Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 17.04.2003, Az.: 10 LA 17/03

Adressierung; Begründungsfrist; falsche Adressierung; Rechtsmittelschrift; Wiedereinsetzung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
17.04.2003
Aktenzeichen
10 LA 17/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 47991
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 27.11.2002 - AZ: 11 A 4941/01

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zu den Anforderungen an die richtige Adressierung der Begründung für den Antrag auf Zulassung der Berufung.

Gründe

1

Der Wiedereinsetzungsantrag bleibt ohne Erfolg.

2

Zwar steht der Umstand, dass mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO), der Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrags nicht entgegen, wenn die Verwerfung des Rechtsmittels auf einer Fristversäumung beruht und sich diese Fristversäumung nachträglich als entschuldbar herausstellt (vgl. für das Revisionsverfahren BVerwG, Beschl. v. 3.1.1961 – BVerwG III ER 414.60 –, BVerwGE 11, 322). Der form- und fristgerecht gestellte Wiedereinsetzungsantrag ist jedoch unbegründet. Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dem Kläger kann wegen der Versäumung der Frist für die Darlegung der Berufungszulassungsgründe nach § 124 a Abs. 4 Satz 4 und 5 VwGO Wiedereinsetzung nicht gewährt werden, denn er hat diese Frist nicht ohne ihm gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten versäumt.

3

Zur Versäumung der Begründungsfrist für den Antrag auf Zulassung der Berufung ist es im vorliegenden Fall gekommen, weil die mit der Fertigung der Zulassungsbegründung beauftragte Rechtsanwaltsfachangestellte die von der mit dem Verfahren befassten Rechtsanwältin diktierte Adressierung an das Verwaltungsgericht Hannover abgeändert und in das Anschriftenfeld das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht eingesetzt hatte. Diese Änderung hatte die Rechtsanwaltsfachangestellte aufgrund des Schreibens der Geschäftsstelle der 11. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover vom 23. Januar 2003 vorgenommen, mit dem den Prozessbevollmächtigten des Klägers mitgeteilt worden war, dass die Gerichtsakte und die Beiakten mit gleicher Post an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht übersandt würden und mit dem darum gebeten wurde, Eingaben nur noch an dieses Gericht zu richten. Auf die Abänderung der Adressierung und den Grund hierfür wies die Rechtsanwaltsfachangestellte die für das Verfahren zuständige Rechtsanwältin hin, die daraufhin der Rechtsanwaltsfachangestellten die ausdrückliche Weisung erteilte, die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung ebenfalls per Fax an das Verwaltungsgericht Hannover zu übersenden. Die besonders geschulte und zuverlässige Rechtsanwaltsfachangestellte, der in dem Büro der Prozessbevollmächtigten des Klägers die Führung des Fristenkalenders und die Postausgangskontrolle obliegt, nahm diese Weisung entgegen, hielt sich jedoch nicht daran und sandte die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung per Telefax allein an das im Adressenfeld angegebene Niedersächsische Oberverwaltungsgericht. Die mit dem Verfahren befasste Rechtsanwältin hätte indes nicht, ohne die Adressierung des die Darlegung der Zulassungsgründe enthaltenden Schriftsatzes zu überprüfen, dessen Fertigung dem Büropersonal überlassen dürfen.

4

Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung darf ein Rechtsanwalt die Anfertigung einer Rechtsmittelschrift wegen der verfahrensrechtlichen Bedeutung, die ihr zukommt, nicht eigenverantwortlich dem Büropersonal überlassen. Das gilt auch dann, wenn es gut ausgewählt und besonders vertrauenswürdig ist. Der Unterzeichnung durch den Prozessbevollmächtigten muss stets eine eigene anwaltliche Überprüfung auf richtige Adressierung sowie sonstige inhaltliche Richtigkeit und Vollständigkeit vorausgehen (vgl. BGH, Beschl. v. 2.10.1996 – XII ZB 145/96 –, FamRZ 1997, 172; Beschl. v. 6.5.1992 – XII ZB 39/92 –, VersR 1993, 79; Beschl. v. 3.2.1988 – IVb 130/87 –, FamRZ 1988, 830; Beschl. v. 29.10.1987 – III ZB 33/87 –, BGHR ZPO § 233  Rechtsmittelschrift 5; Beschl. v. 12.11.1986 – IVb ZB 127/86 –, VersR 1987, 486; BAG, Beschl. v. 14.7.1988 – 4 A ZB 6/88 –, NJW 1988, 3229).

5

An der hiernach zu fordernden Überprüfung der richtigen Adressierung hat es die zuständige Rechtsanwältin fehlen lassen. Sie hat die jedenfalls für die mit der Fristenkontrolle beauftragte Rechtsanwaltsfachangestellte aufgetretene Unsicherheit über das Gericht, bei dem die Begründung einzureichen war, mit der Anweisung, den Begründungsschriftsatz auch an das Verwaltungsgericht zu faxen, nicht beseitigt, sondern letztlich auf sich beruhen lassen. Da der Prozessbevollmächtigte die persönliche Verantwortung dafür trägt, dass eine Rechtsmittelschrift bei dem richtigen Gericht eingeht (vgl. BGH, Beschl. v. 12.11.1986, a.a.O.), durfte sich die Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht auf die von der Rechtsanwaltsfachangestellten eigenverantwortlich geänderte Adressierung verlassen, sondern hätte die Frage, bei welchem Gericht die Begründung für den Antrag auf Zulassung der Berufung einzureichen war, selbst abschließend klären müssen. In diesem Zusammenhang gebietet auch die Mitteilung der Geschäftsstelle der 11. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover vom 23. Januar 2003 kein anderes Verständnis der der Prozessbevollmächtigten des Klägers obliegenden Verpflichtung. Diese Mitteilung mag bei der mit der Fristenkontrolle befassten Rechtsanwaltsfachangestellten zu einer Verunsicherung über das richtige Gericht geführt haben, konnte aber angesichts der eindeutigen und unmissverständlichen Formulierung in § 124 a Abs. 4 Satz 5 VwGO (vgl. insoweit BVerfG, Beschl. v. 3.3.2003 – 1 BvR 310/03 –) und der dem angefochtenen Urteil beigegebenen zutreffenden Rechtsmittelbelehrung bei der Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht ernsthafte Zweifel über das richtige Gericht entstehen lassen, zumal der Mitteilung des Verwaltungsgerichts zeitlich später die Eingangsbestätigung des Oberverwaltungsgerichts vom 28. Januar 2003 nachfolgte, der der ausdrückliche Hinweis beigefügt war, dass ungeachtet der Eingangsbestätigung die Begründung für den Antrag auf Zulassung der Berufung bei dem Verwaltungsgericht einzureichen sei.

6

Indem die Prozessbevollmächtigte des Klägers den falsch adressierten Begründungsschriftsatz ungeprüft unterzeichnet hat, ist sie ihrer Kontrollpflicht nicht nachgekommen. Mit der der Rechtsanwaltsfachangestellten mündlich gegebenen Anweisung, den falsch adressierten Begründungsschriftsatz auch an das Verwaltungsgericht zu faxen, konnte sie dieser Pflicht nicht genügen. Abgesehen davon, dass sie diese "Korrekturanweisung" nicht geben durfte, ohne deren Erledigung nachzuprüfen (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 8.7.1981 – IV B ZB 625/81 – VersR 1981, 1126), konnte der Fehler der falschen Adressierung nur durch schriftliche Korrektur, nicht aber durch eine mündliche Anweisung behoben werden. Eine andere Sichtweise würde dem besonderen Stellenwert, der der richtigen Adressierung zukommt, nicht gerecht werden, zumal ein an das Oberverwaltungsgericht adressierter, beim Verwaltungsgericht eingehender Schriftsatz bei dem zuletzt genannten Gericht auch den Eindruck erwecken könnte, dieser werde lediglich zur Kenntnis übersandt. Hinzu kommt, dass die gegebene Anweisung angesichts der im Adressenfeld des Schriftsatzes fett eingedruckten Faxnummer des Oberverwaltungsgerichts von vornherein besonders fehleranfällig war und die Gefahr in sich trug, dass der Schriftsatz – wie dann auch tatsächlich geschehen - an die angegebene Nummer gefaxt wurde. In der damit geschaffenen Gefahr liegt eine schuldhafte Sorgfaltspflichtverletzung der Prozessbevollmächtigten des Klägers, die diesem gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.

7

Die Ursächlichkeit dieser Sorgfaltspflichtverletzung wird nicht dadurch beseitigt, dass bei unverzüglicher Weiterleitung des Schriftsatzes an das Verwaltungsgericht die Frist für die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung hätte gewahrt werden können.

8

Der Senat hat bereits in seinem Beschluss vom 28. Februar 2003, mit dem der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung abgelehnt worden ist, ausgeführt, dass eine Weiterleitung des fristgebundenen Schriftsatzes allenfalls im normalen Geschäftsgang hätte erwartet werden können. Im Hinblick auf den am Freitag, den 21. Februar 2003 um 13.10 Uhr per Fax und am Montag, den 24. Februar 2003 per Post eingegangenen Schriftsatz, der die Darlegung der Berufungszulassungsgründe enthielt, konnte eine Weiterleitung des Schriftsatzes im normalen Geschäftsgang, die frühestens am Montag, den 24. Februar 2003 hätte erfolgen können, da die Geschäftsstelle des Senats ab Freitag Mittag nicht mehr besetzt war und die dem Senat angehörenden Richter gegen 13 Uhr das Gericht verlassen hatten, die mit Ablauf des 24. Februar 2003 endende Darlegungsfrist nicht mehr wahren. Soweit die Gerichte es als „nobile officium“ betrachten, durch Hinweise und andere Maßnahmen zur Heilung von Formmängeln beizutragen, besteht jedenfalls keine Pflicht zu außerordentlichen Maßnahmen, wie etwa zur Weiterleitung noch am Tag des Eingangs (BGH, Beschl. vom 28.10.1986 – VIII ZB 40/86 – NJW 1987, 440 [BGH 22.10.1986 - VIII ZB 40/86]).