Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 15.12.2004, Az.: 3 A 62/03

Baustraße; Baustraße; Beseitigung; Erschließungsaufwand; Erschließungsbeiträge; Herstellung; Provisorium; Stichweg

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
15.12.2004
Aktenzeichen
3 A 62/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50794
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes sind Kosten für die Herstellung eines Provisoriums (Baustraße) erstattungsfähig nicht schon dann, wenn die Baustraße der Erschließung der Baugrundstücke dient, sondern nur dann, wenn sie nach "den technischen Regeln" erforderlich war, um später die endgültige Erschließungsanlage ordnungsgemäß herzustellen. Dies ist aber nicht der Fall, wenn sich das Bauprogramm der Gemeinde ändert und die Baustraßen deshalb nutzlos geworden sind. Bei der "Erforderlichkeit" von Baustraßen kommt es nicht auf die subjektiven Ansichten der Gemeinde an.

Kosten für die Beseitigung des Provisoriums gehören nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes nicht zu den erstattungsfähigen Herstellungskosten im Sinne des § 128 Abs. 1 Nr. 2 BauGB. Das ist dogmatisch fragwürdig, da die Beseitigungskosten zu den Kosten der Freilegung im Sinne des § 128 Abs. 1 Nr. 1 BauGB gerechnet werden könnten. Rechnet zur Freilegung im Ergebnis alles das, was zur Einebnung des Straßengeländes erforderlich ist, damit auf der dann glatten Fläche mit dem eigentlichen Straßenbau begonnen werden kann, lassen sich systematisch auch Aufwendungen für die Entfernung einer provisorischen und für den endgültigen Ausbau nicht erforderlichen Baustraße zu den Freilegungskosten rechnen. Die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes wäre folgerichtiger, wenn bei der Frage der Berücksichtigungsfähigkeit der Kosten für die Beseitigung eines Provisoriums nicht angeknüpft würde an die Begriffe der Freilegung und der Herstellung, sondern - gleichsam auf einer der Differenzierung vorhergehenden Stufe - an die Frage der Erforderlichkeit des Provisoriums an sich.

Tatbestand:

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zu Erschließungsbeiträgen für ihr Eckgrundstück am Heinrich-Heine-Weg/Wilhelm-Rabe-Weg in Lachendorf.

2

Mit der Anlage der beiden Straßen wurde Ende 1977 begonnen. Ab 2001 wurde der endgültige Ausbau vorgenommen. Dazu wurden die Baustraßen aufgenommen. Die neu gebauten Fahrbahnen sind 4 m breit und in Pflasterbauweise erstellt, es gibt begrünte Seitenräume als Versickerungsmulden mit Notüberläufen an Regenwasserkanälen, und es wurde die Straßenbeleuchtung hergestellt. Für den Wilhelm-Raabe-Weg ermittelte die Beklagte Kosten in Höhe von 360.587,51 DM, für den Heinrich-Heine-Weg Kosten in Höhe von 160.966,90 DM. Davon legte die Beklagte jeweils 90 % auf die Anlieger um.

3

Für die beiden Straßen erließ die Beklagte gegenüber der Klägerin Heranziehungsbescheide. Für den Heinrich-Heine-Weg wurden mit Bescheid vom 30. Januar 2002 Beiträge in Höhe von 8.560,40 DM = 4.376,86 EUR festgesetzt und für den Wilhelm-Rabe-Weg mit Bescheid vom 31. Januar 2002 Beiträge in Höhe von 7.544,38 DM = 3.857,38 EUR. Die Klägerin legte Widerspruch ein und trug vor: Die Straßen seien bereits Ende 1977/Anfang 1978 endgültig fertiggestellt worden. Es habe lediglich die letzte Schicht der Asphaltdecke gefehlt. Deshalb komme allenfalls die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen in Betracht. Dies scheide aber deshalb aus, da es sich nicht um eine Verbesserungsmaßnahme handele. Fußgänger seien im Gegensatz zum vorigen Ausbauzustand gezwungen, die Fahrbahn zu benutzen. Es gebe Rechnungen aus den Jahren 1972 und 1977, die anhand des Lebenshaltungsindex auf heutige Beträge hochzurechnen seien. Die Vergleichsberechnung zeige, dass es sich damals nicht um bloße Baustraßen gehandelt habe, sondern um die endgültige Herstellung. Die Straßen seien gewidmet gewesen, die Gemeinde sei Eigentümerin der Flächen, und Beleuchtung und Entwässerung seien ebenfalls vorhanden gewesen. Kosten für den „Stichweg Habermann“ dürften nicht in die Abrechnung einbezogen werden. Straßenbeleuchtungskosten seien durch die neue Baumaßnahme zwar angefallen, es handele sich insoweit allenfalls um eine Erneuerung und nicht um eine erstmalige Herstellung. Bei Fertigstellung der Straßen im September 2001 habe es sich um eine Erschließungseinheit gehandelt. Die Baumaßnahmen seien auch einheitlich ausgeschrieben worden. Die in dem Bebauungsplan festgesetzte Breite der Verkehrsanlage sei unterschritten worden. Entgegen dem Bebauungsplan seien auch keine Bürgersteige angelegt worden. Die Ausbaumaßnahme verstoße auch gegen die Empfehlungen für die Anlage von Erschließungsstraßen. Die Sondersatzung vom Dezember 2001 sei unwirksam.

4

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 6. März 2003 zurückgewiesen. Die Beklagte wies darauf hin, dass vorher lediglich eine Baustraße ohne Randbefestigung vorhanden gewesen sei sowie ein Regenwasserkanal, der wegen der fehlenden Randbefestigung nicht benutzbar gewesen sei. Erst durch den späteren Ausbau sei die Straße fertiggestellt worden.

5

Die Klägerin hat am 10. April 2003 Klage erhoben. Sie ergänzt und vertieft die Gründe ihres Widerspruches. Es habe keine reine Baustraße vorgelegen, vielmehr handele es sich objektiv um eine Neubaumaßnahme, die zu einer Verschlechterung und nicht zu einer Verbesserung geführt habe. Auch wenn vor der Ausbaumaßnahme keine erhöhten oder befestigten Bürgersteige vorhanden gewesen seien, sei jedoch eine abgegrenzte Fläche zur Fahrbahn vorhanden gewesen, die von Fußgängern habe benutzt werden können. Die Kosten für die Herstellung und die Beseitigung der Baustraße könnten nicht auf die Anlieger umgelegt werden.

6

Die Klägerin beantragt,

7

die Bescheide der Beklagten über die Festsetzung von Erschließungsbeiträgen für den Wilhelm-Raabe-Weg und den Heinrich-Heine-Weg vom 30. bzw. 31. Januar 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 6. März 2003 aufzuheben.

8

Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

10

Sie verteidigt die angegriffenen Bescheide.

11

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

12

Mit Einverständnis der Beteiligten kann der Einzelrichter über die Klage ohne erneute mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).

13

Die Klage ist zulässig, aber nur zum Teil begründet.

14

Der Bescheid der Beklagten über die Festsetzung von Erschließungsbeiträgen für den Heinrich-Heine-Weg in der Fassung des Widerspruchsbescheides ist rechtswidrig, soweit ein Beitrag von mehr als 7.377,91 DM = 3.772,27 EUR festgesetzt worden ist. Der Bescheid der Beklagten über die Festsetzung von Erschließungsbeiträgen für den Wilhelm-Raabe-Weg in der Fassung des Widerspruchsbescheides ist rechtswidrig, soweit ein Beitrag von mehr als 6.576,69 DM = 3.362,61 EUR festgesetzt worden ist. Soweit die Bescheide rechtswidrig sind, verletzen sie die Klägerin in ihren Rechten und sind gem. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzuheben. Im Wesentlichen jedoch sind die Festsetzungen in den Bescheiden rechtmäßig, so dass eine Aufhebung durch das Gericht insoweit ausscheidet.

15

Der Heinrich-Heine-Weg und der Wilhelm-Raabe-Weg in Lachendorf sind erstmals hergestellt worden, so dass hierfür Erschließungsbeiträge erhoben werden können. Die in die Abrechnung eingegangenen Kosten sind jedoch um die Herstellungskosten und Abrisskosten der entfernten Baustraßen zu reduzieren, so dass sich deswegen im Ergebnis geringere Beitragssummen als die festgesetzten ergeben.

16

Hierzu ist auszuführen:

17

1. Die für die Beitragsberechnung maßgeblichem Erschließungsanlagen sind der Heinrich-Heine-Weg einerseits und der Wilhelm-Raabe-Weg andererseits. Teil des Wilhelm-Raabe-Weges ist auch der von den Beteiligten so genannte „Stichweg Habermann“. Denn aufgrund seiner Länge von weniger als 100 m (nach Messung anhand der überreichten Karten ergibt sich für den Stichweg eine Länge von 70 m) ist die Sackgasse unselbständiger Teil des Wilhelm-Raabe-Weges, mit dem zusammen er ausgebaut worden ist (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 6. Aufl. 2001, § 12 Rdnr. 14). Ist der Stichweg Teil des Wilhelm-Raabe-Weges, müssen die Kosten seiner Herstellung zusammen mit den Kosten für den Hauptzug des Wilhelm-Raabe-Weges ermittelt werden, und die an der Sackgasse anliegenden Grundstücke sind an den Kosten zu beteiligen.

18

2. Die beiden Straßen sind erstmalig hergestellt worden, so dass die Erhebung von Erschließungsbeiträgen gerechtfertigt ist. Die Beitragsbescheide finden damit ihre Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen in der Gemeinde Lachendorf vom 2. Mai 1988 (Amtsblatt für den Landkreis Celle 1988, Seite 159, in der Fassung der ersten Änderungssatzung vom 17.05.1994, Amtsblatt a.a.O. 1995, Seite 3) - EBS -. Nach dieser Satzung können für die erstmalige Herstellung von Straßen Erschließungsbeiträge erhoben werden. Es handelt sich bei dem Ausbau der Straßen weder um eine Erneuerung noch um eine Verbesserung, für die nach dem Nds. Kommunalabgabengesetz und dem entsprechenden Satzungsrecht Straßenausbaubeiträge erhoben werden könnten.

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a) Die Fahrbahn in den beiden Straßen ist erstmalig hergestellt worden. Nach § 10 Abs. 2 Buchst. a EBS ist die Fahrbahn hergestellt, wenn sie einen Unterbau und eine Decke aus Asphalt, Teer, Beton oder einem ähnlichen Material neuzeitlicher Bauweise aufweist (entsprechende Anforderungen haben auch die Vorgängersatzungen). Vor der Ausbaumaßnahme, die 2001 begonnen hat, hatte die Fahrbahn keine vollständige Decke. Die Klägerin selbst hat wiederholt darauf hingewiesen, dass vor dem Ausbau die letzte Schicht der Asphaltdecke gefehlt hat (Widerspruchsschreiben vom 15.08.2002 Seite 8; Klageschrift Seite 3). Die von der Klägerin vorgenommene Hochrechnung der damaligen Ausbaukosten auf das heutige Preisniveau ist hier nicht von Bedeutung. Für die Frage der endgültigen Herstellung kommt es nicht darauf an, „wie viel Geld“ verbaut worden ist, sondern darauf, ob die Fahrbahn mit Straßengrund, Straßenunterbau und Straßendecke (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 1 Nds. Straßengesetz) entsprechend den Anforderungen der Satzung ausgebaut ist. Das Aufbringen der letzten Deckschicht ist aber - wie es die Klägerin in ihrem Widerspruchsschreiben vom 15. August 2002 formuliert - „aus welchen Gründen auch immer unterblieben“.

20

b) Auch die Beleuchtung ist erstmals hergestellt worden. Die Beleuchtungseinrichtungen sind endgültig hergestellt, wenn eine der Größe der Anlage und den örtlichen Verhältnissen angepasste Anzahl von Beleuchtungskörpern hergestellt ist (§10 Abs. 2 Buchst. e EBS). Nach Angaben der Beklagten befand sich im Heinrich-Heine-Weg vor der Ausbaumaßnahme eine Leuchte, im Wilhelm-Raabe-Weg drei Stück (Schriftsatz vom 01.03.2004). Nach Durchführung der Baumaßnahmen befinden sich im Heinrich-Heine-Weg vier Leuchten, im Wilhelm-Raabe-Weg neun mit zwei weiteren Leuchten im Stichweg, was im Einzelnen der Kostenaufstellung zu entnehmen ist. Die Behauptung der Klägerin, im Heinrich-Heine-Weg seien früher drei Beleuchtungskörper vorhanden und im Wilhelm-Raabe-Weg sechs Beleuchtungskörper, ist nicht näher substantiiert und stellt die durch eine Karte der Gemeinde schriftliche fixierte Bestandsaufnahme am 14. Februar 1996, die von der Beklagten übersandt worden ist, nicht in Frage. Anlass für weitere Sachaufklärung hat der Einzelrichter insoweit nicht, zumal die Gemeinde die vorher vorhandenen Beleuchtungseinrichtungen der Größe der Anlage nicht im Sinne des § 10 Abs. 2 Buchst. e EBS angepasst angesehen hat, da sonst ein Bedürfnis für einen weiteren Ausbau nicht bestanden hätte.

21

c) Die Entwässerung ist erstmals hergestellt worden. Insoweit hat die Gemeinde durch ihre Sondersatzung vom 14. November 2001 (Amtsblatt a.a.O. 2001 Nr. 24) festgestellt, dass begrünte Seitenräume zur Versickerung des Oberflächenwassers mit Notüberläufen an Regenwasserkanäle hergestellt worden sind. Dies ist eine Abweichung zur Erschließungsbeitragssatzung, die in § 10 Abs. 2 Buchst. d vorsieht, dass „Straßenrinnen“ herzustellen sind. Diese waren vor der Ausbaumaßnahme nicht vorhanden, insoweit hat die Beklagte im Widerspruchsbescheid darauf hingewiesen, dass zuvor lediglich ein Regenwasserkanal vorhanden gewesen ist, der aber wegen der fehlenden Randbefestigung nicht benutzbar war.

22

d) Parkbuchten und Seitengrün sind erstmalig hergestellt worden.

23

3. Die in die Abrechnung eingestellten Kosten sind zu reduzieren.

24

Für den Wilhelm-Raabe-Weg hat die Beklagte 360.578,51 DM ermittelt, für den Heinrich-Heine-Weg 160.966,90 DM.

25

a) Die Kosten sind um die für die Herstellung der Baustraßen früher aufgewandten Beträge zu mindern, da die Baustraßen wieder entfernt worden sind. Für den Wilhelm-Raabe-Weg ergibt sich eine Reduzierung auf 326.298,86 DM, für den Heinrich-Heine-Weg auf 142.816,40 DM. Die Nichtberücksichtigung der darüber hinausgehenden Herstellungskosten folgt aus § 128 Abs. 1 Nr. 2 BauGB.

26

Der Wortlaut von § 128 Abs. 1 Nr. 2 BauGB, der nur die erstmalige Herstellung der Anlage dem Erschließungsaufwand zurechnet, gestattet die Einbeziehung der Kosten für die Herstellung einer nur provisorischen Anlage nicht. Nach Sinn und Zweck der genannten Vorschrift sind nur diejenigen Herstellungskosten erstattungsfähig, die der endgültigen Anlage dienen. Werden Teile einer früher hergestellten Teileinrichtung - etwa eine Baustraße - für die endgültige Einrichtung beibehalten, so stellen sie insoweit kein Provisorium dar; ihre Herstellungskosten gehören insoweit mit zu den endgültigen Herstellungskosten. Wird die Baustraße hingegen nicht für den endgültigen Ausbau verwandt (etwa weil sie wieder entfernt wird), sind die insoweit aufgewendeten Herstellungskosten nur dann umlagefähig, wenn nach den technischen Regeln die Errichtung dieser provisorischen Anlage erforderlich war, um später die endgültige Erschließungsanlage ordnungsgemäß herstellen zu können. In einem solchen Ausnahmefall dient auch die provisorische Anlage der endgültigen Herstellung, die Herstellungskosten für das Provisorium gehören dann zum beitragsfähigen Erschließungsaufwand für die endgültige Einrichtung (BVerwG, Urt. v. 5.9.1969 - IV C 67.68 -, DVBl. 1970 S. 81; Urt. v. 16.11.1973 - IV C 45.72 -, BRS Bd. 37 Nr. 65).

27

Daraus folgt für den vorliegenden Fall: Die Baustraßen wurden vollständig entfernt. Der Aufwand für die Herstellung der Baustraßen wäre nur dann beitragsfähig, wenn die Herstellung der Baustraßen nach den seinerzeit geltenden technischen Regeln zur Vorbereitung der endgültigen Anlagen erforderlich war. Hiervon kann indes nicht ausgegangen werden.

28

Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang ausgeführt: Bei der Planung des endgültigen Ausbaus sei die Verwendung der vorhandenen Baustraße geprüft worden. Ein Ausbau in Asphaltbauweise sei ausgeschlossen worden, weil bei einer Fahrbahnbreite von 4,50 m eine Verbreiterung des Unterbaus um 1,50 m erforderlich gewesen wäre, ohne Gewähr gegen einen späteren „Abbruch“ zu geben. Ein Aufbau einer Pflasterstraße hätte gegenüber den angrenzenden Grundstücken erhebliche Höhendifferenzen ergeben mit der Folge, dass die meisten Zugänge zu den Hauseingängen und Garagen mit hohem Kostenaufwand hätten angehoben werden müssen. Um die Höhenlagen der Baustraßen einigermaßen einzuhalten, sei die Entfernung der Baustraßen erforderlich gewesen. Zu diesem Ausbaukonzept habe sich der Gemeinderat dann entschieden.

29

Bei rechter Sicht der Dinge geht es damit um Baustraßen, die wegen des geänderten Bauprogramms der Gemeinde und wegen der inzwischen vorhandenen Bebauung und der damit einhergehenden Höhenlagen der Baustraßen und der Wohnbebauung nutzlos geworden sind. Zur Vorbereitung der jetzt vorhandenen endgültigen Anlagen sind die Baustraßen technisch nicht erforderlich gewesen. Sie mögen im Hinblick auf die Bebauung der einzelnen Wohngrundstücke nützlich gewesen sein, nicht aber im Hinblick auf die Schaffung der jetzt verwirklichten Fahrbahnen erforderlich. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes sind Kosten erstattungsfähig nicht schon dann, wenn die Baustraße der Erschließung der Baugrundstücke dient, sondern nur dann, wenn die Baustraße der Herstellung der endgültigen Anlage dient, wenn sie nach „den technischen Regeln“ erforderlich war, um später die endgültige Erschließungsanlage ordnungsgemäß herzustellen. Dies ist aber nicht der Fall.

30

Es ist allerdings richtig, dass das Bundesverwaltungsgericht in den zitierten Entscheidungen vertritt, die Kosten seien einzubeziehen, wenn die provisorische Anlage für eine spätere endgültige Herstellung erforderlich „erschien“. Es mag auch zutreffend sein, dass der Gemeinde aufgrund ihrer damaligen Planungsabsichten vorgeschwebt hat, die Baustraßen seien erforderlich, um die endgültigen Erschließungsanlagen herzustellen, d.h. ihr die Baustraßen erforderlich „erschienen“.

31

Der Einzelrichter ist gleichwohl der Auffassung, dass bei der „Erforderlichkeit“ von Herstellungskosten für ein „Provisorium“ trotz der Formulierungen in den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts nicht vordergründig und schwerpunktmäßig auf subjektive Absichten der Gemeinde abgestellt werden kann, sondern allein das, was - allerdings aufbauend auf das subjektiv zu bestimmende Planungskonzept der Gemeinde - nach den technischen Regeln objektiv erforderlich ist. Planungsabsichten können ohne weiteres geändert werden, und einer Gemeinde bleibt es unbenommen, bis zur endgültigen Herstellung der Straße ihr Bauprogramm einmal oder mehrmals zu ändern. Dies darf jedoch kostenmäßig nicht stets zulasten der Anlieger gehen. Wollte man unter dem Kostengesichtspunkt immer nur entscheidend darauf abstellen, was der Gemeinde aufgrund ihres gerade aktuellen Bauprogramms im Hinblick auf die endgültige Erschließungsanlage nur subjektiv erforderlich „erscheint“, ohne dass dies auch objektiv erforderlich ist, würde dies letztlich zur Folge haben können, dass die Beitragspflichtigen für eine Vielzahl von Provisorien zur Kasse gebeten werden, die sich bei Fertigstellung der endgültigen Erschließungsanlage als überholt und im Nachhinein nicht erforderlich erweisen. Konsequenz des von der Beklagten vertretenen Rechtsstandpunktes wäre es letztlich, dass eine Gemeinde ihr Bauprogramm jederzeit ändern und bereits entstandene, im Hinblick auf die endgültige Erschließungsanlage aber überflüssige und objektiv auch nicht erforderliche Aufwendungen problemlos auf die Bürger umlegen könnte, weil sie irgendwann einmal erforderlich „erschienen“. Dies wäre mit einem interessengerechten Ausgleich des finanziellen Risikos nicht vereinbar und würde sich von Sinn und Zweck des § 128 Abs. 1 Nr. 2 BauGB und seiner eher objektiven Betrachtungsweise entfernen.

32

Demzufolge sind die Herstellungskosten für die ursprüngliche Baustraße abzuziehen, d.h. die Rechnungen der Firmen Kalinowski und Hinsch sind herauszurechnen, wie es die Beklagte in der Alternativberechnung getan hat, die sie mit Schriftsatz vom 1. März 2004 übersandt hat.

33

b) Die Kosten für die Entfernung der Baustraßen sind ebenfalls in Abzug zu bringen.

34

Das Bundesverwaltungsgericht vertritt in seinem Urteil vom 5. September 1969 (a.a.O.) die Auffassung, die Kosten für die Beseitigung eines Provisoriums gehören in aller Regel nicht zum Erschließungsaufwand, und es führt aus:

35

Auch die hierfür aufgewendeten Kosten gehören, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, in aller Regel nicht zum Erschließungsaufwand. Nur dann, wenn die provisorische Anlage für eine spätere endgültige Herstellung erforderlich erschien, sind die für Beseitigung des Provisoriums entstehenden Kosten dem Erschließungsaufwand zuzurechnen.

36

Die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes ist unter dogmatischen Gesichtspunkten nicht unproblematisch.

37

Die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes beruht auf der Annahme, die Kosten für die Beseitigung des Provisoriums gehörten wie die Herstellung des Provisoriums selbst zu den Herstellungskosten im Sinne des § 128 Abs. 1 Nr. 2 BauGB. Denn nur mit dieser Vorschrift setzt sich das Bundesverwaltungsgericht auseinander. Es könnte mit guten Argumenten vertreten werden, die Kosten für die Beseitigung des Provisoriums gehörten nicht zu den Herstellungskosten nach § 128 Abs. 1 Nr. 2 BauGB, sondern zu den Kosten der Freilegung im Sinne des § 128 Abs. 1 Nr. 1 BauGB. Hierzu gehören nach herkömmlicher Definition alle Kosten, die die Gemeinde aufwenden muss, um die Flächen der Erschließungsanlagen von Hindernissen frei zu machen, die der Verwirklichung einer Herstellung entgegenstehen. Freilegungskosten sind nicht nur Aufwendungen für die Beseitigung von Bäumen und Sträuchern, sondern auch Aufwendungen für den Abbruch von Mauern, Zäunen, Gebäuden und Gebäudeteilen. Auch die Beseitigung von Hindernissen unterhalb der Erdoberfläche kann Freilegung im Sinne der Vorschrift sein, wie etwa das Entfernen von Ruinen im Boden (BVerwG, Urt. v. 13.11.1992 - 8 C 41.90 - KStZ 1993, Seite 70). Rechnet zur Freilegung im Ergebnis alles das, was zur Einebnung des Straßengeländes erforderlich ist, damit auf der dann glatten Fläche mit dem eigentlichen Straßenbau begonnen werden kann, lassen sich systematisch auch Aufwendungen für die Entfernung einer provisorischen und für den endgültigen Ausbau nicht erforderlichen Baustraße zu den Freilegungskosten rechnen. Denn im Hinblick auf die endgültig herzustellende Fahrbahn kann erst mit dem Bau begonnen werden, wenn und nachdem die dem endgültigen Ausbau entgegenstehende und verhindernde Baustraße vollständig entfernt worden ist. Damit gehörte der Abbruch des Provisoriums zur „Freilegung“ i.S.d. § 128 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, und die Abbruchkosten wären berücksichtigungsfähig. Im vorliegenden Fall würde das auch nicht zu einem unbilligen Ergebnis führen: Die konsequente Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes wären die Anlieger völlig freigestellt von Freilegungskosten. Denn die Freilegungskosten für das Provisorium können nicht (fiktiv) umgelegt werden: Dient die Herstellung des Provisoriums nicht der endgültigen Anlage, kann auch die Freilegung für das Provisorium nicht der endgültigen Anlage dienen. Gerade im vorliegenden Fall sind Billigkeitsgesichtspunkte - die systematisch allerdings keine ausschlaggebende Rolle spielen - von besonderer Bedeutung: Haben Anlieger wie die Klägerin über 20 Jahre lang den Vorteil einer Baustraße gehabt und die bis auf die Decke hergestellte Fahrbahn nutzen können, ohne jemals mit den Herstellungskosten belastet werden zu können, erscheint es eher billig, sie mit den Freilegungskosten für die Entfernung der provisorischen Baustraße zu belasten, als sie von Freilegungskosten völlig freizustellen.

38

Die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes wäre folgerichtiger, wenn bei der Frage der Berücksichtigungsfähigkeit der Kosten für die Beseitigung eines Provisoriums nicht angeknüpft würde an die Begriffe der Freilegung und der Herstellung, sondern - gleichsam auf einer der Differenzierung vorhergehenden Stufe - an die Frage der Erforderlichkeit des Provisoriums an sich. Beitragsfähig ist der Aufwand nur für Erschließungsanlagen, die „erforderlich“ sind (§ 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB), so dass stets geprüft werden muss, ob eine Anlage überhaupt und ob sie nach Art und Umfang erforderlich ist. Was für die Erschließungsanlage an sich gilt, muss in gleicher Weise auch für das Provisorium an sich gelten. Wenn eine Rechtmäßigkeitsprüfung ergibt, dass es keine sachlichen Gründe für die Anlage eines Provisoriums gibt, ist es - ebenso wie bei der Erschließungsanlage selbst - konsequent, alle mit dem Provisorium verbundenen Kosten als nicht beitragsfähig anzusehen, was folglich nicht nur die Kosten für die Herstellung, sondern auch die Kosten für die Beseitigung betrifft.

39

Im Interesse der Rechtseinheitlichkeit und der Berechenbarkeit der Rechtsprechung ist der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes zu folgen, wonach die Kosten für die Beseitigung eines Provisoriums nicht zum Erschließungsaufwand gehören. Im vorliegenden Fall sind die Kosten daher entsprechend zu reduzieren. Werden die Gesamtkosten deshalb um die Kosten für die Entfernung der Baustraßen einschließlich anteiliger Honorarkosten vermindert, ergibt sich ein Aufwand für die beiden Straßen von 314.336,37 DM bzw. 138.731,80 DM (vgl. die Alternativberechnungen als Anlage zum Schriftsatz vom 8.6.2004). Anlass an der Richtigkeit der Kostenaufstellung zu zweifeln, hat der Einzelrichter nicht. Es besteht auch kein Bedürfnis, in dieser Hinsicht weitere Ermittlungen anzustellen.

40

c) Die Kosten im Übrigen geben zu rechtlichen Bedenken keinen Anlass.

41

Auch wenn Kabel, Masten und Leuchtkörper aus dem „Bestand der Samtgemeinde Lachendorf“ stammen sollten, bedeutet dies nicht, dass sie ohne jeden Marktwert wären und nicht in die Abrechnung eingestellt werden könnten. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, die Beleuchtungsmittel würden von der Samtgemeinde in regelmäßigem Zeitabstand für die Mitgliedsgemeinden zentral eingekauft. Dies führe wegen der Abnahme größerer Mengen zu einer Kostenersparnis. Die Lampen würden dann den Gemeinden gegen Abrechnung zum Einbau überlassen, was für die Gemeinden und letztlich für die Bürger mit einem Preisvorteil verbunden sei.

42

Diese Erwägungen gelten entsprechend für das Straßenbegleitgrün. Auch wenn Pflanzen - wie die Klägerin meint - aus dem „Bestand“ genommen worden sind, haben sie doch einen Marktwert, den einzustellen die Gemeinde ohne weiteres berechtigt ist.

43

4. Von den beitragsfähigen Kosten sind 90/100 umlagefähig, da die Gemeinde nach § 6 EBS 10/100 der beitragsfähigen Erschließungskosten selbst trägt.

44

5. Die Beklagte hat alle Grundstücksflächen, die bei der Verteilung des umlagefähigen Aufwandes zu berücksichtigen sind, in die Abrechnung eingestellt und sie auch rechnerisch richtig mit den einzelnen Beiträgen belastet. Auch die Grundstücke am „Stichweg Habermann“ sind vom Ausbau des Wilhelm-Raabe-Weges bevorteilt und in die Verteilungsfläche aufgenommen worden. Damit ergeben sich für die Klägerin für den Heinrich-Heine-Weg und den Wilhelm-Raabe-Weg Beiträge in den Höhen, wie sie im Tenor des Urteils genannt worden sind.

45

6. Ergänzend:

46

Entgegen der Ansicht der Klägerin ist eine irgendwie geartete „Erschließungseinheit“ bei den „Dichterstraßen“ nicht anzunehmen.

47

Dass die durch den Bebauungsplan vorgegebene Breite der Erschließungsanlagen unterschritten wird, ist entgegen der Ansicht der Klägerin unschädlich, da dies mit den Grundzügen der Planung vereinbar ist (§ 125 Abs. 3 Nr. 1 BauGB).

48

Die Einzelsatzung der Gemeinde Lachendorf vom 14. November 2001 ist entgegen der Ansicht der Klägerin nicht unwirksam. Sie ist im Gegenteil erforderlich gewesen, um die Beitragspflicht entstehen zu lassen. Da nach § 10 Abs. 2 Buchst. d EBS die Entwässerungsanlagen aus „Straßenrinnen“ bestehen müssen, in den beiden Straßen jedoch begrünte Seitenräume zur Versickerung des Oberflächenwassers mit Notüberläufen angelegt worden sind, durfte es dieser Abweichungssatzung, um die Beitragspflicht zum Entstehen zu bringen.

49

Das Fehlen von Bürgersteigen hindert das Entstehen der Beitragspflichten nicht, weil die Sondersatzung vorsieht, dass die Straßen ohne Bürgersteige endgültig hergestellt sind.

50

Weitere Gründe, die zur Rechtswidrigkeit der Heranziehungsbescheide dem Grunde oder der Höhe nach führen können, sind nicht gegeben.

51

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

52

Der Einzelrichter lässt die Berufung zu, weil es grundsätzliche Bedeutung hat, ob und inwieweit bei der Beitragsfähigkeit von Provisorien bei Änderung des Bauprogramms die subjektive Sicht der Gemeinde über das, was erforderlich erscheint, maßgeblich ist. Die Berufung ist auch zuzulassen, weil es von grundsätzlicher Bedeutung ist, ob und unter welchen rechtlichen Gesichtspunkten die Kosten für die Entfernung einer provisorischen Baustraße aus dem beitragsfähigen Aufwand herausfallen.