgenehmigung für manuelle Therapie, Krankengymnastik, Ergotherapie und Bewegungsübungen. Wann der Antrag bei der Beklagten einging, ist streitig. Der Antrag wurde jedenfalls am 24. Januar 2014 eingescannt. Die Beklagte beauftragte unter dem 31. Januar 2014 den MDK mit einer Stellungnahme. Dieser äußerte sich per Fax unter dem 4. Februar 2014: "kein komplexes Schädigungsmuster, Heilmittel-VO im Regelfall, Übungen in Eigenregie möglich, Optimierung der Schmerztherapie, ggf. Rehasport". Die Stellungnahme wurde am 13. Februar 2014 eingescannt. Mit Bescheid vom 15. Februar 2014 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Dagegen legte die Klägerin unter dem 13. März 2014 Widerspruch ein. Das Widerspruchsschreiben wurde am 14. und 18. März eingescannt. Zur Begründung des Widerspruchs führte die Klägerin aus, dass bei ihr eine schwere Missbildung vorliege und nahm Bezug auf das Attest des Dr. B. vom 28. März 2014 (Bl. 5 Gerichtsakte). Der MDK hielt in seiner Stellungnahme vom 22. Mai 2014 an seiner bisherigen Einschätzung fest und die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 9. Juli 2014 als unbegründet zurück. Auf die Begründung wird Bezug genommen (Bl. 6-10 d. Verwaltungsakte).

Die Klägerin hat am 6. August 2014 Klage erhoben.

Sie trägt vor:

Die Voraussetzungen für eine Langfristgenehmigung seinen nach den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses gegeben. Die Langfristgenehmigung komme der Beklagten entgegen und spare Kosten. Im Übrigen sei das Leiden der Klägerin sehr selten und unheilbar. Die Klägerin nimmt Bezug auf Atteste des Dr. B. vom 28. März 2014 (Bl. 5 d. Gerichtsakte), Dr. A. vom 20. März 2014 (Bl. 6 ff. d. Gerichtsakte), Dr. C. (Bl. 26 d. Gerichtsakte) und von D. (undatiert, Bl. 48 d. Gerichtsakte). Krankengymnastik sei von Antrag der Klägerin umfasst gewesen. Ggf. sei dieser Antrag gar nicht beschieden worden, so dass die Frist nach § 32 Abs. 1a S. 3 SGB V abgelaufen sei.

Ein vom Gericht vorgeschlagener Vergleich ist nicht zustande gekommen.

Die Klägerin beantragt zu erkennen:

  1. 1.

    Der Bescheid der Beklagten vom 15. Februar 2014 und der Widerspruchsbescheid vom 9. Juli 2014 werden aufgehoben.

  2. 2.

    Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Kostenübernahme für die ärztlich erteilte Langzeitverordnung für die regelmäßige Fortführung von Krankengymnastik und manuelle Therapie zu erteilen.

  3. 3.

    (Hilfsweise:) Die Beklagte zu verpflichten, den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Langzeitgenehmigung für Krankengymnastik zu bescheiden.

  4. 4.

    Es wird festgestellt, dass die Frist zur Bescheidung des Antrages auf Krankengymnastik vom 16. Januar 2014 abgelaufen ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ein Rechtsschutzbedürfnis bestehe nicht, da es keine Versorgungslücke gegeben habe. Eingänge würden bei der Beklagten taggenau gescannt werden. Die Frist für den Antrag auf Krankengymnastik sei unterbrochen, weil mangels Verordnung der Antrag unvollständig sei. Im Übrigen sei die Frist für die Bescheidung gewahrt.

Die Kammer hat die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist zunächst als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage statthaft und teilweise, nämlich in Bezug auf die manuelle Therapie, zulässig. In Bezug auf die Krankengymnastik ist die Klage unzulässig, weil es an einem entsprechenden Ausgangsbescheid fehlt. Eine Leistungsklage ist unstatthaft, weil die Beklagte in Bezug auf die Befristung ein Ermessen hat, welches vorliegend nicht auf Null reduziert ist.

Die insoweit zulässige Klage ist begründet. Der Anspruch folgt aus § 32 Abs. 1a S. 3 SGB V, weil § 8 Abs. 5 der Heilm-RL einen Genehmigungsvorbehalt enthält und der Antrag der Klägerin vom 16. Januar 2014 auf Erteilung der Genehmigung nicht innerhalb einer Frist von 4 Wochen beschieden wurde. Die Entscheidung wurde am 15. Februar 2014 getroffen. Die Frist von 4 Wochen wäre aber am 13. Februar 2014 abgelaufen. Dabei geht die Kammer davon aus, dass der Antrag am 16. Januar 2014 und nicht erst am 24. Januar 2014 gestellt wurde. Es ist nicht nachgewiesen, dass der Eingang erst am 24. Januar 2014 erfolgte und Unklarheiten gehen diesbezüglich zum Nachteil der aktenführenden Behörde. Unzutreffend ist die Auffassung der Beklagten, dass das Scandatum das Eingangsdatum dokumentiere. Selbst wenn man unterstellt, dass der Scanvermerk wie ein Posteingangsstempel eine öffentliche Urkunde im Sinne von § 415 Abs. 1 ZPO darstellt, dokumentiert er eben nur den Zeitpunkt des Scans und nicht den Zeitpunkt des Posteingangs. Der Schluss vom Scanzeitpunkt auf das Datum des Posteingangs ist nur über Hilfstatsachen möglich. Der diesbezügliche Vortrag der Beklagten, dass die Scans stets tagesgenau erfolgen würden, ist jedoch unzutreffend: Der per Fax eingegangene Widerspruch (Datum und Eingang 13. März) ist erst am 14. bzw. 18. März eingescannt worden. Die per Fax übersandte Stellungnahme des MDK vom 4. Februar 2014 ist erst am 13. Februar 2014 eingescannt worden. Unerheblich ist, dass es sich um Faxeingänge handelt und dass das Eingangsdatum regelmäßig über den Empfangsvermerk in der ersten Zeile abgelesen werden könne. Es bleibt dabei, dass zwischen Eingang bei der Behörde und Scan mehrere Tage liegen können.

Hinsichtlich der Befristung ist Ermessen eingeräumt. Für eine Ermessensreduktion auf Null ist nichts ersichtlich. Dies gilt aber nur für die Zukunft. Für die Vergangenheit kann die den Antrag nicht befristen, weil die Klägerin kaum für die Vergangenheit einen erneuten Antrag auf Langfristverordnung stellen kann. Für die Vergangenheit besteht auch ein entsprechendes Rechtsschutzinteresse (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 27. Mai 2014 - L 11 KR 4072/13 -, , Rn. 20, 45).

Auf die materiellen Bewilligungsvoraussetzungen kam es nicht mehr an. Auch bei einer Prüfung anhand der Schwere und Langfristigkeit der Verordnung würde eine Befristungsmöglichkeit bestehen.

II.

Die Untätigkeitsklage ist zulässig und begründet (§ 88 SGG). Die Beklagte hat einen Antrag auf Langfristgenehmigung von Krankengymnastik nicht beschieden. Dieses Begehren ist dem Antragsschreiben vom 16. Januar 2014 zu entnehmen. Dass im zugehörigen ärztlichen Anschreiben und der Verordnung nur von manueller Therapie die Rede ist, ist wegen des Meistbegünstigungsgrundsatzes unerheblich. Der Antrag ist nicht innerhalb einer Frist von 6 Monaten beschieden worden. Ein zureichender Grund ist nicht ersichtlich. Der Klage fehlt ein Rechtsschutzbedürfnis nicht, weil die Beklagte nach Thematisierung im Klageverfahren immer noch keinen Bescheid erteilt hat.

III.

Der Feststellungsantrag ist zulässig. Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung wegen Wiederholungsgefahr. Die Beklagte hat im Klageverfahren die Auffassung vertreten, dass die Anträge fristgerecht beschieden werden und dass insbesondere die Frist für die Bescheidung des Antrages auf Krankengymnastik unterbrochen sei. Der Antrag ist begründet. Die Frist für die Bescheidung des Antrages auf KG ist ebenfalls abgelaufen. Eine Unterbrechung wegen Fehlens von Unterlagen liegt nicht vor. Eine Verordnung ist nach § 8 Abs. 5 SGB V nicht erforderlich, es heißt dort nur "verordnungsfähig". Es ist ja gerade Gegenstand des Verfahrens nach § 8 Abs. 5 SGB V, dass eine Verordnung im Regelfall oder außerhalb des Regelfalls nicht mehr als angemessen angesehen wird und eine längerfristige Verordnung setzt Voraus, dass zuvor eine Genehmigung vorliegt. Medizinische Unterlagen sind nicht erforderlich. In seiner ersten Stellungnahme teilte der MDK mit, dass VO im Regelfall ausreichen würden und die Klägerin Übungen in Eigenregie ausüben könne. Insbesondere letzteres ist typisch für Krankengymnastik, die ja gerade aktive Übungen umfasst. Insofern hätte der MDK auch die Ablehnung einer Langfristgenehmigung von KG empfohlen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Es war eine Quote zu bilden, weil Ermessen im Hinblick auf die Befristung bestand und weil das eigentliche Ziel der Klägerin eine zeitlich unbefristete Langfristgenehmigung für Krankengymnastik und manuelle Therapie zu erhalten, nicht erreicht werden konnte.

Die Berufung war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zuzulassen, § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Denn welcher Beweiswert einem Scanvermerk zukommt, ist bislang nicht geklärt. Wegen des zunehmenden Umfangs der elektronischen Aktenführung ist diese Rechtsfrage auch von erheblicher tatsächlicher Bedeutung.