Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 15.01.1998, Az.: XIV 95/97 Ki

Inländischer Wohnsitz eines verheirateten ausländischen Arbeitnehmers im Sinne von § 62 Abs. 1 EStG bei berufsbedingten Kurzaufenthalten im Inland; Begriff des Wohnsitzes gemäß § 8 Abgabenordnung (AO)

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
15.01.1998
Aktenzeichen
XIV 95/97 Ki
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1998, 18736
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1998:0115.XIV95.97KI.0A

Verfahrensgegenstand

Kindergeld

Amtlicher Leitsatz

Inländischer Wohnsitz eines verheirateten ausländischen Arbeitnehmers i.S.v. § 62 Abs. 1 EStG bei berufsbedingten Kurzaufenthalten im Inland

In dem Rechtsstreit
hat der XIV. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung
in der Sitzung vom 15. Januar 1998,
an der mitgewirkt haben:
Vorsitzender Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht Dr. ...
Richter am Finanzgericht Dr. ...
ehrenamtlicher Richter Geschäftsführer ...
ehrenamtliche Richterin Sparkassenangestellte ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob dem Kläger Kindergeld für seine beiden minderjährigen Kinder zusteht.

2

Die Familienkasse des Beklagten hat dem Kläger für seine Kinder O. (geboren am ....08.1993) und C. (geboren am ... 02.1995) ab Januar 1996 Kindergeld in Höhe von monatlich 400,00 DM zuerkannt. Mit Schreiben vom 01.12.1995 legte der Kläger eine Bescheinigung seines Arbeitgebers vor, wonach er ab 01.01.1996 für die Dauer von fünf Jahren in die Türkei entsendet werde und Beitragspflicht zur Sozialversicherung in der Bundesrepublik Deutschland bestehe. Wegen des Inhalts der Bescheinigung wird auf Bl. 63 der Kindergeldakte verwiesen. Der Beklagte ging davon aus, daß der Kläger die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Kindergeld gemäß § 62 Einkommensteuergesetz (EStG) nicht mehr erfülle und hob die Bewilligung des Kindergeldes mit Bescheid vom 29.02.1996 ab März 1996 auf.

3

Im Einspruchsverfahren trug der Kläger vor, er erfülle weiterhin die Voraussetzungen für den Erhalt von Kindergeld, da er in Deutschland der Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit unterliege. Der Beklagte wies den Einspruch als unbegründet zurück. Zwar habe die Barmer Ersatzkasse die Sozialversicherungspflicht mit Schreiben vom 17.06.1996 (Bl. 82 KG-Akte) bestätigt; der Kläger unterhalte jedoch im Inland weder einen Wohnsitz noch habe er im Inland seinen gewöhnlichen Aufenthalt. Die Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 Nr. 2 EStG seien ebenfalls nicht erfüllt, da der Kläger weder nach § 1 Abs. 2 EStG einkommensteuerpflichtig sei noch nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt werde.

4

Mit Schriftsatz vom 02.02.1997 - eingegangen bei Gericht am 13.02.1997 - erhob der Kläger Klage "gegen die Einspruchsentscheidung vom 13.01.1997; Geschäftszeichen: 98 ... - (Frau ...)". Der Kläger trägt vor, die Einspruchsentscheidung des Beklagten beruhe auf einer zwischenzeitlich überholten Weisungslage zur Auslegung des Begriffs des steuerrechtlichen Wohnsitzes. Bei dem Kindergeld nach dem EStG bzw. dem Bundeskindergeldgesetz neuer Fassung (BKGG n.F.) werde angenommen, daß ein ins Ausland entsandter Arbeitnehmer weiterhin einen Wohnsitz in Deutschland mit der Folge der unbeschränkten Steuerpflicht habe, wenn er im Inland eine Wohnung beibehalte, deren Nutzung ihm jederzeit möglich sei. Ebenso behielten die den entsandten Arbeitnehmer begleitenden Kinder ihren Wohnsitz in Deutschland bei, wenn sie bereits vor der Entsendung in seinem Haushalt gelebt hätten. Aus der beigefügten Meldebescheinigung gehe hervor, daß er weiterhin einen Wohnsitz in E. habe. Er sei vor Weihnachten 1995 in die Türkei umgezogen und habe in A. eine 170 qm große 4-Zimmer-Wohnung für sich und seine Familie angemietet. Anläßlich des Umzuges in die Türkei habe er sich polizeilich umgemeldet, und zwar unter der Anschrift ... Straße in E. Es handele sich bei dieser Anschrift um das Haus seines Chefs, Herrn L. Immer wenn er sich in Deutschland aufhalte (in 1996 nicht, in 1997 zweimal jeweils für eine Woche), nutze er ein im Keller des Einfamilienhauses belegenes Zimmer. Außerdem dürfe er die Küche und das Bad der Familie L. mitbenutzen. Für den Fall, daß er mit seiner Familie nach Deutschland kommen würde, stünde ihm noch ein weiterer Raum des Hauses zur Verfügung. Dieser Fall sei bisher jedoch noch nicht eingetreten.

5

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Arbeitsamts G. über die Aufhebung der Gewährung von Kindergeld in der Fassung des Einspruchsbescheides aufzuheben und das Arbeitsamt zu verpflichten, für die beiden Kinder des Klägers weiterhin Kindergeld in der bisherigen Höhe zu gewähren.

6

Der Beklagte stellt den Antrag,

die Klage abzuweisen.

7

Er verweist auf seine Ausführungen im Einspruchsbescheid und bleibt bei seiner Auffassung, wonach der Kläger für die Dauer der Entsendung durch seinen Arbeitgeber weder seinen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland begründet habe. Der Kläger habe bereits vor seiner Entsendung in die Türkei seinen bisherigen Wohnsitz unter der Anschrift I. in E. aufgegeben. Das vom Kläger während seiner Aufenthalte in Deutschland benutzte Zimmer im Hause seines Arbeitskollegen begründe keinen Wohnsitz oder einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. Es handele sich hierbei nicht um eine Wohnung, die dem Kläger und seiner Familie jederzeit als Bleibe diene.

8

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten verweist der Senat auf die Klageerwiderung des Beklagten (Bl. 23-27 FG-Akte) sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung.

Entscheidungsgründe

9

Die Klage ist unbegründet.

10

I.

Die Klage ist zulässig. Zwar hat der Kläger in seiner Klageschrift den Beklagten nicht ausdrücklich i.S.v. § 65 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) bezeichnet, sondern nur die angefochtene Einspruchsentscheidung sowie das hierzu gehörende Geschäftszeichen und die Kindergeldnummer angegeben. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist jedoch analog § 133 BGB nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks einer Parteierklärung zu haften, sondern es ist der in der Erklärung verkörperte Wille anhand der erkennbaren Umstände zu ermitteln (vgl. BFH-Urteil vom 06.02.1979 VII R 82/78, BStBl II 1979, 374 m.w.N.). Aufgrund der vom Kläger angegebenen Kindergeldnummer in Verbindung mit der in der Klageschrift genannten Adresse läßt sich der Klage entnehmen, daß es sich um eine Kindergeldsache im Bezirk des für den Ort E. zuständigen Arbeitsamtes handelt. Da dies im Streitfall der Beklagte ist, entsprach die Klage somit dem in § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO enthaltenen Bestimmtheitsgrundsatz.

11

Unabhängig davon hat der Kläger die beklagte Behörde im Schriftsatz vom 24.03.1997 bezeichnet. Die Nachholung der Bezeichnung war fristgerecht, weil die Klagefrist wegen der fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung im Einspruchsbescheid noch nicht zu laufen begonnen hatte (§ 55 Abs. 2 FGO). Die Rechtsmittelbelehrung ist fehlerhaft, weil darin nicht auf die Möglichkeit der unmittelbaren Klagerhebung bei der beklagten Behörde hingewiesen wird (§ 47 Abs. 2 FGO).

12

II.

Zu Recht hat es der Beklagte jedoch abgelehnt, dem Kläger weiterhin Kindergeld in der bisherigen Höhe für seine beiden Kinder zu gewähren. Dem Kläger steht nach dem Umzug in die Türkei ein einkommensteuerrechtliches Kindergeld nicht zu, so daß das Arbeitsamt gemäß § 70 Abs. 2 EStG einen entsprechend geänderten Bescheid erlassen durfte.

13

Nach § 62 Abs. 1 EStG hat Anspruch auf Kindergeld für Kinder i.S.d. § 63, wer

  1. 1.

    im Inland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder,

  2. 2.

    ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland

    1. a.

      nach § 1 Abs. 2 unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist oder

    2. b.

      nach § 1 Abs. 3 als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird.

14

Der Senat ist nach Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, daß der Kläger im Inland weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

15

1.

Nach § 8 AO hat jemand dort einen Wohnsitz, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Benutzt wird eine Wohnung von demjenigen, der sich in ihr ständig oder doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit und Gewohnheit tatsächlich aufhält (vgl. BFH-Urteil vom 26.07.1972 I R 138/70, BStBl II 1972, 949 m.w.N.). Dabei kann nach ständiger Rechtsprechung des BFH in der Regel davon ausgegangen werden, daß ein Ehepartner die Wohnung, in der seine Familie wohnt, auch benutzen und daher dort einen Wohnsitz haben wird (vgl. BFH-Urteil vom 06.02.1985 I R 23/82, BStBl II 1985, 331 m.w.N.). Die gleiche Vermutung gilt, wenn ein vom Inland ins Ausland versetzter Bediensteter eine Wohnung im Inland beibehält, deren Benutzung ihm jederzeit möglich ist und die dergestalt ausgestattet ist, daß sie jederzeit als Bleibe dienen kann (siehe BFH-Urteil vom 17.05.1995 I R 8/94, BStBl II 1996, 2).

16

Ferner gilt, daß jeder Steuerpflichtige mehrere Wohnungen und mehrere Wohnsitze i.S.d. § 8 AO haben kann. Diese können im In- und/oder im Ausland gelegen sein. Ein Wohnsitz i.S.d. § 8 AO setzt nicht voraus, daß der Steuerpflichtige von dort aus seiner täglichen Arbeit nachgeht. Ebensowenig ist es erforderlich, daß der Steuerpflichtige sich während einer Mindestzahl von Tagen oder Wochen im Jahr in der Wohnung aufhält. Entscheidend ist allein, ob objektiv erkennbare Umstände dafür sprechen, daß der Steuerpflichtige die Wohnung für Zwecke des eigenen Wohnens beibehält (vgl. BFH-Urteil vom 19.03.1997 I R 69/96, BStBl II 1997, 447). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt.

17

a)

Anders als in dem vom BFH im Urteil I R 8/94 (a.a.O.) entschiedenen Fall hat der Kläger vorliegend seine ursprüngliche Familienwohnung im Zuge seiner Entsendung in die Türkei nicht beibehalten, sondern hat diese aufgegeben und ist mit seiner Familie in eine geräumige 4-Zimmer-Wohnung in die Türkei umgezogen. Bereits die Größe der Wohnung (170 qm) spricht dafür, daß es sich hierbei um die Wohnung handelt, die der Familie des Klägers zumindest während der Zeit seiner Arbeitstätigkeit in der Türkei als eine den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Klägers entsprechende Bleibe dienen soll.

18

b)

Demgegenüber sprechen keine objektiv erkennbaren Umstände dafür, daß das ihm von seinem Arbeitskollegen während seines Aufenthalts im Inland zur Verfügung gestellte Zimmer als Wohnung für Zwecke des eigenen Wohnens des Klägers im Sinne einer Familienbleibe anzusehen ist. Bereits die Ausstattung und die näheren Wohnumstände sprechen gegen diese Annahme. Es handelt sich hierbei um ein im Kellergeschoß des Hauses belegenes Zimmer ohne Wasseranschluß. Zwar darf der Kläger die Küche und das Bad der Eigentümer mitbenutzen; eine derartige Mitbenutzung erlaubt jedoch nicht die Führung eines selbständigen Haushalts, wie es bei einer Familienwohnung üblich ist. Darüber hinaus ist das Zimmer auch nicht mit eigenen Möbeln des Klägers ausgestattet, sondern von den Eigentümern eingerichtet worden.

19

c)

Auch die tatsächliche Nutzung des Zimmers durch den Kläger in den maßgebenden Jahren spricht gegen eine dauerhafte Bleibe. Der Kläger hat das Zimmer weder ständig noch mit einer gewissen Regelmäßigkeit aufgesucht (vgl. BFH-Urteil vom 06.03.1968 I 38/65, BStBl II 1968, 439). Vielmehr hat er sich 1996 überhaupt nicht und 1997 lediglich zweimal im Inland für jeweils eine Woche dort aufgehalten. Seine Familie hingegen hat während des ganzen Zeitraums in der Türkei gelebt und hat sich auch nicht besuchsweise vorübergehend im Inland aufgehalten. Bei dieser Sachlage kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Kläger im Inland einen Wohnsitz begründet hat.

20

2.

Der Kläger hat im Inland auch nicht seinen gewöhnlichen Aufenthalt gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Diesen hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§ 9 Satz 1 AO). Da sich der Kläger in 1997 nur vorübergehend im Inland aufgehalten hat, sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt.

21

3.

Schließlich erfüllt der Kläger auch nicht die Tatbestandsvoraussetzungen des § 62 Abs. 1 Nr. 2 EStG (unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 2 EStG bzw. Behandlung als unbeschränkt Einkommensteuerpflichtiger gemäß § 1 Abs. 3 EStG), so daß dem Kläger insgesamt kein Anspruch auf Kindergeld für seine beiden minderjährigen Kinder zusteht.

22

Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 FGO abzuweisen.