Sozialgericht Braunschweig
Beschl. v. 03.11.2014, Az.: S 32 SO 124/14 ER
Vorläufige Gewährung von Leistungen der Grundsicherung bis Entscheidung über Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
Bibliographie
- Gericht
- SG Braunschweig
- Datum
- 03.11.2014
- Aktenzeichen
- S 32 SO 124/14 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 29347
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGBRAUN:2014:1103.S32SO124.14ER.0A
Rechtsgrundlagen
- § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII
- § 41 Abs. 2 SGB XII
- § 48 SGB XII
Tenor:
Die Antragsgegnerin wird im Weg der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin ab dem 17. September 2014 bis zum rechtskräftigen Abschluss des bei der Antragsgegnerin anhängigen Widerspruchsverfahrens, längstens jedoch bis zum Entscheidung der Ausländerbehörde der Antragsgegnerin über den Antrag der Antragstellerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dem AufenthG vorläufig Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII ohne Berücksichtigung von Unterkunfts- und Heizkosten sowie Hilfe bei Krankheit zu gewähren. Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Rahmen des gerichtlichen Eilrechtschutzes um die Gewährung lebensunterhaltssichernder Leistungen nach dem SGB XII für die Zeit ab dem 17. September 2014, dem Eingang des vorliegenden Antrages beim Sozialgericht Braunschweig.
Die am 6. April 1936 geborene Antragstellerin ist türkische Staatsangehörige. Sie leidet an Diabetes Typ 2, Bluthochdruck, retraktiler Gelenkentzündung und Dyslipidämie und bedurfte bereits in Belgien vom 13. Februar 2012 bis zum 5. März 2012 einer eingehenden stationären ärztlichen Behandlung. Sie ist seit 2003 verwitwet. Ob ihr abgeleitet von ihrem verstorbenen türkischen Ehemann Rentenansprüche nach dem türkischen Recht zustehen, ist noch nicht endgültig geklärt und kann kurzfristig auch nicht geklärt werden. Die Antragstellerin reiste im Jahr 2006 nach Belgien ein und lebte dort von 2007 bis 2012 bei ihrem Sohn C. und dessen Ehefrau, einer belgischen Staatsangehörigen, von der sie auch ihren belgischen Aufenthaltstitel ableitet. Ihr wurde in Belgien eine Daueraufenthaltskarte für Familienangehörige eines Unionsbürgers, aktuell gültig bis zum 7. Januar 2016, ausgestellt, nicht jedoch ein Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EG", "Résident de longue durée - CE" bzw. "EG-langdurig ingezetene". Nach den Darstellungen der Antragstellerin hatte sie schon in Belgien Sozialhilfe vergleichbar mit deutschen Verhältnissen bezogen, Krankheitskosten seien über die Sozialbehörde abgewickelt worden. Sie habe in Belgien werden Einkommen noch Vermögen gehabt. 2012 sei ihr Sohn C. in die Türkei gegangen. Ab 2012 habe sie mit ihrem Sohn D. eine eigene Wohnung gehabt. D. sei 2013 nach Deutschland gegangen. In der Zeit danach sei sie zeitweise von sozialen Einrichtungen in Belgien und von ihrer in Braunschweig lebenden Tochter E. und deren Sohn F. gepflegt und versorgt worden; diese seien mehrmals im Monat nach Belgien gefahren, um Besorgungen für sie zu erledigen. Zwischenzeitlich hatte sich die Antragstellerin in Mersin/Türkei aufgehalten, weil dort am 6. Januar 2014 ihr aktueller Nationalpass/Reisepass ausgestellt wurde. Bei wem und in welchem Zeitraum sie sich dort aufgehalten hatte, ist nicht abschließend geklärt; hierzu trägt die Antragstellerin vor, ihre Schwester G. in der Türkei besucht zu haben.
Am 5. August 2014 reiste die Antragstellerin aus Malmedy in Belgien kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie beantragte am 11. August 2014 bei der Ausländerbehörde der Antragsgegnerin die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Am 26. August 2014 stellte die Ausländerbehörde der Antragstellerin eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG aus, wonach der Aufenthalt der Antragsteller bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde über ihren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis als erlaubt gilt; diese Fiktionsbescheinigung ist derzeit bis zum 30. November 2014 befristet. Über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist noch nicht entschieden worden.
Am 26. August 2014 beantragte sie bei der Antragsgegnerin die Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII und die Bewilligung eines Krankenscheines, hilfsweise die Bewilligung der Kosten für eine freiwillige Mitgliedschaft in einer gesetzlichen Krankenversicherung. Dabei gab sie an, dass Wohnkosten nicht entstehen würden, da diese ihr Enkel trage, bei dem sie wohne.
Durch Bescheid vom 3. September 2014 lehnte die Antragsgegnerin die Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII gestützt auf § 23 Abs. 3 SGB XII ab, weil die Antragstellerin in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei, um Sozialhilfe zu erlangen, denn ihr sei bereits bei der Einreise bekannt gewesen, dass sie auf staatliche Hilfeleistungen angewiesen sein werde. Hiergegen legte die Antragstellerin am 8. September 2014 Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden worden ist.
Am 17. September 2014 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Braunschweig den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Zur ergänzenden Begründung trägt sie vor, dass sie aufgrund fortschreitender Altersdemenz auf Hilfe bei der richtigen Einnahme von Medikamenten angewiesen sei. Deshalb laufe zurzeit ein Betreuungsverfahren beim Amtsgericht Braunschweig. Außerdem sei für eine Ausreise nur Deutschland in Betracht gekommen, weil ihre Familie ausschließlich in Braunschweig lebe und nicht ständig zwischen Belgien und Deutschland hin und her fahren könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der die Antragsgegnerin verpflichtet werden soll, Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren, hat Erfolg.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis gem. § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist stets, dass sowohl ein Anordnungsgrund (d. h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) als auch ein Anordnungsanspruch (d. h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Wegen des Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz - GG -), ist von diesem Grundsatz aber eine Abweichung dann geboten, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht wieder gutzumachende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 2009 - 1 BvR 120/09 - NZS 2009, S. 674, unter Verweis auf BVerfGE 79, 69, 74 [BVerfG 25.10.1988 - 2 BvR 745/88] m. w. N.).
Nach diesen Maßgaben hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch auf lebensunterhaltssichernde Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII i.V.m. Art. 1 Europäisches Fürsorgeabkommen - EFA - und auf Hilfe bei Krankheit nach § 48 SGB XII sowie einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Die am 6. April 1936 geborene Antragstellerin ist aufgrund ihres Alters dem Kreis der Leistungsberechtigten nach § 41 Abs. 2 SGB XII zuzuordnen.
Dem Anspruch der Antragstellerin auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII steht § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII nicht entgegen, nach dem diejenigen Ausländer sowie ihre Familienangehörigen keinen Anspruch auf Sozialhilfe haben, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Diese Leistungsausschlüsse sind bei Staatsangehörigen der Signatarstaaten des EFA, zu denen auch die Türkei und die Bundesrepublik Deutschland gehören (und daneben Belgien, Dänemark, Estland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien Luxemburg, Malta, Niederlande, Norwegen, Portugal, Schweden, Spanien und Großbritannien), wegen des Gleichbehandlungsgebots aus Art. 1 EFA nicht anwendbar.
Dies gilt nach dem jüngsten Rechtsprechung des für das Sozialhilferecht zuständigen Senats des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 7. Mai 2014 (- L 8 SO 126/14 B ER -) und der ganz herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur zunächst für den Ausschluss von Leistungen der Sozialhilfe nach § 23 Abs. 3 Satz 1 2. Alternative SGB XII, soweit sich das Aufenthaltsrecht des Betroffenen - wie hier - allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt (so auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20. Juli 2012 - L 9 AS 563/12 B ER - Rn. 58; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15. November 2012 - L 19 AS 1917/12 B ER - Rn. 29; LSG Hamburg, Beschluss vom 14. Januar 2013 - L 4 AS 332/12 B ER - Rn. 9; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Juni 2012 - L 14 AS 933/12 B ER - Rn. 21; SG Düsseldorf, Urteil vom 17. April 2013 - S 17 SO 192/11 - Rn. 23; Greiser in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, Anhang zu § 23 - Die Sozialhilfe als Gegenstand des Europäischen Rechts Rn. 99 f.; Coseriu in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 23 Rn. 35; Hohm in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, 18. Aufl. 2010, § 23 Rn. 29e; Herbst in: Mergler/Zink, SGB XII/AsylbLG, Stand: August 2013, § 23 SGB XII Rn. 41a; Peters in: Estelmann, SGB II, Stand: Februar 2014, § 7 Rn. 17; a.A. unter Berufung auf § 21 Satz 1 SGB XII LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. Juli 2012 - L 29 AS 1504/12 B ER - Rn. 93; vgl. zur Rechtslage im SGB II bis zur Erklärung des Vorbehalts Deutschlands zur Anwendbarkeit des EFA vom 19. Dezember 2011 - BGBl. II 2012, S. 144 - in Gestalt der berichtigten Fassung - BGBl. II 2012, 470 - BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 - B 14 AS 23/10 R - Rn. 21 ff. sowie bereits Senatsbeschluss vom 14. Januar 2008 - L 8 SO 88/07 ER - ; zur Wirksamkeit des Vorbehalts vgl. BSG, EuGH-Vorlage vom 12. Dezember 2013 - B 4 AS 9/13 R - Rn. 23).
Aber auch der Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 1 1. Alternative SGB XII (Einreise zum Zwecke des Sozialhilfebezugs) ist auf Ausländer, die sich auf das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 1 EFA berufen können, nicht anwendbar (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 23. Mai 2014 - L 8 SO 129/14 B ER -), weil schon aufgrund des Wortlautes des Art. 1 EFA kein rechtlich überzeugender Ansatzpunkt dafür erkennbar ist, dass das EFA nur auf diejenigen Ausländer anzuwenden ist, die sich zur Zeit des Eintritts der Hilfebedürftigkeit bereits in dem um Hilfe angegangenen Staat erlaubt aufhielten und nicht auf diejenigen, die als bereits bedürftige Personen bzw. zur Erlangung von Sozialhilfeleistungen in einen Staat eingereist sind. Auch aus Sicht der nunmehr entscheidenden Kammer des Sozialgerichts Braunschweig überzeugt die Argumentation der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Anwendung des Ausschlusses (damals § 120 Abs. 3 Satz 1 BSHG) nicht, nach der aus einer allgemeinen Formulierung zum Verzicht der Abschiebung Hilfebedürftiger in der Denkschrift zum EFA und zum Zusatzprotokoll (BT-Drucks. 1882 vom 24. November 1955, S. 22, 23) auch auf die soziale Dimension des Fürsorgeabkommens geschlossen wird (so etwa Hamburgisches OVG, Beschluss vom 8. Februar 1989 - Bs IV 8/89 - Rn. 18 f.; OVG Berlin, Beschluss vom 22. April 2003 - 6 S 9.03 - Rn. 15). Maßgebend ist allein der Vorbehalt der Bundesrepublik Deutschland im Anhang II Nr. 1 des EFA (vgl. BGBl. II, 1956, S. 576), der sich nur auf besondere Sozialleistungen bezieht, aber nicht die hier streitigen unterhaltssichernden Sozialleistungen.
Art 1 EFA stellt mit dem Tatbestandsmerkmal "erlaubt" allein auf die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts ab (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 - B 14 AS 23/10 R - Rn. 39 f. m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15. November 2012 - L 19 AS 1917/12 B ER - Rn. 30; VG Würzburg, Urteil vom 21. Februar 1990 - W 3 K 88.1363 - NVwZ-RR 1990, 575-579; a.A. Coseriu in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 23 Rn. 34; Greiser in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, Anhang zu § 23 - Die Sozialhilfe als Gegenstand des Europäischen Rechts Rn. 101 ff.; Schlette in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 Rn. 45; Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl. 2014, § 23 Rn. 27, 29). Danach kommt es nicht darauf an, dass die Antragstellerin womöglich nach Deutschland in der Absicht eingereist ist, um Sozialhilfe zu erlangen, weil sie sich auf das Inländergleichbehandlungsgebot aus Art. 1 EFA berufen kann.
Nach Art. 1 EFA ist jeder der Vertragschließenden verpflichtet, den Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge zu gewähren, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind.
Art. 1 EFA ist in Deutschland seit Erlass des Gesetzes vom 15. Mai 1956 (BGBl. II 1956, 563) nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG transformiertes Völkerrecht und damit unmittelbar geltendes Bundesrecht (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 - B 14 AS 23/10 R - Rn. 24), das auch seit Inkrafttreten des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII in der Fassung vom 1. Dezember 2006 (BGBl. I 2006, 2670) Gültigkeit hat (vgl. die insoweit auch für das SGB XII in gleicher Weise geltenden Ausführungen des BSG, a.a.O., Rn. 25-27). Von einem Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland ist schon deswegen nicht auszugehen, weil die Leistungen nach dem SGB XII seit dem 19. Dezember 2011 ausdrücklich als Fürsorgeleistungen i.S.d. Art. 1 EFA im Anhang I zum EFA aufgeführt sind (vgl. die Veröffentlichung auf der offiziellen Seite des Europarates http://conventions.coe.int/Treaty/Commun/QueVoulezVous.asp?NT=014&CM=8&DF=9/17/2006&CL=GER, abgerufen am 2. Mai 2014) und der Vorbehalt vom 19. Dezember 2011 (a.a.O.) nur "die in dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - in der jeweils geltenden Fassung vorgesehene Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten" nach dem 8. Kapitel des SGB XII (§§ 67-69 SGB XII) von der Anwendbarkeit des EFA herausnimmt. Für die hier streitigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Vierten Kapitel des SGB XII, aber auch für die nach § 48 Satz 2 SGB XII vorrangige Übernahme der Krankenbehandlung von Empfängern von Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII durch die Krankenkasse nach § 264 Abs. 1 Satz 1 SGB V (sog. "Quasiversicherung", vgl. BSG, Urteil vom 19. Mai 2009 - B 8 SO 35/07 R - Rn. 23), gilt das EFA vorbehaltslos, es sei denn, der Betroffene verfügt über Ansprüche auf Gesundheitsleistungen gegen Dritte in seinem Heimatstaat.
Die Voraussetzungen für den Gleichbehandlungsanspruch aus Art. 1 EFA liegen im Übrigen vor. Die Antragstellerin hält sich "erlaubt" i.S.d. Art. 1 EFA i.V.m. Art. 11 Abs. a Satz 1 EFA in Deutschland auf (zu diesem Tatbestandsmerkmal vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 - B 14 AS 23/10 R - Rn. 36-38). Die Antragstellerin ist nach dieser Vorschrift zwar nicht im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis, jedoch hat sie gegenwärtig eine andere in den Rechtsvorschriften des betreffenden Staates (hier Bundesrepublik Deutschland) vorgesehene Erlaubnis, auf Grund welcher ihr der Aufenthalt in diesem Gebiet gestattet ist. Diese andere Erlaubnis ist hier die von der Antragsgegnerin am 26. August 2014 erteilte Erlaubnisfiktion nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Dabei ist es unerheblich, ob die dortigen Voraussetzungen, hier: rechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet bei Beantragung eines Aufenthaltstitels, vorgelegen haben.
Der vorläufig zu erfüllende Leistungsanspruch der Antragstellerin nach dem Vierten Kapitel des SGB XII umfasst den notwendigen Lebensunterhalt nach § 27a SGB XII ohne die Kosten für Unterkunft und Heizung, weil diese vom Enkel der Antragstellerin getragen werden. Die Höhe des Regelsatzes nach § 28 SGB XII richtet sich nach der Regelbedarfsstufe 3, weil die Antragstellerin eine erwachsenen leistungsberechtigte Person ist, die weder einen eigenen Haushalt führt, noch als Ehegatte, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führt.
Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, weil sie zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts - soweit ersichtlich - zumindest aktuell über keine finanziellen Mittel aus Einkommen oder Vermögen verfügt.
Die Regelungsanordnung ist in zeitlicher Hinsicht begrenzt auf spätestens den Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, weil die Aufenthaltsfiktion nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG kraft Gesetzes nur bis zu diesem Zeitpunkt gilt und nicht absehbar ist, ob die Antragstellerin sich danach weiterhin "erlaubt" im Sinne des Art. 1 EFA im Bundesgebiet aufhalten wird. Dabei ist auch zu bedenken, dass die Antragstellerin nicht die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 38 a AufenthG erfüllt, weil sie in Belgien nicht die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten im Sinne des Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2003/109/EG hat, da ihr in Belgien nur eine Daueraufenthaltskarte für Familienangehörige eines Unionsbürgers, nicht jedoch ein Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EG", "Résident de longue durée - CE" bzw. "EG-langdurig ingezetene" ausgestellt worden ist (vgl. Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Auflage 2013, § 38a AufenthG). Ob ihr ein anderer Aufenthaltstitel erteilt werden wird, ist nicht absehbar. Weiter ist zu berücksichtigen, dass gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG eine Klage gegen die Ablehnung eines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels keine aufschiebende Wirkung hat. Damit würde die Antragstellerin bei Ablehnung der beantragten Aufenthaltserlaubnis vollziehbar ausreisepflichtig sein (vgl. §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) und damit zum Kreis der Leistungsberechtigten nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG gehören und nicht mehr zum Kreis der Leistungsberechtigten nach dem SGB XII (vgl. § 23 Abs. 2 SGB XII).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Antrag der Antragsteller auf Gewährung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen, weil bis zum Erlass des vorliegenden Beschlusses kein Prozessbevollmächtigter aufgetreten ist und deshalb diesbezügliche außergerichtlichen Kosten nicht entstanden sind und außerdem gemäß § 193 SGG das vorliegende Verfahren gerichtskostenfrei ist. Zudem entstehen der Antragstellerin durch den ihrem Antrag stattgebenden Beschluss keine rechtlichen Nachteile.