Sozialgericht Braunschweig
Urt. v. 25.07.2014, Az.: S 64 KR 206/12

Keine Sozialversicherungspflicht eines als Honorararzt tätigen Radiologen

Bibliographie

Gericht
SG Braunschweig
Datum
25.07.2014
Aktenzeichen
S 64 KR 206/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 24691
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGBRAUN:2014:0725.S64KR206.12.0A

Fundstellen

  • AMK 2015, 12
  • PFB 2015, 93

Tenor:

  1. 1.

    Der Bescheid der Beklagten vom 8. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. April 2012, so wie er sich nach dem angenommenen Teilanerkenntnis darstellt, wird aufgehoben.

  2. 2.

    Es wird festgestellt, dass die Tätigkeiten des Beigeladenen im Krankenhaus der Klägerin in der Zeit vom 29. Juni 2009 bis 30. Dezember 2010 keine abhängigen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse waren.

  3. 3.

    Der Streitwert wird auf 25.000,00 EUR festgesetzt.

  4. 4.

    Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um den sozialversicherungsrechtlichen Status des Beigeladenen in seiner Tätigkeit als Radiologe im Klinikum der Klägerin.

Die Klägerin betreibt ein zugelassenes Krankenhaus im Sinne des § 108 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Der 1972 geborene Beigeladene ist Facharzt für Radiologie. Seit April 2002 ist er nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) von der Rentenversicherungspflicht befreit (Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Ange-stellte vom 8. Mai 2002).

Auf dem dafür vorgesehenen Formular VO 27 der Beklagten stellte die Klägerin am 27. Juni 2011 (Eingang bei der Beklagten) den Antrag auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status des Beigeladenen in seiner Tätigkeit als Honorararzt im Klinikum der Klägerin in den Zeiten 29. Juni 2009 bis 30. Juni 2010 und 21. Dezember bis 30. Dezember 2012. Anlass für den Statusfeststellungsantrag war eine von der Beklagten bei der Klägerin für Herbst 2011 angekündigte Betriebsprüfung.

Der Beigeladene war vor der zu prüfenden Zeit abhängig beschäftigt in einem Krankenhaus in Brandenburg (2006 bis 2008) und im Unfallkrankenhaus Berlin (Februar 2008 bis April 2009). Danach war er als Honorararzt tätig an Krankenhäusern in Pirna, Dessau, Berlin-Weißensee und Riesa. Seit 1. April 2014 betreibt er eine eigene radiologische Praxis in Cottbus-Schmellwitz. Vermittelt durch die über das Internet tätige Agentur Hire a Doctor hatte der Bei-geladene mit der Klägerin mehrere Verträge über honorarärztliche Tätigkeit abgeschlossen (am 28. April 2009 für die Zeit vom 29. Juni 2009 bis 31. August 2009; am 4. August 2009 für die Zeit vom 1. September 2009 bis 31. Dezember 2009; am 9. September 2009 für die Zeit vom 1. Januar 2010 bis 31. März 2010; am 26. März 2010 für die Zeit vom 1. April 2010 bis 31. Mai 2010; am 27. Mai 2010 für die Zeit vom 1. Juni 2010 bis 30. Juni 2010 und am 24. November 2010 für die Zeit vom 21. Dezember 2010 bis 30. Dezember 2010). Wegen des Wortlauts der Verträge wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten (exemplarisch dort Bl. 17 und 18) verwiesen. In der Zeit vom 29. Juni 2009 bis 30. Dezember 2010 übte der Beigeladene daneben keine weitere ärztliche Tätigkeit aus. Die Abrechnung mit der Klägerin erfolgte auf Stundenbasis. Die Stundensätze betrugen je nach Einsatzzeit zwischen 70,00 EUR und 170,00 EUR. Während der gesamten Einsatzzeit stellte die Klägerin dem Beigeladenen eine angemessene Unterkunft zur Verfügung. Insgesamt zahlte die Klägerin dem Beigeladenen 291.111,98 EUR Honorar und der Onlineärztevermittlung Hire a Doctor 31.498,86 EUR Vermittlungsprovision.

Mit Schreiben vom 13. Oktober 2011 informierte die Beklagte sowohl die Klägerin als auch den Beigeladenen darüber, dass beabsichtigt sei, das Vorliegen einer abhängigen und damit sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung festzustellen.

In diesem Sinne erließ die Klägerin am 8. Dezember 2011 jeweils einen an die Klägerin und den Beigeladenen gerichteten Bescheid. Sie stellte fest, dass die Tätigkeit des Beigeladenen als Honorararzt bei der Klägerin in der Zeit vom 29. Juni 2009 bis 30. Juni 2010 und vom 21. Dezember 2010 bis 30. Dezember 2010 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wurde. In dem Beschäftigungsverhältnis bestehe Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung, beginnend mit der Aufnahme der Beschäftigung am 29. Juni 2009. In der Rentenversicherung bestehe keine Versicherungspflicht. Nach Gesamtwürdigung aller zur Beurteilung der Tätigkeit relevanten Tatsachen würden die Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis gegen-über denen für eine selbständige Tätigkeit überwiegen.

Die dagegen sowohl von der Klägerin als auch vom Beigeladenen eingelegten Widersprüche, mit denen genau das Gegenteil geltend gemacht wurde, wies die Beklagte mit Widerspruchs-bescheiden vom 23. April 2012 zurück.

Wegen der ausführlichen Ausführungen der Beteiligten in Bescheid, Widerspruchsbegründung und Widerspruchsbescheid wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Gegen die Entscheidung der Beklagten hat die Klägerin am 24. Mai 2012 Klage beim Sozialgericht Braunschweig erhoben. Sie ist der Auffassung, der Widerspruchsbescheid sei rechts-widrig, da es sich bei der streitigen Tätigkeit um eine selbständige Tätigkeit und nicht um eine abhängige Beschäftigung gehandelt habe. Die Beklagte habe die für- und widersprechenden Kriterien falsch gewichtet.

Hinsichtlich der Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung hat die Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung ein Anerkenntnis abgegeben, wonach Versicherungspflicht wegen Überschreitens der besonderen Jahresarbeitsentgeltverdienstgrenze nicht bestehe. Die Klägerin hat dieses Teilanerkenntnis angenommen.

Die Klägerin beantragt,

1. den Bescheid der Beklagten vom 8.12.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.4.2012, so wie er sich nach dem angenommenen Teilanerkenntnis darstellt, aufzuheben, 2. festzustellen, dass die Tätigkeiten des Beigeladenen im Krankenhaus der Klägerin in der Zeit vom 29.6.2009 bis 30.12.2010 keine abhängigen sozialversicherungs-pflichtigen Beschäftigungsverhältnisse waren.

Der Beigeladene schließt sich dem Antrag der Klägerin an.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Bescheid hinsichtlich der Feststellung der Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung für rechtmäßig und verweist auf die Begründung des Bescheids und des Widerspruchsbescheids.

Mit Beschluss vom 3. Juli 2012 hat das Gericht den Beigeladenen notwendig beigeladen. Die von ihm bei dem Sozialgericht Berlin unter S 208 KR 798/12 erhobene Klage ruht derzeit.

Wegen der näheren Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und auch begründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Die Beklagte war für die Entscheidung über den Statusfeststellungsantrag nach § 7a des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IV) zuständig. Mit Bescheid und Widerspruchsbescheid hat sie nicht nur darüber entschieden, ob eine (abhängige) Beschäftigung vorliegt (was nach § 7a SGB IV alleiniger Prüfauftrag des Statusfeststellungsverfahrens ist), sondern darüber hinaus auch -der Rechtsauffassung des Bundessozialgerichts folgend- über die Versicherungs- und Beitragspflicht in den einzelnen Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung. Somit ist nicht nur die Frage des sozialversicherungsrechtlichen Status dem Grunde nach, sondern auch die Versicherungs- und Beitragspflicht zur gesetzlichen Arbeitslosenversicherung hier Streitgegenstand.

Personen, die gegen Arbeitsentgelt (abhängig) beschäftigt sind, unterliegen in der Arbeitslosenversicherung nach § 25 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) der Versicherungs- und Beitragspflicht. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nicht selbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach Satz 2 dieser Vorschrift sind Anhaltspunkte für eine Beschäftigung eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Dies ist eine gesetzgeberische Klarstellung des seit Einführung des SGB IV am 1. Juli1977 geltenden und in ständiger Rechtsprechung, insbesondere auch vom Bundessozialgericht angewandten Grundsatzes, wonach sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in einem fremden Betrieb dann vorliegt, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Ausführung umfassenden Weisungs-recht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen freigestellte Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.

Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein (ständige sozialgerichtliche Rechtsprechung, insbesondere auch des BSG).

Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig ist, hängt im Wesentlichen davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgeblich ist im Regelfall das Gesamtbild der Arbeitsleistung (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BSG, Urteil vom 30.4.2013, B 12 KR 19/11 R mwN).

Das BSG führt dazu weiter aus: "Ob eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung gerechtfertigt ist, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. In diesem Sinne gilt, dass die tatschlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von den Vereinbarungen abweichen. Maßgebend ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist (BSG a.a.O. mwN.).

Ausgehend von diesen Grundsätzen gilt hier Folgendes:

Die Klägerin und der Beigeladene waren und sind sich darüber einig, dass die Tätigkeit ausdrücklich nicht als abhängige Beschäftigung, sondern als selbständige Tätigkeit ausgestaltet wurde. Das spiegelt sich bereits in der schriftlichen Vertragsgestaltung wider. Die schriftlichen Verträge sind jeweils explizit als Honorararztvertrag zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer und nicht als Arbeitsvertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geschlossen worden. Aus § 1 des Vertrags ergibt sich, dass der Beigeladene die erteilten Aufträge der Klägerin in eigener Verantwortung ausführt, wobei er zugleich die Interessen der Klägerin zu berücksichtigen hat. Ein Weisungs- und Direktionsrecht ist danach grundsätzlich nicht gegeben. Das Vertragsverhältnis wurde auch als freies Honorararztverhältnis gelebt. Zumindest spricht nichts dafür, dass sich der Beigeladene als abhängig Beschäftigter gefühlt hat. Im Gegenteil hat er von seinen Freiheiten und Möglichkeiten der selbständigen Tätigkeit ausgiebig Gebrauch gemacht. Die Lage der Dienste (extreme Kumulationen und lange Freizeiten), die Höhe der ausgehandelten Stundenhonorare und das Gesamthonorar belegen dies. Die Klägerin hat den Beigeladenen auch nicht als abhängig Beschäftigten in ihrer Buchhaltung geführt. Eine Anmeldung zur Sozialversicherung ist nicht erfolgt und gegenüber dem Finanzamt war der Beigeladene unbeanstandet als Selbständiger gemeldet. Auch der Beigeladene selbst trat gegenüber dem Finanzamt als Selbständiger auf.

Die (gelebte) Vertragsgestaltung war auch (sozialversicherungs-)rechtlich zulässig. Es gibt keine Vorschrift, die es der Klägerin als Krankenhausträgerin verwehrt, ärztliche Leistungen auf dem freien Markt einzukaufen. Ob sie dabei mit ihrer Zulassung als Vertragskrankenhaus und entsprechender Berechtigung zur Abrechnung mit den gesetzlichen Krankenkassen spielt, muss und kann hier nicht entscheiden werden. Es geht hier einzig und allein um das Vertragsverhältnis zwischen Klägerin und Beigeladenem (vgl. zur Problematik der Berechtigung zur Erbringung von Krankenhausleistungen auch durch nicht fest angestellte Ärztinnen und Ärzte das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17.4.2013 - L 5 R 3755/11 - www.sozialgerichtsbarkeit.de). Auch sei dahin gestellt, ob Krankenhäuser das Vertrauen der Patienten durch den Einsatz von Hilfspersonal aus dem Internet gewinnen oder steigern können.

Es gibt keine sozialversicherungsrechtliche Vorschrift, die es dem Beigeladenen verbieten würde, als approbierter Arzt bei der Klägerin in deren Krankenhaus selbständig tätig zu sein. Auch hier gilt, dass ein möglicher Verstoß gegen ärztliches Berufsrecht sich nur auf die Zulassung des Beigeladenen auswirken kann. Auch darüber kann und muss im hiesigen Verfahren nicht entschieden werden.

Eine Aussage dahingehend, dass es selbständige Honorarärzte in Krankenhäusern keinesfalls geben kann, lässt sich nicht treffen. Dem steht bereits die Lebenswirklichkeit entgegen. Mittlerweise arbeiten fast alle Krankenhäuser in Deutschland mit dem hier zur Prüfung stehenden Modell. Es gibt eine unüberschaubare Zahl von Vermittlungsagenturen für solche Vertragsverhältnisse, so z.B. wie hier Hire a Doctor, aber auch doctari.de, Doc to rent.de, facharztagentur.de, die freien Anaesthesisten.de, doc 24 arztvermittlung.de, Medicmore.com, notarztmarktplatz.de, med-i-cus.de oder doctime24.de. In anderen EU-Staaten ist der Einsatz selbständiger Ärzte in Krankenhäusern mittlerweile Normalität.

Die sozialgerichtliche (und auch die arbeitsgerichtliche) Rechtsprechung ist vielfältig. Von "es kommt auf den Einzelfall an" über "Selbständige Tätigkeit ist bereits rechtlich ausgeschlossen" (LSG Baden-Württemberg L 5 R 3755/11, Urteil vom 17.4.2013 a.a.O.) bis hin zu "Honorarärzte sind immer selbständig" finden sich alle Varianten. Diese Vielfalt der Entscheidungen liegt sicher nicht unwesentlich daran, dass vor dem Hintergrund der immer stärker werdenden Flexibilisierung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung auf der einen Seite und der vielfach auf bloße Vermarktung des eigenen Know-hows und der eigenen Fähigkeiten beschränkten selbständigen Tätigkeiten auf der anderen Seite eine Grenzziehung zwischen der abhängigen Beschäftigung und der selbständigen Tätigkeit immer schwerer wird. Die Grenzen verfließen. Eine eindeutige Zuordnung für einzelne Berufsbilder ist nicht (mehr) möglich.

Auszugehen ist sonach grundsätzlich vom hier erklärten Willen der Vertragsparteien, ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis ausdrücklich nicht gewollt zu haben.

Ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis kann, ausgehend von den oben dargestellten Grundsätzen, demnach nur dann vorliegen, wenn entgegen dem Willen der Vertragsparteien die tatsächlichen Umstände für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung sprechen. Das ist nur dann der Fall, wenn die Merkmale für eine abhängige Beschäftigung eindeutig über-wiegen.

Das kann hier schon deshalb nicht festgestellt werden, weil es kein einziges Kriterium gibt, welches in der vorliegenden Fallkonstellation eindeutig für eine abhängige Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit spricht.

Hierzu im Einzelnen:

Eingliederung in den Krankenhausbetrieb und Weisungsgebundenheit: Der Beigeladene war faktisch gezwungen, seine Dienste im Krankenhaus der Klägerin zu leis-ten, weil nur dort die erforderlichen Apparaturen und Geräte, aber auch die zu behandelnden Menschen waren. Nur die dort erbrachten Stunden wurden ihm auch bezahlt. Er hatte zwar keine allgemeine Berichtspflicht, konnte aber im Krankenhaus der Klägerin auch nicht tun und lassen, was er wollte sondern musste die ihm zugewiesene Arbeit (röntgenologische Diagnostik) im Sinne der Auftraggeberin (konkret vertreten durch den Chefarzt) verrichten. Der Chefarzt (so die Abteilung denn überhaupt einen hatte) hatte sicher ein Letztentscheidungsrecht in der Sache (Art der Ausführung); keinesfalls aber ein durchsetzbares Weisungsrecht hinsichtlich Zeit und Dauer der Ausführung. Der Ort der Ausführung der Tätigkeit war nicht durch den Chefarzt vorgegeben, sondern entsprang der Natur der Sache (s.o.). Ein allgemeines (umfassendes) Kontroll- und Weisungsrecht des Chefarztes gab es gegenüber dem Beigeladenen jedenfalls nicht. An diesen Merkmalen lässt sich ein Unterschied zwischen dem abhängig Beschäftigten und dem Selbständigen keinesfalls festmachen. Der abhängig Beschäftigte ist insoweit dem Inhalt des Arbeitsverhältnisses bzw. dem Arbeitsvertrag verpflichtet. Der z.B. als Handwerker Selb-ständige ist fast immer direkt beim Kunden tätig und muss sich nach dessen Vorgaben richten. Selbstverständlich erhält er ggf. auch Weisungen von seinem Auftraggeber, die er erfüllen muss, um sein Honorar zu erhalten. Auch bei Selbständigen - sowohl bei denen, die als Handwerker tätig sind, als auch bei denen, die Dienste höherer Art verrichten - sind Abrechnungen nach Stundenhonorar nicht unüblich. Der Selbständige, der in einem fremden Unter-nehmen Dienste verrichtet (Installationen, Reparaturen, Reinigungsarbeiten und überhaupt alle Formen des Outsourcing) muss sich mit dem Betriebsablauf im Auftragsunternehmen arrangieren, also sich dort ggf. auch integrieren. Deshalb ist es auch unerheblich, ob der Bei-geladene in den Dienstplänen auftaucht oder nicht. Der Dienstplan dient nicht nur der Kontrolle durch den Arbeitgeber, sondern nicht unwesentlich auch der Information der jeweiligen Kolleginnen und Kollegen, wer wann und wo Ansprechpartner für was ist.

Art der Dienste: Ob der Beigeladene nur Vordergrunddienste mit weitgehender Entscheidungsfreiheit über die zeitliche Lage der tatsächlichen Einsätze verrichtet hat, wie er durch seinen Prozessbevollmächtigten behaupten lässt, kann dahingestellt bleiben. Auch in abhängigen Beschäftigungsverhältnissen (z.B. in Vertrauensarbeitszeitmodellen) gibt es weitgespannte Entscheidungsfreiheiten der Arbeitnehmer über ihre tägliche Arbeitszeit. Die Entscheidungsbefugnis über die Lage und Länge der täglichen Arbeitszeit ist deshalb kein Exklusivmerkmal für selbständige Tätigkeit.

Teilnahme an nicht unmittelbar arbeitsbezogenen Veranstaltungen: Das betrifft z. B. externe und interne Fortbildungen, Qualitätsmanagementschulungen, Audits, Supervisionen und Teambesprechungen, aber auch die Verpflichtung zur Verfassung von Arztbriefen und Befundberichten und die Teilnahme an Betriebsausflügen und Weihnachtsfeiern. Ob der Beigeladene diesbezüglich eingebunden war oder nicht (wie er vorträgt), ist unerheblich. Es ist keinesfalls ungewöhnlich, wenn nicht dem Betrieb zugehörige Selbständige, die sich dort aber wegen der Auftragserledigung längere Zeit aufhalten, an Gemeinschaftsveranstaltungen teil-nehmen. Dies ergibt sich teilweise aus den geknüpften persönlichen Beziehungen, kann aber auch mit den Zwängen des Auftrags zusammen hängen. Z.B. kann es sein, dass bestimmte ärztliche Handlungen und Abläufe nur einheitlich, also gemeinschaftlich geregelt werden können. Die Teilnahme an Teambesprechungen und Fortbildungen, aber auch an Qualitätsmanagementbesprechungen oder das Erstellen von Arztbriefen und Befundberichten kann des-halb unmittelbarer Bestandteil der Honorararzttätigkeit sein, aber auch im Eigeninteresse des Betroffenen (hier: Beigeladenen) liegen. Letzteres dürfte insbesondere bei angebotenen Möglichkeiten zur Supervision oder zu Fortbildungen der Fall sein.

Persönliche Leistungserbringung: Zwar hat der Beigeladene während der gesamten Tätigkeit für die Klägerin die geschuldete honorarärztliche Leistung persönlich erbracht, was bei abhängig Beschäftigten zwingend der Fall ist. Dies ist allerdings kein Kriterium, das ausschließlich auf abhängig Beschäftigte zutrifft. Auch der selbständige Auftragnehmer kann verpflichtet sein, einen Auftrag höchstpersönlich auszuführen. Das ist immer dann der Fall, wenn der Auftraggeber den Auftrag nur wegen der Person des Auftragnehmers erteilt, z.B. weil nur diesem ganz spezielle Fähigkeiten und Fertigkeiten zugetraut werden. Es ist deshalb unerheblich, ob der Beigeladene eine Ersatzkraft hätte stellen können oder nicht (im Vertrag ist eine solche Möglichkeit zumindest nicht eingeräumt).

Das Recht, auch für dritte Auftraggeber tätig zu werden: Das in § 4 des Vertrags eingeräumte Recht des Beigeladenen, auch für dritte Auftraggeber tätig zu werden, ist kein Argument, welches ausschließlich für Selbständigkeit spricht. Auch der abhängig Beschäftigte kann parallel mehrere Arbeitsverhältnisse haben, was auch mehr und mehr der Realität des deutschen Arbeitsmarktes entspricht.

Unterkunft und Verpflegung: Nach § 5 des Vertrags stellte die Klägerin dem Beigeladenen unentgeltlich eine angemessene Unterkunft zur Verfügung, allerdings keine Verpflegung. Auch dies ist kein Spezifikum des einen oder anderen sozialversicherungsrechtlichen Status. Eine Zuordnung dergestalt, dass bei wohnortfernen Arbeitsstätten der Arbeitgeber dem abhängig Beschäftigten Unterkunft und Verpflegung stellt und der Auftraggeber dem selbständigen Auftragnehmer die Hotelkosten bezahlt oder umgekehrt oder jeweils nicht, gibt es nicht.

Unternehmerisches Auftreten und Risiko: Ob der Beigeladene Eigenwerbung durch Visiten-karten betrieben hat, zu Hause im eigenen Büro seine Steuererklärung erstellt hat und ob er ein oder kein finanzielles Risiko im Hinblick auf Kapitaleinsatz hatte ist für die Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status unergiebig. Auch abhängig Beschäftigte haben Visiten-karten und erstellen ihre Steuererklärung zu Hause. Der neuzeitliche Arbeitsmarkt kennt die strikte Trennung zwischen Arbeiter und Angestellten ohne Kapitalrisiko einerseits und fabrik- und maschinenbesitzendem Unternehmer mit Kapitalrisiko andererseits nicht mehr. Ebenso wie viele abhängig Beschäftigte vermarkten mittlerweile nicht unerheblich viele Selbständige ihre geistigen Fähigkeiten. Sie können dies ohne nennenswerten Kapitaleinsatz. Der selbständige Honorararzt unterscheidet sich insofern nicht wesentlich vom selbständigen IT-Spezialisten, der im Fremdunternehmen eine Computeranlage einrichtet oder vom selbständigen Eventkoch, der in fremder Küche kocht. Deshalb ist es auch unerheblich, ob die für die Tätigkeit erforderlichen Arbeitsmittel vom Auftraggeber kostenlos zur Verfügung gestellt wer-den. Im Falle der Computeranlage, die vom selbständigen IT-Spezialisten nur eingerichtet und nicht beschafft und geliefert werden soll, ist das z.B. auch der Fall. Der Honorararzt, der im Internet täglich neu seine Dienste anbietet unterscheidet sich aber insoweit auch nicht wesentlich vom (abhängig beschäftigten) Tagelöhner, der täglich neu in morgendlicher Frühe seine Dienste in der großstädtischen Markthalle anbietet.

Erscheinungsbild nach außen: Nach § 6 des Vertrags sorgt grundsätzlich der Auftragnehmer für passende Dienstleistung. Dies ("passend" bezieht sich wohl nicht nur auf die Kleidergröße) wird im Falle des Beigeladenen sicher dazu geführt haben, dass er sich hinsichtlich der Kleidung nicht wesentlich von den im Krankenhaus der Klägerin angestellten Ärzten unterschieden hat. Da es aber keine ausdrückliche Dienstuniform gab, die es zu tragen galt, geht die Kammer davon aus, dass damit zwar für Patienten nicht zu erkennen war, welchen sozialversicherungsrechtlichen Status der Beigeladene hat, er aber nicht zwingend eindeutig als angestellter Arzt des Krankenhauses wahrgenommen werden musste. Es spricht jedenfalls nichts dafür, dass er sich auf Nachfrage als abhängig Beschäftigter der Klägerin ausgegeben hat.

Wahl der Mitarbeiter: Zwar konnte sich der Beigeladene seine Mitarbeiter nicht selbst aussuchen, was der selbständig praktizierende Arzt regelmäßig kann. Allerdings trifft das schon für den Arzt in einer Gemeinschaftspraxis nicht mehr uneingeschränkt zu. Auch sonstige selbständige Spezialisten, die in fremden Unternehmen Aufträge abwickeln, können sich nicht aussuchen, wer dort beschäftigt ist.

Zeitlich befristeter Vertrag: Zwar wertet die Beklagte die zeitliche Befristung des Vertrags als Merkmal für eine selbständige Tätigkeit. Zeitlich befristete Verträge gibt es aber durchaus auch bei abhängigen Beschäftigungsverhältnissen (und sicher auch bei der Beklagten).

Keine Urlaubs- und Krankheitsvertretung: Zwar wird regelmäßig ein Selbständiger keine Urlaubs und Krankheitsvertretung für Mitarbeiter eines anderen Unternehmens übernehmen (außer wenn genau das Inhalt des Auftrags ist). Aber auch abhängig Beschäftigte sind nicht zwingend immer verpflichtet, Vertretungen für Kollegen und Kolleginnen wahrzunehmen.

Haftung der Klägerin/Klinik für Fehler des Beigeladenen: Selbstverständlich haftet die Klägerin im Außenverhältnis für Fehler innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs. Das trifft aber auch für Fehler aller selbständigen Handwerker zu, die in der Klinik der Klägerin tätig waren und sind. Von der Haftung auf den sozialversicherungsrechtlichen Status zu schließen ist nicht möglich. Nur umgekehrt lässt sich (im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung) vom versicherungsrechtlichen Status ausgehend der Umfang der Haftung bestimmen. Selbst darauf, ob die Klägerin im Innenverhältnis mit dem Beigeladenen diesen oder dessen private Haftpflichtversicherung in Anspruch nehmen kann kommt es nicht an. Der Abschluss einer Haftpflichtversicherung könnte nämlich durchaus Vertragsbestandteil eines Dienst- (oder Werk-)vertrags sein.

Versicherungen: Ob bei Schäden in Verbindung mit der ausgeübten Tätigkeit die Berufshaftpflichtversicherung des Auftraggebers zum Tragen gekommen wäre (so die Behauptung der Beklagten im Bescheid) oder ob der Beigeladene eine eigene Berufshaftpflichtversicherung abgeschlossen hatte oder ob die entsprechende Versicherung über die Vermittlungsagentur abgeschlossen war, ist unerheblich. Alle Möglichkeiten der Haftpflichtversicherung finden sich sowohl in abhängigen Beschäftigungen als auch bei selbständiger Tätigkeit, die in fremden Unternehmen ausgeführt wird. Eine eindeutige Zuordnung zu einem bestimmten sozialversicherungsrechtlichen Status ist demnach auch damit nicht möglich.

Sonstige Versicherungen, Lohnfortzahlung: Im Regelfall spricht das Vorhandensein privater Renten-, Kranken-, Pflege- und Unfallversicherungen für das Vorliegen einer Selbständigkeit. Auch ein nicht vorhandener Urlaubsanspruch und das Fehlen eines Lohnfortzahlungsanspruchs im Urlaubs- und Krankheitsfall sprechen für selbständige Tätigkeit. All das lag beim Beigeladenen vor. Eine zwingende Zuordnung ergibt sich daraus aber nicht. Denn all dies kann schlicht Ausfluss der fehlerhaften Eigenbeurteilung des versicherungsrechtlichen Status gewesen sein.

Honorarverhandlungen: Ob und wie erfolgreich abhängig Beschäftigte oder Selbständige mit dem Aushandeln von Arbeitsentgelt oder Vertragshonorar sind, hängt nicht von deren Status, sondern von deren persönlichem Geschick ab. Deshalb ist es unerheblich, dass der Beigeladene höchst unterschiedliche Stundenhonorare in nicht unerheblicher Höhe aushandeln konnte.

Abrechnung des Beigeladenen mit der Klägerin: Der Beigeladene hat seine Honorarforderungen direkt bei der Klägerin (unter Zuhilfenahme der Vermittlungsagentur) und nicht bei den Krankenkassen oder der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) geltend gemacht. Daraus auf abhängige Beschäftigung zu schließen ist nicht möglich. Ein Arzt, der mit der KV abrechnet, wird regelmäßig selbständig sein, allerdings ist der Arzt, der das nicht tut oder nicht kann nicht zwangsläufig abhängig beschäftigt. Der Beigeladene hat gegenüber der Klägerin keine Arbeitslohnforderung geltend gemacht, sondern sein Honorar aus dem Honorarvertrag. Das ist für Selbständige zumindest nicht unüblich.

Insgesamt muss deshalb die streitige Tätigkeit so beurteilt werden, wie die Vertragsparteien (Klägerin und Beigeladener) sie übereinstimmend selbst eingeschätzt haben, nämlich als selbständige Tätigkeit und nicht als abhängige sozialversicherungspflichtige Beschäftigung.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197 a Sozialgerichtsgesetz i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Der Streitwert ergibt sich aus dem Regelstreitwert von 5.000,00 EUR für den Feststellungsanteil plus dem überschlägigen Beitrag für Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung aus dem Gesamthonorar bis zur Beitragsbemessungsgrenze (ca. 20% aus 2mal ca. 50.000,00 EUR)