Finanzgericht Niedersachsen
v. 21.01.1998, Az.: IX 194/96

Steuerliche Anerkennung eines Durchgangszimmers als Arbeitszimmer; Anerkennung von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer als Werbungskosten; Kriterien der Feststellung des Umfangs einer in der Vergangenheit liegenden Nutzung eines Raumes als häusliches Arbeitszimmer; Vorliegen einer im steuerlichen Sinne schädlichen privaten Mitbenutzung eines Arbeitszimmers

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
21.01.1998
Aktenzeichen
IX 194/96
Entscheidungsform
Gerichtsbescheid
Referenz
WKRS 1998, 16638
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1998:0121.IX194.96.0A

Redaktioneller Leitsatz

Wird ein Arbeitszimmer nur als Durchgang zu einem privaten Raum, nämlich zum elterlichen Schlafzimmer mit angrenzendem Bad, genutzt, kann es nach den Umständen des Einzelfalls als Arbeitszimmer gewertet werden, sofern eine private Mitbenutzung des Arbeitszimmers von nur untergeordneter Bedeutung gegeben ist.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob ein Durchgangszimmer steuerlich als Arbeitszimmer anzuerkennen ist.

2

Die Kläger sind Eheleute. Sie wurden im Streitjahr 1994 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Der Kläger bezieht als ...arztüberwiegend Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit. Die Klägerin ist als Lehrerin mit voller Stundenzahl beschäftigt. Beide sind Miteigentümer eines als Einfamilienhaus bewerteten Wohngebäudes, das sie zusammen mit ihren drei minderjährigen Kindern (geboren 198... , 198... , 198... ) bewohnen. Die Wohnfläche beträgt 138 qm. Im Kellergeschoß des Hauses betreibt der Kläger seine Arztpraxis. Wegen der Aufteilung der Wohnräume wird auf die zu den Gerichtsakten eingereichte Bauzeichnung vom Juli 1983 Bezug genommen.

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In der Steuererklärung des Streitjahres machten die Kläger Aufwendungen für je ein Arbeitszimmer geltend. Während der Beklagte (das Finanzamt - FA -) das Arbeitszimmer des Klägers steuerlich anerkannte und die entsprechenden Aufwendungen für das Arbeitszimmer der Klägerin (5,5 qm) in Höhe von 1.282,00 DM mit der Begründung, der Raum sei ein Durchgangszimmer zum Arbeitszimmer des Klägers und zum elterlichen Schlafzimmer, hinter dem sich das Badezimmer mit Dusche und Badewanne befinde. Durch diese Anordnung der Räumlichkeiten werde das Arbeitszimmer der Klägerin in nicht nur untergeordneter Weise privat mitgenutzt.

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Wegen des Umfangs der Nutzung und der Einrichtung des Arbeitszimmers wird auf den von der Klägerin zur Veranlagung 1993 ausgefüllten Fragebogen des FA Bezug genommen.

5

Der Einspruch bleibt erfolglos.

6

Mit ihrer Klage verfolgen die Kläger ihr Anliegen weiter, die Aufwendungen für das Arbeitszimmer der Klägerin als Werbungskosten abziehen zu können. Ihrer Ansicht nach ist die private Mitbenutzung des Arbeitszimmers von untergeordneter Bedeutung, da es lediglich vom Kläger zum Erreichen seines Arbeitsbereichs und morgens und abends bei Verlassen und Betreten des Schlafbereichs durchquert werden müsse. Die Kinder hätten in ihrem Wohnbereich ein eigenes Bad mit WC. Da dieser Raum wesentlich näher am allgemeinen Wohnbereich liege als das elterliche WC, werde er auch von ihnen während des Tages mitbenutzt. Für Gäste stehe im Kellergeschoß noch zusätzlich ein Bad mit WC zur Verfügung.

7

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid 1994 vom 19. Februar 1996 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. April 1996 zu ändern und die Einkommensteuer unter Abzug weiterer Werbungskosten von 1.282,00 DM niedriger festzusetzen.

8

Das Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Es bleibt bei seiner im Rechtsbehelfsverfahren vertretenen Auffassung, das Arbeitszimmer der Klägerin, das in der Architektenzeichnung als Garderobe ausgewiesen sei, werde nicht in unerheblicher Weise privat mitbenutzt. Der Raum müsse zum Erreichen des Schlafzimmers und des Badezimmers durchquert werden. Im elterlichen Bad stehe der Familie die einzige Bademöglichkeit zur Verfügung. Auch die Kinder müßten dieses Badezimmer zum Baden mitbenutzen, da ihr Kinderbad nur über eine Dusche verfüge. Ferner müsse der Kläger das streitbefangene Zimmer durchqueren, um sein eigenes Arbeitszimmer zu erreichen. Insgesamt ergebe sich so eine erhebliche Mitbenutzung des Raumes zu privaten Zwecken, so daß die Voraussetzungen für einen Abzug der Aufwendungen als Werbungskosten bei den Einkünften der Klägerin nicht gegeben seien.

Gründe

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Die Klage ist begründet.

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Der angefochtene Einkommensteuerbescheid ist rechtswidrig. Die Kläger werden durch ihn in ihren Rechten verletzt, da das FA die Aufwendungen für das Arbeitszimmer zu Unrecht nicht abgezogen hat.

12

Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer werden nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) als Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit anerkannt, wenn dieses Zimmer so gut wie ausschließlich beruflich genutzt wird. Bei einer mehr als nur geringfügigen privaten Mitbenutzung steht die Vorschrift des §12 Nr. 1 EStG der Abziehbarkeit auch nur eines Teils der Aufwendungen entgegen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 18. Oktober 1983 VI R 180/82, BFHE 139, 518, BStBl II 1984, 110, m.w.N.). Da der Umfang der in der Vergangenheit liegenden tatsächlichen Nutzung eines häuslichen Arbeitszimmers in der Regel nicht mehr unmittelbar festgestellt werden kann, müssen aus den objektiven Gegebenheiten des Falles entsprechende Schlüsse auf die Art der Benutzung in der Vergangenheit gezogen werden; dabei ist eine gewisse Typisierung nicht zu vermeiden. In dem Urteil vom 28. Oktober 1964 IV 168/63 S (BFHE 81, 45, BStBl III 1965, 16) hat der IV. Senat des BFH die tatsächlichen Kriterien zusammengestellt, die als Beweisanzeichen dafür zu würdigen sind, ob ein Raum so gut wie ausschließlich beruflich oder betrieblich genutzt wurde. Von diesen dort aufgeführten Indizien ist im Streitfall lediglich zu fragen, welche Bedeutung der Tatsache beizumessen ist, daß das Arbeitszimmer der Klägerin durchquert werden muß, um private Räumlichkeiten zu erreichen.

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Eine im steuerlichen Sinne schädliche private Mitbenutzung eines Arbeitszimmers ist grundsätzlich dann anzunehmen, wenn es sich bei dem Zimmer um ein Durchgangszimmer, also um ein Zimmer handelt, das durchquert werden muß, um andere private benutzte Räume der Wohnung zu erreichen, weil es die einzige Verbindung zu diesen Räumen herstellt. Die Entscheidung des BFH vom 18. Oktober 1983 VI R 180/82 a.a.O. betraf einen Fall, in dem der Kläger nur durch das Arbeitszimmer dieübrigen Räume seiner Wohnung, nämlich Wohnzimmer, Schlafzimmer und Bad, erreichen konnte. Bei solchen Umständen kann man nicht davon ausgehen, daß eine private Mitbenutzung von nur untergeordneter Bedeutung vorliegt. Entgegen der Ansicht des FA ist dieses Urteil jedoch für die Entscheidung des Streitfalls nicht einschlägig, da es sich hier um einen anderen Sachverhalt handelt. Im Streitfall wurde nämlich das Arbeitszimmer der Klägerin nur als Durchgang zu einem privaten Raum, nämlich zum elterlichen Schlafzimmer mit angrenzendem Bad, benutzt. In einem solchen Fall ist entsprechend den Grundsätzen des BFH in der Entscheidung vom 26. April 1985 VI R 68/82 (BFHE 144, 31, BStBl II 1985, 467) nach den Umständen des Einzelfalls zu gewichten, ob der Raum so gut wie ausschließlich beruflich genutzt wird.

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Der Senat geht vorliegend davon aus, daß der Durchgang durch das Arbeitszimmer ins Schlafzimmer eine private Mitbenutzung des Arbeitszimmers von nur untergeordneter Bedeutung darstellt. Es ist in der Regel anzunehmen, daß im Lehrberuf tätige Steuerpflichtige - je nach Fachgebiet - zur Vorbereitung auf den Unterricht und zum Durchsehen von Klassenarbeiten der Schüler im besonderen Maße darauf angewiesen sind, zu Hause zu arbeiten. Das Durchqueren des Arbeitszimmers durch die Kläger, um das Schlafzimmer und Bad aufzusuchen, ist deshalb im Verhältnis zur intensiven beruflichen Nutzung des Arbeitszimmers durch die Klägerin als ein Umstand von untergeordneter Bedeutung zu würdigen.

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Zu diesem Ergebnis ist der BFH auch in seiner Entscheidung vom 19. August 1988 VI R 69/85 (BStBl II 1988, 1000) für ein kinderloses Ehepaar gelangt. Die Grundsätze dieses Urteils sind im Streitfall ebenfalls anzuwenden. Die Tatsache, daß die Kläger drei minderjährige Kinder haben, steht dem nicht entgegen. Zwar ist dem FA zuzugeben, daß dadurch das elterliche Schlafzimmer und das dazugehörige Badezimmer in einem etwas höheren Maße frequentiert und das Arbeitszimmer öfter als bei einem kinderlosen Ehepaar von den Familienangehörigen durchquert wird, doch vermag der Senat darin keine derartige Steigerung der privaten Mitbenutzung des Arbeitszimmers zu sehen, daß die Annahme einer nicht mehr nur geringfügigen Mitbenutzung gerechtfertigt erscheint. Dabei ist die von den Klägern vorgetragene allgemeine Lebenserfahrung zu berücksichtigen, daß die Familie tagsüber das zum Wohnbereich nähergelegene Kinderbad und WC benutzen wird und nicht erst das nach Durchqueren von zwei weiteren Räumen zu erreichende Elternbad.

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Eine steuerschädliche Mitbenutzung sieht der Senat auch nicht darin, daß der Kläger das Arbeitszimmer der Klägerin durchqueren muß, um sein eigenes Arbeitszimmer zu erreichen. Es kann offen bleiben, ob dieses Durchqueren überhaupt als private Nutzung einzustufen ist, da der Weg ins eigene Arbeitszimmer - zumindest aus der Sicht des Klägers - beruflich veranlaßt ist. Aber selbst wenn man diesem Durchqueren einen privaten Charakter zuerkennen wollte, so fällt auch diese Art der privaten Mitbenutzung nicht weiter ins Gewicht. Der Kläger hat im Kellergeschoß des Hauses seine freiberufliche Praxis, in der er hauptberuflich tätig ist. Insoweit wird ihm für eine intensive Nutzung des Arbeitszimmers nur eine geringe Zeit verbleiben und sich die private Nutzung des Arbeitszimmers der Klägerin darin erschöpfen, daß er einmal hindurchgeht, um sein eigenes Arbeitszimmer zu erreichen und einmal, um es wieder zu verlassen.

17

Auch beide Umstände - drei Kinder und Durchgang zu einem weiteren Arbeitszimmer - zusammen genommen, machen nach Auffassung des Senats nicht die Intensität aus, die für eine steuerschädliche Mitbenutzung eines Durchgangszimmers erforderlich ist und wie sie im Sachverhalt der BFH-Entscheidung vom 18. Oktober 1983 VI R 180/82 (a.a.O.) vorgelegen hat.

18

Da Bedenken gegen die Höhe der geltend gemachten Aufwendungen vom FA nicht vorgetragen sind und solche sich auch nicht aus den Akten ergeben, sind die Aufwendungen von 1.282,00 DM als weitere Werbungskosten bei den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit abzuziehen.

19

Der Steuerbescheid 1994 ist wie folgt zu ändern:

zu versteuerndes Einkommen bisher: ... DM
abzgl. weiterer Werbungskosten ./.1.282,00 DM
zu versteuerndes Einkommen neu ... DM
festzusetzende Einkommensteuer 1994 nach der Splittingtabelle... DM
20

Der Senat hält es für angebracht, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassene (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

21

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

22

Die Nebenentscheidungen folgen aus § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.