Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 27.05.2003, Az.: 7 LB 207/02
Auflage; Wohnsitzauflage; wohnsitzbeschränkende Auflage
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 27.05.2003
- Aktenzeichen
- 7 LB 207/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 48070
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 28.02.2002 - AZ: 5 A 2762/01
Rechtsgrundlagen
- § 12 Abs 1 AuslG
- § 14 Abs 2 S 1 AuslG
Tatbestand:
Die Kläger begehren die Änderung der Wohnsitzauflage zu ihrer Aufenthaltsbefugnis, um ihren Wohnsitz bei ihren Angehörigen im Gebiet der Beigeladenen nehmen zu können.
Die 1942 geborene Klägerin zu 1) und der 1930 geborene Kläger zu 2) sind Eheleute und afghanische Staatsangehörige. Sie reisten am 30. Januar 1996 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ihren Asylantrag lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 24. Mai 1996 ab, stellte fest, dass bei ihnen Abschiebungshindernisse nicht gegeben seien und drohte die Abschiebung nach Afghanistan oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat an. Diese Entscheidung ist seit dem 24. September 1998 rechtskräftig. Nachdem die Kläger zunächst eine Duldung wegen tatsächlicher Unmöglichkeit der Abschiebung erhalten hatten, erteilte ihnen der Beklagte mit Verfügung vom 26. August/6. September 1999 eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 AuslG, die mit Verfügungen vom 30. August 2000 und 12. August 2002 jeweils um zwei Jahre verlängert wurde. In den Aufenthaltsbefugnissen ist jeweils vermerkt, dass den Klägern die Wohnsitznahme nur im Landkreis Hildesheim (mit Ausnahme des Stadtgebietes Hildesheim) gestattet ist.
Mit Schreiben vom 20. September 1999 stellten die Kläger einen Antrag auf Änderung der Wohnsitzauflage und beantragten die Genehmigung zum Zuzug nach E.. Zur Begründung führten sie aus, dort lebten ihre Tochter und ihr Schwiegersohn, die sich um ihre nach dem anliegenden ärztlichen Attest notwendige Pflege und Betreuung kümmern könnten. Ihr Sohn sei zurzeit noch in F. gemeldet, habe aber eine Arbeitsstelle in G. gefunden und werde voraussichtlich demnächst nach dort umziehen. Der von dem Beklagten um Zustimmung gebetene Landkreis Hannover wandte sich gegen den Zuzug der Kläger, weil deren Einzug in die Wohnung der Tochter und des Schwiegersohnes nicht in Betracht komme und beide zudem berufstätig seien, so dass eine Betreuung der kranken Kläger nicht gewährleistet werden könne.
Mit dem am 11. Dezember 2000 bei dem Beklagten eingegangenen Schreiben beantragten die Kläger erneut die Änderung der Wohnsitzauflage zugunsten eines Umzuges nach (E. -)H. zu ihrem Sohn. Die Klägerin sei sehr krank. Sie bräuchten eine Betreuung, die ihr Sohn übernehmen würde. Ihre Tochter lebe ebenfalls in H. mit ihrer Familie; auch sie werde sich um sie - die Kläger - kümmern können. In F. gebe es niemanden, der sie betreuen könne. Die Wohnung ihres Sohnes sei groß genug, so dass sie dort mit einziehen könnten. Nach Anhörung des Sozialamtes der Stadt E. erklärte sich der Landkreis Hannover mit einem Zuzug nicht einverstanden, weil der Sohn der Kläger im Landkreis Hildesheim hätte wohnen bleiben können. Zudem sei die Entfernung nicht so gravierend, dass es dem Sohn der Kläger nicht zumutbar sei, seine Eltern regelmäßig zu besuchen. Mit Bescheid vom 27. März 2001 lehnte der Beklagte den Antrag der Kläger auf Änderung der Wohnsitzauflage ab, weil die Ausländerbehörde des Landkreises Hannover dem Zuzug aus den von dort angegebenen Gründen nicht zustimme. Ohne eine solche Zustimmung könne die Wohnsitzauflage nicht geändert werden, weil sie seinerzeit aufgrund des Sozialhilfebezugs der Kläger verfügt worden sei, damit ihre Zuweisung nach Ablehnung des Asylantrages nicht später unterlaufen und eine Kostenverschiebung auf eine andere Kommune begünstigt werde. Gegen diesen Bescheid legten die Kläger am 2. April 2001 Widerspruch ein, den die Bezirksregierung Hannover mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juni 2001 als unbegründet zurückwies. Darin heißt es zur Begründung: Da die Kläger nach wie vor zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts auf Sozialhilfe angewiesen seien, könnten sie sich nicht auf die Ausnahmevorschrift im Runderlass des Niedersächsischen Innenministeriums vom 15. Juli 1998 berufen. Ermessensfehler seien nicht ersichtlich. Der Beklagte habe bei seiner Entscheidung das öffentliche Interesse an einer möglichst gleichmäßigen Verteilung der Ausländer, die auf Sozialhilfe angewiesen seien, und das private Interesse der Kläger sachgerecht abgewogen. Entgegen ihrem Vorbringen könne die Betreuung durch den Sohn der Kläger auch von Hannover aus erfolgen und sei in dieser nicht zu großen Entfernung durchaus zumutbar. Weitere Gründe, die geeignet seien, einen Wohnsitzwechsel zu begründen, seien nicht vorgetragen und nicht ersichtlich.
Gegen den am 21. Juni 2001 zugestellten Widerspruchsbescheid haben die Kläger am 11. Juli 2001 Klage erhoben. Zur Begründung haben sie ausgeführt: Ihre aufgrund ihres eingeschränkten Gesundheitszustandes erforderliche Pflege und Betreuung könne durch ihre nahen Angehörigen unter zumutbaren Bedingungen nur an deren Wohnort erfolgen. Schon aufgrund der Arbeitszeiten ihrer Kinder und des Schwiegersohns sei es schwierig, eine regelmäßige Betreuung sicherzustellen. Diese werde noch durch die Entfernung zwischen E. und F., die ca. 50 km betrage, erschwert. Allein ihr Schwiegersohn verfüge über ein Auto. Im Falle eines Umzugs könnten sich auch ihre Enkelkinder um sie kümmern. Sie - die Kläger - hätten zudem erhebliche sprachliche Schwierigkeiten, so dass sie insbesondere bei Behördengängen und Arztbesuchen auf die Unterstützung ihrer Familie angewiesen seien.
Die Kläger haben beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 27. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides die Bezirksregierung Hannover vom 20. Juni 2001 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die den Klägern erteilte Auflage zur Wohnsitznahme im Landkreis Hildesheim in den Aufenthaltsbefugnissen zu streichen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat sich zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide bezogen und die Auffassung vertreten, der Antrag der Kläger sei abzulehnen gewesen, nachdem der Landkreis Hannover sein Einvernehmen mit einer Änderung der Wohnsitzauflage nicht erteilt habe.
Mit Urteil vom 28. Februar 2002 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Ablehnung der Aufhebung der Wohnsitzauflage beruhe auf dem Erlass des Niedersächsischen Innenministeriums vom 15. Juli 1998, mit dem zulässigerweise das Ermessen der einzelnen Ausländerbehörden gelenkt werde. Die dort genannten Voraussetzungen für eine Aufhebung der Wohnsitzauflage erfüllten die Kläger nicht. Deren Fall liege nicht so atypisch, dass er von dem Erlass nicht erfasst werde. Zum einen hätten beide Kinder aus eigenem Antrieb die Verschlechterung der Betreuungssituation ihrer Eltern verursacht, indem sie Arbeitsstellen in weiterer Entfernung von dem Wohnort ihrer Eltern angenommen hätten und von dort weggezogen seien. Zum anderen sei die Betreuung der Kläger durch die räumliche Trennung zwar schwieriger geworden, aber gegenwärtig nicht unmöglich. An dieser Einschätzung änderten auch die in der mündlichen Verhandlung vorgelegten weiteren ärztlichen Stellungnahmen nichts. Im Übrigen sei es Aufgabe des Sozialhilfeträgers, die Betreuung der Kläger im Krankheitsfalle zu gewährleisten. An diesen hätten sich die Kläger gegebenenfalls verstärkt zu wenden.
Zur Begründung der wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zugelassenen Berufung wiederholen und vertiefen die Kläger ihr bisheriges Vorbringen. Sie nehmen Bezug auf die Bescheinigung der sie behandelnden Ärzte vom 29. Juli 2002, in der unter anderem ausgeführt wird, aufgrund zunehmender Behinderung und Pflegebedürftigkeit der Kläger sei die Einbindung in den familiären Rahmen dringend erforderlich. Aus hausärztlicher Sicht sei zur Sicherstellung der pflegebed. Versorgung und somit der Erhaltung des jetzt erreichten Gesundheitszustandes eine Verlegung des Wohnsitzes in den Bereich des Wohnortes der Tochter und des Sohnes dringend erforderlich.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
nach ihrem Antrag in erster Instanz zu erkennen.
Der Beklagte sieht sich ohne Zustimmung der nunmehr zuständigen Region Hannover, die im Berufungsverfahren beigeladen worden ist, gehindert, die Wohnsitzauflage aufzuheben oder zu ändern.
Die Beigeladene hält die Voraussetzungen für eine Änderung der wohnsitzbeschränkenden Auflage nach dem (aktuell geltenden) Runderlass des Niedersächsischen Innenministeriums vom 16. Oktober 2002 nicht für gegeben. Die Kläger befänden sich nicht in einer derart speziellen Lebenssituation, dass eine Änderung der Wohnsitzauflage erforderlich sei. Die erforderlichen Hilfeleistungen könnten auch im Rahmen regelmäßiger Besuche durch die Angehörigen erbracht werden. Auch komme ein Umzug innerhalb des Landkreises Hildesheim (z.B. nach I.) in Betracht, so dass eine Betreuung mit einem geringeren Aufwand möglich sei.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, die in ihren wesentlichen Teilen Gegenstand der Entscheidung waren.
Entscheidungsgründe
Die Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 iVm § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist begründet.
Die Klage ist zulässig (I) und begründet (II).
I. Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig.
1. Der Klageantrag ist nach seinem Wortlaut darauf gerichtet, den Beklagten unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide zu verpflichten, die wohnsitzbeschränkende Auflage in den Aufenthaltsbefugnissen zu streichen. An die Formulierung des Antrags ist das Gericht nicht gebunden. Maßgebend ist das erkennbare, auch der Begründung zu entnehmende Rechtsschutzziel (§ 88 VwGO). Die Auslegung des Klageantrags ergibt, dass die Kläger mit ihrem Begehren und der gegebenen Begründung nicht schlechthin den Wegfall der wohnsitzbeschränkenden Auflage mit dem Ziel einer uneingeschränkten Freizügigkeit (§ 12 Abs. 1 AuslG), sondern – wie bereits aus dem bei dem Beklagten gestellten Antrag ersichtlich ist - die Änderung der Auflage erreichen wollen. Sie wenden sich gegen die Verpflichtung zur Wohnsitznahme im Landkreis Hildesheim (mit Ausnahme des Stadtgebietes Hildesheim) und möchten stattdessen ihren Wohnsitz in E. -H., dem Wohnort ihrer Angehörigen, nehmen können. Ihr Interesse besteht hingegen nicht darin, bei der Wahl ihres ständigen Aufenthalts völlig frei zu sein. Über diesen dem Willen der Kläger entsprechenden Antrag auf Änderung der Auflage hat der Senat zu entscheiden.
2. Bei der die Wohnsitznahme regelnden Auflage handelt es sich entweder um eine in jeder Hinsicht von der Aufenthaltsgenehmigung unabhängige Anordnung, die schon deswegen isoliert angefochten werden kann. Dafür lässt sich insbesondere die Regelung des § 44 Abs. 6 AuslG anführen, wonach Beschränkungen und Auflagen auch nach Wegfall der Aufenthaltsgenehmigung oder Duldung in Kraft bleiben, bis sie aufgehoben werden oder der Ausländer seiner Ausreisepflicht nachgekommen ist. Auch wenn man eine derartige Selbständigkeit nicht bejaht, handelt es sich grundsätzlich um eine der Anfechtung zugängliche belastende Teilregelung der Genehmigung im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO (BVerwG, Urt. v. 19.3.1996 - 1 C 34.93 -, DVBl. 1997, 165). Im vorliegenden Fall besteht allerdings die Besonderheit, dass die erstmals am 26. August/ 6. September 1999 den Aufenthaltsbefugnissen beigefügte Auflage bestandskräftig geworden ist, so dass die Kläger mit ihrem (erneuten) Antrag vom 11. Dezember 2000 zutreffend einen Antrag auf Änderung der Auflage gestellt haben. Dieser Antrag ist - wie geschehen - mit der Verpflichtungsklage zu verfolgen.
II. Die Klage ist begründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 27. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Hannover vom 20. Juni 2001, mit dem die begehrte Änderung der Wohnsitzauflage abgelehnt worden ist, ist rechtswidrig und verletzt die Kläger, die unter den hier gegebenen Umständen einen Anspruch auf Änderung der Auflage haben, in ihren Rechten.
1. Der Beklagte ist passivlegitimiert, diesen Anspruch zu erfüllen. Allerdings bestimmt der aktuell geltende Runderlass des Niedersächsischen Innenministeriums vom 16. Oktober 2002 (NdsMBl. Nr. 40/2002 v. 20.11.2002, S. 938) hinsichtlich des Verfahrens und der Zuständigkeit, dass bei einem beabsichtigten Wohnsitzwechsel in den Zuständigkeitsbereich einer anderen Ausländerbehörde zuvor das Einvernehmen mit der für den vorgesehenen Aufenthaltsort zuständigen Ausländerbehörde herzustellen ist. Versagt die aufnehmende Ausländerbehörde ihre Zustimmung, hat sie der zuständigen Behörde alle hierfür maßgeblichen Gründe darzulegen. Kommt ein Einvernehmen nicht zustande, entscheidet die Bezirksregierung, in deren Bezirk die bisher örtlich zuständige Ausländerbehörde liegt (Nr. 4.1.1 des Runderlasses). Ein derartiges Einvernehmen ist zwischen dem Beklagten und der Beigeladenen nicht zustande gekommen. Gleichwohl sieht der Senat die Entscheidungskompetenz der Bezirksregierung, die der Runderlass ihr unter den dort genannten Voraussetzungen offenbar als Ausgangsbehörde einräumt, nicht als gegeben an. Die Zuständigkeitsverlagerung auf die Bezirksregierung knüpft an das zuvor beschriebene Verfahren an und ist wirksam geworden mit Inkrafttreten des Runderlasses. In diesem Zeitpunkt waren indes im vorliegenden Fall das Verwaltungsverfahren und das Widerspruchsverfahren abgeschlossen. Der Beklagte hatte den Antrag der Kläger abschlägig beschieden, nachdem der Rechtsvorgänger der Beigeladenen seine Zustimmung versagt hatte. Über den dagegen erhobenen Widerspruch hatte die Bezirksregierung Hannover als Widerspruchsbehörde entschieden. Es fehlt an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass der Runderlass für derart beendete Verwaltungsverfahren eine Regelungswirkung entfalten will. Dafür hätte es einer ausdrücklichen Bestimmung bedurft, die der Erlass für derartige Konstellationen aber nicht trifft. Daraus ist zu schließen, dass der Anspruch auf Änderung der wohnsitzbeschränkenden Auflage klageweise nur dann gegenüber der Bezirksregierung geltend zu machen ist, wenn das Verwaltungsverfahren mit den in Nr. 4.1.1 des Runderlasses vorgesehenen Verfahrensschritten durchlaufen worden ist und die Bezirksregierung über den Antrag als Ausgangsbehörde entschieden hat.
2. Rechtsgrundlage für die streitige Auflage ist § 14 Abs. 2 Satz 1 AuslG. Danach kann die Aufenthaltsgenehmigung mit Auflagen verbunden werden. Die den Aufenthaltsbefugnissen der Kläger beigefügte Regelung über die Wohnsitznahme begrenzt - anders als die räumliche Beschränkung der Aufenthaltsgenehmigung - den Geltungsbereich der Aufenthaltsbefugnis nicht. Es handelt sich vielmehr um eine freizügigkeitsbeschränkende Maßnahme, aufgrund derer es verboten ist, außerhalb der von der Auflage erfassten Region Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen und einen neuen Lebensmittelpunkt zu begründen (vgl. Huber, in: Handbuch des Ausländer- und Asylrechts, II. Systematische Darstellung, Rn. 180 f.; Discher, in: GK-AuslR, § 12 AuslG Rn. 251 f.; für die Anwendung des § 12 Abs. 1 Satz 2 AuslG Renner, AuslR in Deutschland, S. 343).
An der wohnsitzbeschränkenden Auflage muss ein öffentliches Interesse bestehen. Sie dient nach dem Runderlass des Niedersächsischen Innenministeriums vom 16. Oktober 2002 (vgl. schon die Vorgängerfassung v. 24.7.1998) insbesondere dazu, ungleiche Belastungen der Träger der Sozialhilfe zu vermeiden. Dabei handelt es sich um ein auch aufenthaltsrechtlich erhebliches öffentliches Interesse, das mit höherrangigem Recht grundsätzlich vereinbar ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.3.1996, aaO; Nds. OVG, Beschl. v. 6.7.2001 - 9 LB 1404/01 -). Bei der Ermessensentscheidung ist das öffentliche Interesse an der Einschränkung der Freizügigkeit gegen das private Interesse an einer weitergehenden Bewegungsfreiheit abzuwägen. Dabei sind insbesondere die Grundrechte und die durch sie verkörperte Wertordnung und der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Die Ermessensausübung kann zulässigerweise aus sachlichen Erwägungen durch einen ministeriellen Erlass konkretisiert werden. Gewichtigen Interessen des Ausländers, aufgrund seiner speziellen Lebenssituation außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der „an sich zuständigen“ Ausländerbehörde zu wohnen, ist bei der Ermessensentscheidung Rechnung zu tragen (vgl. Nr. 5.3 des Runderlasses v. 16.10.2002).
Hier liegen derartige überwiegende Interessen der Kläger vor. Mangels durchgreifender entgegenstehender Gesichtspunkte ist das dem Beklagten zustehende Ermessen dahingehend reduziert, den Klägern eine Wohnsitznahme bei deren Angehörigen im Gebiet der Beigeladenen zu ermöglichen.
Der Ablehnungsbescheid des Beklagten und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Hannover stellen auf den Zweck des ministeriellen Erlasses (seinerzeit in der Fassung vom 24.7.1998) ab und halten das Interesse der Kläger für nachrangig, weil deren Sohn den früheren gemeinsamen Wohnsitz nicht hätte aufgeben müssen und im Übrigen durch ihn auch eine Betreuung von seinem Wohnsitz in E. -H. aus erfolgen könne. Damit werden jedoch die Interessen der Kläger nicht angemessen erfasst. Abgesehen davon, dass die Kläger vorgetragen hatten, auch von ihrer Tochter und deren Familienangehörigen, die ebenfalls in E. ansässig sind, betreut werden zu können, sind auch sonst die wesentlichen individuellen Lebensverhältnisse der Kläger in den bisher ergangenen Verwaltungsentscheidungen unberücksichtigt geblieben. Die Kläger haben des näheren auf ihre individuellen Lebensumstände, die aus ihrer Sicht eine Familienzusammenführung notwendig machen, aufmerksam gemacht und durch ärztliche Atteste belegt. Sie haben dabei insbesondere auf ihr hohes Alter, ihre Krankheiten, sprachliche Verständigungsschwierigkeiten und die räumliche Entfernung zu ihrem Sohn, ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn sowie deren Kinder hingewiesen. Die von dem Beklagten eingeholte amtsärztliche Stellungnahme vom 17. Januar 2003 bestätigt, dass beide Kläger in ihrer körperlichen Beweglichkeit deutlich eingeschränkt sind, der Kläger aufgrund eines schweren Wirbelsäulenleidens und einer chronischen Herzerkrankung, die Klägerin aufgrund degenerativer Gelenkveränderungen. Aus amtsärztlicher Sicht sind beide zwar weitgehend selbständig hinsichtlich der Körperpflege, jedoch außerstande, die „groben“ Hausarbeiten (Einkäufe, Waschen, Putzen etc.) selbst zu leisten und insofern auf Hilfe angewiesen. Die Kinder und der Schwiegersohn der Kläger, aber auch deren Enkel, sind zur notwendigen Hilfe und Betreuung bereit und grundsätzlich in der Lage. Die Kläger haben indes im Einzelnen glaubhaft dargelegt, dass die notwendige Hilfe durch ihre Kinder und den Schwiegersohn, die alle berufstätig sind, insbesondere aufgrund der Arbeitszeiten und der Entfernung zwischen den gegenwärtigen Wohnsitzen der Kläger und ihrer Angehörigen nur unter erheblichen Belastungen und in eingeschränktem Maße aufrechterhalten werden kann. Die Kläger haben ein gewichtiges Interesse daran, dass der familiäre Beistand nicht erheblich erschwert oder gar unmöglich gemacht wird. Deren Wunsch, mit ihren nahen Angehörigen zusammenzuleben und von ihnen betreut zu werden, verdient auch im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG Vorrang vor dem Interesse am Fortbestand der verfügten Wohnsitzauflage.
In diesem Zusammenhang kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass es grundsätzlich auch im öffentlichen Interesse liegt, wenn aufenthaltsberechtigte Ausländer eine Beschäftigung gegebenenfalls auch im Bezirk einer anderen Ausländerbehörde aufnehmen und damit der Bezug von Sozialhilfe oder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz möglichst entbehrlich wird. Diese Bewertung liegt ersichtlich auch den Runderlassen des Niedersächsischen Innenministeriums vom 24. Juli 1998 und 16. Oktober 2002 zugrunde. Diesem öffentlichen Interesse wird die Ausländerbehörde nicht gerecht, wenn sie dem Ausländer, dessen Bemühungen um eine eigene Erwerbstätigkeit erfolgreich sind, pauschal entgegenhält, er hätte unter Verzicht auf diese Erwerbstätigkeit privaten Interessen, wie der Betreuung seiner Eltern, den Vorzug geben sollen. Auch wenn ein öffentliches Interesse daran besteht, dass die mit der Aufnahme und Unterbringung von Ausländern verbundenen Kosten innerhalb des Landes möglichst gleichmäßig verteilt werden und eine ungeregelte Binnenwanderung vermieden wird, können nicht nur andersartige öffentliche Interessen, wie die Einsparung von Sozialhilfeaufwendungen überhaupt, sondern auch gewichtige private Interessen des Ausländers, wie Hilfsbedürftigkeit oder sonstige dringende familiäre Gründe, die Änderung der wohnsitzbeschränkenden Auflage rechtfertigen. Dabei entspricht es im Allgemeinen - und auch hier - einer sachgerechten Verfahrensweise, dass nicht erwerbstätige Familienangehörige Gelegenheit erhalten, zu den Erwerbstätigen und Betreuungsbedürftige zu den Betreuern zu ziehen.
Soweit das Verwaltungsgericht den Klägern entgegengehalten hat, es sei Aufgabe des Sozialhilfeträgers, ihre Betreuung im Krankheitsfall zu gewährleisten, vernachlässigt dieser Einwand zum einen das auch verfassungsrechtlich geschützte Interesse der Kläger an einer Betreuung durch nahe Angehörige, mit denen zudem keine sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten bestehen. Zum anderen bleibt dabei unberücksichtigt, dass es nicht im öffentlichen Interesse liegt, Hilfeleistungen hilfewilliger Angehöriger erheblich zu erschweren und die erforderliche Hilfe von dem Träger der Sozialhilfe zu erwarten (vgl. nur § 2 Abs. 1 BSHG).
Nach allem sind keine die berechtigten Interessen der Kläger überwiegenden Gesichtspunkte vorgetragen worden oder sonst ersichtlich, die es rechtfertigen, den Wunsch der Kläger nach Wohnsitznahme bei ihren Angehörigen abzulehnen.