Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 16.05.2003, Az.: 2 ME 100/03
Diplomvorprüfung; Prüfungsleistung; Prüfungsunfähigkeit; Prüfungsverfahren; Rügerecht
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 16.05.2003
- Aktenzeichen
- 2 ME 100/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 47994
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 07.02.2003 - AZ: 5 B 152/03
Rechtsgrundlagen
- § 6 Abs 2 DiplPrO ND
- § 6 Abs 4 DiplPrO ND
- § 123 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Zu der Frage, zu welchem Zeitpunkt Mängel im Prüfungsverfahren (hier: gesundheitliche Beeinträchtigungen während einer mündlichen Verhandlung) geltend gemacht werden müssen.
2. Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine sogenannte unerkannte Prüfungsunfähigkeit zu bejahen ist.
3. Zu der Frage der Anrechnung von Prüfungsleistungen, die an einer anderen Fachhochschule erbracht worden sind.
Gründe
Durch Beschluss vom 7. Februar 2003 hat das Verwaltungsgericht den Antrag der Antragstellerin abgelehnt, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, ihr - der Antragstellerin - im Rahmen der Diplomvorprüfung des Studiengangs Wirtschaft im Prüfungsfach Kostenrechnung die Wiederholung der mündlichen Ergänzungsprüfung zu gestatten. Das Verwaltungsgericht hat mit seinem Beschluss auch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.
Gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde. Sie begehrt außerdem die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren.
Die Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt. Es ist rechtsfehlerfrei zu der Einschätzung gelangt, dass der von der Antragstellerin begehrte Erlass einer einstweiligen Anordnung an dem Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache scheitert. Eine Vorwegnahme der Hauptsache kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn ein Antragsteller einerseits unzumutbar schweren, anders nicht abwendbaren Nachteilen ausgesetzt würde, wenn er auf das Hauptsacheverfahren verwiesen werden würde, und wenn andererseits in der Hauptsache zumindest überwiegende Erfolgsaussichten bestehen (vgl. Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl. 1998, RdNr. 216 ff. m. w. Nachw.; Beschl. des Senats vom 26.3.2003 - 2 ME 87/03 -). Das Verwaltungsgericht hat zutreffend dargelegt, dass die Antragstellerin das Vorliegen dieser Voraussetzungen nicht im Sinne des § 123 Abs. 3 VwGO iVm § 920 Abs. 2 ZPO und § 294 Abs. 1 ZPO glaubhaft gemacht hat. Der Senat macht sich die Begründung des angefochtenen Beschlusses zu eigen und verweist auf sie (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Ergänzend und mit Rücksicht auf das Beschwerdevorbringen ist folgendes auszuführen:
Die Antragstellerin kann den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nicht mit Erfolg mit der Begründung beanspruchen, sie habe vor der Prüfung vom 7. November 2002 nicht einschätzen können, ob ein Arzt zu der Auffassung gelangen würde, dass sie wegen ihrer gesundheitlichen Beschwerden prüfungsunfähig sei. Falls ein Arzt sie nicht krank geschrieben hätte, hätte sie die Prüfung unentschuldigt versäumt. Das habe sie nicht riskieren müssen.
Die Antragstellerin muss sich entgegenhalten lassen, dass zwischen der Rüge eines bestimmten Mangels im Prüfungsverfahren und dem Geltendmachen der daraus folgenden Rechte (z. B. dem Rücktritt von der Prüfung) zu unterscheiden ist. Während mit der Rüge angezeigt wird, dass ein Prüfling zum Beispiel an gesundheitlichen Beschwerden leidet, geht es erst in einem weiteren Schritt um die Folgen des gerügten Mangels (vgl. Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, Band 2 - Prüfungsrecht -, 3. Aufl. 1994, RdNr. 83). Aus dem das Prüfungsrecht beherrschenden Grundsatz der Chancengleichheit und den Mitwirkungspflichten des Prüflings folgt, dass ein Prüfling Mängel im Prüfungsverfahren unverzüglich rügen muss. Dadurch soll zum einen verhindert werden, dass ein Prüfling zunächst die Prüfung fortsetzt und das Prüfungsergebnis abwartet, um sich so im Falle eines Misserfolgs eine weitere Prüfungschance zu beschaffen. Zum anderen dient die Obliegenheit, den Verfahrensmangel unverzüglich geltend zu machen, dazu, der Prüfungsbehörde eine eigene, möglichst zeitnahe Überprüfung des gerügten Mangels zu ermöglichen (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.6.1994 - 6 C 37.92 -, BVerwGE 96, 126, 129 f.; Beschlüsse des Senats v. 17.6.1998 - 2 L 4561/97 - u. v. 4.6.1998 - 2 L 3421/97 -; Niehues, aaO, RdNrn. 83, 164 und 195).
Das Verwaltungsgericht ist in dem angefochtenen Beschluss zutreffend zu der Einschätzung gelangt, dass die Antragstellerin in Kenntnis ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen an der Prüfung vom 7. November 2002 teilgenommen und damit das Risiko eines Misserfolgs auf sich genommen hat. Da Anhaltspunkte dafür, dass es der Antragstellerin nicht zuzumuten war, die Prüfer noch vor dem Beginn der Prüfung über ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu informieren, nicht vorliegen, verbietet es die Pflicht zur Gleichbehandlung aller Prüflinge, der Antragstellerin erst auf die nach Beendigung der Prüfung und Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses erhobene Rüge, sie sei aufgrund einer Erkrankung prüfungsunfähig gewesen, eine zusätzliche Prüfungschance einzuräumen.
Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass sich die Antragstellerin nicht mit Erfolg auf eine sogenannte unerkannte Prüfungsunfähigkeit berufen kann. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht ausgeführt, dass von einer Unkenntnis der Prüfungsunfähigkeit nicht schon dann die Rede sein kann, wenn ein Prüfling nicht in der Lage ist, seinen Zustand medizinisch als eine bestimmte Krankheit zu diagnostizieren oder rechtlich als Prüfungsunfähigkeit zu würdigen. Kenntnis von seiner Prüfungsunfähigkeit hat ein Prüfling vielmehr schon dann, wenn ihm sein gesundheitlicher Zustand (speziell seine gesundheitlichen Beschwerden) in den wesentlichen Merkmalen bewusst ist und er die Auswirkungen der Erkrankung auf seine Leistungsfähigkeit im Sinne einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“ erfasst (vgl. Niehues, aa0, RdNr. 168 m.w.Nachw. zur Rechtsprechung des BVerwG). Wie das Verwaltungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat, kann ausgehend von diesen Grundsätzen im Falle der Antragstellerin eine unerkannte Prüfungsunfähigkeit nicht bejaht werden. Denn den an die Antragsgegnerin gerichteten Schreiben der Antragstellerin vom 7. November 2002, ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 10. Januar 2003 und ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 14. Januar 2003 ist zu entnehmen, dass ihr nicht nur ihre gesundheitliche Einschränkung bekannt war, sondern darüber hinaus auch deren Ursache.
Die Antragstellerin kann den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung auch nicht mit Erfolg mit der Begründung beanspruchen, sie habe zunächst an der Fachhochschule B. Betriebswirtschaftlehre studiert und dort mit Erfolg eine Prüfung in dem Fach Rechnungswesen abgelegt. Sie macht insoweit geltend, da große Überschneidungen zwischen dem Lehrplan der Fachhochschule B. für das Fach Rechnungswesen und dem Lehrplan der Antragsgegnerin für das Fach Kostenrechnung bestünden, müsse die an der Fachhochschule B. abgelegte Prüfungsleistung auf die streitige Prüfung vom 7. November 2002 angerechnet werden.
Die Antragsgegnerin muss sich entgegenhalten lassen, dass sie es versäumt hat, vor der Zulassung zu den Fachprüfungen der Diplomvorprüfung bei dem Prüfungsausschuss der Antragsgegnerin gemäß § 6 Abs. 6 Satz 2 der Diplomprüfungsordnung für den Studiengang Wirtschaft und den Ergänzungsstudiengang Wirtschaft der Fachhochschule C., Fachbereich Wirtschaft vom 3. November 1999 (DPO) die Anrechnung der an der Fachhochschule B. erbrachten Prüfungsleistung zu beantragen. Die im Verlaufe des gerichtlichen Verfahrens an das Verwaltungsgericht bzw. den Senat gerichteten Schriftsätze vom 28. Februar 2003, 7. April 2003 und 22. April 2003 ersetzen einen solchen Antrag nicht. Der im Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin befindliche Antrag der Antragstellerin vom 26. September 2001 bezieht sich nicht auf die an der Fachhochschule B. im Fach Rechnungswesen erbrachte Leistung, sondern auf die an der genannten Fachhochschule im Fach Volkswirtschaftslehre III erbrachte Leistung.
Es kommt hinzu, dass - wie die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 31. März 2003 mitgeteilt hat - der zuständige Prüfungsausschuss am 27. März 2003 die Anrechnung der an der Fachhochschule B. abgelegten Prüfung im Fach Rechnungswesen mit der Begründung abgelehnt hat, eine hinreichende Übereinstimmung der Inhalte habe nicht festgestellt werden können. Diese Entscheidung des Prüfungsausschusses, der § 6 Abs. 2 Satz 1 bis 3 DPO zugrunde liegt, ist bei der in diesem Verfahren nur angebrachten summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht zu beanstanden. Denn ein Vergleich des Stoffüberblicks der Fachhochschule B. für das Fach Rechnungswesen (Kosten- und Leistungsrechnung RW II) und des Lehrplanes der Antragsgegnerin für das Fach Kostenrechnung zeigt, dass die Prüfungsleistung, die die Antragstellerin an der Fachhochschule B. erbracht hat, in Inhalt, Umfang und in den Anforderungen nicht im Wesentlichen derjenigen des Fachs Kostenrechnung entspricht. Die Antragstellerin hat selbst eingeräumt, dass an der Fachhochschule B. nur die Punkte 1. bis 313. des Lehrplanes der Antragsgegnerin für das Fach Kostenrechnung gelehrt worden seien. Da ganz wesentliche Teile des Lehrplanes der Antragsgegnerin für das Fach Kostenrechnung, nämlich die Teilgebiete der Kostenrechnungssysteme 32. (Kostenstellenrechnung) und 33. (Kostenträgerrechnung) sowie des weiteren die Deckungsbeitragsrechnung (4.), die Grundlagen der Plankostenrechnung (5.) und die Einführung in die Prozesskostenrechnung (6.), nicht Gegenstand der von der Antragstellerin an der Fachhochschule B. erbrachten Prüfungsleistung waren, hat der zuständige Prüfungsausschuss der Antragsgegnerin zu Recht eine Anrechnung dieser Prüfungsleistung abgelehnt.
Den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug hat das Verwaltungsgericht rechtsfehlerfrei mangels hinreichender Erfolgsaussichten abgelehnt, da - wie ausgeführt wurde - der Antragstellerin der geltend gemachte Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zusteht (§ 166 VwGO iVm § 114 ZPO). Da die Beschwerde der Antragstellerin aus den angeführten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 166 VwGO iVm § 114 ZPO hat, ist der Antragstellerin auch nicht für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes aus §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 2, 14 GKG.