Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 13.01.1998, Az.: VI 117/93

Treupflichten der Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) gegenüber ihrer Gesellschaft; Nutzung von Kenntnissen aufgrund der Gesellschafterstellung; Erwirken eines Verzichts auf eine Forderung gegenüber der Gesellschaft; Abschluss eines Forderungskaufvertrages

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
13.01.1998
Aktenzeichen
VI 117/93
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1998, 20334
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1998:0113.VI117.93.0A

Fundstellen

  • DStRE 1998, 959-960 (Volltext mit amtl. LS)
  • GmbHR 1998, 1027-1029 (Urteilsbesprechung von RA und Buchprüfer Dr. Wolfgang Sauter und Steuerberater und Wirtschaftsprüfer Dr. Wolf-Dieter Hoffmann)
  • GmbHR 1998, 898-899 (Volltext mit red. LS)

Verfahrensgegenstand

vGA durch Verletzung der Treuepflicht

Körperschaftsteuer 1988

Redaktioneller Leitsatz

Eine Verletzung der Treuepflicht eines Gesellschafters einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) ist anzunehmen, wenn der Gesellschafter aufgrund seiner besonderen Kenntnisse aufgrund seiner Gesellschafterstellung einen Verzicht auf eine Forderung gegenüber der Gesellschaft oder einen Teil davon erwirkt und den wirtschaftlichen Vorteil sich persönlich durch Abschluss eines Forderungskaufvertrages zunutze macht.

In dem Rechtsstreit
hat der VI. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 13. Januar 1998, an der mitgewirkt haben:
Präsident des Finanzgerichts ... als Vorsitzender
Richterin am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtlicher Richter ... Bäckermeister
ehrenamtliche Richterin ... Regierungs-Oberamtsrätin
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die wirtschaftlichen Folgen aus der Veräußerung einer Verbindlichkeit der Klägerin zuzurechnen sind.

2

Die durch notariellen Gesellschaftsvertrag vom 17. Januar 1980 in der Rechtform einer GmbH gegründete Klägerin hat als Unternehmensgegenstand den Vertrieb und die industrielle Fertigung von elektronischen Produkten. Das Stammkapital von 20.000 DM übernahm H. R. in Höhe von 10.200 DM und H.-G. R. in Höhe von 9.800 DM. Zum Geschäftsführer der Klägerin wurde der Gesellschafter R. bestellt. Durch Beschluß der Gesellschafterversammlung vom 16. Oktober 1984 wurde der Name und der Firmensitz geändert. Der Geschäftsführer wurde abberufen. Zur neuen Geschäftsführer in wurde die Kauffrau W. L., eine Angestellte der Klägerin, bestellt. Am 27. November 1984 beschlossen die Gesellschafter die Auflösung der Klägerin.

3

Aufgrund eines Antrages auf Konkurseröffnung vom 22. Februar 1985 wurde der Konkurs über das Vermögen der Klägerin am 2. April 1985 eröffnet. Während des Konkursverfahrens, am 20. Dezember 1985, erwarb der Gesellschafter R. eine Forderung der Firma E. GmbH in Höhe von 130.076,89 DM. die gegenüber der Klägerin bestand, zum Kaufpreis von 11.400 DM. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vertragliche Vereinbarung vom 20. Dezember 1985 (Bl. 16 f. des Rechtsbehelfshefters) Bezug genommen. Zugleich trat der frühere Gläubiger die Forderung an den Gesellschafter ab. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Abtretungsvereinbarung vom 20. Dezember 1985 (Bl. 18 des Rechtsbehelfshefters) Bezug genommen. Die Gesellschafterversammlung beschloß zudem am 6. Juni 1986 die Fortsetzung der Gesellschaft und die Erhöhung des Stammkapitals um 30.000 DM. Die neuen Geschäftsanteile übernahm der Gesellschafter R. in voller Höhe. Das Konkursverfahren über das Vermögen der Klägerin wurde am 4. November 1986 eingestellt.

4

Die von ihrem Gesellschafter erworbene Forderung wies die Klägerin in der Bilanz zum 31. Dezember 1985 in voller Höhe aus. Wegen der weiteren Bilanzposition wird auf die Bilanz zum 31. Dezember 1985 (Bl. 155 ff. Betriebsprüfungsakte Bd. I) verwiesen. Anfang 1987 erwarb der Gesellschafter den Geschäftsanteil der Mitgesellschafterin. Die Geschäftsführerin wurde abberufen und der Alleingesellschafter zum Geschäftsführer bestellt. Zugleich erfolgte eine Firmenänderung und Sitzverlegung.

5

Durch Bescheid vom 22. Februar 1988 setzte der Beklagte die Körperschaftsteuer für 1985 auf 0 DM fest. Das Einkommen stellte er auf ./. 3.968 DM fest. Der verbleibende Verlustabzug aus dem Jahre 1984 betrug 96.351 DM. Nach Feststellung des vorgenannten Sachverhaltes im Rahmen einer Außenprüfung rechnete der Beklagte die Differenz zwischen Nennwert der Forderung und Kaufpreis in Höhe von 105.112,30 DM der Klägerin im Jahr 1985 gewinnerhöhend zu. Mit Bescheid vom 21. Oktober 1991 stellte der Beklagte das Einkommen für 1985 auf 101.144 DM fest. Die Körperschaftsteuer 1985 verblieb durch die Berücksichtigung von Verlustvorträgen bei 0 DM. Eine Ausschüttungsbelastung wurde nicht hergestellt. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

6

Durch den Verbrauch des Verlustvortrages aus 1984 änderte sich der Körperschaftsteuerbescheid 1988. Mit Änderungsbescheid vom 21. Oktober 1991 setzte der Beklagte die Körperschaftsteuer 1988 auf 48.330 DM fest. Das Einkommen stellte er auf 102.286 DM und die Tarifbelastung auf 48.330 DM fest. Der Bescheid wurde der Klägerin durch einfachen Brief bekanntgegeben.

7

Mit Schreiben vom 28. Januar 1992 legte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin Einspruch ein mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung. Zur Begründung führte der Prozeßbevollmächtigte aus, die Bescheide seien der Klägerin Ende Oktober 1991 zugestellt worden. Der Geschäftsführer der Klägerin habe sein Sekretariat angewiesen, Kopien der Bescheide zur Prüfung an den Prozeßbevollmächtigten zu leiten. Die gefertigten Kopien seien entweder nicht ordnungsgemäß abgesandt oder auf dem Postwege verloren gegangen, da der Prozeßbevollmächtigte sie nicht erhalten habe. Der Beklagte wies den Einspruch mit Bescheid vom 2. Februar 1993 mit der Begründung ab, daß der Forderungskauf der Klägerin zuzurechnen sei, weil der Gesellschafter als faktischer Geschäftsführer aufgetreten sei.

8

Mit ihrer hiergegen erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Kürzung des Gewinns 1988 um die für 1985 im Änderungsbescheid vom 21. Oktober 1991 berücksichtigten Vorlustvorträge. Zur Begründung führt sie aus, der Gesellschafter habe eine Forderung gegen die Klägerin während des laufenden Konkursverfahrens erworben. Nach dem Erwerb habe er eine Rangrücktrittserklärung abgegeben, so daß der Konkursgrund der Überschuldung beseitigt gewesen sei. Durch die Forderungsabtretung sei lediglich ein Wechsel in der Person des Gläubigers eingetreten, so daß diese weiterhin habe passiviert werden müssen. Da die Forderung weder erlassen noch bezahlt worden sei, bestehe kein Grund für eine Gewinnerhöhung bei der Klägerin.

9

Der angefochtene Körperschaftsteuerbescheid 1988 sei den Prozeßbevollmächtigten am 13. Januar 1992 zur Kenntnis gebracht worden. Mit dem Antrag vom 28. Januar 1992 habe man die Monatsfrist des § 110 Abgabenordnung (AO) eingehalten. Es sei davon auszugehen, daß dem Sachbearbeiter des Finanzamtes die Gründe für die Versäumung der Frist persönlich oder telefonisch mitgeteilt worden seien.

10

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 2. Februar 1993 und Änderung des Körperschaftsteuerbescheides vom 21. Oktober 1991 die Körperschaftsteuer 1988 auf 0 DM festzusetzen.

11

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

12

Er verweist auf seine Ausführungen im Einspruchsbescheid. Ergänzend trägt er vor, der Gesellschafter R. sei anläßlich der Verhandlungen über die Forderungsabtretung nicht als Privatperson, sondern als faktischer Geschäftsführer aufgetreten. Der Ertrag aus dem Forderungskauf sei folglich der Klägerin zuzurechnen. Der Gesellschafter R. habe während der Außenprüfung erläutert, daß die Gläubigerin der Forderung diese unrechtmäßig erworben habe. Gerichtliche Schritte hätten nicht zum Erfolg geführt, so daß durch die Einleitung eines Konkurses ein Ausgleich erreicht werden sollte. Um das Unternehmen später fortführen zu können, habe man eine Angestellte zur Geschäftsführer in bestellt und den Namen der Klägerin vor Stellung des Konkursantrages geändert. Zum Beweis für die Richtigkeit dieser Behauptung hat der Beklagte Zeugenbeweis angeboten (Bl. 13 FG-Akte).

13

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei zu dem zu Unrecht erfolgt. Der zuständige Sachbearbeiter habe keine mündlichen Informationen im Zusammenhang mit dem Wiedereinsetzungsantrag erhalten.

14

Wegen der weiteren Ausführungen zum Sachverhalt durch die Beteiligten wird auf das Protokoll vom 13. Januar 1998 (Bl. 44 ff. der FG-Akte) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

15

Die Klage ist unbegründet.

16

Der Beklagte hat der Klägerin zu Recht den begehrten Verlustabzug im Streitjahr versagt, so daß der Senat die Frage, ob der Beklagte im Rahmen des Einspruchsverfahrens zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt hat (vgl. zur Prüfungspflicht des Gerichts Bundesverwaltungsgericht, NJW 1977, 542), nicht zu entscheiden braucht.

17

Der Verlust des Veranlagungszeitraums 1984 hat sich bereits im Veranlagungszeitraum 1985 ausgewirkt und ist damit verbraucht. Der Beklagte hat die Differenz zwischen dem Nennwert der durch den Minderheitsgesellschafter erworbenen Forderung und den tatsächlich geleisteten Kaufpreis zu Recht einkommenserhöhend berücksichtigt.

18

Der Minderheitsgesellschafter hat durch den Erwerb der Forderung gegen seine Treupflicht verstoßen, so daß der Klägerin ein Schadensersatzanspruch in Höhe der o.g. Differenz zustand. Neben dem Geschäftsführer einer GmbH unterliegen auch Gesellschafter aufgrund der gesellschaftsvertraglichen Verbundenheit besonderen Treupflichten gegenüber ihrer Gesellschaft (vgl. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, Seite 601). So darf ein Gesellschafter etwa auch dann, wenn er keinem Wettbewerbsverbot unterliegt, wegen der ihm obliegenden Treuepflicht keine Geschäfte an sich ziehen, die in den Geschäftsbereich der Gesellschaft fallen. Eine Verletzung der Treuepflicht wird aber regelmäßig angenommen, wenn die Gesellschaft als erste mit dem Geschäft in Beziehung gekommen ist und der Gesellschafter in seiner Gesellschaftereigenschaft die näheren Umstände erfahren hat. Dies gilt im besonderen Maße, wenn der Gesellschafter auf Seiten der Gesellschaft in Vertragsverhandlungen über ein bestimmtes Geschäft eingeschaltet wird (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 1989 II ZR 229/88, NJW 1989, 2687).

19

Eine Verletzung der Treuepflicht ist auch dann anzunehmen, wenn der Gesellschafter aufgrund seiner besonderen Kenntnisse aufgrund seiner Gesellschafterstellung einen Verzicht auf eine Forderung gegenüber der Gesellschaft oder einen Teil davon erwirkt und den wirtschaftlichen Vorteil sich persönlich durch Abschluß eine Forderungskaufvertrages zunutze macht.

20

So liegt es im Streitfall. Ausweislich des Vertrages vom 22. Dezember 1988 mit dem Gläubiger der Klägerin ist der Gesellschafter in seiner Eigenschaft als Privatperson sowie als ehemaliger Geschäftsführer der Klägerin aufgetreten. Bei dem Vertragsabschluß machte sich der Gesellschafter die besonderen Kenntnisse aus seiner Tätigkeit als Geschäftsführer zunutze, da er als Privatperson nicht gewußt haben konnte, daß und aus welchem Grund die Forderung gegenüber der Klägerin streitig war. Ferner war ihm als Gesellschafter die Vermögenssituation der sich in Konkurs befindlichen Klägerin bekannt, so daß letztlich die Kenntnisse aufgrund seiner Gesellschafterstellung erst zum Abschluß des Vertrages in der erfolgten Form befähigten.

21

Aufgrund seiner Treuepflicht hätte der Gesellschafter nicht ohne Zustimmung des Konkursverwalters, dem mit Eröffnung des Konkursverfahrens gemäß § 6 KO das alleinige Verwaltungs- und Verfügungsrecht über das Vermögen der Klägerin zustand, die Forderung erwerben dürfen. Angesichts der Vermögenslage der Klägerin ist davon auszugehen, daß der Konkursverwalter einen Forderungserlaß gegen Zahlung in Höhe des vom Gesellschafter vereinbarten Kaufpreises für die Klägerin selbst abgeschlossen hätte. Denn die hierdurch eintretende Reduzierung der Verbindlichkeiten hätte trotz der Verminderung des Aktivvermögens durch Leistung des Kaufpreises zu einem positiven Bilanzsaldo, also einen Wegfall des Konkursgrundes bzw. einer vollständigen Befriedigung aller übrigen Gläubiger geführt.

22

Die sich aus dem Forderungskauf zu eigenen Nutzen ergebende schuldhafte Verletzung der Treuepflicht durch den Gesellschafter führte im Veranlagungszeitraum 1985 zu einem Schadensersatzanspruch in Höhe der streitigen Gewinnerhöhung. Dabei kann hier letztlich dahinstehen, ob die Einkommenserhöhung durch eine Aktivierung eines Schadensersatzanspruches oder als verdeckte Gewinnausschüttung im Sinne des § 8 Abs. 3 KStG wegen des Verzichtes auf einen derartigen Anspruch erfolgte, da in beiden Fällen der Verlustabzug bereits im Veranlagungszeitraum 1985 zu erfolgen hatte.

23

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

24

Der Senat hat die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.