Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 07.12.2004, Az.: 1 B 73/04
Anordnungsanspruch; Auswahl; Auswahlfehler; Bewerbungsverfahrensanspruch; dienstliche Beurteilung; effektiver Rechtschutz; Ermessensentscheidung; grundrechtsgleiches Recht; Hilfskriterien; Lehrgangsnote; Leistungsgrundsatz
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 07.12.2004
- Aktenzeichen
- 1 B 73/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 50811
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 33 Abs 2 GG
- § 123 Abs 1 S 1 VwGO
- § 7 BRRG
- Art 19 Abs 4 GG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Beurteilungen sind dann nicht mehr miteinander vergleichbar, wenn ihre Stichtage um ein Jahr auseinander liegen und sie hinsichtlich des Beurteilungszeitraums und der Aussagekraft zu zentralen Tätigkeitsbereichen (hier als Gruppenführer) erheblich differieren.
2. Beim Fehlen von sachlich vergleichbaren Beurteilungen sind aktuelle und miteinander vergleichbare Beurteilungen einzuholen.
3. Auf ältere Lehrgangsnoten kann als Hilfskriterien solange nicht zurückgegriffen werden, wie jüngere und aussagekräftigere Beurteilungen vorliegen.
Gründe
I. Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Auswahlentscheidung.
Der Antragsteller und die Beigeladene haben sich um den im Februar 2004 ausgeschriebenen Dienstposten eines/einer „Gruppenführers/-in“ bei der 4. BPH der II. BPA in Lüneburg (BesGr. A 11 BBesO) beworben. Gemäß Ausschreibung waren Voraussetzung für eine erfolgreiche Bewerbung
Erfahrungen in der Wahrnehmung von Einsatz- und Führungsaufgaben (z.B. als stellv. Gruppenführer/in oder Sachbearbeiter)
Führungs- und Entscheidungskompetenz
Befähigung zur kooperativen Mitarbeiterführung
Bereitschaft und Fähigkeit zur Teamarbeit sowie zur gemeinsamen Konfliktbewältigung.
Bei wesentlicher Gleichheit der Leistungen und/oder Eignungsvoraussetzungen mehrerer Bewerber/innen war ein strukturiertes Auswahlgespräch vor einer Auswahlkommission der II. BPA vorgesehen.
In ihrer Bewerbung vom 20. August 2004 hat die Beigeladene darauf verwiesen, dass sie „einige Male die Aufgaben einer Truppführerin“ wahrgenommen habe und am 1. März 2004 in den III. Zug umgesetzt worden sei, „um dort die Aufgaben einer Gruppenführerin wahrzunehmen.“ Der Antragsteller ist laut Anlassbeurteilung vom 31. August 2004 seit dem 1. November 2002 mit der Wahrnehmung der Dienstgeschäfte des Gruppenführers der 3. Gruppe im II. Zug beauftragt und hat Erfahrungen in der Führung einer Gruppe.
Für den Antragsteller wurde unter dem 31. August 2004 zum Stichtag 1. September 2004 eine am 18. Oktober 2004 vom Erstbeurteiler unterzeichnete und auch an diesem Tage dem Antragsteller eröffnete Anlassbeurteilung erstellt, die den Zeitraum vom 1. Februar bis zum 31. August 2004 umfasst und mit der Gesamtnote „entspricht voll den Anforderungen (3)“ abschließt. Zuvor hatte er vor Ablauf seiner Probezeit am 4. Februar 2003 eine Beurteilung zum Stichtag 1. Februar 2004 erhalten, die den Zeitraum vom 1. Oktober 2001 bis zum 31. Januar 2004 erfasst und in der ihm ohne Vergabe eines Gesamturteils seine Bewährung bescheinigt wird. Die Laufbahnprüfung bestand er am 20. September 2001 mit der Note „befriedigend - 9,15 Punkte“. Für die Beigeladene wurde unter dem 23. Juni 2004 zum Stichtag 1. September 2003 eine am 27. Juni 2004 vom Erstbeurteiler unterzeichnete Anlassbeurteilung erstellt, die - im Unterschied zum Antragsteller - lediglich den ein Jahr zurückliegenden Zeitraum vom 15. April bis zum 31. August 2003 umfasst. Zuvor hatte sie vor Ablauf ihrer Probezeit die Beurteilung vom 14. April 2003 erhalten, die den Zeitraum 1. Oktober 2001 bis 14. April 2003 erfasst und in der ohne Vergabe eines Gesamturteils ebenfalls ihre Bewährung festgestellt wird. Die Laufbahnprüfung bestand die Beigeladene am 24. September 2001 mit der Note „gut - 11,70 Punkte“.
Am 1. Oktober 2004 - vor Unterzeichnung und Eröffnung der Anlassbeurteilung des Antragstellers - fand gemäß dem Vermerk vom 5. Oktober 2004 in Braunschweig bei der II. BPA eine Besprechung „zur Vorauswahl/Auswahl“ der Bewerber für die gen. Dienstposten statt, in der u.a. die Beigeladene ausgewählt wurde. Hierbei wurde davon ausgegangen, dass aufgrund der Beurteilungen eine Rangfolge nicht herstellbar sei, so dass als „erstes Hilfskriterium“ die Lehrgangsnote des Laufbahnlehrgangs II und des Alg D herangezogen werde, die zugunsten der Beigeladenen spreche.
II. Der Antrag hat Erfolg.
Das Gericht kann gemäß § 123 VwGO sowohl eine Sicherungs- wie auch eine Regelungsanordnung treffen. Beide Formen der einstweiligen Anordnung setzen voraus, dass sowohl ein Anordnungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht werden (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 123 Rn. 6). Hier erstrebt der Antragsteller eine Sicherungsanordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO, deren Voraussetzungen erfüllt sind. Denn ihm droht eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs als eines grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 33 Abs. 2 GG, die in einem Verfahren der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnte.
1. So hat das Bundesverfassungsgericht (NVwZ 2003, 200) für eine Sicherungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO entschieden:
„1. a) Art. 33 II GG gewährt jedem Deutschen ein grundrechtsgleiches Recht auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung (vgl. BVerfGE 1, 167 [184] = NJW 1952, 577). Daraus folgt der Anspruch eines Beförderungsbewerbers auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Entscheidung über seine Bewerbung (vgl. BVerwGE 101, 112 [114] = NVwZ 1997, 283). Dieser Anspruch (Bewerbungsverfahrensanspruch) lässt sich nach der bisherigen, verfassungsrechtlich nicht beanstandeten verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung nur vor einer Ernennung des ausgewählten Konkurrenten mittels einer einstweiligen Anordnung nach § 123 I 1 VwGO effektiv sichern. Wird hingegen die im Streit stehende Stelle besetzt, bleibt dem unterlegenen Bewerber sowohl die erfolgreiche Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes als auch primärer Rechtsschutz in der Hauptsache in Form der Bescheidungsklage nach § 113 V 2 VwGO versagt (vgl. BVerwGE 80, 127 [129f.] = NVwZ 1989, 158; BVerfG [3. Kammer des Zweiten Senats], NJW 1990, 501; vgl. hierzu allerdings jetzt auch BVerwG, NVwZ 2002, 604 = DVBl 2002, 203 [204]).
b) Auf Grund dieser Verfahrensabhängigkeit des sich aus Art. 33 II GG ergebenden subjektiven Rechts sind die Verwaltungsgerichte bei der Auslegung und Anwendung des § 123 I 1 VwGO im so genannten beamtenrechtlichen Konkurrentenstreit gehalten, den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes gerade im Eilverfahren besonders Rechnung zu tragen. Art. 19 IV GG garantiert nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern auch eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 35, 263 [274] = NJW 1973, 1491; BVerfGE 40, 272 [275] = NJW 1976, 141 [BVerfG 29.10.1975 - 2 BvR 630/73]; BVerfGE 61, 82 [110f.] = NJW 1982, 2173 [BVerfG 08.07.1982 - 2 BvR 1187/80]; BVerfGE 77, 275 [284] = NJW 1988, 1255 [BVerfG 02.12.1987 - 1 BvR 1291/85]; BVerfGE 79, 69 [74f.] = NJW 1989, 827; BVerfGE 93, 1 [13] = NJW 1995, 2477 [BVerfG 16.05.1995 - 1 BvR 1087/91]; BVerfGE 97, 298 [315] = NJW 1998, 2659; BVerfGE 101, 106 [122f.] = NJW 2000, 1175 [BVerfG 27.10.1999 - 1 BvR 385/90]; BVerfGE 103, 142 [156] = NJW 2001, 1121 [BVerfG 20.02.2001 - 2 BvR 1444/00]; st. Rspr.). Droht dem Ast. bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, über den Randbereich hinausgehende Verletzung in seinen Grundrechten, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, so ist - erforderlichenfalls unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des im Hauptverfahren geltend gemachten Anspruchs - einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren, wenn nicht ausnahmsweise gewichtige Gründe entgegenstehen. Hierbei muss das Gericht das Verfahrensrecht in einer Weise auslegen und anwenden, die dem Gebot effektiven Rechtsschutzes Rechnung trägt (vgl. BVerfGE 79, 69 [75] = NJW 1989, 827 [BVerfG 25.10.1988 - 2 BvR 745/88]; BVerfGE 97, 298 [315] = NJW 1998, 2659 [BVerfG 20.02.1998 - 1 BvR 661/94]).“
Demgemäß hat auch das Bundesverwaltungsgericht (NJW 2004, 870 f. [BVerwG 21.08.2003 - BVerwG 2 C 14.02]) entschieden, dass schon bei offenem Verfahrensausgang eines Hauptsacheverfahrens im vorläufigen Rechtsschutzverfahren eine erneute Entscheidung beansprucht werden kann:
„Art. 19 IV GG garantiert nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern auch eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 101, 106 [122f.] = NJW 2000, 1175 [BVerfG 27.10.1999 - 1 BvR 385/90] m.w. Nachw. = NVwZ 2000, 428 L; st. Rspr.). Einstweiliger Rechtsschutz ist deswegen unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Bewerbungsverfahrensanspruchs zu gewähren. Ein abgelehnter Bewerber, dessen subjektives Recht aus Art. 33 II GG durch eine fehlerhafte Auswahlentscheidung des Dienstherrn verletzt worden ist, kann eine erneute Entscheidung über seine Bewerbung zumindest dann beanspruchen, wenn seine Erfolgsaussichten bei einer erneuten Auswahl offen sind, seine Auswahl also möglich erscheint. Im Verfahren über seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist derselbe Maßstab wie im Hauptsacheverfahren anzulegen. Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung dürfen ebenfalls nicht über das hinausgehen, was für ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren genügt (BVerfG, NVwZ 2003, 200 = NJW 2003, 1111 L).“
2. Ein den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigender Anordnungsgrund, die Dringlichkeit einer Eilentscheidung, ist unter Berücksichtigung des Gebotes eines effektiven Rechtsschutzes (s.o.) gegeben. Denn durch die Übertragung eines der ausgeschriebenen Beförderungsdienstposten an die Beigeladene würde der vom Antragsteller geltend gemachte Bewerbungsverfahrensanspruch (auf fehlerfreie Auswahlentscheidung) mit erheblichen Folgen für den Antragsteller berührt. Mit Vollzug der beabsichtigten Übertragung der Beförderungsdienstposten erhielte die Beigeladene mit der Zeit zugleich einen Erfahrungsvorsprung, aufgrund derer sie im Fall der Wiederholung der Auswahlentscheidung im Hauptsacheverfahren dem Antragsteller ggf. vorzuziehen wäre.
3. Dem Antragsteller steht auch der erforderliche Anordnungsanspruch zur Seite, für den es ausreicht, dass ein berücksichtigungsfähiger Auswahlfehler vorliegt, der für die Auswahl potentiell kausal war (OVG Münster, NVWBl. 2002, 111; OVG Bremen, DöD 1985, 42f.; vgl. auch VGH Mannheim, 19. 5. 1999 - 4 S 1138/99 (unveröff.), S. 2 des Entscheidungsumdrucks; Bracher, ZBR 1989, 139 (140); Golitschek, ThürVBl 1996, 1 (2); Günther, NVwZ 1986, 697 (703); Martens, ZBR 1992, 129 (132); Peter, JuS 1992, 1043 (1046); Schnellenbach, DöD 1990, 152 (157); Wittkowski, NJW 1993, 817 (819) [BVerwG 09.03.1989 - BVerwG 2 C 4.87]. Die von der Antragsgegnerin hier getroffene Auswahlentscheidung und ihre Grundlagen sind rechtlich zu beanstanden, was sich bei der Auswahl der Bewerber auch zu Lasten des Antragstellers ausgewirkt hat.
Die der Übertragung eines höherwertigen Dienstpostens vorausgehende Auswahlentscheidung des Dienstherrn unterliegt grundsätzlich als Ermessensentscheidung einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Die verwaltungsgerichtliche Nachprüfung erstreckt sich lediglich darauf, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat oder ob sie von einem unrichtigen bzw. unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachwidrige Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften oder mit höherrangigem Recht vereinbare Richtlinien (Verwaltungsvorschriften) verstoßen hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.8.2001 - 2 A 3.00 -, DVBl 2002, 131; Nds. OVG, Beschl. v. 26.8.2003 -5 ME 162/03 -, NVwZ-RR 2004, 197 m. w. N.; Beschl. v. 8.12.2003 - 5 ME 360/03 -). Allerdings hat der Dienstherr den Bewerbungsverfahrensanspruch des Beamten nachhaltig zu beachten, der das Recht auf eine faire und chancengleiche Behandlung umfasst (BVerfG, aaO.; BVerwG, aaO.; vgl. daneben auch VGH Kassel, Beschl. v. 18.2.1991 - 1 TH 85/91 -, NVwZ-RR 1992, 34, 35).
Die Auswahlentscheidung des Dienstherrn hat sich vor allem an dem sich aus Art. 33 Abs. 2 GG und § 7 BRRG ergebenden Leistungsgrundsatz zu orientieren, so dass die Auswahl unter den Bewerbern nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung vorzunehmen ist. Hierauf hat der Beamte einen Anspruch. Bei der Beurteilung der Frage, welcher der Bewerber am besten geeignet und befähigt sowie am leistungsstärksten ist, hat der Dienstherr in erster Linie auf unmittelbar leistungsbezogene Kriterien zurückzugreifen, wobei ein vollständiger Sachverhalt zugrunde zu legen ist (Nds. OVG, Beschl. v. 24.2. 2000 - 2 M 172/00 -). Dieser ergibt sich regelmäßig aus den aktuellsten Beurteilungen. Haben die Bewerber dabei als Gesamturteil auf der jeweiligen Notenskala unterschiedliche Notenstufen erreicht, ist grundsätzlich der Bewerber mit der besseren Gesamtnote auszuwählen. Sind die Bewerber mit der gleichen Gesamtnote beurteilt, sind bei der Auswahlentscheidung zunächst sogenannte Binnendifferenzierungen innerhalb der Notenstufe und/oder aus der Bewertung der einzelnen Beurteilungsmerkmale zu berücksichtigen, soweit sie zulässig sind. Sodann sind ältere Beurteilungen heranzuziehen, wenn eine Stichentscheidung unter im Wesentlichen gleich beurteilten Bewerbern zu treffen ist. Erst dann, wenn alle diese unmittelbar leistungsbezogenen Erkenntnisquellen ausgeschöpft sind und die Bewerber immer noch als im Wesentlichen gleich einzustufen sind, sind sogenannte Hilfskriterien heranzuziehen, bei denen der Dienstherr grundsätzlich nicht an eine bestimmte Reihenfolge gebunden ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.8.2003 - 2 C 14.02 -, DVBl 2004, 317; Urt. v. 27.2.2003 - 2 C 16.01 -, IÖD 2003,170; Nds. OVG, Beschl. v. 26.8.2003 - 5 ME 162/03 -, a. a. O.; Beschl. v. 15.9.2003 - 2 ME 312/03 -). Die Umstände des jeweiligen Einzelfalles können dabei auch dann eine erneute aus Anlass der Bewerbung zu erstellende Beurteilung gebieten, wenn Beurteilungsrichtlinien eine Anlassbeurteilung grundsätzlich nicht vorsehen (Nds. OVG, Beschl. v. 24.2.2000 - 2 M 172/00 -). Voraussetzung für die Verwertung einer dienstlichen Beurteilung ist insbesondere, dass sie eine hinreichende Aussagekraft für die Beantwortung der Frage besitzt, in welchem Maße der Beurteilte den Anforderungen gerade des ausgeschriebenen Dienstpostens gerecht werden kann (Nds. OVG, Beschl. v. 18.5.1995 - 5 M 1532/95 -, Nds. RPfl. 1995, 168, 169).
Gemessen hieran ist der Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers hier verletzt. Denn die nach Darstellung der Antragsgegnerin zur Grundlage der Auswahlentscheidung herangezogenen dienstlichen Beurteilungen des Antragstellers und der Beigeladenen sind schon vom Ansatz her nicht miteinander vergleichbar: Während die bei der Auswahlentscheidung vom 1. Oktober 2004 herangezogene letzte dienstliche Beurteilung des Antragstellers zum Stichtag 1. September 2004 recht aktuell ist und einen 7-monatigen Zeitraum des Jahres 2004 umfasst, erstreckt sich die um ein Jahr ältere Beurteilung der Beigeladenen zum Stichtag 1. September 2003 nur auf einen 4 ½ -monatigen Zeitraum des Jahres 2003. Unter diesen Umständen kann sie sich nicht mit der Tätigkeit der Beigeladenen als einer Gruppenführerin befassen, da diese gemäß ihrer Bewerbung vom 20. August 2004 erst am 1. März 2004 in den III. Zug zwecks entsprechender Aufgabenwahrnehmung umgesetzt worden ist. Wenn die Anlassbeurteilung vom 23. Juni 2004 dennoch unter Pkt. 5.1 zum „Konfliktregelungsvermögen“, zur „Delegation und Erfolgskontrolle“ sowie zur „Information und Kommunikation“ der Beigeladenen als einer Vorgesetzten Bewertungen enthält, so ist nicht nachvollziehbar, aufgrund welcher Tätigkeiten das für den ausgewiesenen Beurteilungszeitraum des Jahres 2003 von 4 ½ Monaten beurteilt werden konnte und worden ist. Die Beurteilung der Beigeladenen besitzt keine hinreichende Aussagekraft für die Beantwortung der hier ja doch zentralen Frage, in welchem Maße die Beigeladene den Anforderungen gerade des ausgeschriebenen Dienstpostens gerecht werden kann (vgl. Nds. OVG, Nds.RPfl. 1995, 168/169). Gerade aber Erfahrungen in der Wahrnehmung von Einsatz- und Führungsaufgaben sollten nach der Ausschreibung vom 2. Februar 2004 „Voraussetzung für eine erfolgreiche Bewerbung“ sein - eine Voraussetzung, die der Antragsteller aufgrund seiner langjährigen Wahrnehmung der Dienstgeschäfte eines Gruppenführers (Pkt. 4 der Beurteilung vom 31. August 2004) ohne Frage erfüllt, u.zw. mit Blick auf die unter Pkt. 5.1 der jeweiligen Beurteilungen vom 31. August 2004 bzw. vom 4. Februar 2004 enthaltenen Wertungen voll (Wertungsstufe 3 bis 4) bzw. sogar herausragend (weit überwiegend Wertungsstufe 4). Im Gegensatz zu diesem deutlichen Befähigungsbild des Antragstellers als eines Gruppenführers (vgl. dazu die Ausschreibung) ist ein entsprechend deutliches Befähigungsbild der Beigeladenen nicht feststellbar. Die Antragsgegnerin hat es rechtsfehlerhaft unterlassen, für die Beigeladene eine aktuelle, mit der des Antragstellers sachlich auch vergleichbare Anlassbeurteilung einzuholen.
Aufgrund dieser Anhaltspunkte für das Fehlen eines aktuellen Befähigungsbildes der Beigeladenen gerade als Gruppenführerin und auch angesichts dessen, dass die letzte dienstliche Beurteilung des Antragstellers zeitlich erst nach der maßgeblichen Auswahlentscheidung vom 1. Oktober 2004 unterzeichnet und dem Antragsteller eröffnet worden ist, ist hier eine neue Auswahlentscheidung auf der Grundlage eines aktualisierten Leistungsvergleichs der beiden Bewerber zu treffen.
Allein die unter diesen Umständen als „Hilfskriterium“ herangezogene Lehrgangsnote kann nicht zur Grundlage einer rechtsfehlerfreien Auswahlentscheidung gemacht werden. Soweit diese Frage im Beschluss der Kammer vom 18. Juni 2004 - 1 B 19/04 - noch offen gelassen worden ist (S. 5 d. Beschlussabdrucks), ist nunmehr festzustellen, dass ein Rückgriff auf diese Noten des Jahres 2001 - unter Ausblendung sehr viel aktuellerer Beurteilungen (z.B. jener vom 14. April 2003 bzw. 4. Februar 2004) - den Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers, der die strikte Beachtung des Leistungsgrundsatzes erfordert, verletzt. Bevor auf eine Lehrgangsnote zurückgegriffen wird, sind leistungsnähere Erkenntnisquellen - vor allem ältere, aber im Vergleich zu Lehrgangsnoten aktuellere Beurteilungen - heranzuziehen. Zudem ist kein durchgreifender Grund dafür ersichtlich, warum angesichts der aus den sachnäheren Beurteilungen ersichtlichen Feststellungen und Bewertungen sowie angesichts der Ausschreibung und der Erfordernisse der Dienstposten „Gruppenführer/in“ noch auf Lehrgangsnoten des Jahres 2001 überhaupt zurückgegriffen worden ist, die hinsichtlich der hier zentralen Frage von Führungskompetenzen wenig bzw. keine Aussagekraft besitzen. Zum andern ist nicht nachvollziehbar, weshalb für die Beigeladene nicht wie beim Antragsteller verfahren und jedenfalls eine hinreichend aktuelle Anlassbeurteilung mit Aussagen zu ihrer Befähigung als Gruppenführerin aus dem Jahre 2004 erstellt wurde. Hinzu kommt, dass die hier herangezogene Beurteilung vom 23. Juni 2004 retrospektiv für das Jahr 2003 einige Aspekte bewertet (andere nicht), die nach den konkreten Tätigkeiten der Beigeladenen, die bis dahin nur „einige Male“ als Trupp-, aber nicht als Gruppenführerin eingesetzt war (vgl. ihre Bewerbung vom 20. August 2004), gar nicht eingeschätzt werden konnten.
Dass die Mitglieder des Beratungsgremiums sich nach Darstellung der Antragsgegnerin im Auswahlverfahren einig waren, dass eine Rangfolge zwischen den Bewerbern auf der Grundlage der vorhandenen Beurteilungen „nicht möglich“ gewesen sei, ist eine den Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers erheblich tangierende Fehleinschätzung, die offenbar auf einem unzureichenden Sachabgleich der vorliegenden und einerseits aussagekräftigen (hinsichtlich des Antragstellers) und andererseits ersichtlich unzureichenden (hinsichtlich der Beigeladenen) Beurteilungen der beiden Bewerber beruht.
Im hiernach erneut durchzuführenden Auswahlverfahren zwischen dem Antragsteller und der Beigeladenen besteht schließlich ohne Frage die Möglichkeit, dass der Antragsteller zum Zuge kommt. Schon diese bloße Möglichkeit reicht aus, um eine einstweilige Anordnung zu Gunsten des Antragstellers zu treffen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 5 GKG. (1/2 des 6,5fachen Betrages des Endgrundgehaltes der Besoldungsgruppe A 11 BBesO in Höhe von 3.155,89 EUR).